1.Samuel 3,1-9

Home / Bibel / Altes Testament / 09) 1. Samuel / 1.Samuel 3,1-9
1.Samuel 3,1-9

Ganz Ohr sein. | Exaudi | 21.05.2023 | 1. Sam 3,1-9 | Eberhard Busch |

Zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem HERRN diente unter Eli, war des HERRN Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des HERRRN, wo die Lade Gottes war. Und der HERR rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich, und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, geh wieder hin und lege dich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn, und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den HERRN noch nicht, und des HERRN Wort war ihm noch nicht offenbart. Und der HERR rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hat mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und leg dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, HERR, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinem Ort. Da kam der HERR, trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.

In meiner Jugendzeit kannte ich einen Pfarrer, der am Anfang seiner Predigten jeweils den Vers sprach, der in dem verlesenen Text zweimal auftaucht: „Rede, Herr, dein Knecht hört.“ Was er dann sagte, habe ich zumeist vergessen. Aber dies hat sich mir eingeprägt. Wohl deshalb, weil mir das schön spaßig vorkam: Er würde ja nun eine ganze Weile selber reden und zwar allein, und würde das Hören uns Andren überlassen. Bis ich allmählich den guten Sinn seiner Gewohnheit begriff. In der Tat, und ob es noch so gescheit wäre oder ob es noch so populär tönte, seine Predigt wäre ein bloßes Gerede, wenn er nicht in seinem Reden ganz Ohr wäre für das, was Gott jetzt allen zu sagen hat. Ein Kundiger hat sogar einmal gesagt: Dabei müssten wir nicht bloß Ohren haben, sondern ganz Ohr sein. Schließen wir uns also dem jungen Samuel an: „Rede, dein Knecht hört.“

Um das gleich klarzustellen: Gott hat nicht nur Knechte. Er hat auch Mägde, so wie  Maria, die Mutter Jesu, sich „des Herrn Magd“ genannt hat ( Lk 1,38). Dein Knecht, deine Magd – wir sind bei ihm nicht Sklaven, aber auch nicht Meister. Wir dürfen dankbar sein, dass wir seine Diener und Dienerinnen sein dürfen, verbi Divini minister, wie ich manche zu ihrem Namen hinzusetzen sah, das heißt: Diener, Dienerin am Wort Gottes. Und in diesem Fall ist es ein Knabe, einer, der noch grün hinter den Ohren ist, der von Gott angesprochen wird und auf Gott hört. Und nehmen wir es genau: keiner und keine von diesen ist Untertan der Anderen neben uns. Sie sind alle Menschen, die von Gott gewürdigt sind, seine Kinder zu heißen, alle dazu berufen, ihm zu dienen.

Jener Knabe wohnte bei einem Altersschwachen namens Eli. Der war blind und sah nicht das Leuchten der heiligen Lampe in seiner Nähe. Die leuchtet auch einem Blinden. Der hat seinem jungen Gehilfen ein Gebet beigebracht: „Rede Herr, so will ich hören, dass dein Wille werd erfüllt …“ Von Gott gibt es offenbar etwas zu hören. Wahrhaftig, Gott redet –  jetzt zum Frieden, jetzt zur Unruhe. Er redet nicht immer dasselbe, aber immer als derselbe, als der Eine, der seine Geschöpfe fest in seiner Hand hält und das ihnen auch mitteilen will. Darum feiern wir wieder und wieder Gottesdienst. Das ist keine Veranstaltung, wo man hört, was man auch am Fernsehabend konsumieren kann oder was man in der Zeitung bestätigt bekommt. Darum geht es, dass Gott uns etwas zu verstehen geben will, so wie einst dem Knaben Samuel. Er will ja auch weitere ansprechen, bis in diese Stunde.

Um dies haben wir Gott zu bitten. Denn es versteht sich nicht von selbst, dass er redet. Gott kann auch schweigen. Davon redet unser Text. „Das Wort des HERRN war selten (oder wie es in einer anderen Überzetzung heißt), es war teuer zu der Zeit“. So wie gegenwärtig die Lebensmittel derart teuer sind, dass Zahllose sich kaum ernähren können. Daran können wir ermessen, wie das ist, wenn es an allen Ecken und Enden daran fehlt, was Gott uns zu sagen hat. Es ist unersetzlich. So dass man elend dran ist, wenn etwas passiert, wozu er schweigt.

Denn Gott muss nicht reden, Gott kann auch schweigen. Unheimlich, wenn er nichts sagt zu dem, was wir Menschen alles anstellen. Heißt es nicht auch von Jesus, als man Böses im Schilde führte: „er aber schwieg still und antwortete nichts“? (Mk 14,61)  Aber das Ärgste wäre:  Gott schweigt – und uns ist es gleichgültig. Wir tun, was wir ohnehin im Sinn haben.  Treiben Allotria, hecken Ideen aus und praktizieren sie, ohne auf Gott zu achten. Haben dabei wohl auch unsre Meinung über Gott, zustimmende oder ablehnende. Wir reden über ihn, ohne auf ihn zu hören. Reden, ohne nachzudenken. Reden durcheinander und zuweilen müssen alle dasselbe reden , und wehe den Abweichlern! Reden so laut, als müssten wir es überdröhnen: dass Gott schweigt.

Es ist allemal ein Wunder, wenn Gott sich trotz dem vernehmen lässt. Wunder aller Wunder: „Unser Gott kommt und schweigt nicht“ (Ps 50,3). Er öffnet sich. Er kann donnern und kann flüstern. Er kann brüllen und kann hauchen. Ein neueres Buch trägt den Titel „Die Sprache der Bäume“. Wir verstehen sie nicht, diese kostbaren Geschöpfe. Manche achten sie nicht und hauen sie blindlings um. Wispern ihre Stämme nicht insgeheim von dem, der sie hat wachsen lassen? Der Apostel Paulus schreibt von dem ängstlichen Seufzen der Kreatur (Römer 8). Wird es denn nicht gehört in unseren Schlachthöfen? Und Gott redet zu uns vornehmlich in der Heiligen Schrift. In einem alten Schweizer Bekenntnis lesen wir: „Gott hat gesprochen und spricht noch jetzt zu uns durch die Heiligen Schriften“ (2. Helvet. Bek.).

Und ist es nicht vorbildlich, wenn in der Synagoge junge Juden in der Barmizwa-Feier ihre Mündigkeit damit beweisen, dass sie ein Kapitel aus dem Alten Testament auf der Kanzel vortragen? Und ist es nicht eindrücklich, wie in Katholischen Gottesdiensten die Bibel wie ein Heiligtum in die versammelte Gemeinde hineingetragen wird, hocherhoben, so dass der Träger dabei nur beiläufig auch noch anderes sieht? Und warum hat Martin Luther und hat Huldrych Zwingli die Bibel aus den Ursprachen übersetzt? Damit jeder sie lesen kann!

Es genügt nämlich nicht, sie im Schrank zu haben. Wir sollten sie aufschlagen und sollten hören, was sie zu sagen hat. Wir Christen würden nichts zu sagen haben, wenn wir nicht vor allem hören würden. Ohne zu hören, reden wir aneinander vorbei. Es kommt darauf an, dass wir die Stimme Gottes hören. Da gilt es auf anderes zu hören als auf das, was uns sonst ein Ohrwurm ist. Hören ist eine seltene Kunst. Hören ist nicht Nichtstun, auch wenn wir andere Arbeit dabei aus der Hand legen. Gesammelt hören ist Arbeit – vor der manche leicht zurückscheuen. Es ist heilsam, aber nicht immer leicht. Es besteht die Gefahr, dass wir das Entscheidende überhören. Für Vieles haben wir offene Ohren. Aber für das Richtige sind wir zuweilen wie taub, sind nicht ganz Ohr, hören nur mit halbem Ohr hin, ja, da sitzen wir auf den Ohren.

Und lesen und hören ist nicht genug. Es muss auch darum gehen, dass wir das Gehörte verstehen. Genau damit hat es bei Samuel zunächst gar nicht geklappt. Er hat zwar von ferne etwas läuten gehört. Aber es war ein Irrtum. Ihm geht es, wie wenn man sich am Telefon verwählt hat – „kein Anschluss unter dieser Nummer“. Das kommt vor, wenn man nicht aufpasst. Drei Mal hat Gott ihn gerufen, aber er hat es missverstanden. Und Missverständnisse haben Folgen. Der russische Dichter Dostojewski schrieb sogar: „Viel Leid ist in die Welt gekommen durch Missverständnisse.“

Dabei scheint Samuel alles richtig gemacht zu haben. Er hat einen Aufruf vernommen und er folgt dem gehorsam. Doch beim Gehorchen kann man sich vertun. Gott hat gesprochen – aber sein Hörer bringt sein Wort durcheinander mit der Anordnung seines Vorgesetzten. Er gehorcht dem Falschen. „Es gibt eine Verderbnis des Besten“, wie ein altes Sprichwort lautet. Das Unglück besteht darin, dass er die Stimme Gottes mit einem menschlichen Befehl verwechselt. Er kannte die Stimme Gottes noch nicht, heißt es im biblischen Bericht. Ja, wenn man kein Ohr dafür hat, dann gerät man bald in in eine Schieflage. Wenn man von Seiner Weisung absieht, torkelt man wie ein Schlaftrunkener.

Doch Gott lässt das diesem Menschen nicht durch. Der Knabe Samuel rechnet nicht damit, dass Gott ihn angeht. Aber Gott geht ihn an. Wieder und wieder klopft er bei ihm an – anscheinend vergebens. Doch Gott gibt nicht auf. Gott hat Geduld. Er wirbt um ihn. Er braucht ihn. Gerade ihn? Dieser Mensch könnte sagen: ich kenne doch Gott gar nicht, – obwohl er ganz in der Nähe Gottes lebt, bekundet durch die so genannte Bundeslade im Tempel. Aber ausgerechnet Eli, jener Alte mit seinem mangelnden Augenlicht öffnet ihm die Augen, dass Gott ihn im Blick hat: Sieh, dies ist an dich adressiert: „Samuel, Samuel“. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ ( Jes. 43,1) So macht er ihn zu seinem Knecht.

Wo recht gehört wird, da gibt es auch etwas zu sagen. Da muss man nicht lang überlegen, ob man will oder nicht. Da vergeht einem seine Schüchternheit, so sehr sie sonst am Platz sein mag. Jetzt gilt: „Gesagt – getan“ oder: gehört – gesagt!  Das ist ein Hören-Sagen der besonderen Art. Gott redet zu ihm, weil er für ihn einen Auftrag hat. Er spricht ihn mündig. Er macht ihn fähig, auch Schweres über die Zunge zu bringen, wie es gleich im Anschluss an unseren Predigttext zu lesen ist. Gott traut es ihm zu, das auszurichten. Daraufhin wird er es tun. Dabei läuft er nicht wie die Katze um den heißen Brei herum. Er teilt es seinen Mitmenschen mit: Gott sagt Nein zu eurem gegenwärtigen verkehrten Treiben. Gott sagt Nein, weil er vielmehr Ja sagt. Denn er will, dass sie alle nicht zugrunde gehn. Wenn es nur solche gibt, die auf das hören, was er sagt!

Eberhard Busch

<ebusch@gwdg.de>

de_DEDeutsch