1. Mose 15, 1-6

1. Mose 15, 1-6

Abraham – Vorbild des Glaubens? | 15. Sonntag nach Trinitatis | 17.09.2023 | 1. Mose 15, 1-6 | Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

selbst Vorbild sein und wenigstens ein Vorbild haben, – das ist wünschenswert! Häufiger ist dieser Wunsch im Blick auf „ein Vorbild haben“, – sei es ein Lehrender in der Schule oder an der Universität, sei es ein Mensch in der Literatur oder in politischen Kreisen, sei es Mutter oder Vater, Oma oder Opa. In vielen Lebensbereichen gibt es Vorbilder, ja, positive und ebenso negative Vorbilder. Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass ich nach erstem Schwärmen für eine für mich vorbildliche Person auch andere Seiten des Menschen entdeckte und dann merkte, wie menschliche Schwächen doch jeder Mensch zeigt und so seine mehr ansprechenden und weniger sympathischen Seiten hat. Oftmals bleiben wir an einer Seite hängen.

Nicht anders verhält es sich auch bei Personen des Glaubens in den biblischen Geschichten. Da werden kritische, weniger ansprechende Glaubensgeschichten von Personen nicht weggelassen. Allerdings können wir bis heute nicht alle charakterlichen Seiten eines Menschen gleichzeitig betrachten. Biblische Geschichten wollen jeweils besondere Akzente setzen und herausstellen, die für die Beziehung zwischen Gott und Mensch bedeutsam sind. Da gibt es unterschiedliche Erzählungen von dem Erzvater Abraham, der in älteren Berichten auch „Abram“ genannt wird. Dieser steht heute in der biblischen Geschichte als Vorbild des Glaubens im Zentrum der Sonntagspredigt. Ich lese aus dem 1.Buch Mose/Genesis Kap. 15, Verse 1-6:

1 Nach diesen Geschichten begab sich’s, dass zu Abram das Wort des HERRN kam in einer Erscheinung: Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.

2 Abram sprach aber: HERR, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder und mein Knecht Eliëser von Damaskus wird mein Haus besitzen.

3 Und Abram sprach: Mir hast du keine Nachkommen gegeben; und siehe, einer aus meinem Haus wird mein Erbe sein.

4 Und siehe, der HERR sprach zu ihm: Er soll nicht dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein.

5 Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!

6 Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.

Liebe Gemeinde, der Apostel Paulus hat viele Jahre nach der Auferstehung Christi in seinem Brief an die Gemeinde in Rom den Abraham als Vater des Glaubens und als Glaubensvorbild hervorgehoben. So habe ich es auch im Studium gelernt und halte daran fest. Jedoch wird eine andere, unangenehme Geschichte von Abraham bei dem Apostel Paulus ausgeblendet, die allerdings in der Bibel vor unserem Predigtabschnitt erzählt wird: Abraham ist mit seiner Frau Sara in Ägypten und aus Angst um sein eigenes Leben im fremden Land gibt er Sara als seine Schwester aus und stellt sie dem Pharao für sein Harem zur Verfügung. Der Pharao erfährt jedoch die wahre Situation, zieht Abraham zur Rechenschaft und gibt Sara zurück. Erkennbar wird, dass Abraham ein ängstlicher und zugleich unzufriedener Mensch ist.

So ist es auch das Erste, was Gott dem Abraham in unserer heutigen Erzählung sagt: „Fürchte dich nicht!“ Und es bleibt nicht bei diesen drei Worten, als ob sie schon so oft gehört und inzwischen nichtsagend geworden seien. Es wird von Gott verstärkt hinzugefügt: „Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“ Da existiert eine feste Beziehungsgeschichte zwischen Gott und Abraham.

Liebe Gemeinde, wenn mir dies heute gesagt würde, wäre ich dankbar und froh und lebensmutig. Wäre dies bei Ihnen anders? Viele von uns brauchen doch im eigenen, alltäglichen Erleben und dazu noch bei dem, was die globalen Medien uns täglich in die eigene Wohnung bringen, den Schutzschild mit der Zusage, dass sich das Leben noch lohnt – auch trotz Klimaveränderung, Energiekrise und Kriegsgeschehen. Wie hilfreich, wenn wir uns in unserem Glauben sagen lassen: Vertraue darauf, dass Gott dein Schutzherr im Leben und im Sterben ist. Dein Leben lohnt sich! Gott wird dich in kritischen Situationen begleiten; er ist eine Hilfe; denn die Beziehung Gottes zu dir ist stabil!

Abraham lässt nichts von Dankbarkeit spüren. Viel stärker spüre ich seine anklagende Enttäuschung. Seine Frage an Gott bringt seine Mutlosigkeit zum Ausdruck: „Herr, was willst du von mir?“ Und dann platzt Abraham mit all seiner Anfrage an den Sinn seines Lebens heraus, an die früheren Versprechungen Gottes, an die Sinnlosigkeit des Daseins bei Kinderlosigkeit und an die Notlösung in der Frage der Nachkommenschaft: „ich gehe dahin ohne Kinder!“ Eine zentrale Beschwernis für den jüdischen Menschen. Und dann steigert Abraham noch seine Klage und Enttäuschung mit dem Vorwurf gegen Gott: „Mir hast du keine Nachkommenschaft gegeben!“

Für den Menschen Abraham lebt sein Glaube in der Ewigkeit im Leben von Kindern und Enkeln weiter. Nach seinem Glauben kann er nicht denken, dass es nur um sein eigenes Leben bis zum Tode ginge; und was danach kommt, wäre nicht sein Problem. Nein, vielmehr ist sein jüdischer Glaube weiter lebendig im Leben der eigenen Nachkommen. Wenn keine Kinder und Enkel geboren werden, dann stirbt der Glaube in seiner Lebendigkeit; das Leben mit Gott hört auf. Positiv gesprochen: nach dem eigenen Tod lebt der Glaube, die vertrauensvolle Beziehung zu Gott, in und mit den Kindern weiter. Nicht das eigene Leben bei Gott nach dem Tod ist wesentlich, sondern das Weiterleben des Vertrauens in der Beziehung zu Gott bei den Nachkommen.

Dies ist anders im christlichen Glauben. Der Christ und die Christin sind für ihre eigene Glaubensgeschichte verantwortlich. Sie leben schon jetzt in ihrem Glauben in der ewigen Beziehung zu Gott und sind schon jetzt geborgen in der Hand Gottes – genauso wie nach dem Tod. Wesentlich ist das eigene Leben im Hier und Jetzt im Vertrauen auf Jesus Christus. Dies ist eine vertrauensvolle Hoffnung, die die Nähe Christi nach dem Tod einschließt.

Im biblischen Abschnitt sprudelt Abraham gleichsam seine klagende Enttäuschung vor Gott aus und versucht zugleich sich selbst zu beruhigen, indem er darauf hinweist, dass irgendjemand aus seiner Hausgemeinschaft schon Erbe sein wird. Eine eigene Beruhigung ist dies, so wie wir es wohl auch aus eigenem Erleben kennen. Wir sagen dann vielleicht in einer ausweglosen Situation: „es wird schon seinen Grund haben …“ oder „es geht auch weiter ohne mich“ oder „ich habe mein Bestes getan, jetzt sind mal andere dran …“.

Liebe Gemeinde, in der biblischen Erzählung hakt an dieser Stelle Gott ein. Er weist Abrahams und genauso unsere Ausflüchte, unsere eigenen Beruhigungsversuche zurück. Nein, Abraham, du kannst deine Verantwortung für Leben und Handeln nicht auf andere schieben oder anderen überlassen; du bist in eigener Verantwortung gefordert und du bist der Bestimmer deines Glaubens-Lebens über den Tod hinaus: „Nicht einer aus deiner Hausgemeinschaft soll dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein.“ Wieder so eine leere Versprechung, könnte Abraham denken. So etwas habe ich schon mehrmals in meinem Glaubensleben gehört. Was soll´s! Das Leben ist eben so! Letztlich bleibt allein die Hoffnung.

Ob solche Reaktionen und Denkweisen von Menschen damals schon fühlbar oder bewusst waren oder ob diese Gedanken von den glaubensvollen Schreibern der Abraham-Geschichten aus ihrer Reflexion stammen, können wir heute zwar fragen, aber nicht wirklich beantworten. In jedem Fall sind sie menschlich und verständlich. Jedoch endet die Erzählung hier erstaunlich positiv und verheißungsvoll. Abraham erhält zusätzlich eine bildhafte, zeichenhafte Bekräftigung der alten Verheißung. Ein ziemlich faszinierendes Bild. Wie einen Freund führt Gott Abraham hinaus. Er fordert ihn auf, sich zu bewegen, nach draußen zu gehen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen, nicht bei seinem Standpunkt stehen zu bleiben. Abraham soll draußen nach oben schauen und die Sterne zählen. So zahlreich sollen seine Nachkommen sein; also unzählbar viele! Was für eine sagenhafte Verheißung! Unglaublich! Ein Widerspruch zur Wirklichkeit.

Ich kenne aus eigener Erfahrung so einen Wendepunkt im Leben mit der Vorstellung von dem neuen, anderen weiteren Leben. In einer kritischen, festgefahrenen Situation einer Auseinandersetzung tut ein Ortswechsel gut; manchmal sagt eine Person, dass mal eine Pause an der Reihe ist oder ein kleiner Spaziergang. Ein veränderter Blickwinkel kann sehr hilfreich sein. Geht es Ihnen nicht auch so, dass Sie zurückblickend eine Lebenswende in Ihrer Lebensgeschichte vor Augen haben oder sich später mal daran erinnert haben, die im Rückblick so etwas wie ein Fingerzeig Gottes war? Wenn ich zurückblicke, kann ich heute noch rot vor Scham werden, dass ich in einer krisenhaften Situation nicht eher die Beziehung zu Gott und Gottes Beziehung zu mir wahrgenommen habe.

Wie wir heute – so konnte auch damals Abraham nicht nach den Sternen greifen; er hatte auch draußen nichts Greifbares in den Händen; er konnte nur hören und sehen. Es wird erzählt, dass er sich auf dieses bildhafte Wort Gottes verlassen hat. Er vertraute den Worten, ohne dass für ihn etwas abgesichert war. Und deshalb erfolgt die abschließende Wertung: „So wirst du vor Gott gerecht dastehen.“

In diesem Sinne wird Abraham der Vater des Glaubens bei einem großen Volk Israel. Und er wird für uns Christen zum Vorbild des Vertrauens, dass wir uns in kritischen Situationen auf Gott verlassen können, ein richtiges Verhalten vor Gott einnehmen können. So wie es im Evangelium für den heutigen Sonntag heißt: „Sorgt nicht um euer Leben …“ (Mt. 6, 25-34) Ich hoffe, dass wir bei all unseren verständlichen Sorgen und Klagen über die gegenwärtigen Verhältnisse jemanden an unserer Seite haben und von Christus wissen, der uns den Kopf wendet aus der starren Blickrichtung und uns auf die große Vielfalt der Schöpfung Gottes hinweist. Diese Schöpfung umfasst mehr als die Klimaveränderung, das Kriegsgeschehen und uns Geschöpfe. „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne!“

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 369       Wer nur den lieben Gott lässt walten

Bischof em. Klaus Wollenweber

53129 Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.

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