Lukas 23,43

Lukas 23,43

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Worte vom
Kreuz
Predigtreihe für die Passionszeit 2000
2. Sonntag der
Passionszeit, Reminiszere

19.3.2000
Lukas 23,43


Ulrich Nembach


Lied 91,1,4,5 – 6

„Wahrlich, ich sage dir:

Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Luk. 23,43)

Liebe Gemeinde,

Gottes Sohn am Kreuz. Tiefer geht es nicht mehr. Das ist das Ende.
Und doch geht es noch tiefer. Er wird verspottet, verlacht, verhöhnt.
Selbst der, der am Nachbar-Galgen hängt, spottet. Der Spott trifft hart,
und er trifft tief. Sie verspotten ihn, weil er anderen geholfen hat. Kann der
Mensch noch gemeiner sein? Einer hilft und wird verspottet! Einer hilft und
wird gehängt!

Da geschieht etwas Unerwartetes. Der Nachbar am Galgen auf der
anderen Seite macht nicht mit, ja, er wendet sich gegen seinen
Mit-Hängenden und bittet Jesum für sich: Jesus, gedenke an mich, wenn
du in dein Reich kommst! (Lukas 23,42). Jesus hilft. Er hilft selbst jetzt
noch.

1. Angesichts dieses Dialoges werden die Theologen heute
merkwürdig schweigsam. Die Kommentatoren des Geschehens, des Textes, die
Fachleute machen nur wenige Worte und flüchten sich in Fachkenntnisse.
Einer erklärt, woher das Wort „Paradies“ kommt (Walter
Schmithals in seinem Kommentar z. St. S 266). Einer verweist auf „den
zeitlichen Aspekt“ und „den räumlichen“ (Gerhard Schneider
in seinem Kommentar z. St. S. 485). Wir kennen Einsilbigkeit bei gleichzeitigem
Gebrauch von Fachsprache, die zum Fach Chinesisch wird. Mediziner flüchten
sich in diese schweigende Form des Redens, wenn sie mit ihrem Latein am Ende
sind. Anwälte haben es nach einem verlorenen Prozeß sehr eilig,
wegzukommen. Theologen reden viel und sagen wenig. Vielleicht sind deshalb
unsere Kirchen so leer. Viele Erklärungen werden für die Leere der
Kirchen gegeben. Die Säkularisation ist schuld, unsere Zeit ist eben nicht
kirchlich, christlich hieß es zunächst. Als diese Rede niemand mehr
überzeugte, weil gleichzeitig Religion überall gefragt ist, geradezu
boomt, da hieß es, es gibt ein Auf und Ab in der Kirche. Die Kirche ist
zur „fremden Heimat“ geworden, so der Buchtitel der
Veröffentlichung einer Befragung. Nur „fremd“ ist die Kirche
geworden, aber „Heimat“ geblieben. Selbst die Frage, warum die Kirche
fremd geworden sei, wird nicht thematisiert.

Liebe Gemeinde, es ist nicht leicht, leere Kirchenbänke
anzupredigen und das Sonntag für Sonntag tun zu müssen. Da brauche
man und frau Ausreden. Nur Jesu Nachbarn, dem zweiten, halfen keine Ausreden
mehr. Er hing am Kreuz, am Galgen.

2. Der andere Nachbar reiht sich ein in den Kreis der Spottenden.
Die, die ihn an den Galgen brachten, lachen. Da lacht er mit. Kann die
Erniedrigung des Menschen tiefer gehen? Müßte ihm das Lachen nicht
im Halse steckenbleiben?

Er und die anderen lachen, weil Jesus anderen geholfen hat und
sich selbst – offensichtlich, wie sie meinen – nicht helfen kann. Die Hilfe
für andere, seine Hilfe für andere, ist unumstritten. Da gibt es
keine Diskussion.

Bei ihrem Lachen merken sie gar nicht, daß er auch jetzt
hilft. Gerade in diesem Augenblick. Er hilft anderen, indem er sich nicht
hilft. Wer anderen wirklich hilft, der gibt etwas von sich. Helfen meint, etwas
von sich wegzugeben. Jener Samariter, von dem Lukas in seinem Evangelium
früher berichtet hat, gibt seine, des Samariters, Zeit und sein Geld. Sein
Zeitplan gerät durcheinander. Er kann nicht einmal Bescheid sagen,
daß er später kommt. Das Handy fehlt ihm. Er packt selbst zu. Er
bezahlt die Heilungskosten. Jesus zahlt noch mehr. Er ist gerade dabei. Er
bezahlt mit seinem Leben. Er bezahlt mit der teuersten aller Währungen.

Unser Text, Jesu Wort am Kreuz und das ganze Gespräch, waren
vor einem Jahr der Predigttext am Karfreitag. Ein Prediger nannte damals Jesum
einen Anwalt (Hans-Gottlieb Wesenick, Predigt über Lk. 23,33-49, in:
Göttinger Predigten im Internet, www.gwdg.de/unembac/archiv/990402.html).
Jesus plädiert für Vergebung, so Jesu erstes Wort am Kreuz,
„Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ und nun
gewährt er Vergebung. Dieser Anwalt geht so weit, setzt sich so für
Menschen ein, daß sein persönlicher Einsatz den Tod
einschließt. „Vollkommene Einheit … zwischen dem Wort und der Tat
des Anwalts“ nannte der Prediger am Karfreitag dieses Geschehen.

Jesus schweigt und redet. Wo er schweigt, ist er zugleich beredt.
Sein Schweigen führt zu seinem Tod. Er folgt nicht den Ratschlägen
der Umstehenden, der spottenden Soldaten und Theologen. Jesus handelt. Sein
Leiden ist sein Handeln und darin seine Hilfe.

3. „Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im
Paradies sein“. „Absolvo te“ – „Ich spreche dich los“,
frei, sagt der Pfarrer nach der Beichte. Er tritt damit in die Nachfolge Jesu.
Das ist von Jesus selbst so gewollt (Mt. 18,18). Das Wort sagt Jesus aber erst,
nachdem der andere Galgen-Nachbar sich an Jesum um Hilfe gewandt hatte. Der
Bitte um Hilfe war das Eingestehen der eigenen Schuld vorausgegangen.

Die Schuld, die eigene, einzugestehen, fällt uns Menschen
schwer, sehr schwer. Da ist das Verstecken von Geld eine „kleine
Dummheit“, ein Fehler, so Roland Koch, Ministerpräsident in Hessen,
und Ruth Wagner, seine Stellvertreterin, stimmt ihm zu. Beide wissen, sie
würden sonst ihren Job, einen gutbezahlten, mit weiteren Vorzügen vom
dicken Auto bis zur schönen, geräumigen Dienstvilla verlieren. Wieder
andere, wie Manfred Kanther, fordern harte Gesetze, aber für andere.
Dasselbe tat und tut Helmut Kohl. Verfassung und Parteiengesetz sollen für
andere gelten, und sie selbst stellen sich vom für alle geltenden Gesetz
frei. Niemandem fällt ein, sich zu entschuldigen, um Vergebung zu bitten.
So schwer wird ihnen, den Politikern, die Beichte. Sie kommt ihnen nicht einmal
in den Sinn, und, wenn sie ihnen doch einmal einfällt, wird sie
kleingeredet, zum „dummen Fehler“ erklärt.

Das Kontrastprogramm dazu erleben wir mit Jesus, seinem Schweigen,
seinem Nicht-Reden und seinen Reden am Kreuz. Etwas davon wurde auch am letzten
Sonntag sichtbar im Vatikan. Der Papst, ein alter Mann, schleppte sich unter
Aufbietung seiner letzten Kräfte zum Kreuz. Er kennt keinen anderen Ort,
er kennt keinen anderen Menschen als den gekreuzigten Jesum. Das ist
„Kreuzestheologie“ wie sie Luther nannte. Der Papst, der mit den
Lutheranern Frieden schloß am 31.10.1999, dem Reformationstag, in
Augsburg, greift Luthers Theologie, Luthers Hinwendung zum Kreuz, das
Kernstück von Luthers Theologie, auf. Er, der Papst, tut das in einem
Bild. Das entspricht unserer heutigen Zeit. Das entspricht der katholischen
Tradition. Sie redet in Bildern, in denen der Barockkirchen
Süddeutschlands, in denen des Vatikans, der Sixtinischen Kapelle u.a.

Die Hinwendung zum Kreuz – so verstehe ich jedenfalls Johannes
Paul II. – ist der letzte Fluchtpunkt für uns Menschen. Dieser Punkt
besteht auch dann, wenn uns kein anderer Fluchtpunkt mehr bleibt. So verstehe
ich auch deshalb Johannes Paul II., weil er die Fastenzeit für seine
Erklärung wählte, und hier den ersten Sonntag und nicht den Beginn
der Fastenzeit, den Aschermittwoch. Der erste Sonntag, der Sonntag
„Invocavit“ in der kirchlichen Redeweise, ist der Sonntag in der
Fastenzeit, an dem Luther 1522 seine große Fastenpredigt seinen
Wittenbergern hielt. Daß der Papst dies nicht gesagt hat, auch nicht
gesagt hat, mag manche und mancher bedauern wie auch das Fehlen anderer
Konkretionen. Das ist richtig, aber erstens kann man nicht alles sagen, zumal
wenn die Beichte einen so langen Zeitraum betrifft. Zweitens ist viel – leider
sehr viel – in dieser Zeit geschehen. Drittens, haben Sie, liebe Gemeinde, von
einer Beichte evangelischer Bischöfe und/oder Theologen gehört?
Machen wir Theologen alles richtig?

Kyrie eleison – Herr erbarme dich.

Amen

Lied 94, 1, 4-5

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
email: unembac@gwdg.de


de_DEDeutsch