Johannes 4,19-26

Johannes 4,19-26

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

Pfingstmontag, 4. Juni 2001
Predigt über Johannes 4,19-26, verfaßt von Peter Kusenberg


Joh 4, 19-26:
Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in
Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr
weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten;
denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter
den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der
Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und
in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der
da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet.

 

Liebe Gemeinde,
um die Anbetung Gottes geht es im heutigen Predigttext aus dem Johannes-Evangelium.
Genauer gesagt, um die wahre – und gemeint ist damit wohl: die richtige
– Anbetung Gottes.
Was fällt mir bei dem Begriff „Anbetung“ ein? Ich denke
an Worte wie Verehrung, Ehrerbietung, Ehrfurcht. Für mich äußert
sich darin ein Gefühl, eine Ahnung, einer höheren Macht nahe
zu kommen. „Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten“
haben wir gesungen. Hier, in der Kirche, in „Gottes Haus“
ist ein Ort der Verehrung, der Anbetung.
„Tritt nicht heran, ziehe die Schuhe von deinen Füßen;
denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ So hörte
es Moses, als Gott ihm in der Wüste im brennenden Dornbusch erschien.
Für Moslems ist es selbstverständlich, die Moschee nur auf
bloßen Füßen zu betreten.

Es gibt Orte, Augenblicke, da wird uns Heiligkeit bewusst. Da gibt
es nichts weiter als sich Neigen vor Höherem, Größerem.
Wir fühlen uns klein und demütig, und manchmal überläuft
unseren Rücken ein Schauer angesichts der reinen Erhabenheit dessen,
was uns begegnet.
Ich meine, es ist deutlich, dass „Anbetung“ etwas anderes
meint als „Beten“ oder „Gebet“. Anbetung hat immer
einen bestimmten Ort oder eine Situation als Auslöser. Das kann
eine Kultstätte sein oder auch eine Person.
Auf zwei solcher Kultstätten spielt Jesus in seinem Gespräch
mit der Frau an: „Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem
Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.“ Der zweite Teil
ist sofort klar: gemeint ist der Tempel in Jerusalem, der Inbegriff
des Heiligtums für sein Volk, die Juden.

Um das andere zu verstehen, muss ich einen Ausflug in die Umgebung
des Bibeltextes machen. Denn in den Versen vor dem Predigtabschnitt
erzählt Johannes, wie Jesus in einer Stadt in Samaria an einem
Brunnen Rast macht. Er trifft eine Frau und bittet sie, ihm zu trinken
zu geben.
Was uns kaum erstaunt, ist in damaliger Sicht unerhört: zwischen
Juden und Samaritanern herrschte erbitterte Feindschaft. Samaritaner
galten den Juden als Heiden, weil sie zur Verehrung Gottes ein eigenes
Heiligtum auf dem Berg Garizim geschaffen hatten. Solche Leute bat ein
Jude nicht einmal um einen Schluck Wasser.
Das ist ja übrigens auch gerade das Besondere an der anderen, besser
bekannten Geschichte vom Barmherzigen Samariter: dass einem von Räubern
halb tot geschlagenen Juden ausgerechnet ein Samaritaner hilft, ein
Feind, und den Jesus deshalb zum Vorbild der Nächstenliebe macht.

Zurück zu der Frau am Brunnen. Sie hat das, was wir eine „bewegte
Vergangenheit“ nennen. Jesus sagt zu ihr: „Fünf Männer
hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.“
Damit galt sie als Sünderin. Doch Jesus klagt nicht an, er stellt
fest. Er sagt die Wahrheit nicht, um zu verurteilen, sondern um zu klären.
Indem er zur Sprache bringt, was die Frau belastet, öffnet er den
Weg, von wichtigeren Dingen zu reden.
Und das tut die Frau. Jetzt, wo sie nicht mehr belastet ist mit dem
Stempel ihrer Männergeschichten, kann sie offen über ihre
Unsicherheit im Glauben sprechen. „Unsere Väter haben auf
diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte,
wo man anbeten soll.“ Sag du mir, wer Recht hat!
Das klingt bei näherem Hinhören bekannt. Der Streit zwischen
Glaubensrichtungen, das Festlegen, wie und wo Gott recht zu verehren
sei, und das Abwerten, ja Verdammen derjenigen, die anders fromm sind
– das ist bis heute geblieben. Nordirland, Palästina, Iran, Afghanistan
zeigen, was geschieht, wenn Glaubenseifer umkippt in religiösen
Wahn und hasserfüllten Fanatismus.
Opfer waren und sind zu allen Zeiten Menschen wie die Frau am Brunnen
– verwirrt, verunsichert, ratlos hin und her geworfen auf der Suche,
wo und was sie glauben können.

„Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem
den Vater anbeten werdet.“ So antwortet Jesus. Weder der Tempel
der Juden in Jerusalem noch das Heiligtum der Samaritaner auf dem Berg
Garizim sind maßgebend, um Gott anzubeten.
Es braucht keine Pilgerstätten und keine Wallfahrtsorte. Nicht
das „Wo“ der Anbetung ist wichtig, sondern das „Wie“.
– „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Weil Gott Geist ist und keine
Person aus Fleisch und Blut, deshalb ist jede Bindung an einen bestimmten
Platz nur etwas Äußerliches.
Doch – und das ist dann die nächste Frage – wie soll es denn aussehen:
Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“? Der Verfasser
des Johannes-Evangeliums sagt: Es ist zuerst einmal Gottes Handeln,
dass er uns seinen Geist schenkt und damit die Möglichkeit, neu
zu werden.

Das Anbeten folgt dann daraus, es geht gar nicht anders. So erklärt
sich die Formulierung „die ihn anbeten, die müssen ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten“. „Müssen“ ist
hier nicht Ausdruck für einen Zwang, sondern beschreibt, was der
Geist Gottes in uns auslöst. Wo eine Quelle entspringt, da beginnt
das Wasser ganz selbstverständlich zu fließen.
Und damit sind wir nun endlich beim Thema Pfingsten. Pfingsten als die
Geburtsstunde der Gemeinde, das Fest der Ausgießung des Heiligen
Geistes. Nur dies Mal nicht in der vertrauten Form des Pfingstwunders
in Jerusalem. Keine große Menschenmenge, keine Apostelschar, die
in allerlei Sprachen zu predigen beginnt, nichts Spektakuläres
– ganz im Gegenteil.
Nur eine einzelne Person – eben jene Frau, die zum alltäglichen
Wasserholen an den Brunnen kommt. Keine Heilige, ganz und gar nicht.
Und dazu noch eine Gegend, die nach offizieller Lehrmeinung als gottverlassen
galt. Dort spricht Jesus die Worte: „Ich bin’s, der mit dir redet.“

Liebe Gemeinde, „Gottes Geist weht, wo er will“. Das ist
ein Satz, der gut klingt, besonders an Festtagen von der Kanzel. Aber
hier, in der biblischen Begegnung zwischen Jesus und der Samaritanerin,
bekommt der Satz auf einmal Leben, wird greifbar und nachvollziehbar.
Natürlich ist unsere Zeit anders, und wir leben in einer ganz anderen
Kultur. Und doch ist hier auch meine eigene Geschichte erzählt.
Auch ich kenne ja dies Gefühl von Betroffenheit, von bangen Gewissensfragen:
Bin ich so, wie Gott mich haben möchte? Kann ich das, was Jesus
im Evangelium von seinen Nachfolgern erwartet?

Wenn ich mein tägliches Leben selbstkritisch betrachte, dann sehe
ich doch, wo ich anderen Menschen etwas schuldig geblieben bin. Ob es
die Angst vor Verletzung ist, ob gekränkter Stolz, oder meine Unfähigkeit,
über den eigenen Schatten zu springen – es kommt so manches zusammen,
was ich versäumt habe, und manches, was ich besser gelassen hätte.
Es hat mit dem Heiligen Geist zu tun, wenn wir so die Wahrheit über
uns selbst erkennen. Dann sehe ich aber auch, was zu tun ist, und dass
ich neu beginnen kann. Nicht aus eigener Vernunft noch Kraft leisten
wir das, sondern weil Gottes Heiliger Geist uns anspricht, mit anderen
Worten: uns in Anspruch nimmt.

Und so habe ich nun zu guter Letzt zwei Dinge, die ich aus dieser eigenartigen
Geschichte des heutigen Predigttextes im Gedächtnis behalten will.
Zunächst das Eine: es ist nicht von Bedeutung, wo wir Gott anbeten,
sondern wie. Es kann mir eine Hilfe sein, wenn von einem Ort oder einer
Situation eine besondere Atmosphäre der Heiligkeit ausstrahlt,
doch es gibt keine Reservate für die Anbetung.
Und das führt zum Zweiten: weil Gottes Heiliger Geist nicht an
Kultstätten thront, sondern das Pfingstgeschenk an uns ist, die
wir seinen Namen tragen, deshalb ist es auch nicht maßgeblich,
wie viel zaghaften, egoistischen, lieblosen Ballast wir mit uns tragen
– sondern was wir Gottes Geist mit uns machen lassen. Ob wir uns ansprechen
lassen von den Worten „Ich bin’s, der mit dir redet.“
Amen.

Peter Kusenberg, Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de

 

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