Markus 12,41-44

Markus 12,41-44

Das „Scherflein der armen Witwe“, unsere Kollekten und der Reichtum Gottes | 8. So. n. Trinitatis | 7.08.2022 | Mk 12,41-44 | Andreas Pawlas |

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Liebe Gemeinde!

Was für eine eindrucksvolle Geschichte, die wir hier aus der Bibel vorgestellt bekommen. Ja, die Rede von einem „Scherflein“ bzw. vom „Scherflein der armen Witwe“ lässt sich aus unserem kulturellen Gedächtnis gar nicht mehr wegdenken. Allerdings muss es verwundern, dass diese starke Geschichte vom hingebungsvollen Spenden trotzdem in unserem Alltag relativ wenig Beachtung findet. Woran mag das liegen? Hat das etwa mit der Frage zu tun, ob und wie weit diese damalige Szene auf heutige Verhältnisse übertragbar ist?

Auf jeden Fall fällt erst einmal auf, dass damals offenbar alles Volk Geld in den Gotteskasten einlegte, also wohl jedermann. Und wie ist das heute? Dabei bitte kein Missverständnis: Für uns als gottesdienstlicher Gemeinde erscheint natürlich auch eine allgemeine Spendenbereitschaft selbstverständlich. Und genauso fühlen sicherlich auch viele im Lande – wie etwa jüngst bei der Ahr-Katastrophe -, dass Spenden irgendwie völlig zu uns gehört. Dennoch darf im Vergleich zu damals eins nicht übersehen werden, Denn selbst wenn wir zur Zeit in Deutschland noch knapp fünfzig Prozent der Bevölkerung haben, die den beiden großen Kirchen angehören, so kommt doch nur ein kleiner Teil der Christenheit zum sonntäglichen Gottesdienst und läuft damit am Gotteskasten vorbei. Es dürften – zumindest im evangelischen Bereich – wohl unter ein Prozent sein, und bis zu vielleicht zwanzig Prozent zu den christlichen Hochfesten. Das sind wirklich nicht viele im Blick auf ein starkes Thema. Trotzdem egal: Auf jeden Fall ihnen allen ein herzliches Willkommen! Denn natürlich muss und darf der Gottesdienst der Ort sein, zu dem jedermann herzlich eingeladen ist.

Allerdings darf dabei das herzliche Willkommen an alle eine Tatsache bezüglich der üblichen Kollekten nicht überdecken: Denn in der Regel wird nach dem Gottesdienst am Ausgang in den Opferstock bzw. Gottes-Kasten kaum mehr gegeben als der Gegenwert von einem Eis am Stiel. Und ich weiss nicht, ob das heute dem Gegenwert von zwei Scherflein entsprechen würde. Bitte, natürlich darf das aber nicht dazu führen, die Kollekten der hoch geschätzten und liebenswerten Kirchentreuen, die die wichtige kirchliche Arbeit durch ihr Kollektengeben dankenswerterweise unterstützen, auch nur irgendwie schlechtzureden. Nein, als bleibende Botschaft dieses Berichtes hat man traditionell zu Recht verstanden, dass auch die kleinste Gabe vor Gott ihren eigenen Wert hat. Und das ist auch gut so.

Allerdings habe ich noch nie beobachten können, dass dabei jemand – so wie die arme Witwe – seine ganze Tagesration gegeben hat. Und das mag nun überleiten zu den Menschen, denen eine Vielzahl von Tagesrationen frei zur Verfügung stehen, also zu den Reichen. Wo bleiben nun eigentlich in der heutigen Zeit die Reichen aus der damaligen Szene? Sind sie nicht meist schon längst aus der Kirche ausgetreten und darum in Kollektenfragen schon garnicht mehr dabei? Nein, das sind keinesfalls alle Reiche. Es gibt ein Vielzahl von Reichen oder auch Wohlbetuchten, die sich der Kirche verbunden fühlen. Und verdienen diese nicht wirklich allen Respekt, weil sie nach wie vor treu die üblichen acht oder neun Prozent Kirchensteuer von ihrer Einkommensteuer bezahlen, weil sie es wohl nach wie vor als einen Akt der Gerechtigkeit akzeptieren, dass ihnen so hohe Beträge von ihrem Einkommen abgezogen und nicht nur den Kassen im Staat, sondern auch der Kirche zugeführt werden? Und wer wüsste nicht, dass das beachtliche Summen sind, auf die die Kirche nicht ohne Not verzichten sollte und könnte? Jedoch, das sind alles gewichtige Themen, die aber an dieser Stelle nicht vertieft werden können.

Dennoch gibt es auf jeden Fall eine Gemeinsamkeit zwischen damals und heute, die Jesus gerade in diesem Bibelwort betont: Offenkundig gilt damals wie heute, dass sowohl die Reichen genauso wie die Besserverdienenden letztlich von ihrem Überfluss geben. Und hier muss ein Moment innegehalten werden. Denn ich höre in unserem biblischen Bericht von Jesus keinerlei Wort darüber, dass dieses sinnvolle und verantwortungsvolle Handeln nachdrücklich untersagt würde. Weiter fällt mir genauso beim genauen Hören auf die Worte Jesu auf, dass er bei dieser armen Witwe keinesfalls ihre Armut hervorhebt, so wie man in manchen Zeiten das Leben in Armut idealisiert hat. Und ebenso ist nicht von Jesus nicht zu hören, dass sie es sei, der man gefälligst durch seine sonntägliche Gabe helfen sollte.

Nein, Jesus weist hier seine Jünger allein darauf hin, dass diese arme Witwe trotz ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt habe, also alles, was sie zum Leben hatte. Und erstaunlicherweise wird dabei noch nicht einmal offen gelegt, wofür nun eigentlich so dringlich die Kollekte im Gottes Kasten bestimmt war.

Wer unter uns hätte sich darum nicht gefragt, wie es verantwortungsvoll sein könnte, alles das, wovon man in den nächsten Tagen leben sollte, so einfach wegzugeben. Ja, sie hätte doch sogar ihre Gabe von den zwei Scherflein teilen können und nur ein Scherflein als Kollekte geben können und so den Rest für den eigenen Lebensunterhalt behalten können! Also nein, das kann doch wirklich kein verantwortungsvoller Umgang mit dem sein, was wir zum Leben brauchen. Kein Wunder, dass man sich hier eben vielfach mit der schon herausgestrichenen Botschaft zufrieden gibt, dass auch die kleinste Gabe vor Gott ihren eigenen Wert hat.

Allerdings frage ich mich, ob wir mit all diesen vollkommen richtigen Wahrnehmungen und Überlegungen den Kern dessen getroffen haben, was uns Jesus im Blick auf das Scherflein der armen Witwe eigentlichsagen will.

Denn warum wohl wurde nicht angegeben, für welchen Zweck nun eigentlich die Kollekte im Gottes Kasten bestimmt war? Ob das damit zu tun hat, nachdrücklich Abstand zu nehmen von heutigen und wohl auch damals populären Denkweisen?

Denn in den Kulturen der alten Welt war es selbstverständlich, die Gottheiten durch Opfergaben zu besänftigen und sie gefälligst zu Nothilfen jeglicher Art zu bewegen. Aber davon ist in dem Gleichnis nicht die Rede. Es wird eben nicht berichtet, dass die arme Witwe etwa für eine schlimme Schuld einzustehen hatte oder inbrünstig um Wohlergehen bat.

Im Gegensatz zu den Denkweisen der Alten Welt scheint nun heutzutage der Spendenzweck im Vordergrund zu stehen. Und für uns scheint es heutzutage völlig plausibel – und führt ja so manches Mal auch zu beinahe so umfangreichen Erläuterungen wie die Predigt -, dass mehr Kollekte gegeben wird, wenn jeder weiss, für welchen wirklich guten Zweck die Kollekte bestimmt ist. Ja, eigentlich weiss das jeder, der eine Spende erbittet, und jede Spendenorganisation, dass in unseren Zeiten die Zweckbestimmung für Spenden der entscheidende Impulsgeber ist, und dass Spenden wohl auch sonst gar nicht von der Steuer abzusetzen sind.

Jedoch, wenn ich nun das Prinzip des Opferstocks bzw. des Gotteskastens richtig verstanden habe, so wird dieser Behälter in diesem Gleichnis nicht ohne Grund als Gottes-Kasten bezeichnet. In unserem Bibelwort wird auf jeden Fall nicht von einem Armen-Kasten geredet oder von einem Umwelt-Kasten oder von einem Kinder-Kasten, sondern allein von einem Gottes-Kasten. Dabei steht natürlich völlig ausser Frage, dass alle diese Spenden-Themen aus christlicher Barmherzigkeit zu Recht zu bedenken sind und dass auch entsprechende Spenden zweifellos erfreulich sind.

Und dennoch lässt mich nicht los, dass hier allein vom Gottes-Kasten die Rede ist. Aber wer würde hier denn denken wollen, dass Gott etwa besonders bedürftig, und auf unsere Gabe angewiesen sei? Oder dass Gott in besonderer Not steckte, die er ohne unsere Hilfe einfach nicht bewältigen könnte, weshalb er unser Mitleid und unsere Spendenfreudigkeit besonders erregt? Nein, das ist doch alles grotesk. Denn Gott ist weder bedürftig noch auf unsere Hilfe angewiesen.

Ich frage mich hier vielmehr etwas ganz anderes: Könnte es nicht  sein, dass bei der armen Witwe bei ihrem Besuch im Hause Gottes etwas geschehen ist? Könnte es nicht tatsächlich sein, dass sie von Gottes Nähe unvermittelt derart erfüllt, beglückt und dankbar worden ist, dass sie schlicht nichts anderes konnte, als ihm alles Wertvolle, was sie hatte, dankbar zu schenken?

Könnte es etwa sein, dass die arme Witwe unvermutet im Hause Gottes von der Gewissheit erfüllt worden ist, dass sie und ihr ganzes Leben wirklich von Gottes Güte gehalten und durchdrungen ist und dass daher alle Zukunft und alle Gaben ganz bestimmt aus Gottes Hand zu uns kommen. Irgendwie. Unplanbar. Aber gewiß! Ja, was wäre das für ein Vertrauen!

Darum könnte ich mir vorstellen, dass Jesus genau deshalb seine Jünger zu sich ruft, um sie auf diesen wunderbaren Glauben aufmerksam zu machen. Und ohne jetzt auch nur irgendein Wort gegen alles verantwortungsvolle Sorgen und Planen und gegen das Wirtschaften mit Geld und das redliche Spenden zu sagen, für mich hört es sich so an: ein solcher Glaube ist einfach mehr. Er geht über Armut und Reichtum hinaus und schaut erwartungsvoll und froh in die Zukunft. Es geht bei ihm um alles. Das ganze Leben und Sterben. Zeit und Ewigkeit. Alles aus Gottes Hand und in Gottes Hand. Und das ist doch wunderbar!

Und damit verlassen wir die kleine Szene vor dem Jerusalemer Tempel, wo es rein äußerlich nur um das Kollektegeben zu gehen scheint, und schauen in unsere heutige Gegenwart. Könnte es auch jetzt so sein, dass uns Jesus hier und heute genauso den Blick für diese einfach wunderbare Glaubensgewissheit öffnet wie damals seinen Jüngern? Könnte es auch jetzt und hier so sein, dass uns allein eine Ahnung von dem, was Herrlichkeit Gottes bedeutet, alle Maßstäbe verrückt? Könnte es auch jetzt und hier so sein, dass allein eine Ahnung von dem, was Güte Gottes bedeutet, uns ganz erfüllen und erhellen kann – seien wir jung oder alt, gesund oder krank, arm oder reich. Denn das ist doch einfach unbezahlbar!

Unser Herr Jesus Christus öffne uns dafür, dass auch wir wie die arme Witwe von solcher Erfahrung angerührt werden können und in ihr dann froh und dankbar leben, jetzt und in Ewigkeit!. Amen.


Pastor i. R. Prof. Dr.
Eichenweg 24

25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop
Andreas.Pawlas@web.de
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