Epheser 4, 11-15(16)

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Epheser 4, 11-15(16)

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Pfingstmontag
12.6.2000
Epheser 4, 11-15(16)

Friedrich Seven


11 Und er hat etliche als Apostel eingesetzt, etliche als
Propheten, etliche als Evangelisten, etliche als Hirten und Lehrer, 12 damit
die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der
Leib Christi erbaut werden, 13 bis wir alle hingelangen zur Einheit des
Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur Reife des Mannesalters, zum
vollen Maß der Fülle Christi, 14 damit wir nicht mehr unmündig
seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch
trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.
15 Laßt uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen
Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, 16 von dem aus der ganze
Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle
Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß
seiner Kraft und macht, daß der Leib wächst und sich selbst aufbaut
in der Liebe.

Liebe Gemeinde,

dies ist allen Ernstes ein Predigttext für den zweiten
Pfingsttag, und man möchte meinen, nun solle vor dem großen Sturm
und Brausen, von dem die Pfingstgeschichte uns erzählt, vor dem
Frühjahrssturm nun doch ängstlich die Kirchentüre wieder
verschlossen werden.

Geschützt werden sollen wir vor jeglichem Wind falscher
Lehre. Da kann es mit der Macht und der Freiheit des Geistes doch nicht so weit
her sein, wie wir es uns von seiner ersten Ausgießung her gedacht haben
und wie wir uns es weiterhin wünschen.

Pfingstsonntag, das klang noch nach einer großen
plötzlichen Ermächtigung und Bewegung, nach allgemeiner
Verständigung und persönlichem Verstehen, nach Reden und Verstehen
ohne Grenzen. Pfingstmontag aber sehen Kirche und Welt wieder ganz anders
aus.

Es soll eben doch nicht jeder in gleicher Weise etwas zu sagen
haben, welche Sprache und wessen Sprache er immer auch sprechen kann, und
keineswegs kann jeder seines Bruders Hüter sein, sondern es soll Hirten
geben, und wo es die gibt, da muß es auch Schafe geben. Schafe freilich,
die nicht nur zu hüten, sondern auch zu unterweisen sind.

Und wie es Menschen gegeben hat, die von Jesus gesandt worden
sind, sein Wort zu verkündigen, so sollen es auch jetzt bestimmte Menschen
sein, die sein Wort, das Evangelium, in die Welt hinaustragen.

Da wird getrennt in Missionar und Missionierte, in Hirt und Herde
und doch soll alles in demselben Geist existieren. Der Wind des Sonntags
scheint, am Montag nicht mehr in alle Ritzen zu dringen, sondern jedes
Lüftchen wird daraufhin geprüft, ob es nicht zum Himmel stinkt.

Begründet wird das ganze lediglich so, daß unser
Predigttext nach Reife und Mündigkeit unterscheidet: Deswegen gibt es
Lehrer und Schüler… „damit wir nicht mehr unmündig seien und uns
von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch
trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig
verführen.“ Obwohl die Kirche von dem Geist der Freiheit und der Wahrheit
lebt, der sich auf alle verteilt, verteilt sich dieser offenbar nicht
gleichmäßig und mit denselben Wirkungen.

Wir müssen damit leben, daß der Geist zu mancherlei
Gaben wird und nicht aus jedem einen Propheten, Prediger oder Hirten machen
will. Wir haben es weiterhin nach jedem Pfingstfest in der Gemeinde damit zu
tun, daß Ämter nicht nur nach dem Neuen Testament gesetzt, sondern
immer, wenn auch befristet, mit Menschen besetzt sind.

Freilich kennen wir auch Situationen, wo einer, der kein Amt hat,
das Wort ergreift und andere ihm ergriffen zuhören. Es hat sie in der
Kirche immer gegeben und wird sie geben: die Augenblicke, wo der Prediger
plötzlich schweigt, weil ein anderer was zu sagen hat: So wie es auch
Augenblicke gibt, da nur der Prediger noch etwas sagen kann, wo kein anderer
mehr zu sprechen wagt. Die Reformation wäre nicht möglich gewesen,
wenn es nicht mutige Gemeinden gegeben hätte, die schlechte Prediger ab-
und rechte dafür eingesetzt haben.

Immer noch konfirmieren wir Jugendliche, unter deren Kappen oft
mehr an Witz und Schlagfertigkeit laut wird, als unter dem Barett Platz haben
könnte, und wo sonst als in unseren Kindergärten erfahren wir sicher,
„daß der Kaiser nackt ist“.

Wir blicken mit Freude auf den Mut derer, die beim Katholikentag
in Hamburg gewagt haben, ein ökumenisches Abendmahl zu feiern, und hoffen
nun für die offizielle Kirchenlehre auf den Geist der Wahrheit.

Doch nicht jeder, der spontan wirken will, „tritt frech auf,
reißt’s Maul auf und hört bald auf“. Neben der heilsamen
Störung und oft genug auch mit ihr kann immer auch die heillose Verwirrung
auftauchen, wenn sich plötzlich jeder berufen fühlt und meint,
daß ihm allein schon die Gelegenheit, die er sich nimmt, das Recht dazu
verleiht.

Wer spontan etwas unternimmt und dabei sogar das Wort ergreift,
kann dies vielleicht in der Freiheit des Geistes tun, aber sein Tun kann diese
Freiheit nicht begründen.

Die Frau, die plötzlich im Sonntagsgottesdienst aufsteht,
einen Kirchenvorsteher beiseite nimmt und darum bittet, daß eine Kranke
aus der Gemeinde heute in die Fürbitte aufgenommen wird, kann doch nur
darauf vertrauen, gehört und verstanden zu werden, wenn eine Gemeinde
darin geübt ist, mit freien Gebetsteilen bei den Kirchengebeten umzugehen.
Der Geist, der weht wo er will, will eben doch Menschen erreichen, und die sind
darauf angewiesen, daß sie ihr Zusammenleben immer wieder regeln.

Mit dem Geist von Pfingsten möchte der Sohn Gottes auch da
mitsprechen, wo wir an solchen Regeln arbeiten und begreifen, daß
zwischen Menschen auch nach ihren Funktionen unterschieden werden kann.

Wir leben in der Kirche mit Ämtern, doch wir leben nicht von
ihnen. Sie haben sich nicht selbst hervorgebracht, sondern sind nach dem Neuen
Testament gesetzt allen zugute: damit, wie unser Text sagt, … „die Heiligen
zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi
erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der
Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur Reife des Mannesalters, zum vollen Maß
der Fülle Christi.“ Wir empfangen den Geist, weil wir mit dem Sohn Gottes
existieren, und dieser will leben und wachsen. Darum sollen wir „wahrhaftig
sein in der Liebe“, denn wer liebt, lebt spontan, wagt sich auch vor, aber nur,
um sich umso intensiver verbunden zu fühlen.

Amen

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld

Tel. 05521 / 2429


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