1.Samuel 3,1-10

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1.Samuel 3,1-10

„Worte Gottes“ sind selten (kostbar), Visionen gibt es kaum | Exaudi | 21.05.2023 | 1. Sam 3,1–10 | Thomas Bautz |

Liebe Gemeinde!

„Der junge Samuel versah den Dienst JHWHs unter der Aufsicht Elis. In jenen Tagen waren Worte JHWHs selten; Visionen waren nicht häufig“ (1 Sam 3,1).

„Samuel wuchs heran und JHWH war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten unerfüllt. Ganz Israel (…) erkannte, dass Samuel als Prophet JHWHs beglaubigt war“  (1 Sam 3,19–20); das bedeutet, er wurde vertrauensvoll und vertrauenswürdig ins Amt eines Propheten eingesetzt; das hebr. Verb אמן, נֶאֱמָ֣ן weist auf Wahrheit, Treue (אמת, אֱמֶת) hin.[1]

In den Samuelbüchern dominieren drei berühmte Einzelgestalten: Samuel, Saul und David, deren spannungsreiche Beziehungen zueinander von einem umgreifenden Thema bestimmt werden: die „Entstehung des Königtums“. Dabei sind ganz unterschiedliche Überlieferungen verknüpft, wodurch „ein sehr widersprüchliches Bild vom Anfang des Königtums entsteht.“ Die Salbung Sauls zum künftigen Herrscher durch Samuel und Sauls Anerkennung als Retter aus Feindesnot und seine öffentliche Erhebung zum König mit JHWHs Einverständnis – eine durchweg positive Bewertung des Königtums.[2]

Andere dazugehörige Texte (z.B. 1 Sam 8 u. 12)[3] verurteilen scharf das Verlangen nach einem König als Untreue, Treuebruch gegenüber JHWH. Liest man die näheren Umstände nach und erfährt, welche Folgen dieser ungleiche „Tausch“ für das Volk hat, was die Bestimmungen im „Königsrecht“ offenbaren (1 Sam 8,11–17; die Vorgeschichte dazu: 8,5–10), neigt man zu dem Urteil, dass sich in der Geschichte der Völker bis heute nichts geändert hat: Viele Völker leiden unter ihren Diktatoren, die mit einer reichen, korrupten Minderheit und Militärs ihr Land, das eigentlich allen Bewohnern gehört, unterjochen, ausbeuten und Menschenrechte missachten.

Diese Völker haben gar keine Wahl, auch keine rechtmäßigen Wahlen. Das Samuelbuch erzählt von der vorstaatlichen Zeit Israels, in der Richter die einzige übergeordnete Instanz darstellen.  Samuel ist Richter, bis er Saul zum König salbt und sein Amt niederlegt.[4] Im hohen Alter muss Samuel dem Volk Israel aber sagen:

„An jenem Tag [wenn das Gesetz in Kraft tritt] werdet ihr wegen des Königs, den ihr euch erwählt habt, um Hilfe schreien, aber der Herr wird euch an jenem Tag nicht antworten“ (1 Sam 8,18).

Sie bleiben stur: „Ein König soll über uns herrschen!“ Unverhohlen gibt man auch den Grund an:

Auch wir wollen wie alle anderen Völker sein. Unser König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und soll unsere Kriege führen“ (8,19b.20). JHWH gewährt ihnen schließlich den Wunsch.

Nur Mose werden in der hebräischen Bibel noch so viele Funktionen zugeschrieben wie Samuel: angehender Priester, Prophet, „kleiner“ Richter oder Begründer des Königtums[5] im Alten Israel. Samuels Berufung als Prophet ist historisch am glaubwürdigsten belegt. Die Art, wie er als junger Mann – in der Ausbildung beim alten, blinden Priester Eli – berufen wird, ist insofern einzigartig, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes in der Stille erfolgt, unspektakulär. Anders, als es die großen Schriftpropheten Jahrhunderte später von ihren Berufungen berichten:

Samuel schläft im Tempel und JHWH ruft ihn; dieser geht zu Eli und meint: Du hast mich gerufen; Eli verneint. Der Vorgang wiederholt sich; erst beim dritten Mal versteht der betagte Priester und begreift, dass Samuel das Wort JHWHs gehört hat und instruiert ihn:

Wenn er dich nochmals ruft, dann antworte: „Rede, Herr, dein Diener hört!“

Da kommt JHWH und ruft wie bei den vorherigen Malen, und Samuel antwortet: „Rede, dein Diener hört“ (1 Sam 3,8–9).

Die erzeugte Klimax ist ein beliebtes Mittel der Erzählkunst, es lässt den Kontakt zwischen JHWH und Samuel evident erscheinen; ein weiteres Missverständnis zu konstruieren, wäre unnötig.[6] Da ist aber noch ein weiteres Detail, das von uns heutigen Bibellesern leicht übersehen werden kann (3,2–3):[7]

„Eines Tages geschah es: Eli schlief auf seinem Platz; seine Augen waren schwach geworden und er konnte nicht mehr sehen. Die Lampe Gottes war noch nicht erloschen und Samuel schlief im Tempel JHWHs, wo der (heilige) Schrein Gottes stand.“ Im Heiligtum zu Silo brannte „das ewige Licht“ Gottes (Elohim), eine Leuchte (נר, נֵר), die (nach Ex 27,20–21) von morgens bis abends brennen soll, wie es seit der Aufstellung des Offenbarungszeltes und seiner sakralen Nutzung Tradition geworden ist.[8]

Der Schrein[9] JHWHs ist gewissermaßen ein mobiles Heiligtum, ein Pendant zum Tempel in Silo oder anderen Heiligtümern,[10] bis man sich konzentriert auf das Zentralheiligtum in Jerusalem (erbaut, zerstört, wieder aufgebaut, erneut zerstört), von dem heute nur noch die Westmauer (nicht: „Klagemauer“) erhalten ist.[11] Ich finde es jedes Mal sehr ergreifend, wenn ich auf Videos im Internet wahrnehme, wie Menschen jeden Alters und unterschiedlicher Berufe (Rabbiner, Soldaten, Polizisten, Lehrer, Schüler – viele Leute aus der Gesellschaft) an der Westmauer beten, innehalten; einige stecken auf Zettel geschriebene Bitten, Wünsche o.ä. in die Ritzen der Mauer.

Der Wunsch nach Präsenz des Heiligen (Israels) muss nicht nur symbolisch sein, will nicht nur im Geiste imaginiert werden – religiöse und philosophische „Gottesvorstellungen“ gibt es zuhauf –, Menschen möchten, dass ihnen ihre Gottheit und was sie repräsentiert spürbar gegenwärtig ist. Das Bedürfnis ist geblieben, in der Immanenz mit dem Transzendenten auf Tuchfühlung  zu sein. Da mag es nahtlose Übergänge geben, aber man hüte sich vor Grenzüberschreitungen: damals wie heute! Das Numinose, das Mysterium, das Göttliche, das Überirdische – wie auch immer wir geneigt sind, es eher stammelnd zu benennen: Es oder Er oder Sie lässt oder lassen sich nicht von uns endlichen, begrenzten Sterblichen vereinnahmen oder instrumentalisieren.

Ich finde es nahezu genial, dass und wie im Ersten Samuelbuch erzählt wird, wie das Volk denkt, es könne mit dem heiligen Schrein – durch die geglaubte Gegenwart JHWHs – einen Krieg gegen ihre Feinde, die Philister, gewinnen. Ihre Gegner haben bereits den Sieg davongetragen, hören dann aber von der drohenden Präsenz des Gottes Israels, von dem sie wussten, dass er das Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte und fürchten sich nun angesichts des Schreins. Aber sie gewinnen wieder an Selbstvertrauen, siegen und entführen den Schrein JHWHs: unmöglich für damalige Leser! Aber dieser wenn auch nur vorübergehende Verlust des heiligen Schreins bleibt bis heute lehrreich, und es braucht Propheten wie Samuel, um solches zu vermitteln.

Samuel wird überwiegend als prophetische Persönlichkeit dargestellt; er ist maßgeblich an der Einführung des Königtums oder Errichtung der Königsherrschaft beteiligt. Zwar hat es faktisch nie eine Theokratie (Gottesherrschaft) gegeben, aber der ausdrückliche Wunsch des Volkes nach einem Regenten ist ein Begehren, das anfangs und auch später durchaus kritisch betrachtet wird. Propheten haben immer wieder einzelne Könige Israels in Schranken weisen müssen:[12] Massive sozialpolitische Defizite, Vernachlässigung kultischer, religiöser Gebräuche und außenpolitisch gravierende Fehlentscheidungen – gegen den jeweiligen Rat der Propheten.

Interessant ist die Begründung für das dreimalige Missverständnis, das zunächst die Berufung Samuels erschwert, weil er die Stimme oder das Wort JHWHs nicht vernimmt: „Samuel kannte JHWH noch nicht und das Wort JHWHswar ihm noch nicht offenbart worden“ (1 Sam 3,7).[13]

Obwohl er im Tempel dient und in den Aufgaben eines Priesters unterwiesen wird, hat er bisher weder ein Wissen von JHWH, noch ist ihm Wort JHWHs offenbart worden. Tempeldienst und Priestertum sind offenbar nicht zwangsläufig oder implizit mit Frömmigkeit oder Religiosität verknüpft, denn ein Frommer weiß sich mit „seinem Gott“ (mit JHWH) verbunden und vermag „Wort Gottes“ zu vernehmen. Der Erzählung nach ist es der Beharrlichkeit JHWHs zu verdanken, dass Samuel endlich hört, nachdem der alte Priester die Situation begriffen hat und ihn anwies, wie er dem Ruf JHWHs Folge leisten soll.

Samuel hat mehr als eine Berufsausbildung durchlaufen, bis er mit dem Amt eines Propheten betraut wird, und er wird nicht irgendein Prophet, sondern ein Prophet für JHWH (1 Sam 3,20). Der Erzähler sagt fast lapidar, beiläufig: „Samuel wuchs heran, und JHWH war bei ihm“ (3,19a). Normalerweise reift ein Mensch zur Berufung heran, sie verläuft in Prozessen, Lebensphasen. Dazu gehören bestimmte Ereignisse und Begegnungen; das wird meist nicht detailliert oder ausführlich erzählt, aber noch genug, damit der Leser oder Hörer einer Berufungsgeschichte hinreichende Vorstellungen entwickelt. Im Falle Samuels erregt schon die Einleitung meine Aufmerksamkeit:[14]

„In jenen Tagen waren Worte JHWHs selten; Visionen waren nicht häufig“ (1 Sam 3,1b).

Es lässt mich aufhorchen: Es ist nichts Alltägliches, nichts Selbstverständliches, Normales, dass JHWH („Gott“, ein Gott, eine Gottheit) spricht, sein Wort vernehmen lässt. Obschon Götter im Alten Orient, in Israel und in der Antike „sprechen“; sogar Statuen „reden“![15] Und der Heilige Israels, JHWH, ist stets gegenwärtig in oder mit „seinem Wort“. Man könnte die Geschichte Israels schreiben als eine dauerhafte Aussprache JHWHs mit seinem Volk: Da gibt es Anrede, Zuspruch, Anspruch. Dann entwickeln sich Dialoge: Zwiesprache, Dank-, Bitt- und Klagegebet – individuell und kollektiv.

Was für unsere moderne Gesellschaft normalerweise ziemlich ungewöhnlich ist, bereitet den Erzählern der hebräischen Bibel grundsätzlich keinerlei Probleme: JHWH spricht zu Menschen.

Aber in jenen Tagen (so der Erzähler) ist JHWH eher schweigsam und erscheint selten in Visionen in Israel. So werden „Worte JHWHs“ noch kostbarer.[16] Später wird „Wort Gottes“ zur Institution; die Propheten bekräftigen ihre Berufung: „Da erging (geschah) das Wort JHWHs an mich …“.

Gestatten Sie bitte ein Gedankenexperiment: Woher, weiß ich, dass „Gott“ (JHWH) zu mir spricht? Du wirst ihn „hören“, wenn Er dich ruft. Du wirst es merken, vernehmen, wahrnehmen, wenn er mit dir redet. Du wirst es wissen, wenn der Ewige, gelobt sei Sein Name, dich anspricht. Forsche in den Schriften, lies die Tora, studiere die heiligen Überlieferungen und die Auslegungen der Theologen. Jüdisch oder christlich – eine mühsame, aber erkenntnisreiche Suchbewegung nach dem, was gemeinhin vereinfachend, formelhaft „Wort(e) Gottes“ genannt wird. Aber was von Samuel und späteren Propheten erzählt wird, ist noch etwas (ganz) anderes: Das ist persönliche Ansprache – direkt, unvermittelt, original (im O-Ton), ohne Lektüre; die Stimme JHWHs hat sie jedes Mal „kalt erwischt“.

Da wir im Grunde nur menschliche Kommunikation(smittel) kennen, kämen (bei mir) Zweifel an der Glaubwürdigkeit auf, wenn mir heute jemand sagte, Gott habe zu ihm oder ihr gesprochen.[17] Aber mit Berufungsgeschichten der hebräischen Bibel habe ich keine Probleme der Akzeptanz: eine andere Zeit, andere Kultur, andere Religiosität, andere Wahrnehmungen. Außerdem wurde und wird nicht jeder Mensch ins Prophetenamt berufen; ergo muss auch nicht jeder die Affinität aufweisen, für eine göttliche Stimme ansprechbar zu sein.

Es gibt noch andere Berufungen; Martin Luther hat eine Berufsethik vertreten, worin er Beruf und Berufung stark miteinander verbunden hat. Heute herrscht eher Jobdenken: Hauptsache, „die Kohle“ stimmt. Das allmähliche Aussterben des Berufsethos hat fatale Folgen mit sich gebracht: dort, wo Berufsausübung Arbeit mit Menschen, Dienst am Menschen bedeutet.

Eine glaubwürdige Bestätigung für eine wahre, echte Berufung (zum Propheten, ins Pfarramt oder einfach in einen jeglichen Beruf) bestünde für mich im „Ertrag“ ihres Dienstes, wie es Rabbi Jesus einmal formuliert: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,15–23: 20).[18]

Es gibt göttliche Berufungserlebnisse (sogar bis heute, in bestimmten christlichen Kreisen), bei denen sich die Empfänger auf Stimmen oder Visionen berufen. Eine Audiovision, hörende und gleichzeitig sehende Wahrnehmung, hat Weltgeschichte geschrieben:[19]

Die berühmte Audiovision des römischen Kaisers Konstantin d. Gr. vor der siegreichen Schlacht gegen den Kontrahenten Maxentius (um 313 u.Z.); im Wolkengebilde eine Kreuzesgestalt wahrnehmend, „hört“ er eine „Stimme“: „In hoc signo vinces“, fortan lässt er das Labarum mit dem Kreuzsymbol für sein Heer als vexillum, als Schutzfahne und Siegeszeichen, ausstatten.[20]

Ob Konstantin d. Gr. religionspolitische Haltung pro Christentum eine innere religiöse Überzeugung impliziert, wird noch immer sehr kontrovers diskutiert.[21] Wir halten den verbreiteten Begriff der „Konstantinischen Wende“ für unangemessen. Dadurch wird u.a. verschleiert, dass noch lange Zeit ein kultureller und religiöser Austausch von paganer und christlicher Weltgestaltung stattfindet.[22] Das Christentum hat sich erst allmählich mit seinem Monotheismus gegen eine multikulturell und polytheistisch ausgerichtete Gesellschaft behauptet; Übergänge lassen sich kunsthistorisch noch nachvollziehen. Griechische und römische Kunst wurden usurpiert, überfremdet oder eliminiert.[23]

Man muss wachsam sein und differenzieren, wenn sich (wer auch immer) jemand auf göttliche Eingebungen, sei es durch „Wort(e) Gottes“, sei es durch Visionen, beruft und meint, dadurch berufen zu sein! Diese „Audiovision“ ist kulturell und religiös m.E. katastrophal.

Das mag ketzerisch klingen. Aber bereits in der hebräischen Bibel gibt es einige Beispiele dafür, wie die geschilderte Problematik von gewissen Propheten reichlich ausgenutzt wurde und nur scheinbar im Namen JHWHs, nämlich als Lügen- oder Pseudopropheten auftraten. Man konnte sie auch nicht zuverlässig dadurch entlarven, dass sich ihre Prophezeiungen als falsch erwiesen, zumal Propheten keineswegs nur Zukünftiges vorhersagen. Ihre Aufgabe besteht grundsätzlich darin, im Auftrag JHWHs zu verkünden, auch für die Gegenwart.  Bis heute ist es m.W. nicht gelungen, eindeutige Kriterien zu benennen, die Propheten (JHWHs) und Pseudopropheten zu unterscheiden vermögen.[24]

Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal lässt sich aber immerhin erkennen, dass Lügenpropheten gern herrschenden Regenten nach dem Wort reden. Sie tragen vor, was der Politik am besten in den Kram passt. Sie beschwichtigen, wo es um handfeste innenpolitische Krisen oder drohende außenpolitische Konflikte geht. Da hat sich m.E. bis heute in Variation nicht viel geändert.

Doch gibt es immer wieder „Berufene“, Einzelne oder Gruppen, die mit Elan, zunächst hilfreichen Ideen lautstark auftreten, dann aber entgleisen, indem sie rechtliche und moralische Grenzen überschreiten. Allerdings sind die Probleme heutiger Gesellschaften komplexer geworden und die Vielzahl heterogener „Weltverbesserer“ bunter und größer. Aber man kann die ganze Welt nicht verbessern; das vermag niemand – keine Regierung, kein Land, kein Volk.

Aber wir sollten auch nicht in Abrede stellen, dass unsere Zeit mehr denn je Propheten, Mahner braucht, die Politik und Gesellschaft ernstnehmen muss; rechtzeitig, bevor die Initiativen und todernsten Anliegen und Motive durch Frustrationen und Resignationen erstickt werden. Seien wir doch froh, dass sich besonders unsere Jugend engagiert: für konsequentere Umweltpolitik, für wirksamere Maßnahmen gegen den Klimawandel, für eine gerechtere Flüchtlingspolitik. Die jungen Menschen werden bald mit schier unlösbaren Krisen und Problemen konfrontiert. Wenn wir ihre Motivation lähmen, müssen nachfolgende Generationen ums Überleben kämpfen.

Was die Jugend antreibt, sind Horrorszenarien aus einer bedrohlich sich nahenden Zukunft, sicher aber auch Visionen einer besseren, harmonischen Welt – kein Paradies, aber wenigstens das Bemühen seitens der Spezies, die sich immer wieder als Zerstörer erweist, vernichtend alles Leben aus Gleichgültigkeit, Gier, Profitsucht und unermesslicher Egozentrik: der Mensch als Maß aller Dinge – im schlechtesten Sinne! Keine Religion hat diesem im Grunde äußerst dummen Wesen (als Gattung) Einhalt gebieten oder gar ändern können.

Auch die zuständigen Wissenschaften sind sehr eingeschränkt, sind abhängig von Subventionen aus Wirtschaft und Politik. Doch Wissenschaftler engagieren sich gerade heute wie die Jugend, sie warnen und versuchen, uns aufzuwecken aus dem Schlaf der Sicherheit. Warnungen liegen schon Jahrzehnte zurück; daraus erkennt man, wie schwerfällig man in Politik und Gesellschaft (!) darauf reagiert. Hätten wir – nicht nur durch Satteliten – einen optimalen Überblick über das Geschehen auf unserer Erde: Wir würden vermutlich den Kopf schütteln oder verzweifeln oder gar wahnsinnig werden, weil wir dieses Durcheinander von Gut und Böse, von Solidarität und Hass, von Frieden und Krieg, von Erhaltung und Zerstörung nicht ertragen könnten. Es sei denn, wir wären selbst schon zuvor der Gleichgültigkeit oder dem Irrsinn verfallen.

Die alten Völker wussten und einige begnadete Geister erkennen es noch heute: Menschen bedürfen einer Ansprache; als Angesprochene werden sie vielleicht anspruchsvoll, begegnen den Ansprüchen ihrer Umwelt. Jemanden oder bei jemandem eine bestimmte Sache anzusprechen, darf aber nicht nur als ethische Forderung oder als moralischer Appell ankommen. Es bedarf des Zuspruchs; der scheint mir bei uns oftmals zu kurz zu kommen. Warum nicht einem Mitarbeiter Mut zusprechen: Sie schaffen das! Einem Jugendlichen sagen: Du kannst das! Auch das Loben vermisse ich in Kirche und Gesellschaft. Warum nicht einer Mutter sagen: Ich merke, ihr Kind ist mit Ihnen glücklich! Einer Presbyterin sagen: Ich schätze ihr Engagement, ohne Sie bliebe vieles liegen! Was nützt es, Gott Loblieder zu singen und dabei Menschen das Lob vorzuenthalten!

Manchmal bedarf es der Aussprache, die heute auch zu wenig genutzt wird, weil man Konflikte scheut, selbst angreifbar ist oder andere nicht verletzen möchte. Aber nur Mut! Wir lernen uns dabei noch besser kennen und eventuell auch schätzen. Nicht in dem Sinne: „Sie werden mich noch kennenlernen!“ Man darf im Miteinander am Arbeitsplatz oder in der Gemeinde witzig, humorvoll sein; das lockert die (mitunter verkrampfte) Stimmung; Lachen befreit und öffnet. Zugespitzt sage ich: Bevor wir über „Gott“ reden, dürfen wir ehrlich, offen miteinander reden.

Amen.

Pfarrer Thomas Bautz

Bonn

E-Mail: bautzprivat@gmx.de; th-bautz@t-online.de

[1] נֶאֱמָ֣ן שְׁמוּאֵ֔ל לְנָבִ֖יא לַיהוָֽה (BHS online, Deutsche Bibelgesellschaft, z.St.).

[2] Rolf Rendtorff: Das Alte Testament (1983): (III) (2) Die Früheren Propheten (2.3) Die Samuelbücher, 180–181; dort auch im Folgenden (Rendtorff, 181).

[3] S. TRE 30 (1999), Art. Samuel (Peter Mommer), 1–5: (2.) Die Texte, 1–3.

[4] Lexikon der biblischen Personen. Mit ihrem Fortleben in Judentum, Christentum, Islam, Dichtung, Musik und Kunst (1989), Art. Samuel (Martin Bocian), 462–463: 462.

[5] Cf. Peter Mommer: Samuel (2006), wibilex, 1–2; Rainer Kessler: Samuel. Priester und Richter, Königsmacher und Prophet, Biblische Gestalten 18 (2007). Die Ämtervielfalt bei Samuel ist historisch schwer zu erkunden; s. Siegfried Herrmann: Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (21980): (II.) (1.) Das Königtum Sauls, 169–184: 176 (A. 17); Lexikon der biblischen Personen (1989), Art. Samuel (Bocian), 462; TRE 30 (1999), Art. Samuel (Peter Mommer), 1–5: 1; die Bedeutung des Namens ist unklar.

[6] André Wénin: Samuel et l’instauration de la monarchie (1 S 1–12). Une recherche littéraire sur le personnage, EHS Reihe XXIII. Theologie 342 (1988): 1. Teil: La montée du jeune Samuel (c. 1–7): (II.) Samuel, consacré qui reçoit la parole (c. 1–3): (§ 3) 2. Darstellung: l’appelé de YHWH (2,21b–3,21): (B.) L’appel de Samuel: analyse narrative, S. 64–71: 65–70.

[7] S. Shimon Bar-Efrat: Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kommentar, BWANT 176. NF 16 (2007): Auslegung (S. 61–379): Offenbarung (3,1–4,1a), S. 95–103: 97–98. Hinweis auf den Verlust der Lade, der  Präsenz JHWHs, im Krieg gegen die Philister (1 Sam 4), Bar-Efrat: op.cit. (2007): Tag der Heimsuchung (4,1b–22), S. 104–115; zur Beschreibung und Funktion der Lade (Bundeslade), S. 108.

[8] Cf. Bar-Efrat: Das Erste Buch Samuel (2007), 97. Das „ewige Licht“ ist auch im Katholizismus ein Symbol.

[9] Kessler: Samuel (2007): (A.) Einführung (1.) Samuels Lebensbild, 11–21: 15 (A. 3). Meist wird das Wort Lade in Übersetzungen verwendet, in deutschen Synagogen aber erinnert man an die hebräische Herkunft. Der Schrein verweist auf die Funktionen: „Kasten zur Aufbewahrung der beiden Bundestafeln und Symbol der Anwesenheit Gottes zu sein.“ Bar-Efrat: op.cit. (2007), 108; s. אֲרוֹן הַבְּרִית – Siegfried Kreuzer: Lade JHWHs / Bundeslade (2007), wibilex, 1–10.

[10] Cf. Kreuzer: Lade JHWHs / Bundeslade (2007), 2.

[11] Die Stadt Jerusalem selbst ist Zentrum jüdischer Identität; TRE 16 (1987), Art. Jerusalem I. Altes Testament (Peter Welten), 590–609: (4.) Anmerkungen zur Religions- und Theologiegeschichte, 600–601.

[12] Rendtorff: Das Alte Testament (1983): (II) (6) Die Prophetie, 118–131: 119 (ff).

[13] וּשְׁמוּאֵ֕ל טֶ֖רֶם יָדַ֣ע אֶת־יְהוָ֑ה וְטֶ֛רֶם יִגָּלֶ֥ה אֵלָ֖יו דְּבַר־יְהוָֽה – humorvoll gesagt: eine „Gala-Vorstellung“ wird Samuel zuteil, denn „galáh“ (גלה) bedeutet „offenbaren“ (die Herkunft von „Gála“ ist freilich unklar.

[14] HWRh 1 (1992), Art. Attentum parare, facere (Burkhard Wessel), 1161–1163; der Beginn eines mündlichen oder literarischen Textes soll mit der Einleitung (Proömium; Exordium) unbedingt die Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers wecken. Cf. Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik (21973), §§ 263–288: §§ 266–279. Wirksame und stilvolle Rhetorik gibt es nicht erst bei Cicero oder Quintilian, sondern schon bei Aristoteles, aber ebenso sicher bereits im Alten Orient und in der hebräischen Bibel zu entdecken!

[15] Anja Wolkenhauer: Sprechende Statuen: Eine antike Denkfigur und ihre multimediale Aktualisierung im frühneuzeitlichen Rom, in: Album Alumnorum, FS für Walther Ludwig, hg.v. L. Braun (2014), 101–127.

[16] יקר bedeutet zwar „selten“, aber (auch) im Sinne von „kostbar“.

[17] In manchen christlichen Kreisen wird Kindern und Jugendlichen suggeriert, sie müssten stets danach fragen, was „Gottes Wille“ für ihr Leben sei; Berufswahl, Partnerwahl wären danach auszurichten. Die Betroffenen werden dabei allerdings von Eltern, Gemeindeleitern, Ältesten (Presbytern) und Schriftkundigen „beraten“ …

[18] Das Bildwort vom Baum darf nicht wörtlich genommen werden; denn je nach Baumart tragen manche Jahr für Jahr, andere aber nur unregelmäßig ihre Früchte. Hans Weder: Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute (21987): Die verlogenen Propheten, 237–245.

[19] Cf. Veni, vidi, vici: Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen. Ausgew. u. erläutert v. Klaus Bartels (91992), Art. Hoc signo vinces, 88f; bei Kirchenvater Eusebios: „In diesem (Zeichen) siege!“ Nikolaus Staubach: In hoc signo vinces. Wundererklärung und Wunderkritik im vormodernen Wissensdiskurs, in: FMSt 43 (2009), 1–52: (I.) Konstantinische Wenden, 1–5; (II.) Kreuzerscheinung und Kreuzverehrung, 5–19.

[20] Die Durchführung ist nicht praktikabel, der „Event“ legendarisch; Rolf Bergmeier: Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums. Die Legende vom ersten christlichen Kaiser (2010): Konstantin I. (14) Vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (14.2) Träume, Visionen und Symbole vor der großen Schlacht, 109–131; (14.3) Eine bizarre nächtliche Malerei, 137–141.

[21] Bergmeier: Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums (2010). Ich habe andernorts die verschiedenen Forschungsergebnisse skizziert.

[22] Jeremy M. Schott: Christianity, Empire, and the Making of Religion in Late Antiquity (2008); Klaus M. Girardet: Die Konstantinische Wende. Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Konstantins des Großen (2006). Ich habe andernorts die unterschiedlichen Forschungsergebnisse skizziert.

[23] S. Rolf Bergmeier: Schatten über Europa. Der Untergang der antiken Kultur (2012).

[24] Zu Pseudopropheten – Rendtdorff nennt sie „falsche Propheten“: op.cit. (1983), 216; s. Anja Klein: Prophetie, falsche (2015), wibilex.

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