1.Samuel 3,1-10

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1.Samuel 3,1-10

Rede, deine Dienerin hört | Exaudi | 21.05.2023 | 1 Sam 3,1-10 | Verena Salvisberg |

Liebe Gemeinde

Was für eine Geschichte! So anschaulich erzählt, dass man sich das ganz gut vorstellen kann. Die Szene im Tempel. Die Lampe brennt. Das Licht kündet von Gottes Dasein, auch im Dunkeln. Dämmrig ist es sicher im Tempel. Ich sehe die Szene vor mir. Wie der Junge auf seinem Lager liegt und schläft. Samuel, der im Gotteshaus dient, der hier aufwächst.

Seit seine Mutter Hanna ihn nicht mehr stillt, lebt er hier.

Und ich höre geradezu, was geschieht, so lebendig wird erzählt: «Samuel!»

Wie der Junge aus dem Schlaf aufschreckt. Eli – es muss Eli sein, der ihn gerufen hat. Eli mit seinen schwachen Augen. Was ist mit ihm? Muss er ihm aufhelfen zum Wasserlassen? Braucht er etwas? Der Junge eilt zu seinem Meister. «Hier bin ich. Du hast mich gerufen.»

«Ich war’s nicht».

Es hat etwas Humorvolles, finde ich, eine Art Situationskomik. Da wird einer gerufen von Gott, aber er merkt es nicht. Genauso wenig wie sein Meister, eigentlich ein Fachmann in Gottesfragen. Eine ziemlich lange Leitung haben die beiden.

Drei Mal braucht es den Ruf: «Samuel», bis es dem Priester dämmert. Die Geschichte liefert selbst Erklärungen für dieses seltsame Gebahren: Und in jenen Tagen war das Wort des Herrn kostbar, Schauungen waren nicht häufig.Und: Samuel aber kannte den Herrn noch nicht, und noch war ihm das Wort des HERRN nicht offenbart worden. Eine Art Entschuldigung für die Begriffsstutzigkeit von Eli und Samuel, die die Geschichte selbst liefert. Wie soll man eine Vision erkennen, wenn sie so selten sind? Und dann muss man noch sagen: Samuel ist ja noch jung. Er muss noch viel lernen, z.B. die Stimme Gottes von der Stimme eines Menschen zu unterscheiden.

Nach dem dritten Mal endlich realisiert Eli, was hier passiert, und dann weiss er auch sofort, was zu tun ist. Da ist kein Zweifel, dass Gott die Geduld verloren haben könnte. Kein Zweifel, dass er noch ein viertes Mal rufen wird.

Und Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen, und wenn er dich ruft, so sprich: Rede, Herr, dein Diener hört. Und Samuel ging und legte sich schlafen an seinem Ort.

Und der Herr kam, stand da und rief wie schon zuvor: Samuel! Samuel! Und Samuel sprach: Rede, dein Diener hört.

«Samuel!» Dieses beim Namen rufen. Als erstes habe ich gedacht Wann hat eigentlich mich jemand zum letzten Mal beim Namen genannt? Du, Verena. Dich meine ich. Dich brauche ich. Dich und keine andere. Dich, Ruth. Dich, Andreas. Dich, Susanne… Wie ist das bei dir? Könnte es sein, dass mit dem Erwachsenwerden dieses Beim-Namen-gerufen-werden seltener wird? Wenn das Leben seinen Lauf nimmt. Die Partnerin gewählt. Die Berufsentscheidung getroffen…

Als ich nach der Matura nicht wusste, ob ich mich für das Theologie- oder das Psychologiestudium entscheiden sollte, dachte ich, für Theologie müsste man einen Ruf haben. So etwas wie eine Vision oder ein Gotteserlebnis. Ich hängte dann später die Theologie als Zweitstudium an und legte mir zurecht, eine Berufung könne ja auch etwas unspektakulärer vonstatten gehen. Dass zu tun, was einem liegt, sinnvoll sei und Talente zu haben vielleicht auch eine Art Auftrag.

In der Zwischenzeit habe ich mich – und da bin ich nicht allein – schon längst daran gewöhnt, dass man sich auf eine Pfarrstelle bewirbt, dass man sich anpreist. Dass die Gemeinde erleichtert ist, wenn sie die offene Stelle endlich besetzen kann. Meistens keine Spur von einem Ruf: Verena! Dich meinen wir. Dich brauchen wir. Dich und keine andere. Und das ist wahrscheinlich auch gut so, es kann ja schliesslich nicht jede eine Prophetin werden. Und wenn jemand sagt, Gott habe ihn in diese Gemeinde geschickt, werde ich eher misstrauisch. Es ist wie schon damals bei Samuel: Es gilt immer noch die göttliche und die menschliche Stimme, insbesondere die eigene, zu unterscheiden.

Also geht es eher nüchtern zu und her und eher so wie damals zu Zeiten Samuels und Elis: Und in jenen Tagen war das Wort des Herrn kostbar, Schauungen waren nicht häufig.

Nur ein paar Bibliodramafreundinnen und -freunde fragen manchmal: «Verena, was ist deine Berufung?» Für mich ist das eine feine Frage, die mich mahnt, dass es nicht gleichgültig ist, dass es mich gibt und wie es mich gibt.

Und darum möchte ich gerne weitergeben: Wie ist das bei dir? Ruth, Andreas, Susanne… Was ist deine Berufung? Ja, dich meine ich.

Samuel ist noch jung. Ein Lehrling. Wie sehr wünschte ich mir manchmal so einen Ruf für manche jungen Menschen, mit denen ich zu tun habe. Menschen voller Selbstzweifel und Fragen.  Wo ist mein Platz im Leben? Welchen Beruf soll ich erlernen? Welches Studium wählen? Wie praktisch wäre da ein Auftrag von Gott, der blitzartig Klarheit schafft!

Wobei man ja sagen muss, dass es auch bei Samuel ja nicht so klar war und auch nicht so blitzartig ging mit der Berufung. Er merkt es ja zunächst nicht. Genauso wenig wie sein Meister, nicht einmal der, der ja eigentlich ein Fachmann in Gottesfragen gewesen wäre.

Samuel muss zuerst lernen zu hören und zu unterscheiden. Und er muss zuerst lernen, mit der Stimme Gottes zu rechnen.

Und das kommt mir eben bekannt vor: Dieser lange Lern- und Übungsprozess, um unter all den lauten und weniger lauten Stimmen, die auf uns eindringen, Berufung herauszuhören. Wozu bin ich vorgesehen? Was ist meine Aufgabe?

Es braucht Geduld. Vielleicht dauert es viele Jahre, vielleicht braucht es ein paar Anläufe und Umwege, um Berufung zu finden.

Daran festhalten möchte ich trotz all dem. Dass es nicht egal ist, wer ich bin, wie ich bin, was ich tue. Dass es eine Berufung gibt. Darauf zu vertrauen, dazu möchte ich auch die jungen Menschen ermutigen. Dabei sehe ich mich gerne in der Rolle des Eli. Mit dem Rat, zu hören, zu sehen, zu fühlen und damit zu rechnen, gebraucht zu werden.

«Und Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen, und wenn er dich ruft, so sprich: Rede, Herr, dein Diener hört.»

Übrigens: Die erste göttliche Botschaft, die Samuel nun zu hören bekommt und die er keinem geringeren als seinem Lehrmeister Eli zu übermitteln hat, ist alles andere als leicht: weil die Söhne Elis, die auch Priester sind, mit Wissen ihres Vaters gotteslästerlich geredet und gelebt hatten, wird Unheil über die Priesterfamilie des Eli kommen.

Dem jungen Samuel fällt es schwer, mit dieser Gottesbotschaft umzugehen, doch Eli selbst ermutigt ihn zu Klarheit und Wahrheit.

Und Samuel schlief bis zum Morgen, dann öffnete er die Türen des Hauses des Herrn. Samuel aber fürchtete sich, Eli von der Erscheinung zu berichten. Und Eli rief Samuel und sagte: Samuel, mein Sohn! Und er sagte: Hier bin ich.

Und Eli sagte: Was hat er zu dir gesagt? Verheimliche es mir nicht. Da berichtete Samuel ihm alles und verheimlichte ihm nichts. Und er sagte: Er ist der Herr; er wird tun, was in seinen Augen gut ist.

Was für eine Geschichte! Uralt und doch verblüffend aktuell. Wie vertraut ist mir ihre Ausgangslage: Gott hat sich schon länger weder hören noch sehen lassen. Er hat weder durch eine Stimme noch durch eine Vision seinen Willen kundgetan. Einige rechnen schon gar nicht mehr mit ihm. Der religiöse Betrieb läuft.

Aber wenn sich plötzlich der lebendige Gott zu Wort melden würde: «Du, Verena. Du, Ruth. Andreas, Susanne…», dann möchte ich sagen können: «Rede, deine Dienerin hört».

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch, Merligen

E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Gemeindepfarrerin in Roggwil BE, Frick und Laufenburg, seit 1. August 2022 Regionalpfarrin im Kreis Berner Oberland/Oberes Emmental

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