2. Kor 6,1-10

2. Kor 6,1-10

Listenreiche Gnade | Invokavit | 06.03.22 | 2. Kor 6,1-10 | M. Kreis |

1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. 2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; 4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, 8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

Die Liste ist zu lang, liebe Gemeinde, zumal der Text von Paulus genau genommen einige Listen enthält. Manche führen je Zeile ein Wort an, andere warten jeweils sogar mit einem Begriffspaar auf. Was den Durchblick zusätzlich erschwert.

Die eine Liste führt so was wie Tugenden auf. Eine andere enthält das, was einem das Leben schwer macht. Auf gewisse Art eine Todesliste. Weil das Benannte einen bezwingt, wehrlos macht. Was einen belastet und passiv macht, kann entweder von außen kommen, sprich aus der Umwelt oder von Mitmenschen. Oder man ist sich selbst eine Last. Und es entspringt einem selbst, was einen ohnmächtig macht. Also der eigenen persönlichen Untugend, wenn man so will. Eine weitere Liste nennt Wortpaare, die die Lage einer Person beschreiben. Und das in einem Gegensatz wie bei „in Ehre oder in Schande leben“. Das will heißen: Eines der Worte nennt eine gute Lage, das andere die entgegen gesetzte, die wenig erfreulich ist. Die vierte wiederum bezieht sich auf einen solchen Gegensatz: Gutes und Schlechtes, Ehre und Schande, sie stehen zusammen und nebeneinander, aber die Sache löst sich zur erfreulich guten Seite hin auf, hier also zum Leben in Ehre.

Bei der eben so genannten Todesliste geht es um das, was einem das Leben erschwert, was einen wehrlos und ohnmächtig macht. Komme es von außen. Oder erwachse es aus einem selbst heraus. Paulus nennt in seiner Liste folgendes: Bedrängnisse, Nöte, Ängste, Schläge, Gefängnis, Aufruhr, Mühen, Wachen, Fasten. Alle bezeichnen Leiden, die einem im Krieg widerfahren können. So wie jetzt vielen Ukrainern und Russen. Das Wort Krieg würde diese Liste sowieso gut ergänzen.

Schläge und Gefängnis, die stehen für Belastungen, die von außen kommen. Wer geht schon aus freiem Willen ins Gefängnis, wenn er es verhindern könnte? Zu hart das Leben dort. Zu gefährlich für das Wohl von Körper und Geist. Und wer lässt sich gerne schlagen, wenn er es vermeiden könnte? Man weiß ja, was das anrichten, was im Krieg oder in der Familie erlittene Gewalt alles mit einem machen kann. Und aus einem Leben.

Andererseits: Sollen wir nicht die andere Backe hinhalten, wenn uns jemand zwingt oder Gewalt antut? Oder zumindest das Zurückschlagen unterlassen? Zivilen Ungehorsam üben? Und es hat Christen gegeben, die für ihren Glauben ins Gefängnis gegangen sind. Das gab und gibt es bis in unsere Gegenwart. Das machen die Menschen dann freiwillig. Aus freien Stücken und eigenem Zutun. Mit und in Gottes Kraft.

Gar nicht so leicht, zu unterscheiden, was einen von außen belastet und wo man sich selbst zur Last wird. Immerhin ist zu sagen: Für sein Bekenntnis überzeugt ins Gefängnis zu gehen wie Paulus, das kann man nur schwer als eine Art persönliche Untugend brandmarken. Genauso, wie sich bewusst der Gewalt anderer auszusetzen. Oder sich, statt zu fliehen, Zwänge auferlegen zu lassen im Namen Gottes.

Zu fasten ist nun etwas, das garantiert nur von innen kommt. Und etwas, das den meisten sehr schwerfällt. Eine echte Belastung, selbst wenn man es aus freien Stücken macht. Sicher, der Körper passt sich da nach einer gewissen Zeit an. Wenn Paulus vom Fasten redet, dann meint er vielleicht etwas anderes als unser Heilfasten heute. Bei dem viele Getränke ohne Kalorien immer zu Verfügung stehen. Bei dem man jederzeit was zu essen bekommen könnte, wenn man wollte, weil das Angebot einfach da ist. Ob das zu Zeiten des Paulus genauso war? Eher nicht. Fasten fällt schwer. Weswegen es auch viele nicht können, denen Fasten guttun würde. Übrigens ganz abgesehen davon, welcher Dinge man sich enthalten sollte. Das können außer dem Essen noch viele andere lieb gewonnene Beschäftigungen sein. Fasten fällt schwer. Das geht sogar soweit, dass man sagen kann: Wenn es einem leicht fällt, ist es dann noch Fasten? Kann man so was dann noch Fasten nennen?

Die anderen Worte sind doppeldeutig. Je nach Kontext bedeutet jedes Wort ein Leiden, das von außen kommt oder nur aus einem selbst heraus. Nehmen wir das Wort Bedrängnisse. Einer kann bedrängt werden von einem anderen. Man kann da zum Beispiel angebettelt werden. Wie ein Tourist von armen Kindern, wenn er sich verläuft und im falschen Viertel landet. Bedrängnis kann auch heißen, bedroht zu werden. Das Wasser steht einem bis zum Hals. Im schlimmsten Fall durch Krieg oder eine schwere Seuche. Womit ein aktueller Bezug klar ist. Unterwerfe Dich! Schließe doch den Vertrag ab! Wenn Du das nicht machst, wirst Du schon sehen, was passiert. Dann ruinierst Du Dich selbst. Oder schlimmer noch: Es kommen welche, die Dich fertig machen.

Bedrängnis kann aber auch nur aus einem selbst kommen. Einem drängen sich Gedanken auf, die sich besser nicht im Hirn zeigen würden. Die Lust etwas zu unterlassen. Und zwar obwohl man genau weiß, dass das jetzt dran und nötig wäre. Wie zum Beispiel jemanden um Entschuldigung zu bitten. Die Lust etwas zu tun. Die Lust auf einen anderen Partner, obwohl man sich schon versprochen hat und gebunden ist. Die Lust, einem eine runter zu hauen. Oder Gefallen am Quälen und Töten zu finden, mit oder ohne Kriegserklärung. Oder die Gedanken, die kommen, wenn man müde ist und eigentlich Einschlafen dran wäre. Die mahlen und mahlen und wispern und wabern die ganze Nacht. Eigentlich drängt der Schlaf. Aber die Gedanken in einem drin drängen mehr. Ähnlich Doppeltes gilt auch für die Worte Angst, Not, Mühen, Aufruhr.

Eine weitere Liste führt die Tugenden auf. Mit denen begegnet einer dem, was ihm das Leben schwer macht. Rühre es von außen her oder komme es nur aus einem selbst heraus. Gott sei Dank werde ich unter der Last geduldig, spanne, wie ich gerade selber ticke, und stehe dazu, wenn ich danach gefragt werde. Erkenne die wahren Umstände. Kapiere, wie es dem Gegenüber grad geht. Bleibe angesichts der vielen Punkte, an denen es hakelt, mutig. Höre mit Wohlwollen, was mir gesagt wird und äußere mich freundlich in Herz und Tonfall. Wundere mich, dass mir das grad alles gelingt, meinem Körper, meinem Geist. Ich ahne oder kenne schließlich meine Untugenden, Schwächen, Ängste. Schreibe es Gottes Liebe zu. Kann mir das nur mit seiner Arbeit erklären. Die mich in die Gänge bringt, und zwar in die richtigen. Der sich um mich kümmert, obwohl ich ein DAU bin: dämlichster anzunehmender Unchrist. Ein Fall ohne Hoffnung. Doch Gott sei Dank gilt: Gottes Kraft nimmt Wohnung bei den Schwachen.

Dieser Satz kann heißen: Angst wird zu Mut, Verzweiflung zu Hoffnung. Bei einem Menschen wird Schwäche über kurz oder lang in eine neue Stärke verwandelt. Ist ja geradezu zu einem Sinnspruch unserer Zeit geworden. Stichworte: Schöner scheitern. Aus Fehlern lernen. Und zwar so, dass man quasi automatisch sehr erfolgreich wird. Man kennt das ja. Und das mag hin und wieder unter Christen so geschehen. Es kann aber auch sein, dass das anders zu verstehen ist und der Satz trotzdem gilt. Unsere Lebenszeit besteht, recht betrachtet, aus einem Wechsel, einem Hin und Her von Stärke und Schwäche. Und es endet mit dem Sterben. Und wir glauben, Gott hat uns auch in dieser größten Schwäche lieb und steht zu uns. Gottes Kraft nimmt Wohnung bei den Schwachen. Das kann dann ebenso heißen: Meine Schwäche, mein Leiden und auch mein Sterben, das macht dank Gott andere stark fürs Leben. An dem, was mich unmenschlich belastet, sehen diese nämlich, was unter Menschen nicht sein soll. Und dagegen arbeiten und kämpfen sie an. Und verändern so Stück für Stück die Welt. Anfangs unsichtbar und klein. Und deswegen später ungeahnt effektiv. Sie ändern die Umstände. Oder sie bringen Mitmenschen auf neue Gedanken und neue Wege.

Der schwache Paulus mag immer wieder auch mal persönliche Stärke neu gewonnen haben. Genauso entscheidend oder auch mehr war aber folgendes: Er hat trotz seiner Schwächen und mit seinem Leidensweg in den Urgemeinden posthum die Nachfolger gefunden, die seine Botschaft Gottes weitergetragen haben. Und nicht seine Gegner, die Großsprecher von Korinth und anderen Städten. Das ist die List der Gnade. Sie spurt mit aller Macht ihren Weg. Unsichtbar, und deswegen ungeahnt effektiv. Denn Gottes Kraft nimmt Wohnung bei den Schwachen. Das kann auch heißen: Gott macht andere stark und nimmt meine Schwachheit zur Hilfe. An dem, was Menschen unmenschlich belastet, erkennen diese anderen nämlich: Dies oder das ist nach Gottes Willen jetzt zu tun. Und arbeiten gegen diese Beschwernis und für ein anderes gutes neues Leben.

Wenn das Leben der Menschen laufend zwischen Stärke und Schwäche pendelt, dann leuchtet die zu Anfang an dritter Stelle genannte Liste ein. Die mit den Wortpaaren, die einen Gegensatz ausdrücken. Denn wie vorhin gesagt gilt: Gottes Gnade verwandelt unsere Schwächen gar nicht, oder nicht sofort oder nur indirekt in schöne Erfolge für uns. Dann mag das Leben eines Menschen, sei er zum Beispiel Ukrainer oder Russe, seinem Gegenpart doppeldeutig erscheinen. Oder gar nur miserabel. Vielleicht sogar dem im Fokus stehenden selbst. Als eines in Ehre und in Schande, in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig. Wenn sich eine persönliche Schwäche in Stärke verwandelt, dann erntet man oft den Respekt der Umwelt. Und wird auch gerne zum Thema bei Gesprächen gemacht. Wenn einer seiner persönlichen Schwäche verhaftet bleibt und dabei erwischt wird, dann wird er genauso gerne herabgewürdigt. Seine Aussagen über Gott oder sein Weltbild gelten dann vielen als barer Unsinn. Sein Glaube als nur vorgespielt. Das kennt die Christenheit. So ging und geht es zu, wenn Christen andere vom Glauben überzeugen und diese dann einen Leidensweg begehen müssen. Dann sind die Christen schuld.

Und nun zu der anfangs an vierter Stelle genannten Liste. Ein Wortpaar im Gegensatz wird aufgelöst zum guten Ende hin. Die Doppeldeutigkeit des eigenen Lebens macht einem im Glauben weniger aus. Das gilt auch, wenn sein Leben als eindeutige Misere dasteht. Wenn er seiner Schwäche verhaftet bleibt. Nach außen nur wenig bis gar nicht von Gottes Gnade profitiert. So wie jeder, dem das Leben Opfer abnötigt. Sowie viele wehrlose und wehrhafte Opfer des Kriegsgebiets im Osten Europas. Deren Leidensweg gibt anderen Menschen mit Gottes Gnade Anlass und Grund, stark für ein gutes Leben zu werden, gegen unmenschliche Lasten zu arbeiten. Und Stück für Stück eine bessere Welt zu erkämpfen. Unsichtbar, und deswegen ungeahnt effektiv. Das bleibt den Opfern. Ein schwacher Trost? Vielleicht erscheint er nur schwach, wenn es das Leben mit einem bisher noch recht gut gemeint hat. Oder wenn man seiner eigenen Schwachheit nicht offen ins Auge sehen kann. Und sich lieber als Held verklärt. Schwacher Trost, Gottes Kraft nimmt Wohnung bei den Schwachen, starker Trost. So Gott spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

Gottes Kraft nimmt Wohnung bei den Schwachen. Wer diesen Satz glaubt, der ahnt und bittet um die listenreiche Gnade. Selbst wenn einer persönlich kaum davon profitiert, sondern andere oder gar unbekannte Dritte. Alles wird gut. Und zwar auch dann, wenn einer allein oder mit anderen wenig dazu getan hat. Oder sogar dagegen gelebt und gearbeitet hat. Wenn einer verkannt wird mit seinem Glauben, reicht es ihm, wenn Gott ihn in Wahrheit kennt. Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, vertraut er auf Gottes Beistand, sei es zum Leben oder zum Sterben. Wenn jemand Verluste betrauert, erfüllt ihn Gott zu jeder möglichen oder unmöglichen Zeit mit neuer Freude am Leben. Alles wird gut, auch wenn es böse aussieht und ein jeder seinen Teil zu der vertrackten Lage beigetragen hat. Dank Gottes listenreicher Gnade. Die unsichtbar ihren Weg spurt mit aller Macht. Amen.

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OStR Markus Kreis

69469 Weinheim

E-Mail: markus-kreis@t-online.de

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