Markus 15,34

Markus 15,34

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Worte vom
Kreuz
Predigtreihe für die Passionszeit 2000
5. Sonntag der
Passionszeit, Judika

9.4.2000
Markus 15,34

Klaus Bäumlin


„Mein Gott, warum hast du
mich verlassen?“

„Und sie führen ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. Und sie
zwingen einen Vorübergehenden, Simon aus Zyrene – der übers Feld her
kam, den Vater des Alexander und des Rufus – ihm das Kreuz abzunehmen. So
bringen sie ihn zur Stätte Golgota, das heisst übersetzt
Schädelstätte. Da boten sie ihm mit Myrrhe gewürzten Wein – er
aber nahm nicht. Dann kreuzigen sie ihn. Und sie verteilen seine
Obergewänder, das Los darum werfend, wer etwas davon nehmen dürfe.

Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und die
Aufschrift seiner Schuld war darüber geschrieben: Der König der
Juden. Und zusammen mit ihm kreuzigen sie zwei Bandenkrieger – einen zur
Rechten und einen zu seiner Linken. So ward erfüllt die Schrift, die sagt:
Und unter die Verbrecher ward er gerechnet. Die Vorübergehenden
lästerten ihn, schüttelten ihre Köpfe und sagten: Ha: Du reisst
den Tempel nieder und baust ihn in drei Tagen auf – rette dich selbst, steig
herab vom Kreuz: Desgleichen höhnten auch die Hohenpriester untereinander
samt den Schriftgelehrten. Sie sagten: Andere hat er gerettet, sich selbst kann
er nicht retten: der Messias: Der König Israels: Steig er doch jetzt vom
Kreuz herab, dass wir sehen und glauben. Auch die mit ihm Gekreuzigten
verfluchten ihn.

Als die sechste Stunde gekommen, ward Finsternis über das
ganze Land hin – bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde schrie Jesus
mit gewaltiger Stimme: Eloï, Eloi, lema sabachtani. Das heisst
übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich im Stich
gelassen:
Einige der Dabeistehenden hörten es und sagten: Sieh her, er
ruft den Elija. Da lief einer, füllte einen Schwamm mit Essigwein, steckte
ihn auf einen Rohrstock und wollte ihn tränken und sagte: Lasst, wir
wollen doch sehen, ob Elija kommt, ihn herunterzuholen: Jesus aber liess einen
gewaltigen Schrei und hauchte den Geist aus. Und der Vorhang des Tempels ward
zerrissen – entzwei von oben bis unten. Als aber der Hauptmann, der ihm
gegenüber dabeistand, ihn so – schreiend – den Geist aushauchen sah,
sprach er: Wahrhaftig -dieser Mensch war Gottes Sohn:

Es waren auch Frauen, von ferne zuschauend, unter ihnen auch Maria
aus Magdala, und Maria, des Kleinen Jakobus und des Joses Mutter, und Salome.
Die waren ihm gefolgt und hatten ihm gedient, als er in Galiläa war; und
noch viele andere, die mit ihm nach Jerusalem heraufgekommen waren.“

(Übersetzung: Fridolin Stier)

Liebe Gemeinde,

wir sind hier fast am Ende des Markusevangeliums. Das Drama
erreicht seinen Höhepunkt, genauer gesagt: seinen Tiefpunkt. Das
Markusevangelium hat mit den überschriftartigen Worten begonnen: „Anfang
des Evangeliums von Jesus Messias, dem Sohn Gottes.“ Evangelium, frohe
Botschaft, gute Nachricht wollte Markus doch erzählen.

Und nun dieses Ende: Was ist von der frohen Botschaft geblieben?
Markus schreibt, von der sechsten bis zur neunten Stunde, während des
Todeskampfes Jesu am Kreuz, sei Finsternis über das ganze Land hin
gekommen. Ich denke, Markus hat das symbolisch verstanden. Man könnte die
Golgota-Szene mit der Überschrift versehen: „Finsternis“,
„Gottesfinsternis“, oder auch: Gottverlassenheit, schreckliche, finsterste
Gottverlassenheit.

Haben Sie beachtet, liebe Gemeinde, wie Markus entscheidende
Vorgänge dieser Szene in der Gegenwartsform erzählt: „Und sie
führen ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen… So bringen sie ihn zur
Stätte Golgota… Dann kreuzigen sie ihn.“ Das ist ein Stilmittel, durch
das Markus die Leser ganz nahe an das Geschehen heranführt, sie
hineinverwickelt, zu Mitbeteiligten, Mitbetroffenen, zu Zeugen macht. Und
umgekehrt vielleicht auch: die Gegenwartsform soll zum Ausdruck bringen, dass
das, was hier auf Golgota geschehen ist, in der Menschengeschichte und in der
Geschichte einzelner Menschen immer wieder gegenwärtig ist: dort, wo
Menschen überwältigt werden von Gewalt, gefoltert, zu Tode geplagt,
oder elend verhungern, oder auch, weniger spektakulär, an einer
unheilbaren, schmerzvollen Krankheit leiden und zugrundegehen – und nur noch
schreien können: „Mein Gott, warum hast du mich im Stich gelassen:“ –
Situationen äusserster, finsterster Gottverlassenheit:
Passionsgeschichten, Leidensgeschichten. So ist Jesus dran; so können
Menschen dran sein. Das ist unsere Welt.

*

Kreuzigung war eine bei den Römern gebräuchliche,
äusserst grausame Hinrichtungsart. Sie wurde angewendet bei
Kapitalverbrechen und besonders für Aufständische, die sich der
römischen Kolonialmacht widersetzten. Bei den beiden „Bandenkriegern“, die
mit Jesus gekreuzigt wurden, hat es sich wohl um solche jüdische
Guerilleros gehandelt. Die Verurteilten wurden am Querbalken, den sie selber
zur Richtstätte tragen mussten, an Händen und Füssen angebunden
oder angenagelt. Der Todeskampf Jesu dauerte „nur“ sechs Stunden. Meist dauerte
er viel länger. Manchmal hingen die Gekreuzigten tagelang am Balken,
ausgeliefert der stechenden Sonne, dem quälenden Durst, den Mücken
und Fliegen, den unerträglichsten Schmerzen, ausgeliefert den Blicken und
dem Gespött der Schaulustigen, denn Kreuzigungen waren öffentlich.
Der Tod trat dann meist durch Ersticken oder durch totale Erschöpfung ein
– ein entsetzlicher Foltertod, tausendfach verursacht, damals von den
Römern, tausendfach verursacht mit anderen, nicht weniger grausamen
Methoden bis in unsere Zeit. Das bedeutet: „Sie führen ihn hinaus,
um ihn zu kreuzigen.“

*

„Und sie zwingen einen Vorübergehenden, Simon aus
Zyrene, ihm das Kreuz abzunehmen.“ Wahrscheinlich war Jesus durch die
vorangehende Folter so geschwächt, dass er den schweren Balken nicht mehr
zu tragen vermochte. Ein zufällig Daherkommender, wahrscheinlich ein
jüdischer Pilger, der aus der Zyrenaika in Nordafrika zum Passafest nach
Jerusalem gekommen war, wird gezwungen, ihm die Last abzunehmen. Ein Simon ist
es. Der andere Simon, Simon Petrus, der noch vor wenigen Stunden geschworen
hatte: „Müsste ich sterben mit dir – nie werde ich dich verleugnen:“
(Mark. 14,31) hat das Weite gesucht. An seine Stelle tritt nun, unfreiwillig,
dieser Simon aus Zyrene. Auffällig, dass Markus nicht nur seinen Namen,
sondern auch noch die Namen seiner Söhne nennt. Offenbar muss dieser Simon
den damaligen Lesern des Evangeliums ein Begriff gewesen sein. Ist er
vielleicht durch dieses aufgezwungene Kreuztragen, diesen unfreiwilligen
Liebesdienst zum Christen geworden? War er gar der Vater jenes Rufus, eines
Christen in Rom, dem der Apostel Paulus am Schluss seines Römerbriefs
einen Gruss ausrichten lässt (Röm 16,13)? Seltsame
Zusammenhänge, auf die Markus da hinweist.

*

Auch die beiden Bandenkrieger, die zusammen mit Jesus gekreuzigt
werden – „einen zur Rechten und einen zu seiner Linken“ – wecken eine
Erinnerung. Da hatten doch zwei Jünger, Jakobus und Johannes, Jesus darum
gebeten, er solle sie einmal in seiner Herrlichkeit auf die Ehrenplätze
setzen: „einen zu deiner Rechten und einen zur Linken“ (Mark. 10,37). Jesus hat
ihnen damals geantwortet: „Ihr wisst nicht, worum ihr bittet… Das Sitzen zu
meiner Rechten oder Linken – das zu geben ist nicht meine Sache. Es ist
für die bestimmt, denen es bereitet ist.“ Und nun sind nicht die
Jünger, sondern diese beiden Bandenkrieger, diese gescheiterten und
verlorenen Rebellen, Jesus in seiner Todesstunde die Allernächsten. Keine
sympathischen Gesellen, Desperados sind es, die mit ihrem Versuch, Israel mit
Sabotage und Waffengewalt von der römischen Besetzung zu befreien,
kläglich gescheitert sind, und noch in ihrem Scheitern für Jesus, den
Gewaltlosen, nur Schmähung und Fluch übrig haben.

Jesus hat ihre Mittel nicht gebilligt. Gewalt von unten war
für ihn kein Weg zur Überwindung der Gewalt von oben. Sein Widerstand
war anderer Art. Und doch sind die beiden Rebellen ihm jetzt am nächsten,
hängen sozusagen auf den Ehrenplätzen zu seiner Rechten und seiner
Linken. Die, die im Widerstand gegen die unterdrückerische Macht, im Kampf
für die Befreiung ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, sind Jesus in der
Stunde des Todes näher als die Jünger, die geflohen sind. Mir kommt
es vor, als hätte das Evangelium den Rebellen, die sich gegen Unrecht und
Unterdrückung zur Wehr setzen, Reverenz erwiesen. Ihr Weg ist ein Irrweg,
er führt nicht hinaus aus dem Teufelskreis der Gewalt, und er ist zum
Scheitern verdammt; aber die ihn gehen, verdienen Respekt.

Pilatus jedenfalls hat zwischen diesen Bandenkriegern und Jesus
keinen grossen Unterschied gemacht. Als Grund für die Hinrichtung Jesu hat
er über das Kreuz schreiben lassen: „Der König der Juden“.In seinen
Augen war auch Jesus ein Aufrührer, der die Macht Roms in Frage stellte –
vielleicht nicht ein besonders Gefährlicher, besonders ernst zu Nehmender.
Aber in diesen unruhigen Zeiten war es klüger, einen zuviel als einen zu
wenig ans Kreuz zu hängen.

„So ward erfüllt die Schrift, die sagt: Und unter die
Verbrecher ward er gerechnet.“ Dort am Kreuz hängt er jetzt, der Gerechte,
der Gewaltlose, der Mensch des Friedens: in der Gesellschaft gescheiterter
Desperados, wie einer von ihnen, einer der „Verdammten dieser Erde“.

*

Und so wird er jetzt noch zum allgemeinen Gespött. „Die
Vorübergehenden lästerten ihn. Desgleichen höhnten auch die
Hohenpriester untereinander samt den Schriftgelehrten. Sie sagten: Andere hat
er gerettet, sich selbst kann er nicht retten: der Messias: Der König
Israels:“

Und wiederum glaube ich, dass sich die Leser des Evangeliums in
diesen Vorübergehenden wiederfinden sollen. Wer das Markusevangelium mit
seinem Versprechen: „Frohe Botschaft von Jesus Messias, dem Sohn Gottes“
Kapitel um Kapitel gelesen hat und jetzt zu diesem Ende kommt, der Leser, der
jetzt auf Golgota, auf die Schädelstätte geführt wird, der muss
doch, auf diesem Höhe- oder Tiefpunkt des Dramas auf den Wendepunkt
warten. Jetzt, da Jesus am Kreuz hängt, jetzt muss doch etwas
passieren. Es kann, es darf doch nicht wahr sein, dass der Messias, der Sohn
Gottes, so stirbt. Jetzt muss Gott doch eingreifen und seine Macht
offenbaren. Der, der andere gerettet hat, er wird doch sich selber retten
können. Er wird vom Kreuz herabsteigen und seine Feinde beschämen.

Und so höre ich aus all dem Hohn und Spott, aus all den
Lästerungen heraus auch eine abgrundtiefe Enttäuschung. Da gehen
menschliche Erwartungen und Hoffnungen, da gehen Gottesbilder in die
Brüche. Die Vorübergehenden und mit ihnen die Leser haben auf ein
Eingreifen Gottes gewartet, auf die Offenbarung einer göttlichen
übermacht. Und jetzt wird offenbar, dass Gott nicht auf eine
übernatürliche, übermenschliche Weise in die Menschengeschichte
eingreift, und schon gar nicht mit Gewalt. Am Kreuz Jesu werden menschliche
Gottesbilder und Gottesvorstellungen gekreuzigt.

*

Und Jesus selber? „Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit
gewaltiger Stimme“ – in seiner aramäischen Muttersprache: „Eloi, Eloi,
lema sabachtani. Das heisst übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich im Stich gelassen:“ Und dann, nach dem untauglichen Versuch eines
Dabeistehenden, den Mund des Dürstenden mit etwas Essigwein zu netzen,
heisst es: „Jesus aber liess einen gewaltigen Schrei und hauchte den Geist
aus.“ Hat auch Jesus in der Stunde seines Todes den Glauben, das Vertrauen auf
Gott verloren? Ist auch seine Hoffnung zerbrochen? Hat Gott ihn, auch ihn, im
Stich gelassen? Ist in diesen dunklen Stunden Gott nur noch der Abwesende?
Gottesfinsternis also, totale Gottesfinsternis?

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich im Stich gelassen:“ Mit
diesen Worten beginnt der 22.Psalm. Möglicherweise hat Jesus in der Stunde
seines Todes diesen Psalm zu beten begonnen. Der 22.Psalm ist ein Gebet um
Rettung aus der Todesnot, ja, eine Hoffnung auf eine Rettung aus dem Tod kommt
da zur Sprache. Die verzweifelte Warum-Frage wandelt sich in das Vertrauen.
Vielleicht hatte Jesus den ganzen 1Psalm im Herzen, vielleicht wollte er ihn
zuende beten, aber hatte dazu die Kraft und die Zeit nicht mehr.1

Ich denke, ob Jesus mit der verzweifelten Warum-Frage gestorben
ist oder mit einem letzten, unzerstörten Vertrauen auf Gott, wie er das
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich im Stich gelassen“ subjektiv gemeint
hat, das ist nicht das Entscheidende. Das brauchen wir auch nicht zu
ergründen. Jesus hängt und stirbt am Kreuz mit allen, die vor ihm und
nach ihm fertiggemacht worden sind, mit den Opfern von Gewalt, mit den
Verhöhnten, Gefolterten und Getöteten, mit den gescheiterten Rebellen
und Desperados und mit den wehrlos, schutzlos und ohnmächtig Hingemachten.
Er hängt an der Seite der Leidenden und Gequälten, der zu Tode
Kranken und Sterbenden. Er hängt und stirbt mitten unter denen, die ihre
Hoffnungen begraben mussten, die keine Hilfe, keine Rettung, keine Heilung,
keine Befreiung erfahren, mitten unter denen, die sich nicht helfen, sich nicht
selber retten können. Einer von ihnen ist er geworden, ohne jeden
Vorbehalt. Mit ihnen, für sie schreit er sein „Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich im Stich gelassen:“ Das ist das Entscheidende, darauf kommt
es an.

*

Und nun bleibt da noch der römische Hauptmann, der im Auftrag
des Pilatus die Kreuzigung überwacht und für Ruhe und Ordnung sorgt.
Von ihm heisst es, als er Jesus „so – schreiend – den Geist aushauchen sah,
sprach er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn:“ War er, ausgerechnet er,
der römische Heide, der mit der Exekution Beauftragte, der erste, der die
Wahrheit erkannt und ausgesprochen hat? Sozusagen der erste Bekehrte, der erste
Bekenner, der das spätere Bekenntnis der christlichen Gemeinde
vorweggenommen hat? So ist es in der Geschichte der Auslegung fast durchwegs
verstanden worden. Aber ich habe da meine Zweifel. Zunächst kommt das Wort
„wahrhaftig“ im Markusevangelium nie im Sinne einer positiven Zustimmung vor;
es hat den Unterton des Spöttischen, Ironischen (vgl. 12,14 und 14,70:).
Sodann heisst es gleich danach, der Hauptmann sei zu Pilatus gegangen und habe
ihm pflichtgemäss den Vollzug der Hinrichtung rapportiert.

Vielleicht hat der Hauptmann sein „Wahrhaftig, dieser Mensch war
Gottes Sohn“ also nicht im Sinne einer tief ergriffenen und erschütternden
Erkenntnis gemeint, sondern als zynischen Spott: „Dieser elende, gescheiterte,
jämmerlich schreiende und krepierende Kerl da am Kreuz – seht ihn euch an:
das soll Gottes Sohn gewesen sein“

Wie auch immer der Römer es gemeint hat: Jetzt ist wiederum
der Leser, die Leserin gefragt. Und du? Wer ist er für dich, der da am
Kreuz hängt und stirbt? Erinnerst du dich, wie Jesus bei seiner Taufe eine
Stimme vom Himmel her gehört hat, die Stimme Gottes: „Du bist mein Sohn,
der Geliebte. An dir habe ich Gefallen.“ (Mark. 1,11) Und jetzt: Kannst du in
diesem von allen verlassenen, gedemütigten, nach Gott schreienden,
leidenden und sterbenden Menschen den Sohn Gottes, den Geliebten erkennen? Den
Menschen, in dem Gott selber an die Seite der Gedemütigten, Geopferten
Gescheiterten und Sterbenden getreten ist und sich zu ihnen bekannt hat? Kannst
du in ihm den geliebten Sohn erkennen, in dem Gott die verlorene Welt geliebt
hat? Kannst du das? Und was wird es für Konsequenzen haben, wenn du jetzt
im Blick auf diesen Gekreuzigten zu sagen wagst: „Wahrhaftig, dieser Mensch war
Gottes Sohn“?

*

Liebe Gemeinde, es gehört zum Unbefriedigenden dieser
Predigt, dass ich jetzt abbrechen muss. Eigentlich müssten wir jetzt
weiterlesen, was das Markusevangelium darüber hinaus noch zu erzählen
weiss. Denn wir sind noch nicht ganz am Ende. Dieses Ende ist nicht das Ende.
Die Geschichte endet nicht in Gottesfinsternis. Es kommt noch etwas. Aber es
ist noch einmal etwas ganz anderes, als wir erwarten. Am besten lesen Sie es
für sich: das Ende der Geschichte, das zugleich ihr Anfang ist: „Anfang
des Evangeliums, der Frohen Botschaft vom Messias Jesus, dem Sohn Gottes.“

Wo bist Du, Gott, bei so viel Hunger?
Was tust Du Gott, bei so
viel Elend?
Was sagst Du, Gott, zu so viel Unrecht?
Was tust Du, Gott,
bei so viel Gewalt?
Wo bist Du, Gott, in so viel Not?
Wie hilfst Du,
Gott, bei so viel Tod?
Warum schweigst Du, Gott, bei so viel Schreien?

Warum, Gott, hast Du uns verlassen?

Jesus, Dein Sohn, Gott, hat Dich am Kreuz so gefragt.
Jesus,
Dein Sohn, hat zu Dir geschrien.
Mit lauter Stimme hat er zu Dir geschrien.

Du warst seine letzte, seine einzige Hoffnung.
Gott, was für eine
Antwort wirst Du ihm geben?
Was für eine Antwort wirst Du geben allen,

die zu Dir schreien, deren letzte Zuflucht Du bist?

Jesus, Dein Sohn, hat Dich „Vater“ genannt.
Mit ihm zusammen
rufen wir jetzt zu Dir:
Unser Vater im Himmel…

Klaus Bäumlin ist Pfarrer der evangelisch-reformierten
Kirchgemeinde Nydegg in Bern.


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