1. Korinther 3, 5-15

1. Korinther 3, 5-15

 


12. Sonntag nach Trinitatis,
18. August 2002
Predigt über 1. Korinther 3, 5-15, verfaßt von Friedrich Mildenberger

(Vorbemerkung: Die Perikopeneinteilung ist problematisch. Aufjeden Fall
muß v.5-8 mit dazugenommen werden, damit das „Wir“ identifizierbar
bleibt, das nicht von vornherein mit PredigerIn oder Amtskirche gleichgesetzt
werden sollte. Paulus und Apollos als namentlich genannte Mitarbeiter
Gottes dürfen nicht unterschlagen werden.)

Liebe Gemeinde!

Inzwischen ist das eine lange Reihe geworden. Nicht mehr nur Paulus und
Apollos, über deren Vollmacht und Geistbegabung es in Korinth zu
Streitereien und Spaltungen in der Gemeinde gekommen war. Eine lange Reihe
von Menschen, die sich abgemüht haben, das Evangelium und den Glauben
weiterzutragen. Das nicht nur in Rom, wo sich die Reihe der Päpste
auf den Apostel Petrus zurückführt. Es gibt mancherlei solche
Sukzessions- oder Nachfolgereihen, in die wir uns hineinstellen.

Bei meinem Lehrstuhl für Systematische Theologie gibt es ein „Seminarbuch“.
Angefangen wurde es 1892. Darin haben sich alle Studierenden eingetragen,
die an diesem Lehrstuhl abgehaltene Seminare besuchten; bekannte Namen
sind darunter, wie Ernst Troeltsch oder Gerhard von Rad, und viele unbekannte
Leute. Beim Eintragen in dieses Buch hat mancher seinen Vater oder Großvater
gefunden, der auch schon in Erlangen studierte. Und natürlich stehen
da auf der ersten Seite alle Lehrstuhlinhaber, bekannte Namen wie Reinhold
Seeberg oder Werner Elert und weniger bekannte; auch ich habe mich da
eingetragen, und bin nun der Vorletzte in dieser Reihe. Es mag sein, dass
das Buch noch einmal hundert Jahre weiter geführt wird. Leere Seiten
sind noch genug da. Dann fragt sich vielleicht einer, der da blättert:
Wer war das eigentlich, dieser Friedrich Mildenberg? Und weiß dann
mindestens: Er gehört in diese Reihe.

Öfters komme ich als Gastprediger in Kirchen, in deren Sakristei
eine Tafel mit Namen hängt, fünfzehn, zwanzig, dreißig:
Pfarrer dieser Gemeinde, die da mit den Jahren ihres Dienstes verzeichnet
sind. Neulich sprach ich mit einem jungen Mann, der als Berater von Kirchengemeinden
in Fragen finanzieller Investitionen tätig ist. Er sei da auch in
eine Sakristei gekommen und habe eine solche Namensliste gesehen. Er meinte:
„Das muß doch eine Demütigung für einen Pfarrer sein,
wenn er diese Liste vor Augen hat, ehe er dann zu seiner Predigt auf die
Kanzel steigt.“ Das wird ja allenfalls von seinem Tun bleiben, sein
Name auf dieser Tafel und die Jahre, die er in dieser Gemeinde tätig
war. Dabei sind wir Pfarrer doch manches mal recht stolz und ein bißchen
eitel, wenn wir auf die Kanzel gehen.

Nun, von einer Demütigung will ich nicht reden, wenn ich vor so
einer Tafel stehe. Aber sie kann schon bescheiden machen. Auch da gehören
wir in die Reihe, deren Beginn Paulus hier in seinem ersten Korintherbrief
nennt: „Wer ist nun Paulus? Wer ist Apollos? Diener sind sie, durch
die ihr gläubig geworden seid, und das, wie es der Herr einem jeden
gegeben hat.“ So steht das auch mit mir und mit unsereinem überhaupt,
deren Lebensaufgabe der Dienst am Wort Gottes und für die Gemeinde
der Glaubenden gewesen ist. Im besten Fall sind wir Diener gewesen, die
ihren Dienst treu versehen haben; im besten Fall, denn Untreue in diesem
Dienst gibt es beileibe nicht nur bei den katholischen Priestern, die
sich an Kindern vergreifen.

Es geht weiter mit dem Evangelium und mit dem Glauben, durch treuen und
trotz untreuem Dienst. Gott will das so. „Paulus hat gepflanzt, Apollos
hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der
pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.“
Das setzte ich jetzt voraus. Aber damit ist ja die Frage nach dem, was
wir tun können und tun sollen, nicht vom Tisch. Und erst recht ist
die Frage nach dem Erfolg unseres Tuns nicht vom Tisch.

Ich habe mir überlegt, wer das eigentlich war, der meine Zugehörigkeit
zur christlichen Gemeinde und meinen Lebensweg als Theologe bestimmt hat.
Da ist mein Vater, der mich getauft, konfirmiert und später auch
ordiniert hat; seine Bescheidenheit und Treue waren mir immer ein Vorbild.
Da ist Helmut Thielicke, dessen Vorträge in der gedrängt vollen
Stiftskirche in Stuttgart in den Kriegsjahren 1942/43 mir mit meinen dreizehn,
vierzehn Jahren einen großen Eindruck machten. Ich kann sie nicht
alle aufzählen, die Frauen und Männer, die mir begegnen und
dazu halfen, daß ich bei der Stange bleiben konnte. Ich nenne nur
noch Karl Steinbauer, dem ich hier in Erlangen begegnete und dessen ungestümer
Eifer für das Evangelium mir unvergessen ist. Ist das der Erfolg,
den wir suchen: ein paar Leute, die sich dankbar an uns erinnern und an
dieses oder jenes Wort, dieses oder jenes Zusammensein, das ihnen gut
getan hat und auch sie bei der Stange hielt? Und diese Erinnerungen sind
ja desto zutreffender, je mehr dabei nicht nur die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
Gottes im Mittelpunkt stehen, sondern er selbst dabei ist, der das Gedeihen
schenkt und unseren Glauben bewahrt. Das ist ein stiller, ein fast schon
versteckter Erfolg unseres Tuns. Ein Erfolg, der gerade darum so still
und fast schon versteckt ist, weil es ja in Wahrheit nicht unser Erfolg
ist, sondern Gottes Wirken.

Aber können und dürfen wir uns denn bloß auf diese Verborgenheit
des göttlichen Wirkens berufen und verlassen, wenn wir als Theologinnen
und Theologen, als christliche Gemeinde nach dem gefragt sind, was wir
tun und zustande bringen? Wir wollen doch Anerkennung, Einfluß und
nicht zuletzt auch Geld für das, was wir tun. Auch Paulus selbst
stellt die Frage, dringlicher, als daß wir uns an ihr vorbeidrücken
könnten. Gewiß: da ist die Voraussetzung, Jesus Christus als
der Grund, der gelegt ist. Einen anderen Grund als diesen kann es und
darf es nicht geben. Aber da ist dann das Tun, nach dem wir alle gefragt
sind: Was haben wir auf diesen Grund gebaut? Gold, Silber, Edelsteine,
Holz, Heu, Stroh? Am Ende wird es herauskommen, sagt Paulus. Doch wie
ist es bis dahin? Muß es da nicht auch so etwas wie eine Erfolgskontrolle
geben?

In den verschiedenen deutschen Landeskirchen gibt es derzeit Überlegungen
in dieser Richtung. Sie sind nicht nur davon angestoßen, dass auch
in den Kirchen das Geld knapper wird. Aber das ist es natürlich auch:
Wie kann sich die Kirche behaupten auf dem Markt der weltanschaulichen
Möglichkeiten? Wie kann sie ihre Stellung dem Staat gegenüber
und in der Gesellschaft begründen, festhalten oder gar ausbauen?
Und eine Kirchenleitung, Bischöfe und Dekane und wer immer Leitungsaufgaben
in der Kirche hat, sie sorgen sich doch auch um ihre Mitarbeitenden, Pfarrer
und Pfarrerinnen nicht nur, sondern die vielen anderen Menschen, die im
Dienst der Kirche stehen. Wie kann denen geholfen werden, daß sie
gerne und eben damit natürlich auch effektiv ihren Dienst tun? Wie
können sie besser motiviert und auch kontrolliert werden, damit es
mit der Kirche läuft, damit sie anerkannt bleibt bei den Leuten und
in der Öffentlichkeit? Da sind doch Ansprüche an die Kirche,
Ansprüche des Staates, Ansprüche der Kommunen, Ansprüche
der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, von Vereinen, Verbänden,
Parteien, Vereinigungen aller Art, die ihre Ziele durchsetzen wollen,
höchst ehrenwerte und nötige Ziele oft genug, und die dazu auf
die Kirche zugehen: Arbeit für alle, Frieden, Bewahrung der Umwelt,
Hilfe für die Armen der Welt, Widerstand gegen die Globalisierung
mit ihrer Herrschaft des Kapitals und der Großkonzerne – das sind
solche ziele. Dafür setzen wir uns persönlich ein, dort, wo
es uns gerade besonders nötig erscheint. Dafür soll sich auch
die Kirche einsetzen. Oder gibt sie damit gerade das auf, was ihre besondere
Aufgabe ist? Läßt sie sich so politisieren? Läuft sie
damit von dem ihr aufgetragenen Bau auf das Fundament Jesus Christus weg
und dieser oder jener Mode hinterdrein? Auch solche Stimmen kenne ich.

Eine Patentlösung für diese Fragen, mit der alle Beteiligten
zufrieden wären, gibt es sicher nicht. Aber wir alle, die vorne auf
der Kanzel stehen genauso wie die ihnen zuhören, Hauptamtliche im
Dienst der Kirche und alle, denen diese Kirche am Herzen liegt, wir sollten
das sehen. Es ist verständlich, daß wir alle miteinander nicht
auf den Jüngsten Tag warten wollen und warten können, an dem
unser Tun letztgültig beurteilt wird. Wir wollen und sollen die Menschen
erreichen mit unserer Botschaft, gewiß. Aber wie das gehen kann,
und woran man eigentlich den Erfolg eines solchen Tuns messen kann, darüber
gibt es längst keine Übereinstimmung.

Zwei Dinge will ich nennen, die mir in diesen strittigen Fragen unaufgebbar
erscheinen. Einmal dies: Wir sollen in dem Zusammenhang von Evangelium
und Glauben bleiben, wie ihn Paulus mit seinem Hinweis auf den ein für
allemal gelegten Grund Jesus Christus beschreibt. Das heißt dann
nicht nur, daß wir den Namen Jesus Christus nennen und uns seiner
gewiß nicht schämen. Es heißt auch, daß wir alle
uns der Prüfung am Wort der Bibel stellen.

 

Dafür muß Zeit sein, gerade bei denen, die dann vorangehen
sollen in dem, was der Kirche zu tun aufgetragen ist. In dem Pfarrkonvent,
zu dem ich als junger Pfarrer gehörte, haben wir öfters sehr
heftig theologisch diskutiert und auch gestritten. Aber da gab es einige
Kollegen, die meinten, sie hätten für die Theologie gar keine
Zeit. Sie müssten ihre Gemeindearbeit machen, die Leute besuchen,
den Kindergarten bauen und was da immer zu tun ist. Mir hielten sie entgegen:
Du hast eine kleine Gemeinde; du hast Zeit für die Theologie. Bei
uns aber geht das nicht mehr. Ich denke, das ist eine verkehrte Auskunft.
Wir alle brauchen das Nachdenken, die Beschäftigung mit der Bibel,
die Kenntnis der Geschichte oder wenigstens einiger von den vielen Geschichten,
die die erlebt haben, die uns vorangegangen sind. So können wir uns
davor schützen, daß wir dann doch, auch wenn wir das eigentlich
nicht wollen, von jenem Fundament Jesus Christus abkommen, das allein
unserem Bauen an der Gemeinde Sinn und Dauer gibt.

Und ich habe ein Zweites zu nennen: So verständlich es ist, daß
wir nach dem Erfolg unseres Tuns fragen; so verständlich es ist,
daß wir nach Kriterien für die Effektivität unserer Arbeit
in der Kirche suchen; so gut es uns tut, wenn wir einmal hier oder dort
auch sichtbaren Erfolg haben – einen besseren Gottesdienstbesuch, eine
vielfältige Gemeindearbeit, Mitarbeiter und Gemeindekreise, um nur
einiges zu nennen – : daß der eigentliche Erfolg unseres Tuns so
still ist und fast versteckt, das sollt wir nicht vergessen. Still und
fast versteckt ist dieser Erfolg ja deshalb, weil es Gott selbst ist,
der das Gedeihen gibt.

Freiheit und Schwäche dessen, was uns zu tun aufgetragen ist liegt
gerade hier. Wir sollten uns nicht der Schwäche schämen und
darum die Freiheit fahren lassen und uns dieser oder jener Mode anpassen.
Wir sollten uns freilich auch nicht auf die Freiheit berufen und damit
rechtfertigen, daß wir keine Erfolge aufzuweisen haben. Freiheit
wie Schwäche dieses Tuns haben ihr Grund ja einzig darin, daß
unser Tun darauf angewiesen ist, daß Gott das Gedeihen gibt.

Nun habe ich viel von mir und von uns hauptamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in der Kirche geredet. Ich habe gelernt und gelehrt,
dass die Person des Verkündigers vor der Botschaft, vor der Botschaft,
die er zu verkündigen hat, zurücktreten soll. Aber es gehört
ja mit zu dieser Botschaft dazu, dass ihr Gelingen auf Gottes Tun allein
angewiesen ist. Wie wir das wissen und uns das vorhalten, so sollt auch
ihr das wissen und euch vor Augen halten, ob ihr nun die Stärken
einer Pfarrerin, eines Predigers bewundert oder euch an ihren Schwächen
stößt. Wir sind aufeinander angewiesen, weil wir miteinander
auf Gott selbst angewiesen sind. Miteinander rufen wir ihn an:

Du unser Gott allein gibst das Gedeihen. Du hast uns allen das Evangelium
anvertraut, dass wir deine Gnade in Jesus Christus im Glauben annehmen,
in treue festhalten und bezeugen an dem Ort, an den du uns gestellt hast.
Stärke uns den Glauben und laß deine Liebe unter uns regieren,
damit wir nicht beschämt dastehen müssen, wenn du richtest,
sondern dich fröhlich preisen können mit allen deinen Menschen,
die du geschaffen hast, erhältst und zu dir führst.

Amen.

Prof. Dr. Friedrich Mildenberger
Rehweiherstraße 7
91056 Erlangen
Tel. 09131 / 44244

 

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