1. Petrus 1,13-21

1. Petrus 1,13-21

1. Petr 1, 13-21: «Rafft euch auf und hofft das Beste, ihr seid frei!» | Okuli | 03.03.24 | Dörte Gebhard |

Gnade sei mit euch von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde

Der Predigttext steht im 1. Petrusbrief im 1. Kapitel.

Erst einmal lese ich, was manche vielleicht das erste Mal hören.

Denn wohl kaum jemand unter uns hat sein Konfirmationswort in diesem Kapitel stehen.

Denn nur selten finden wir irgendetwas an den Petrusbriefen. Vor allem, weil wir nicht sehr oft dort überhaupt suchen. Die Evangelien jedenfalls sind weiter vorn und im Beliebtheitsranking weiter oben.

Denn da wird weder eine spannende Geschichte erzählt, noch steht ein kurzer und knackiger Spruch in diesem Brief. Da ist kein eingängiges Motto zu entdecken, das ich einrahmen und an die Wand hängen würde, damit ihn allfälliger Besuch bei mir daheim nebenbei auch einmal liest.

Hören wir zuerst hin:

Leben in der Heiligung

13 Darum umgürtet die Hüften eurer Vernunft, seid nüchtern und hofft ganz und gar auf die Gnade, die auf euch zukommt bei der Offenbarung Jesu Christi!

14 Als Kinder des Gehorsams lasst euch nicht von den Begierden leiten, die euch früher, als ihr noch unwissend wart, beherrscht haben,

15 sondern entsprecht dem Heiligen, der euch berufen hat, und werdet selbst Heilige in eurem ganzen Lebenswandel; 

16 denn es steht geschrieben: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.

17 Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden richtet aufgrund seines Tuns, dann führt, solange ihr in der Fremde weilt, ein Leben in Gottesfurcht.

18 Ihr wisst doch, dass ihr nicht mit Vergänglichem, mit Gold oder Silber, freigekauft wurdet aus einem Leben ohne Inhalt, wie es euch von den Vätern vorgelebt wurde,

19 sondern mit dem teuren Blut eines makellosen, unbefleckten Lammes, mit dem Blut Christi.

20 Ausersehen dazu war er vor Grundlegung der Welt, erschienen aber ist er am Ende der Zeiten, um euretwillen,

21 die ihr durch ihn an Gott glaubt, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit verliehen hat. So können sich euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott richten. 

I

Beginnen wir mit dem Anfang:

Umgürtet Eure Hüften …

Um diese ersten Worte zu verstehen, müssen wir uns umziehen, auch wenn unsere Hosen Gürtel haben.

Wir müssen uns trennen von unseren modischen und praktischen Kleidern im 21. Jahrhundert. Wir werden

  • zuerst das sportliche Hemd und die feinen Sonntagshosen ablegen,
  • auch den Talar …,
  • dann die festen Schuhe gegen Sandalen tauschen.
  • Hemd, Pullover und Krawatte brauchen wir auch nicht,
  • Brille und Uhr sind noch nicht erfunden.

Dann stehen wir da, fast wie Gott uns schuf und kleiden uns sogleich neu ein.

(Auch wenn der Karneval auch in Basel und damit für dieses Jahr endgültig vorbei ist.)

Wir ziehen wie die ersten Christen damals einmal probeweise eine Toga an.

Warum?

Die Toga war das Gewand des freien, römischen Bürgers. Sklaven und Fremde durften keine Toga tragen. Die Toga symbolisierte seinerzeit Freiheit, soweit die Welt, beherrscht von den Römern, denn Freiheit zu bieten hatte.

Der Stoff für eine Toga war ungefähr 6 m lang, 2.50 m breit und halbkreisförmig. Also alles andere als luftig, so ein Gewand. Als freier Mensch zu leben, war zu keiner Zeit leicht.

Und das Anziehen einer Toga ist alles andere als simpel! Wir brauchen Hilfe, um nicht total schief gewickelt zu sein. Leben in Freiheit will gelernt sein! Vor allem können wir uns unsere Freiheit nicht selbst verschaffen. Wir sind gerade für unsere eigene Freiheit auf andere angewiesen.

Freiheit ohne Regeln gibt es nicht und gab es nicht. Schliesslich existierten genaue Vorschriften für den exakten Faltenwurf, sollte man wenig oder am besten gar keine Klammern, Spangen, Broschen oder Ähnliches verwenden und hier oben, vor der Brust, ergab sich bei richtiger Wickelung in einer grossen Falte eine Tasche, in der man alles verstauen konnte, was man so dabeihatte, wenn man aus dem Haus ging und beide Hände freihaben wollte oder auch etwas zu verbergen hatte.

Ich kann es nicht sehen und nicht wissen: Sind alle fertig umgezogen?

Natürlich spielt sich das alles im Geiste ab. Das haben hier zum Glück alle gleich verstanden! Wir haben im Geiste eine Toga wie die ersten Christen an.

Stehen alle innerlich erhaben und aufrecht da?

Die Toga ist sehr geeignet, sehr vornehm, sehr gerade wie eine Statue dazustehen, aber einfach loslaufen – das gelingt nicht. Sofort geht das Gestolper los, man verheddert sich im Stoff, man stürzt und fällt.

Da setzt der Predigttext ein:

Umgürtet eure Hüften – oder unter uns gesagt: Rafft euch auf!

II

Wollte man damals aufbrechen, musste man den Stoff der Toga hochraffen und einen Gürtel umbinden, damit das ganze, kunstvolle Faltengebilde hielt.

Der ganze Text hat einen anderen Tonfall, wenn man gleich am Anfang hört: Rafft euch auf! Macht euch parat zum Aufbruch! Ihr lebt, ihr seid frei! Das galt damals schon, aber um wie viel mehr heute, speziell an Sonntagen wie diesem, an dem wir hierzulande in grosser Freiheit abstimmen können.

Rafft euch auf! Umgürtet die Hüften eurer Vernunft, seid nüchtern.

Anders übersetzt: Bewahrt einen klaren Kopf. (Übersetzung: Basisbibel)

Das ist ein Lieblingsgedanke des Briefschreibers. Er betont mehrmals, wie wichtig Vernunft und Nüchternheit für die Christenheit sind und breitet dann aus, was er darunter versteht.

Nüchternheit bedeutet im 1. Petrusbrief, sich nicht von seinen Begierden leiten zu lassen (V. 14). Da sind einerseits gewiss die vielen Süchte im Blick, der Alkohol, die Geldgier (Silber und Gold werden ausdrücklich als vergängliche Dinge genannt), die Streit- und die Ruhmsucht, aber auch Neid und Hass und hinter allem die Angst …

Aber auch der grosse Hang zur Gleichgültigkeit, zur Bequemlichkeit, gehört dazu. Warum sollte ich mich (heutzutage vom Sofa) erheben, zu irgendetwas aufraffen, wenn ich doch die Welt ohnehin nicht ändern kann?

Was kann ich als Einzelne schon ausrichten?

Victor Frankl, der Begründer der Logotherapie, Arzt und Psychiater im 20. Jahrhundert, antwortet darauf sehr streng und genau im Sinne unseres Briefschreibers: «Wenn wir nicht länger in der Lage sind, eine Situation zu ändern, sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.»[1]

Das hat Frankl nicht einfach so an einem sonnigen Sonntag dahingesagt. Er ist u.a. im KZ Auschwitz inhaftiert gewesen und war dort nicht nur nicht in der Lage, etwas an seiner Situation zu ändern, sondern hatte den Tod in jedem Moment vor Augen. Aber er hatte auch noch dort die Kraft, sich selbst zu ändern. Später, als er überlebt hatte, hat er es auf den Punkt gebracht: «Ich muss mir nicht alles gefallen lassen, nicht einmal von mir selbst.»[2] In grausamer Gefangenschaft wurde er innerlich frei.

Im 1. Petrusbrief wird denn auch mit keinem Satz über die auch damals fürchterlichen Verhältnisse in der Welt geschimpft oder geklagt. Sie hätten dazu allen Grund gehabt: Die Christinnen und Christen wurden denunziert und behördlich schikaniert, sie wurden sozial ausgegrenzt, um ihre Freiheit und um ihr Leben gebracht.

Stattdessen wird der Wandel des eigenen Lebens verlangt: Werdet selbst Heilige in eurem ganzen Lebenswandel; denn es steht geschrieben: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.

Das ist selbstverständlich viel zu viel verlangt – aber mit Vernunft und Nüchternheit erkenne ich, was ich schaffen kann und was nicht, wo meine Grösse und wo meine Grenzen sind. Die verlangte Nüchternheit entzieht einem aber vor allen Dingen alle gängigen und allzu beliebten Ausreden.

Alle kennen diese Selbstrechtfertigungsversuche, die beginnen mit: «Als ich klein war, da … und deshalb kann ich bis heute nicht … »

Doch! Frankl war entschieden dagegen, den Eltern die Schuld für alles zu geben. Eine komische Kindheit bedeute keinesfalls, dass man nicht gross werden, dass man nicht eine vernünftige Erwachsene werden kann, auch später noch.

Im 1. Petrusbrief wird dieser Gedanke noch wesentlich schärfer ausgedrückt:

Ihr wisst doch, dass ihr … freigekauft wurdet aus einem Leben ohne Inhalt, wie es euch von den Vätern vorgelebt wurde, …

Also völlig abgesehen von Euren Vätern und Müttern, ob es Heiden waren wie damals die meisten oder nicht: Ihr könnt das Gewesene nicht mehr ändern, aber hofft in Zukunft das Beste!

III

Aufgerafft haben wir uns, jetzt gilt es, das Beste zu hoffen.

Jede und jeder entscheidet selbst, was die grössere Herausforderung ist:

Sich aufraffen oder das Beste hoffen.

Zuerst kommt es auf den (oft resignierten) Tonfall an:

‘Dann wollen wir mal das Beste hoffen!’, gefolgt von einem langen Schnaufen.

Das klingt genau wie das Gegenteil von dem, was wir eigentlich sagen.

Ungefähr so: ‘Dann müssen wir wohl das Schlimmste befürchten.’

Angst lässt Menschen reglos erstarren. Sie werden dann herabgezogen vom zwar hochgerafften, aber immer noch schweren Stoff der Toga, die eigentlich anzeigt, dass wir freie Menschen sind und dass wir berechtigten Grund zur Hoffnung haben.

Aber Hoffnung ist gegenwärtig nicht leicht zu kriegen! Angst dagegen wird ist an jeder Ecke im Angebot.

«Und wenn du Angst hast, kannst du nicht nach vorne denken, weil ein Teil deines Gehirns den Zugang zum kreativen Lösungsdenken abriegelt.»[3]

Dieses Zitat stammt von Florence Gaub, einer deutsch-französischen Politikwissenschaftlerin und ihres Zeichens Zukunftsforscherin. Sie hat im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht unter dem herausfordernden Titel «Zukunft. Eine Bedienungsanleitung». Auch wenn ich bei weitem nicht alle ihre Gedanken einleuchtend finde, so lerne ich doch viel. Denn sie plädiert für einen «pragmatischen Optimismus, bei dem man bewusst daran denkt, was man selbst tun kann.»

Gaub beschreibt, wie schwer sich – wohlgemerkt freie – Menschen in Westeuropa tun, die Ungewissheit der Zukunft mit Hoffnung auszumalen. Insbesondere die Politikerinnen und Politiker unterscheidet sie danach, ob sie in der Lage sind, ein positives Zukunftsbild zu zeichnen oder nur Pessimismus zu verbreiten. Sie empfiehlt, viel seltener zu fragen: Wovor fürchtet Ihr Euch? Dagegen viel öfter zu ergründen: Worauf freut Ihr Euch?

Im 1. Petrusbrief ist ein Meister seines Fachs am Werk, was die Vorfreude auf die Zukunft bei Gott angeht. Er hält sich nicht mit Katastrophenszenarien auf, er beschreibt nicht im Detail jeden worst case, der nur denkbar ist. Er verbreitet – allerdings sehr sachlich – Vorfreude. Niemals hat er eine rosarote Brille auf, daher lautet die klare Anweisung:

Hofft ganz und gar auf die Gnade, die auf euch zukommt bei der Offenbarung Jesu Christi!

Wie anspruchsvoll der Optimismus im 1. Petrusbrief ist, haben wir gesehen.

Vor allem aber ist das Leben als Christ sehr verheissungsvoll:

Wir hoffen wirklich das Beste – wir hoffen auf Gott, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat.

Welche Kleider wir dazu tragen, ist zuletzt ganz gleich. Hauptsache, sie sind praktisch, so oft wir uns bis zur Auferstehung von den Toten noch aufraffen müssen, so oft wir uns noch ganz nüchtern auf unsere Freiheit besinnen und egal, wie oft Menschen uns enttäuschen, vernünftigerweise die Hoffnung auf Gott nicht aufgeben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

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[1] Quelle: https://gutezitate.com/zitat/196313, abgerufen am 26. 2. 2024.

[2]  Quelle: https://www.johannes-jurka.at/psychotherapie/existenzanalyse/, abgerufen am 26. 2. 2024.

[3]  Vgl. zum ganzen Gedankengang Gaub, Florence: „Wer Angst hat, kann nicht nach vorne denken“, in: Die ZEIT, Nr. 7 (2024), S. 27.

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