1. Korinther 6,9-14 und 18-20

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1. Korinther 6,9-14 und 18-20

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


8. Sonntag nach
Trinitatis

13.8.2000
1. Korinther 6,9-14 und 18-20


Herbert Koch


Liebe Gemeinde!

Ein spannendes Kapitel für uns, die wir in einer sehr
freiheitlichen Gesellschaft leben, schneidet Paulus hier an. Denn die Freiheit
des Christen und was sie für das Leben bedeutet, das ist hier das Thema.
Wie diese Freiheit beschaffen ist, dazu möchte Paulus den Empfängern
seines Briefes in Korinth etwas Wesentliches mitteilen.

Dabei ist manches, was in der damaligen christlichen Gemeinde in
Korinth ein Problem war, an die damalige Zeit gebunden – und ein Problem in
unserer Zeit so nicht mehr. Aber die Freiheit des Menschen, seine
Möglichkeit, in bestimmten Dingen wählen zu können, sich in
einer bestimmten Weise zu verhalten oder anders oder auch überhaupt nicht
– das ist ein großes zeitloses Thema. Und ganz besonders ist das
natürlich der Fall, wenn man in einer sehr freiheitlichen Gesellschaft
lebt, wie es für uns heute der Fall ist.

Sehr wichtig ist es für unser Leben, dass wir in dieser
Gesellschaft viele staatlich garantierte Freiheitsrechte haben. Denn die
Alternative ist schlichtweg die Unfreiheit. Freiheitsrechte gibt es in der
Regel nur ungeteilt, ganz oder gar nicht, für alle oder für keinen.
Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn Freiheitsrechte politisch infrage gestellt
werden. Die Verfassung der DDR zum Beispiel kannte so gut wie keinerlei
Freiheitsrechte der Bürger. Im Unterschied zum Grundgesetz unserer
Bundesrepublik waren dort fast ausschließlich Pflichten festgelegt. Wer
möchte aber in einer Ordnung leben, in der er nur Pflichten hat? Der Staat
DDR hat sich auf diese Weise selbst zu Grunde gerichtet, weil seine Bürger
ihn auf Dauer so nicht tragen mochten.

Diese gesellschaftlich-politische Seite ist die eine Seite des
Themas. Die andere Seite ist die Frage, wie man denn als Einzelner mit der
Freiheit, die man hat, umgehen kann – dass man sich dabei als ein wirklich
freier Mensch fühlen und erleben kann. Das ist ein schwieriges Kapitel.
Auch in den frühen christlichen Gemeinden hatte man damit offenbar schon
seine Mühe und Not. Die Briefe des Apostels Paulus beweisen es. Es ist
eben ein Thema, ein Problem, das zu uns Menschen unverlierbar hinzugehört.
Und ein für allemal damit zu Ende zu kommen, das ist wohl kaum
möglich.

In den Justizvollzugsanstalten, wie heute bei uns die
Gefängnisse heißen, gibt es unter den Gefangenen immer eine kleine
Zahl von Menschen, die dort immer wieder hingeraten, manche sogar bis in ein
ziemlich hohes Alter. Die Delikte, die immer wieder zum Freiheitsentzug
führen, sind zumeist von eher geringfügiger Art. Es sind Menschen,
deren Leben so verlaufen ist, dass sie eine angepasste Lebensweise in Freiheit
nie richtig erlernen konnten. So wird mit der Zeit das Gefängnis für
sie zu einer Welt, in der sie tatsächlich besser als in der Freiheit
draußen leben können, weil sie sich in dieser Welt wirklich
auskennen. Deshalb gehören sie auch fast immer zu denjenigen Gefangenen,
denen man eine „gute Führung“ bescheinigen kann, wie die Justiz das nennt.
Und sie freuen sich auf den Tag ihrer Entlassung genau so wie alle anderen.
Aber das Gefängnispersonal, das sie lange kennt, weiß, dass es nicht
lange dauern wird, bis sie wieder da sind. Sie kommen mit der Freiheit
draußen einfach nicht mehr zurecht, und mitunter hat es den Anschein,
dass sie eine neue, relativ harmlose Straftat begehen, um dort wieder
hinzukommen, wo sie sich wirklich auskennen und mit den kleinen
Alltagsfreiheiten wirklich umgehen können, die es auch dort gibt. In der
Sprache des Gefängnisses nennt man sie die „vollzugseigenen Kinder“. Man
kann es schrecklich finden, dass es das gibt. Aber auch dies ist ein Stück
menschliche Lebenswirklichkeit, das aus der Barmherzigkeit Gottes nicht
ausgeklammert ist.

Ich habe dies als Beispiel gewählt, weil ich das, was Paulus
in diesem Predigttext sagen will, am deutlichsten ausgedrückt finde in dem
Satz: „Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen“. Paulus
spricht mit diesen Worten von der Art von Gefängnissen, die es auch und
zahlreich gibt, die aber nicht aus Mauern und Gitter gemacht sind; von den
Gefängnissen, in die jeder geraten kann, auch wenn er sich nicht so
verhält, dass er der Justiz Anlass gibt, ihn einzulochen. Denn das wahre
Gegenteil der Freiheit ist letztlich nicht die äußere
Einschränkung, sondern die innere Abhängigkeit, das unsichtbare
Gefängnis, das es in unserem tiefsten Inneren geben kann. Unter den
Beispielen, die Paulus dafür aufzählt, mag vieles sein, was die
allermeisten unter uns nicht betrifft. Aufgefallen ist mir allerdings, dass er
unter den Dingen, die ein inneres Gefängnis sein können, auch den
Geiz aufzählt und ihn in eine Reihe stellt mit Dingen wie
Kinderschändung, Diebstahl, Trunksucht und Räuberei. Seien wir
ehrlich: das ist starker Tobak. Sich nicht vom Geld zu trennen, obwohl man
mitunter etwas richtig Gutes damit tun könnte, das ist schließlich
kein Straftatbestand. Glücklich, wer es doch kann! Und nicht wenigen
gelingt es immer wieder. Aber sich mit echter innerer Freiheit der Macht des
Geldes entziehen – eine leichte Sache ist das nicht.

Aber auch dies ist nur ein Beispiel, das ich nicht weiter ausmalen
will, weil dann der Eindruck entstehen könnte, die Predigt ziele auf eine
besonders gute Kollekte ab. Das wäre aber viel zu billig. Es geht um weit
mehr, und schließlich muss nicht jeder dieses Beispiel als dasjenige
ansehen, was ihn wirklich betrifft. Was mich selber wirklich betrifft, das kann
ich nur selbst ganz persönlich und für mich allein herausfinden,
damit die Freiheit, die Paulus meint, auch zu meiner eigenen Freiheit wird.

Was uns dabei entscheidend hilft, das ist für Paulus ganz
klar: Es ist das Vertrauen zu Gott, aus dem Jesus mit dem, was er gesagt, getan
und erlitten hat, gelebt hat; so wahr und überzeugend, dass selbst ein
Kreuz, das blutige Machtsymbol des römischen Gottkaisers, es nicht wieder
zunichte machen konnte. Nur dieses Vertrauen in die unermessliche
Größe, Ewigkeit und Barmherzigkeit Gottes kann uns davon frei
machen, etwas anderes – was immer es sei – an seine Stelle treten zu
lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, dem die
Unfreiheit völlig fremd wäre, die sich entwickelt, wenn an die Stelle
Gottes etwas anderes tritt, was uns vielleicht zu höchster Aktivität
bringt, aber nicht zu innerer Befreiung, zu einem wahren Leben. Das zu suchen,
ist der Anfang von allem, und es gibt die Erfahrung, dass es das
tatsächlich gibt.

Amen

Superintendent Dr. Herbert Koch
Langbergstr. 46 a
38440
Wolfsburg
Fax: 05361-12874

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