2. Korinther 13, 11-13

2. Korinther 13, 11-13

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Trinitatis, 26.

Mai 2002
Predigt über 2. Korinther 13, 11-13, verfaßt von Dietz Lange


Liebe
Gemeinde!

Vor einigen Jahren besuchte ich einen alten, mir gut bekannten Pfarrer.
Er erzählte mir tief bekümmert, dass sein Enkelsohn, an dem
er sehr hängt, zum Islam konvertiert sei. Der sehr intelligente
junge Mann hatte im Studium moslemische Freunde gewonnen. Die haben
ihn davon überzeugt, dass das Christentum nicht die wahre Religion
sein könne. Denn die Christen glaubten ja nicht an den einen wahren
Gott, sondern an drei Götter, so sagten sie: an Gott den Vater,
Gott den Sohn und Gott den Heiligen Geist. Wenn Sie Muslime kennen,
haben Sie so etwas vielleicht auch schon zu hören bekommen. Es
ist gar nicht so leicht, darauf eine plausible Antwort zu geben. Wenn
nämlich die klassische christliche Lehre von drei göttlichen
Personen spricht, die eine Einheit bilden sollen, dann hat man erst
einmal den Eindruck, dass die Muslime mit ihrer Kritik Recht haben.
Und wenn manche heutige Theologen mit Hilfe der Dreieinigkeitslehre
die Vielzahl der christlichen Konfessionen oder gar der Religionen erklären
wollen, dann verstärkt sich dieser Eindruck noch.

Haben Sie jetzt keine Sorge, dass ich Ihnen statt einer Predigt eine
Vorlesung über die Dreieinigkeits- oder Trinitätslehre halten
will. Das wäre eine hochkomplizierte Angelegenheit. Die könnte
zwar durchaus interessant sein, würde aber so viel Zeit brauchen,
dass Sie heute kein Mittagessen mehr bekämen. Es genügt zu
sagen, dass die Begriffe, deren sich die Kirchenväter bei der Ausbildung
dieser Lehre bedient haben, ursprünglich eine andere Bedeutung
hatten; für uns heute sind sie missverständlich. Überhaupt
ist uns die ganze Denkweise der alten griechischen Philosophie, in der
sie zu Hause waren, fremd geworden. Es gibt aber einen überraschend
einfachen Weg, trotzdem zu einer Antwort auf die Frage zu kommen, was
Dreieinigkeit Gottes bedeutet. Man braucht nämlich nur auf die
Wurzel dieser Lehre zurückzugehen. Die finden wir in der Bibel
– unter anderem in den Sätzen des Paulus, die ich eben vorgelesen
habe. Da geht es überhaupt nicht um ein Dogma, noch dazu ein kaum
verständliches, sondern um ganz einfache Aussagen unseres Glaubens.

 

Damit sind wir eben nicht im Hörsaal, sondern wieder im Gottesdienst
der Kirche angekommen. Paulus schreibt seiner Gemeinde in Korinth am
Schluss seines Briefes einen Satz, den ich heute, einem alten Brauch
folgend, schon vor Beginn der Predigt gesprochen habe: „Die Gnade
unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit euch allen“. Vielleicht klingt dieser
Satz für manche von Ihnen wie pure lebensfremde Kirchensprache,
zumindest aber durch den häufigen gottesdienstlichen Gebrauch abgenutzt
und zur bloßen Formel erstarrt. In Wirklichkeit aber enthält
er in geballter Form praktisch alles, was für unser Leben vor Gott
wichtig ist. Was ist da gemeint?

Zunächst: Von Gott ist nur einmal die Rede. Auf die Idee, die
Christen glaubten an drei Götter, kann man da gar nicht kommen.
Noch auffälliger ist, dass jener feierliche Satz gar nicht mit
Gott beginnt, sondern mit Jesus. Also nicht „Vater, Sohn und Heiliger
Geist“, wie wir das gewohnt sind, sondern Jesus Christus, Gott
und Heiliger Geist. Nicht, dass Paulus mit den Begriffen herumspielen
würde oder dass ihm die Reihenfolge egal wäre. Dazu ist das,
wovon er spricht, viel zu ernst. Er fängt mit Jesus an, weil er
Gottes Bote war. Durch ihn redet Gott mit uns. Durch ihn lässt
er uns wissen, was er von unser Lebensführung erwartet. Durch ihn
teilt er uns aber zugleich seine bedingungslose Gnade, d. h. seine Vergebung
mit. Mehr noch: Gott gibt uns das alles nicht nur zur Kenntnis, sondern
er rührt uns durch Jesus im Innersten an. Er macht uns seiner Vergebung
gewiss. Das ist das Erste, was uns der Segenswunsch am Schluss des 2.
Korintherbriefs zuspricht: „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi
sei mit euch allen“.

Paulus gibt sich also nicht mit allen möglichen Gedankenspielen
ab, wie der ferne, unsichtbare Gott wohl aussehen könnte oder was
für einen Charakter er wohl haben könnte. Er spricht von Gott
so, wie er uns durch Jesus begegnet. Dadurch, dass Jesus uns Vergebung
unserer Schuld zuspricht, erschließt sich uns Gottes Herz: Gott
ist nichts anderes als Liebe. Damit öffnet sich ein weiter Horizont.
Jetzt ahnen wir, dass Gott uns überhaupt und immer liebt. Zwar
nehmen wir auch ohne Jesus wahr, dass er uns mit Nahrung und allem,
was wir zum Leben brauchen, versorgt, dass er uns Menschen schenkt,
die uns verstehen, dass er uns vor Krankheit und Unfällen bewahrt.
Aber auch die Entbehrung kommt von Gott, auch die Einsamkeit, die Krankheit
und schließlich der Tod. Unser Leben in der Welt ist von tiefer
Zweideutigkeit durchzogen. Solange wir gesund und der Zuneigung von
uns nahe stehenden Menschen gewiss sind, finden wir viel Anlass, Gott
zu danken. Aber wohl jeder von uns kennt auch Momente in seinem Leben,
in denen Gott uns in tiefem Dunkel lässt. Dann finden wir nur noch
Grund, ihn anzuklagen. Erst durch Jesus ahnen wir, dass auch hinter
den Rissen und Brüchen unseres Lebens Gottes Liebe steht, die uns
gegen allen Anschein nicht verlässt. Darum lautet der zweite Teil
des Segenswunsches: „Die Liebe Gottes sei mit euch allen“.

 

Gottes Liebe bleibt nun nicht bloß in unerreichbarer Höhe
über uns schweben, sondern sie wird in uns wirksam. Das meint der
Ausdruck Heiliger Geist: Gottes Wirksamkeit in uns. Liebe aber ist immer
etwas, das verbindet – zuerst mit Gott und dann mit anderen Menschen.
Darum spricht Paulus von der Gemeinschaft, die durch den Heiligen Geist,
den Geist Gottes, gestiftet wird. Gemeinschaft heißt Frieden zwischen
uns, den Christen, die an ihn glauben, und darüber hinaus mit allen
Menschen. Darum heißt es drittens: „Die Gemeinschaft des
Heiligen Geistes sei mit euch allen“.

Wir bekommen also mit Gott auf dreierlei Weise zu tun. Zuerst mit seiner
Vergebung durch Jesus Christus. Daraufhin erkennen wir seine Liebe in
den guten und schweren Zeiten unseres Lebens. Schließlich nehmen
wir Gottes Liebe als eine in uns und durch uns wirksame Kraft wahr.
Das ist die Dreieinigkeit Gottes. Damit ist klar: Es handelt sich bei
der so rätselhaft scheinenden Trinitätslehre ursprünglich
nicht um eine hoch abstrakte theologische Theorie, sondern um eine lebendige
Wirklichkeit.

Dann wird auch begreiflich, wieso Paulus seinen feierlichen Briefschluss
mit ganz handfesten Aufforderungen verbinden kann, die das konkrete
Leben der Korinther – und auch unser Leben – betreffen. Zuerst heißt
es: Freut euch. Das leuchtet unmittelbar ein: Wie sollte man sich über
Gottes Güte, die uns hält und trägt, nicht freuen? Dann
folgt: Bringt eure Angelegenheiten in der Gemeinde in Ordnung. Dort
herrschte nämlich heftiger Streit, bittere Rivalität zwischen
verschiedenen Gruppen von Frommen. So etwas ist bekanntlich in der Kirche
noch viel schlimmer als anderswo, weil dabei immer so schnell Fanatismus
und Hass im Spiel ist. Das ist beileibe nicht bloß ein korinthisches
Problem des 1. Jahrhunderts. Wir kennen das nur allzu gut aus unserer
eigenen Gegenwart. Misstrauen und Spannungen zwischen Erweckungsfrömmigkeit
und nüchterneren Gestalten des Glaubens, zwischen evangelischen
und katholischen Formen des Christseins, zwischen streng orthodoxen
und ganz liberalen Theologen sind uns im 21. Jahrhundert völlig
vertraut. Und wie die Rivalitäten, so ist auch der Tratsch in einer
christlichen Gemeinde viel giftiger als überall sonst, weil die
Wurzeln davon mit dem Bewusstsein verknotet sind, vor Gott im Recht
zu sein. Das sind die Angelegenheiten, die dringend in Ordnung gebracht
werden müssen. Dazu hilft die Vergebung, die von Gott kommt. Sie
kann dieses Gewirr auseinander reißen. Sie setzt uns instand,
anderen zu vergeben.

 

Weiter sollen wir einander ermutigen. Denn wir wissen, dass uns die
Liebe Gottes gilt. Sie steht immer im Hintergrund, auch dann, wenn uns
aller Mut zu entschwinden droht. Schließlich sollen wir eines
Sinnes sein und Frieden untereinander halten: Die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes soll unser gemeinsames Leben bestimmen, in der Kirche und darüber
hinaus. Auf diese Weise wirkt sich der dreifache Segenswunsch ganz unmittelbar
auf unser praktisches Leben aus.

Wir waren vom Unterschied des Islam zum Christentum ausgegangen. Er
besteht nicht darin, dass dort von einem Gott, im Christentum dagegen
auf wie versteckte Weise auch immer von drei Göttern die Rede wäre;
so viel ist jetzt klar geworden. Wohl aber besteht das Besondere unseres
Glaubens in der bedingungslosen göttlichen Gnade, die uns durch
Jesus Christus zuteil geworden ist, in der Liebe Gottes, die für
uns leidet und uns darum auch in der Finsternis gegenwärtig ist,
und in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes, die den Hass gegen Andersgläubige
ausschließt und Frieden schafft. Freilich haben wir Christen dies
alles im Lauf unserer Geschichte und auch unseres persönlichen
Lebens immer wieder verraten. Darum lasst uns beten: „Die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei und bleibe mit uns allen“. Amen.

Prof. Dr. Dietz Lange
Platz der Göttinger Sieben 2
37073 Göttingen
Tel. 0551 / 75455

 

 

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