1. Thessalonicher 5, 14-24

1. Thessalonicher 5, 14-24

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


14. Sonntag nach Trinitatis,
1. September 2002
Predigt über 1. Thessalonicher 5, 14-24, verfaßt von Elisabeth
Tobaben

Liebe Gemeinde!

Eine Fülle von Methoden und Möglichkeiten gibt es, mit einem biblischen
Text umzugehen, sich  mit ihm auseinanderzusetzen, ihn zu verstehen
und in sich aufzunehmen.
Eine Predigt darüber zu hören oder zu schreiben ist eine Möglichkeit.
Natürlich könnte man auch eine wissenschaftliche Abhandlung schreiben,
könnte einzeln oder in Gruppen darüber meditieren und die verschiedenen
Fragestellungen im Gespräch entwickeln.
Eine für mich damals ganz neue Methode habe ich in Brasilien kennengelernt:
das “Bibel-teilen“.
Da wurde in einer Gruppe ein Text zuerst im Zusammenhang gelesen, und
dann hatten alle in der Gruppe Gelegenheit, noch einmal Worte, Satzteile
oder Verse die ihnen wichtig geworden waren, zu wiederholen und sie laut
auszusprechen.
Ganz viel machte dabei einfach die Betonung aus, manches klang plötzlich
wie eine Frage, einige Worte wurden wieder und wieder wiederholt und gewannen
mit einemmal derart an Gewicht, wie es beim ersten Hören gar nicht zu
vermuten war.
Eine Art Gespräch entsteht auf diese Weise, nur mit Elementen, Worten
oder Teilen aus dem Text.
Und selbst wenn man nur so wenig brasilianisches Portugiesisch kann wie
ich, wird man in dieses bunte Bild, das da durch diesen Austausch entsteht,
mit hineingezogen.
Man kann seine Anfragen und Begeisterung, Überzeugungen und Enttäuschungen
ausdrücken, ohne zunächst viel erklären zu müssen.
Was würde wohl für ein Bild entstehen, wenn wir diese Methode auf unseren
für heute vorgeschlagenen Predigttext anwenden würden?
Hören wir, was im 1. Tessalonicherbrief im 5. Kapitel steht:
14. Wir ermahnen euch, Brüder: weist die zurecht, die ein unordentliches
Leben führen.Ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid
geduldig mit allen.
15. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht
euch immer, einander und allen Gutes zu tun.
16. Freut euch zu jeder Zeit.
17. Betet ohne Unterlaß.
18. Dankt für alles, denn das will Gott von euch, die ihr Jesus Christus
gehört.
19. Löscht den Geist nicht aus.
20. Verachtet profetische Reden nicht!
21. Prüft alles, und behaltet das Gute!
22. Meidet das Böse in jeder Gestalt!
23. Der Gott des Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren
Geist, eure Seele und euren Leib unversehrt, damit ihr ohne Tadel seid,
wenn Jesus Christus, unser Herr, kommt.
24. Gott, der euch beruft, ist treu, er wird es tun.

Ich bin sicher, dass jeder dieser Sätze  BefürworterInnen finden
würde, jeder einen anderen dieser Ratschläge für sich und seine derzeitige
Umgebung für gerade heute besonders wichtig hielte.
Vielleicht würde sich ein bestimmter Schwerpunkt ergeben, könnte sein
– aber ich will im Moment gar nicht darüber spekulieren, welcher das sein
könnte.
Da ist eine ganze Latte von Ermahnungen, allgemeinen Ratschlägen und Lebensanweisungen,
die Paulus ausgibt, so allgemein, dass sich Gemeinden bis heute ohne weiteres
gut darin wiederfinden können.
Und genau das ist auch nicht ganz ungefährlich!
Denn Ratschläge und Lebesanweisungen haben ja immer auch etwas mit der
Lebensgeschichte des Menschen zu tun, der sie bekommt, hört oder für sein
eigenes Leben anwendet!
Sie stehen nicht ein für alle Mal gültig unabhängig von Zeit und Raum
da, unumstößlich gültig für jeden Menschen, egal aus welchem Jahrhundert
oder welchem Kulturkreis.
Und so sind auch diese Anweisungen  an eine ganz konkrete
Gemeinde mit ihren ganz eigenen Problemen und  Fragen, Freuden und
Hoffnungen gerichtet.
Die Menschen in Tessalonich,  dem heutigen Saloniki, hatten die Grundbegriffe
des christlichen Glaubens schon verstanden, das ist wichtig fürs weitere
Verständnis.
Seine Missions- und Bekehrungspredigten hat Paulus ganz anders gestaltet,
solche Texte gibt es von ihm ja auch.
Wenn nämlich jemand ohne jegliche Vorkenntnisse auf eine solche Reihe
von Ermahnungen trifft, könnte es sein, dass es ihm /ihr so geht, wie
der Frau, die mir sagte: “Wenn ich mal in Kirche komme, dann fühle  ich
mich immer so, als wäre ich in den 2. Teil eines Filmes geraten, von dem
ich den 1. Teil nicht gesehen habe.“
Werfen wir also einen Moment lang einen Blick in den 1. Teil des Films
“Paulus und die Tessalonicher“, wie ist es zu diesem Brief überhaupt
gekommen?
Was ist vorher gelaufen, dass Paulus so schreibt, wie er schreibt?
1. Szene: Paulus unterwegs, staubige Straßen, flimmernde Hitze, vielleicht
erzählt er gerade seinen Mitreisenden aus seiner Geschichte, von diesem
erschreckenden und zugleich so umwerfenden Erlebnis oben in den Bergen
über Damaskus, dieser herrlichen Oase mitten in der syrischen Wüste; von
der ergreifenden Gotteserfahrung, nach der Paulus plötzlich wußte: Christus
ist mein Herr!
Die Kamara schwenkt auf Tessalonich und zeigt in einer 2. Szene das Gewusel
und Gedränge in den Straßen des orientalischen gefärbten Marktes der Hafenstadt,
Stimmengewirr aus der Menge verschiedenster Sprachen ist zu hören, vielleicht
ein leises Selbstgespräch des Paulus: “Wie soll ich mich hier denn wohl
bloß verständlich machen? Hier in diesem Chaos soll ich predigen? Werden
die mich überhaupt verstehen können, haben die hier nicht ganz andere
Probleme? Haben sie neben Regierungsfragen und Geschäften überhaupt Zeit
für Religion?“
Dann folgt -3. Szene- die erste Predigt, bei einigen fällt auf fruchtbaren
Boden, was Paulus sagt, vielleicht eine festliche Taufe im Meer, eine
kleine Christengemeinde entsteht.
Dann geht es schon wieder weiter, der Aufbruch des Paulus wird gezeigt,
er zieht wieder los mit seinen Mitarbeitern, ein paar letzte, aufmunternde
Worte, “ihr schafft das schon, wir trauen euch das zu“, dann ist
die junge Gemeinde wieder allein.
Unsicher und fragend sicherlich, aber bestimmt auch voller Begeisterung
und mit viel Schwung und Elan.
Wieder eine neue Szene: Paulus unterwegs, wie am Anfang, neue Ziele und
Einsätze im Kopf. Aber als er Leute, die gerade  aus Tessalonich
kommen, triftt, fragt er natürlich: “Wie siehts denn dort aus? Kommen
sie zurecht? Schaffen sie, es, ihren Glauben zu leben und nicht  unterzugehen
im Trubel all der anderen Weltabnschauungen und Religionen?“
Und man stelle sich sein Entsetzen und seine Sorge vor, als er erschreckende
Nachrichten erfährt!
Massive  Anfeindungen habe es gegeben, so wird ihm berichtet.
Offenbar wurde Paulus angeschwärzt, bald nachdem er weg war.
Andere versuchten, Einfluß zu nehmen auf die gerade gegründete Gemeinde,
wollten die Neugetauften zurückgewinnen oder abwerben und behaupteten,
sie seien auf einen Scharlatan hereingefallen.
Und Paulus weit weg, ohne dass er schnell mal anrufen oder eine mail schicken
kann!
Und da er selber nicht weg kann, schickt er Timotheus hin, er soll helfen,
zurechtbringen und berichten.
Lange muß Paulus warten, quälende, aufreibende Monate der Sorge, bis Timotheus
wieder da ist.
Und wie groß muß die Erleichterung gewesen sein, als er die Nachricht
mitbringt: “Alles in Ordnung. Die machen das prima in Tessalonich, haben
alles voll im Griff, obwohl sie es nicht leicht haben.
So. Und hier ist der 1. Teil des Films zu Ende.
Jetzt kommt der 2. Teil, in dem Paulus sich hinsetzt und seinen ersten
Brief diktiert.
Viele sollen später noch folgen, denn er stellt fest, dass es eine gute
Methode ist, die eigene Lehre zu verbreiten.
Jeder Zeile dieses allerersten Briefes spürt man das große Aufatmen ab,
das Paulus gerade erlebt hat.
“Wir danken Gott immerfort für euch“, fängt er seinen Brief an.
Und das sagt er auch zwischendurch immer wieder.
“Wie freue ich mich über das, was Gott an euch getan hat.“
Und er läßt ein grandioses Idealbild von Gemeinde an sich vorüberziehen,
malt in strahlendsten Farben aus, wie er sich den Umgang der Christen
miteinander idealerweise vorstellt.
Immer mit dem Zusatz: “Das brauche ich euch ja eigentlich gar nicht zu
sagen, ihr tut das ja längst!“
Und in diesen Zusammenhang nun gehören die ermahnenden Sätze, die
wir vorhin gehört haben, diese Fülle von guten Ratschlägen für das Zusammenleben.
Bleibt dabei, so besagt das schließlich alles, dass ihr anders
seid als die anderen um euch herum!
Denn weil ihr zu Christus gehört, könnt ihr das tatsächlich: z.B.
in Frieden miteinander umgehen, ohne Rachegelüste  und Vergeltungsprinzipien.
Ihr könnt die besonderen, vielleicht ausgefallenen Begabungen von
Menschen entdecken und zulassen, etwa die profetische Rede fördern und
nutzen (V. 20).
Ihr könnt alles prüfen und feststellen, was für eure Gemeinde heute
, jetzt und hier gut ist, in Tessalonich, auf Juist, in Hamburg, Dortmund
oder Sao Paulo.
Man stelle sich vor: das sagt er Leuten, die gerade erst Christen geworden
waren, die bestimmt keinen ausführlichen, jahrelangen Religionsunterricht
gehabt hatten.
Ihnen sagt er: “Ihr könnt das! Ihr habt Kriterien in euch, die euch das
ermöglichen, das Gute herauszufinden und zu verwerfen, was euch schadet.“
Und ganz zuletzt liefert er in einer Gruß- und Segensformel auch noch
die Begründung mit für sein großes Vertrauen in die Junge Gemeinde:
“Gott ist treu“, sagt Paulus. “Gott selbst hat euch berufen und wird
auch tun, was er euch zugesagt hat.“
Diese Treue Gottes ist es, die Paulus mit allem, was er schreibt, hervorheben
möchte.
Und diese Treue hält sich durch in allen Veränderungen und Bewegungen
der Zeit.
Hier wird es Zeit, einen Doppelpunkt zu setzen.
Denn jetzt sind wir dran, Wege und Methoden herauszufinden, Ängstliche
zu ermutigen, Geduld zu üben oder ohne Unterlaß zu beten.
Über jeden einzelnen der Sätze könnte man wahrscheinlich ohne weiteres
einen eigenen Film drehen, gerade weil es sich nicht um ein fertiges Programm
handelt, das nur noch zu befolgen wäre.
Gerade darin liegt die große Chance, Leben sinnvoll und in der für uns
angemessenen Weise zu gestalten, mit der Zusage im Rücken: “Der Gott des
Friedens heilige euch ganz und gar und bewahre euren Geist und eure Seele.“
Amen.

Elisabeth Tobaben
Ev. Luth. Inselkirchengemeinde
Wilhelmstr.42, 26571 JUIST
tel 04935-9109-10 fax-42
E-Mail elija@t-online.de

 

 

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