2. Korinther 3, 2-6 (7-9)

2. Korinther 3, 2-6 (7-9)

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost


20.
Sonntag nach Trinitatis, 13. Oktober 2002
Predigt über 2. Korinther 3, 2-6 (7-9), verfaßt von Heinz Janssen

„IHR SEID EIN BRIEF CHRISTI“ – Kirche als Diakonie, einladend,
in lebendiger Auseinandersetzung und Begegnung, immer offen für Veränderung
und Erneuerung

Predigttext (nach der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Fassung
1984)
2 Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen
von allen Menschen!
3 Ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, durch
unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem
Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne
Tafeln, nämlich eure Herzen.
4 Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.
5 Nicht daß wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen
als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott,
6 der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht
des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber
der Geist macht lebendig.
[7 Wenn aber schon das Amt, das den Tod bringt und das mit Buchstaben
in Stein gehauen war, Herrlichkeit hatte, so daß die Israeliten
das Angesicht des Mose nicht ansehen konnten wegen der Herrlichkeit auf
seinem Angesicht, die doch aufhörte,
8 wie sollte nicht viel mehr das Amt, das den Geist gibt, Herrlichkeit
haben?
9 Denn wenn das Amt, das zur Verdammnis führt, Herrlichkeit hatte,
wieviel mehr hat das Amt, das zur Gerechtigkeit führt, überschwengliche
Herrlichkeit.]

Liebe Gemeinde!

„Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause
tragen“, so lautet ein bekannter Ausspruch aus Goethes „Faust“.
Stark sind wir, wenn wir sagen: das habe ich schwarz auf weiß. An
dem, was wir sagen, gibt es dann nichts zu rütteln, ich kann es mit
einem Schriftstück beweisen. Papier ist außerdem geduldig;
es kann Sinn oder Unsinn aufgeschrieben sein – was einmal aufgeschrieben
ist, wirkt sich aus. Ein aufgesetztes Dokument beschert Tatsachen, mit
denen ich leben muss. Ein Zeitungsartikel macht etwas öffentlich,
aufbauend im guten Sinn, zerstörend, wenn er Unwahrheiten bringt.
Ein abgeschickter Brief ist nicht wieder aus dem Briefkasten zu holen,
egal, ob er negativen Inhalt hat oder ein Liebesbrief ist. Ein erhaltener
Brief fordert zur Antwort heraus. Ja, Briefe sind Spiegel unseres Lebens,
sagen aus, was uns bewegt, was uns wichtig ist.

I. Der Apostel Paulus hat den Kontakt mit seinen Gemeinden durch
Briefe gehalten. Diese Briefe waren für die Existenz der jungen Gemeinden
geradezu lebensnotwendig. Unsicherheiten, die die christliche Lehre betrafen,
hat Paulus damit zu klären versucht. Schwarz auf weiß konnten
die Gemeindemitglieder so immer wieder nachlesen, und schwarz auf weiß
liegt uns bis heute vor, mit welchen Problemen die Gemeinden damals sich
auseinandersetzten.

Wort für Wort hören wir in jedem Gottesdienst ein Stück
aus der Bibel. Es wird vorgelesen, was schwarz auf weiß darin geschrieben
steht. Heute morgen ist es anders. Sie haben am Kircheneingang einen Brief
erhalten. Öffnen Sie jetzt den Brief und lesen Sie selbst schwarz
auf weiß, was Paulus an die Korinther schrieb; es ist heute der
Predigttext.

– Zeit der Stille für das Lesen des Briefes –

II. Schauen wir uns einige Gedanken aus dem Briefabschnitt an.
Paulus schrieb:
Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben.
Ihr seid ein Brief Christi,
geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes,
geschrieben auf eure Herzen.

Wir, Du, ich – ein Brief? Was für ein Brief? Diese Frage muss jede
und jeder zuersteinmal für sich selbst beantworten – wie damals in
Korinth. Ein Brief, geschrieben auf eure Herzen. Was steht auf meinem
Herzen? Kann ich es lesen und überhaupt entziffern? Achten wir genug
auf unser Herz? Nehmen wir uns jetzt etwas Zeit dafür.

– Stille –

Schwarz auf weiß – das gibt es in unserem Herz sicher nicht zu
entdecken. Aber Spuren, die sich eingegraben haben. Vielleicht Liebe,
eingebrannt ins Herz, Trauer, die das Herz fast zerrissen hat, Verletzung,
die uns ein Stich ins Herz gab, vielleicht glühende Begeisterung,
die unser Herz leicht werden ließ. All diese Gefühle, die uns
Menschen bewegen, schreiben sich ins Herz ein und können von anderen
Menschen gelesen werden.

Wir sind an dem zu erkennen, was uns bewegt und was wir tun; in unseren
Gesichtern ist es ablesbar. Es ist zu erkennen, wie wir der Welt begegnen
und wie wir einander begegnen. Es ist ablesbar in unseren Augen, wie wir
auf diese Welt schauen und wohin wir unseren Blick richten. Was wir tun
und wie wir es tun, ist unverwechselbar mit uns verbunden, es ist uns
auf den Leib geschrieben, kurz: auf unser Herz.

III. Schwarz auf weiß – wie ein Beweis, ein Dokument? Nein,
darum geht es Paulus nicht. Denn er schreibt (V.6): „Der Buchstabe
tötet, aber der Geist macht lebendig“. Was uns auf den Leib,
auf unser Herz, geschrieben ist, legt uns nicht fest, es kann umgeschrieben
und weitergeschrieben werden; es ist lebendig.

Um im Bild des Briefes zu bleiben: Gott hat uns nicht in einen Briefumschlag
gesteckt, zugeklebt, auf unseren Lebensweg geschickt, dass wir unverändert
am Lebensziel ankommen. Das wäre doch sinnlos. Wir sind offene Briefe,
die gelesen und kommentiert werden dürfen; Briefe, die Antworten
erhalten, im lebendigen Austausch stehen, korrigiert, ergänzt und
verändert werden können. Unser Leben entspricht im Sinne des
von Paulus verwendeten Bildes einem Briefwechsel. Wir stehen als Gemeinschaft,
die wir Kirche und Gemeinde nennen, in Beziehung miteinander und mit Gott;
und wir gestalten sie durch Singen und Beten und dem immer wieder neuen
Versuch, auf Gott zu hören, auf seine Stimme zu achten und uns an
seinen Geboten zu orientieren.

Orgelchoral zum Wochenlied EG 295, 3 Mein Herz hängt treu und
feste an dem, was dein Wort lehrt. Herr, tu bei mir das Beste, sonst ich
zuschanden wird. Wenn du mich leitest, treuer Gott, so kann ich richtig
laufen den Weg deiner Gebot. (Die Gemeinde wird gebeten, die Strophe still
für sich zu lesen.)

IV. Der Apostel erinnert an die Gebote, die Gott uns schwarz auf
weiß, in Stein gehauen, gegeben hat, eine umfassende (Lebens-)Ethik,
die die Grenzen ihres Ursprungs in der israelitischen Religion und Kultur
bald überschritt.

Das Ringen der Menschen mit dieser Ethik finden wir schwarz auf weiß
in der Bibel aufgeschrieben. Aber dabei stoßen wir auch auf manche
Tücken. Wenn wir das, was aufgeschrieben ist, nur nachplappern, ohne
dem Leben schaffenden Geist Raum zu geben, der im Horizont des Evangeliums
gleichsam zwischen den Zeilen wirksam ist, dann werden es bloße
Buchstaben sein, die das Leben hemmen und töten; dann wird auch das
entlastende Evangelium von Christus zum puren belastenden Gesetz. Der
„Brief Christi“ wird geistlos; Buchstaben, Prinzipien, werden
dem Menschen um die Ohren geschlagen oder vor die Augen gehalten, und
so wird verfehlt, was ein Brief eigentlich anstoßen könnte:
die lebendige Auseinandersetzung, um etwas zu klären, und den Wunsch
nach Begegnung und Nähe.

‚Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott“, schreibt
Paulus. Der Apostel betont damit seine Beziehung zu seiner Gemeinde in
Korinth, die er durch den „Geist des lebendigen Gottes“ gegründet
weiß. Der Dienst des Apostels und seiner MitarbeiterInnen im Namen
Gottes war trotz heftiger Widerstände nicht vergeblich.

Auch wir in unserer Gemeinde und Kirche heute sind aufgerufen, dem Wirken
der Geisteskraft Gottes zu trauen. „Denn der Buchstabe tötet,
aber der Geist (Gottes) macht lebendig“ (V.6). So sind wir „ein
Brief Christi“, eine einladende Gemeinde und beziehungsfähige
Kirche; sie spiegelt den Glanz (doxa V.7-9, M.Luther: „Herrlichkeit“,
vgl. Ex 34,29-35) wieder, der allein von Gott kommt, und sie geht ihren
Weg in Glaube, Hoffnung und Liebe.

Amen.

Exegetisch-homiletische Hinweise

Perikopenabgrenzung und Thematik:
Entgegen gelegentlicher Perikopenabgrenzung ist es sinnvoll, Vers
2 miteinzubeziehen. V.2-3 beschreibt der Apostel Paulus in Auseinandersetzung
mit seinen Gegnern anhand des Bildes vom (Empfehlungs-)Brief seine Beziehung
zur Gemeinde und damit sein Gemeindeverständnis. V.4-6 definiert
er seinen apostolischen Dienst, den er auf die Befähigung durch Gott
zurückführt, und verteidigt damit seine Legitimation. Mit V.7
beginnt ein neuer an V.6 (Buchstabe [des Gesetzes/der Thora/der Gebote]/Geist)
anknüpfender Gedankengang, der über V.9 bis V.18 reicht und
die diakonia des Geistes (pneuma – Verkündigung des befreienden/entlastenden
Evangeliums/Neuer Bund Gottes/Gnadenbund mit seinem Volk) und die diakonia
des Todes (thanatos – Predigt des den gottfernen Menschen verurteilenden
und vernichtenden Gesetzes Gottes) in der Gegenüberstellung zum „Alten
Testament“ (3,14) reflektiert (vgl. O.Hofius, Gesetz und Evangelium
nach 2.Korinther 3, in: O.Hofius, Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen
1989, S.75ff.).

Kontext:
Die Perikope, deren theologische Interpretation nach wie vor in vieler
– nicht zuletzt in traditionsgeschichtlicher – Hinsicht umstritten ist,
eröffnet das Briefcorpus (3,1-12,13, dazu U.Schnelle, Einleitung
in das Neue Testament, 2.Aufl., Göttingen 1996, S.96-117).

Zur Situation:
Der Apostel Paulus ringt um die gestörte Beziehung zu seiner
Gemeinde in Korinth und verteidigt seinen Auftrag als Apostel gegen Angriffe,
die sich auch gegen seine eigene Person und damit gegen seine Authentizität
richteten (vgl. 2Kor 10-12). So stellen die Gegner (unter ihnen die in
die Gemeinde eingedrungenen „Superapostel“, 2Kor 11,5; 12,11)
z.B. seine Glaubwürdigkeit in Frage, weil er zunächst seinen
Besuch in Korinth ankündigte, sich dann aber anders entschied und
seine Reisepläne änderte (2Kor 1,12-2,4). Deutlich setzt sich
Paulus von den „vielen“ ab, „die mit dem Wort Gottes Geschäfte
machen“ und weiß sich dem Reden „aus Lauterkeit“
(ex eilikrineias) und „aus Gott“ (ek theou) verpflichtet (2Kor
2,17, vgl. 1,12). Paulus und seine Mitarbeiter verstehen sich nicht als
die Herren über den Glauben der Gemeinde (ouch hoti kyrieuomen…),
sondern als Mitarbeiter der Freude (synergoi taes charas), so wollten
sie in der Gemeinde gesehen werden (2Kor 1,24).

Paulus relativiert in 2Kor 3,1 seine briefliche „Selbstempfehlung“
(1,8-2,17 synistanein = „vorstellen“ vgl. 2Kor 5,12). Es geht
ihm nicht um die Präsentation durch Empfehlungsbriefe (systatikae
epistolae) an die Gemeinde, wie es seine Gegner offensichtlich in extenso
praktizierten. Der Apostel lehnt jetzt solche Praktiken, durch die er
und seine MitarbeiterInnen überboten werden sollten, kategorisch
ab (2Kor 3,1; vgl. 10,12.18). Stattdessen bezeichnet er seine Gemeinde
als den eigentlichen Empfehlungsbrief, der nicht mit Tinte, sondern mit
dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben wurde und so von allen Menschen
erkannt und gelesen werden kann (2Kor 3,2-9; vgl. 4,2). Was der Apostel
und seine Mitarbeiter taten, war nicht anderes als sich in Gottes und
Jesu Christi Dienst zu stellen und der Gemeinde zu helfen (diakonein,
2Kor 3,3), das Evangelium von Jesus Christus anzunehmen und in seinem
Leben schaffenden Wirkungsbereich zu bleiben.

Mit V.2-3 umschreibt der Apostel das durch Christus gestärkte Vertrauen
(pepoithaesis, V.4, vgl. 1,9.15) zu Gott, dass sein und seiner Mitarbeiter
Dienst in der Gemeinde trotz der bedrängenden und verletzenden gegnerischen
Angriffe nicht vergeblich war (vgl. 6,1). Die zu diesem Dienst (diakonia,
V.7-9) nötige „Kapazität“ (hikanos/hikanotaes, V.5,
vgl. 2,16; 10,18) schreibt Paulus nicht sich selbst sondern allein Gott
zu, aus dem sie ihm und seinen Mitarbeitern zukam und der sie zu „Diakonen“
des Neuen Bundes machte (V.5f., vgl. 6,4-10).

Zur Predigt:
Ich konzentriere mich in meiner Predigt auf das Bild vom (Empfehlungs-)Brief
und damit auf die Verse 2-6: Kirche, Gemeinde als Brief Christi, der wahrgenommen
und „gelesen“ wird. Vermitteln wir es einander in Kirche und
Gemeinde deutlich genug, woher unsere „Tüchtigkeit“/ „Eignung“/“Kapazität“
(hikanotaes) kommt? Worin gründet unsere „Autorität“,
„Legitimation“, „Authentizität“ als kirchliche
MitarbeiterInnen? Sind wir „synergoi/ai taes charas“ (2Kor 1,24)?
Sind wir eine Kirche der „Diakonie“ des lebendigen Geistes Gottes?
(V.3)

Um die Dynamik des Bildes vom (Empfehlungs-)Brief bzw. den Überraschungseffekt
besser nachempfinden zu können, lasse ich den Predigttext als verschlossenen
Brief schon am Kircheneingang austeilen mit der Bitte, den Brief noch
nicht zu öffnen. Dem Segen zum Ausgang (zum „Gottesdienst im
Alltag der Welt“) stelle ich die Apostelworte „Ihr seid ein
Brief Christi“ (V.3) als Sendungswort voran.

Lieder:
EG 454 (Eingangslied) Auf und macht die Herzen weit.- EG 181.6 (Loblied)
Laudate, omnes gentes.- EG 295 (Wochenlied) Such, wer da will, ein ander
Ziel.- EG 262 (Predigtlied) Sonne der Gerechtigkeit.- EG 170 (Schlusslied)
Komm, Herr, segne uns.

Heinz Janssen
Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg
und Lehrbeauftragter für Altes Testament
Evang. Pfarramt Providenz
Karl-Ludwig-Str. 8a
69117 Heidelberg
providenz@aol.com


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