1. Timotheus 4, 4-5

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1. Timotheus 4, 4-5

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


15. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank, 1. Oktober
2000

Predigt über 1. Timotheus 4, 4-5,

verfaßt von Axel Denecke


Anmerkungen

Liebe Gemeinde!

Alles, was Gott geschaffen hat, ist
gut, und nichts ist verwerflich, was mit Dank empfangen wird“ – so
beginnt unser kurzer Predigttext für den heutigen Erntedanktag wie mit
einem Fanfarenstoß. „Alles – nichts!“ Das klingt sehr grundsätzlich,
keine Widerrede dazu. Und so ist es auch gemeint!

Und wie immer, wenn unser Glaube so allgemeine
und ganz umfassende Aussagen macht, ist das zwar sehr schön, wenn man es
so im Grundsätzlichen lässt, aber gleichzeitig auch sehr
gefährlich, wenn es konkret wird.

1

Es ist schön. Denn natürlich, es
stimmt: Die Welt, in der wir leben, dürfen wir als gute Schöpfung
Gottes begreifen. „Und siehe, es war sehr gut“, so heißt es am Ende des
Schöpfungsberichtes und das ist durchaus als Gesamturteil über die
Welt, „die gute Schöpfung Gottes“ gemeint. Und wenn ich die
Gesamtbotschaft Jesu richtig verstanden habe, so will er uns an dies
grundsätzlich Gute der Schöpfung neu erinnern, nachdem wir es (die
Menschen damals so wie auch wir heute zwischendurch) aus den Augen verloren
haben. „Das ganze Leben aus Gottes Hand mit Dank entgegennehmen“, so
könnte man die Botschaft Jesu, bezogen auf den heutigen Erntedanktag,
zusammenfassen. Und am Ende des Lebens dann die „Ernte des gesamten Lebens“
Gott dankbar zurückgeben. Manche Menschen können ja tatsächlich
auf diese Weise „alt und lebenssatt“ sterben, dankbar wie
selbstverständlich nach getaner Arbeit, nach gelungener Feier des Lebens.
Und wir spüren: Darauf ruht Segen.

Und seit wir durch die Wende zum
ökologischen Bewußtsein hin auch in christlichen Kreisen die
„Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung“ neu gelernt haben
(biblisch ist sie ganz alt, wie man vor allem in den Psalmen nachlesen kann),
nehmen wir wieder viel bewußter als in den recht robusten 50er-70er
Jahren des damals so genannten „Wirtschaftswunders“ die Welt als „gute
Schöpfung Gottes“ wahr, für die wir wirklich von Herzen dankbar sein
können. Es muß heute kaum noch gesagt werden: Sie zu bewahren auch
für künftige Generationen ist aller Mühe und Sorgfalt wert. Also
ja und natürlich. „Alles was Gott geschaffen hat, ist gut“. Wie gut und
schön, daß wir es endlich einsehen, einzusehen lernen, im ganz
Privaten und ganz Umfassenden. Erntedank, was denn sonst? Das ganze Leben soll
ein Dank sein für den Geber und Schöpfer dieses Lebens.

2

So zu reden ist schön. Aber gleichzeitig
auch sehr gefährlich, wenns konkret wird. „Alles, was Gott
geschaffen hat, ist gut. Nichts ist verwerflich, was mit Dank empfangen
wird“. Also: Alles, wirklich alles? Also konkret z.B. auch Drogen,
genmanipulierte Nahrungsmittel, atomkraftbetriebene Energieerzeugnisse? ((Hier
können weitere Beispiele eingesetzt werden.))

Nun sage bitte keiner recht schnell: Das hat ja
nicht Gott geschaffen, sondern der Mensch, der Mensch in seinem gottwidrigen
Drange. So einfach ist das Schaffen Gottes und des Menschen in der Praxis nicht
zu unterscheiden. Ich erinnere mich noch gut, als wir (grad auch die
fortschrittsoptimistischen Theologen) in den 60er Jahren von der sog.
„friedlichen Nutzung der Kernkraft“ schwärmten. Und mit „Dank empfangen“
(„Herr, wir danken dir, daß du uns so sehr mit Vernunft begabt hast,
daß wir die modernen Errungenschaften der Technik produzieren können
…“) kann man ja alles, eben auch Atomkraft, alle möglichen sanften und
nicht mehr sanften Drogen. Mit Dank kann man sogar „Erfolge“ kriegerischer
Umtriebe empfangen (Ich muß nicht extra noch an bekannte konkrete
Beispiele erinnern). Und wems von Ihnen zu drastisch klingt, dem möchte
ich freundlich in Erinnerung rufen: Die Erntedankaltäre sind nicht selten
voll von allen möglichen menschlichen Industrieprodukten, „vom Menschen
geschaffen“, aber doch kraft seiner ihm von Gott verliehenen
(schöpferischen) Verstandesarbeit. Und nochmals also: „Alles, was
Gott (durch uns Menschen) geschaffen hat? Nichts verwerflich, was mit
Dank empfangen wird?“ Oh ja! Oh weh! Es klingt so schön (ganz
grundsätzlich betrachtet) und ist doch so gefährlich (wenns konkret
wird).

3

Hier ist natürlich – was denn sonst – die
Kunst der Unterscheidung nötig. „Denn dies (alles) wird durch Gottes Wort
und durch Gebet geheiligt“ (Vers 5). Das „Wort Gottes“ unterscheidet in dem
„Alles“ und „Nichts“. Und dieses „Wort Gottes“ (auch wieder so eine allgemeine
und grundsätzliche Formulierung) kann im Zusammenhang unseres Textes – und
auch unserer christlichen Kultur insgesamt – nichts anderes sein als die Person
Jesu. An ihm scheiden sich die Geister, er führt ein in die Kunst der
Unterscheidung.

Er tuts so, daß er aus seiner
jüdischen Tradition heraus sein ganzes Leben mit Gott in einen inneren
Zusammenhang bringt. Und zwar alles in seinem Leben, nichts gibt es, was
für ihn nicht mit Gott zu tun hat. So hat er gelebt und so ist er
gestorben, so konnte er – um nur an einige bekannte Daten aus seinem Leben zu
erinnern – zu Beginn seiner Wirksamkeit nach der Taufe „dem Teufel“ in sich
selbst widerstehen (die drei „Versuchungen“ durch Satan sind ja innere
Selbstgespräche in der Einsamkeit der Wüste), so konnte er Gott mit
„Abba, lieber Vater, liebes Väterchen“ vertrauensvoll anreden, so konnte
er am Ende seines Lebens trotz allem inneren Kampf („Laß doch diesen
Kelch von mir gehen “ … „Warum, warum hast du mich verlassen?“) sein Leben
Gott vertrauensvoll zurückgeben („Nicht wie ich will, dein Wille geschehe“
… „In deine Hände befehle ich meinen Geist“). Und sicher hat er auch
sein jüdisches Gebetbuch, die Psalmen, wie selbstverständlich im
Munde geführt: „Danket dem Herrn, denn er ist sehr freundlich und seine
Güte währet ewiglich …“ und weiter: „Herr, du erforschest und
kennst mich. Es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, o Herr, nicht schon
wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich … Ich danke dir, daß
ich so herrlich bereitet bin, so wunderbar. Wunderbar sind deine Werke“. Und
weiter: „Lobe den Herrn, meine Seele und vergiß nicht, was er dir Gutes
getan hat.“ Vertrauensvoll geborgen in der väterlichen Liebe Gottes war so
sein ganzes Leben, vom Anfang bis zum Ende. Ganz knapp erinnern kann ich an
dieser Stelle nur daran.

Das also ist das „Wort Gottes“, dieser Mensch,
der aus seiner jüdischen Tradition heraus sein ganzes Leben – im Guten und
weniger Guten – mit Gott untrennbar in Verbindung bringt, von Gott sich – im
Gelingen und Nicht-Gelingen getragen weiß. Und wer diesem „Wort Gottes“
vertraut, sich von ihm auf den Weg bringen lässt, das eigene Leben zu
betrachten, der wird auch in die „Kunst des Unterscheidens“ eingeführt. Er
wird wissen – unmittelbar, ja fast intuitiv – was geheiligt ist durch sein
Wort, was wir wirklich mit Dank empfangen können und wo wir sagen
müssen: Nein, das ist nicht von Gott geschaffen! Das ist
eigenmächtiges und eigensinniges Menschenwerk. Nein, das dürfen wir
nicht mit Dank empfangen. Hier wäre es gotteslästerlich, Gott zum
Büttel einer selbstgefälligen Dankadresse zu machen („Gott mit uns“
und „Dank für allerlei Kriegsgemächte“ sprechen hier Bände und
sind zum Glück auf unseren Lippen erstorben, zum Glück. Bis ins 20.
Jahrhundert hinein war es noch ganz anders).

Die Kunst der Unterscheidung in dem „Alles“,
was Gott geschaffen hat, und dem „Nichts“, was verwerflich ist, lernen wir bei
Jesus. Auch die Kunst, alle Gaben des Lebens aus Gottes Hand dankbar
entgegenzunehmen, das Leben und das Sterben. Eine große Kunst ist es,
sich darin im Laufe seines Lebens einzuüben, bei Jesus in die Schule zu
gehen, das kleine ABC des Glaubens peu a peu buchstabieren zu lernen, um am
Ende ehrlichen Herzens sagen zu können: „Ja, in der Tat. Alles, was mir in
meinem Leben begegnet, hat Gott geschaffen und es dient mir zum Guten. Ich habe
gelernt, nichts für verwerflich zu halten, was mir begegnet. Ich drehe und
wende es so lange, bis ich Grund habe, es mit Dank zu empfangen, geheiligt
durch Gottes Wort und durch mein Dankgebet. Und so sage ich dir Dank, mein
Gott, für mein ganzes Leben. Du hast gegeben, du wirst es wieder nehmen,
gelobt sei dein Name“. Gesegnet ist, der so sprechen kann.

4

Schlußendlich jedoch: Wie kommen wir
dazu? Wie üben wir uns darin ein? Allgemein gilt: Bei Jesus in die Schule
gehen, von ihm lernen, das Leben und Gott zu lieben. Konkret kann gelten: Im
Kleinen beginnen, im Alltag, hier und heute, mit ganz kleinen Schritten und
dann mal sehen, was draus wird. So wie also z.B. Jesus, der Jude, nicht nur
jeden Tag seine Psalmen gebetet haben mag, sondern auch (so wie fromme Juden
auch heute noch) alles, was ihm begegnet und was er genoß mit einem je
eigenen Segensspruch versehen haben mag. Das ist viel mehr als unser manchmal
in Routine erstarrtes daher außer Mode gekommene „Tischgebet“. Es ist die
innere Verbindung unseres Lebens im Konkreten mit dem Schöpfer unseres
Lebens. Ums konkret zu machen: Der jüdische Glaube denkt da ganz
praktisch: Ein allgemeines Tischgebet erst nach dem Essen als Dankgebet, wenn
ich satt bin. Vorher knurrt der Magen und das Gebet mag so nicht recht von
Herzen kommen, wenn man lange und fromme Reden führt. Vor dem Essen ein
ganz kurzer Segensspruch, wobei bei jeder Gabe – Brot, Wein, Obst, Fleisch,
Käse usw. – ein anderer kurzer Segen über den Gaben angemessen ist.
Für jeden Genuß gibt es einen besonderen Segensspruch. Lies dir
einen an oder denk dir einen aus, ganz kurz bitte, laut oder auch leise (im
Restaurant, in der Öffentlichkeit) gesagt. Kurz und knapp. Das reicht aus.
Die innere Beziehung zu Gott, dem „Geber meines Lebens“ ist dann da. Und ein
richtiges, schönes, langes, liturgisch ausgefeiltes Dankgebet sprich, wenn
du magst, am Ende. So ists jüdische Tradition. Und so hat es sicher auch
Jesus gehalten. Und so hat er sich von Kindheitstagen eingeübt darin,
„alles, was Gott geschaffen hat, mit Dank zu empfangen und nichts für
verwerflich zu halten“. Dies ganz im Kleinen, auch ganz im Privaten zu tun, das
übt. Es übt – und auf einmal – weiß gar nicht wie – stimmts
auch im Großen und Grundsätzlichen und ich bin auf einmal geschickt
in der „Kunst der Unterscheidung“ – ganz unmittelbar, fast wie intuitiv –
zwischen dem, was Gott geschaffen hat und dem, was dann doch verwerflich ist.
Nun ja, und daß mein Leben – mein ganzes Leben – zudem noch geheiligt ist
durch das „Wort Gottes“, also durch Jesu Lebensstil, und daß ich Grund
habe, dafür im Gebet zu danken – grundsätzlich und umfassend, und
auch sehr konkret und praktisch – das ist schon ein Erntedankfest wert. In
diesem Jahr, an diesem Tag. Und, nicht wahr – das ist doch klar – alle Tage,
jeden Tag neu.

Amen

Anmerkung:
Das Erntedankfest erfreut sich seit etwa 20 Jahren –
seit das Stichwort „Ökologie“ und „Bewahrung der Schöpfung“
theologisch neu entdeckt wurde und die kirchliche Binnenkultur beherrscht –
wieder wachsender Beliebtheit. Die Kirchen – vor allem in den Städten –
sind voller (oder auch: nicht so leer) wie sonst. Der vorgeschlagene
Predigttext greift als ‚Weisheitsrede‘ die Stichworte „Dank für das
gesamte Leben“ (Leben als Gabe Gottes) und „Heiligung durch Gottes Wort und
Gebet“ auf. Klare, aber recht allgemeine Aussagen. Kein Widerspruch dazu, aber:
Wie macht man das im praktischen Leben in der Öffentlichkeit, so daß
der „Erntedank“ zum cantus firmus des ganzen Lebens, in all seinen
vielfältigen Erscheinungen („alles was Gott geschaffen hat ist gut“
heißt es im griech. Urtext anders als in der etwas abgemilderten Form der
Luther-Übersetzung) wird? Ein zu hoher Anspruch?

Prof. Dr. Axel Denecke
– Hauptpastor St.
Katharinen –
Herbert-Weichmann-Str. 34
22085 Hamburg

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