2. Advent, 04.12.2016

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2. Advent, 04.12.2016

Predigt zu Matthäus 1-1:24 | verfasst von Suse Guenther |

Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus. Und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei, seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen, aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere. Und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang.

Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.

Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

 

Liebe Gemeinde!

Am vergangenen Sonntag, dem ersten Advent, habe ich mit dem Hintergedanken einen besinnlichen Abend zu erleben, ein Adventskonzert angehört.

Besinnlich war dann nicht das Konzert als solches, das habe ich, zum ersten Mal in meinem Leben, mittendrin wieder verlassen. Zur Besinnung hat es mich trotzdem gebracht.

Es machte mich nachdenklich, dass Dirigent und Veranstalter mit vollem Orchester keine Bemühung gescheut haben, nur ja jede Einkehr zu verhindern. Mit aller Kraft die Besinnlichkeit verscheuchen, das hätte ich mir am Sylvestertag gefallen lassen, erschien mir aber am ersten Advent merkwürdig.

Als ich dann allerdings den heutigen Predigttext gelesen habe, in dem Matthäus Jesus  das Weltende mit gewaltigen Worten beschreiben lässt, Krieg und Kriegsgeschrei ankündigen lässt, dann erschien mir die gehörte Musik angemessen. Es ist wohl doch so, dass wir Menschen den Advent unserer jeweiligen Zeit und Stimmung anpassen.

Wer, wie die ersten Christen, in der unmittelbaren Erwartung der Wiederkunft Christi lebt, der rechnet jeden Tag damit, dass alles zu Ende sein kann.

Wer, wie die Menschen unserer Gegenwart, von allzu trüben Gedanken ablenken will, dem wird eine lärmend – fröhliche Adventsmusik entgegenkommen.

Auch in unsren Tagen gibt es wieder viele, die angesichts der weltweiten Schrecken das Weltende unmittelbar bevorstehen sehen. Und tatsächlich haben Menschen ja längst Waffen erfunden, mit denen sie die Welt auf einen Schlag vernichten könnten. Seit über einem Jahr sehen wir die entsetzlichen Bilder aus Syrien und verstehen nicht, warum weltweite Politik dem keinen Einhalt gebieten kann.

Dies allerdings haben Menschen zu allen Zeiten erlebt. Und sicher auch immer wieder auf ein Weltende hingedeutet. Ob in den Pestepidemien des Mittelalters, in den Schrecken des 3o jährigen Krieges, der ganz Europa dem Erdboden gleich machte, ob in den Vertreibungen, die durch den zweiten Weltkrieg ausgelöst wurden: Wie sollte man da noch Hoffnung haben, dass es irgendwie weitergehen würde. Im Gegenteil: Die Hoffnung mag gerade darin bestanden haben, dass alles möglichst schnell zu Ende sein würde.

Nun ist aber unser heutiger Predigttext, der auf den ersten Blick wie eine Prophetie für die unmittelbare Zukunft wirkt, in Wirklichkeit ein Rückblick. Das Matthäusevangelium ist etwa 80 nach Christus aufgeschrieben. Matthäus bezieht sich, wenn er Jesus von den Schrecken des Krieges berichten lässt, auf den jüdischen Krieg, der bereits 10 Jahre vorher stattgefunden hat und für die Christen absolut traumatisch gewesen ist. Denn im jüdischen Krieg, in dem auch Jerusalem und der Tempel völlig zerstört wurden, gerieten die Christen zwischen die Fronten: Es kämpften Römer gegen Juden. Und beiden Gruppierungen waren die Christen ein Dorn im Auge.

Wenn sich die beiden Kriegsparteien in irgendetwas einig waren, dann darin, dass die Christen der erklärte gemeinsame Feind waren.

All das, was Matthäus im Predigttext beschreibt, ist bereits geschehen. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben, ein Volk hat sich gegen das andere erhoben, die Christen sind getötet worden, sie sind gehasst worden um  ihres Bekenntnisses für Jesus Christi willen, es hat Hungersnöte und Erdbeben gegeben. Matthäus kann so eindringlich beschreiben, weil er es erlebt hat. Er ist Zeitzeuge. Er findet Trost darin für sich und seine Zeitgenossen, das er sich daran erinnert: Jesus wird wiederkommen. Wenn alle all das Schreckliche, das um uns herum passiert, uns alle auslöscht, dann bedeutet das zugleich auch, dass wir wieder mit Jesus zusammen sein werden. Ja, alle die, die  grausam getötet wurden, sind bereits mit Jesus zusammen.“ Darum haltet durch und lasst Euch nicht von falschen Propheten verführen. Denn wer durchhält bis ans Ende, der wird selig werden.“

Es ist viel Zeit vergangen, seit Matthäus sein Evangelium aufgeschrieben hat.

Menschen haben gewartet. Haben Schreckliches ausgehalten. Sind getötet worden. Als Paul Gerhardt die Worte geschrieben hat, die wir eben gesungen haben, dann weiß er, wovon die Rede ist. ER hat es erlebt:

„Das schreib dir in dein Herze, du hoch betrübtes Heer,

bei denen Gram und Schmerze, sich häuft je mehr und mehr.

Seid unverzagt, ihr habet, die Hilfe vor der Tür,

der eure Herzen labet und tröstet steht allhier.“

Paul Gerhard hat dieses Lied mit all seinen eindrücklichen Strophen 1653 geschrieben. Auch dies also ein Rückblick. Der Dreißigjährige Krieg, in dem sich Gram und Schmerz gehäuft haben und die Menschen zum hochbetrübten Heer gemacht wurden, war 1648 beendet. Immer noch lag Europa in Schutt und Asche. Aber die unmittelbaren Kriegshandlungen waren beendet. Das Weltende ist nicht eingetreten. Millionen wurden getötet, Paul Gerhardt war nicht dabei, wohl aber seine gesamte Familie. Er kann rückblickend schreiben, als Zeitzeuge:

„Was fragt ihr nach dem Schreien, der Feind und ihrer Tück?

Der Herr wird sie zerstreuen, in einem Augenblick.

Er kommt, er kommt der König, dem wahrlich alle Feind, auf Erden viel zu wenig zum Widerstande seind.“

 

Menschen haben gewartet. Haben das unmittelbare Weltende erwartet. Viele sind dabei gestorben, dem Herrn entgegengegangen, auf den sie gewartet haben. Andere haben überlebt. Haben es weiter mit dem Leben aufgenommen. Aufnehmen müssen.

Im Advent üben wir uns jedes Jahr aufs Neue symbolisch  ins Warten ein. Ins Warten trotz allem.

Und wir üben uns ins Leben ein. Ins Leben trotz allem.

Das eben wäre nicht in Jesu Sinn gewesen, dass wir nun mit dem Leben abschließen und uns an den Tisch setzen und warten, bis er uns holt.

Auch hierzu hat Paul Gerhardt in seinem Lied etwas zu sagen:

„Das schreib dir in dein Herze, du hochbetrübtes Heer, bei denen Gram und Schmerze, sich häuft je mehr und mehr.

Seid unverzagt, ihr habet, die Hilfe vor der Tür,

der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier.“

 

Über die Jahrtausende hinweg haben wir es gelernt, dass das Weltende nicht so unmittelbar eingetreten ist, wie Matthäus es noch erwartet hat. Aber immer wieder haben Menschen aushalten müssen, dass das, was ihr persönliches Leben ausmachte, zu Ende war.

Und haben in diese Situation hinein die Botschaft erhalten: Seid unverzagt, Jesus, der euch helfen und trösten will, steht vor der Tür.

Habt keine Angst. Das Leben geht weiter. Hier auf Erden und später für immer.

Dazu will Jesus helfen. Er will, dass wir leben. Und dabei können wir Menschen uns gegenseitig beistehen. Wir, die wir in Häusern leben und in Sicherheit, denen, die alles verloren haben und  die nirgendwo mehr dazu gehören.

Auch wir sind Zeitzeugen. Zeugen für unsere Zeit. Was werden wir rückblickend einmal denen sagen können, die nach uns kommen?

Wie erlebe ich meine Zeit? Wie lebe ich in meiner Zeit? Wo finde ich in meiner Zeit Hilfe und Trost? Welche Hoffnung habe ich? Wie gebe ich diese Hoffnung weiter?

Mag sein, dass so manchen genau das aufrichtet: Eine lärmend-fröhliche Adventsmusik.

Mir wird im Warten des Advents und in meinem ganzen Leben  eine Botschaft besonders wichtig, das ist die Hoffnung, die ich habe und die ich weitergeben möchte: Maranatha: Unser Herr kommt.

AMEN

 

 

Pfarrerin Suse Guenther
Zweibrücken
E-Mail: s.guenther@evkhzw.de
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