2. Petrus 1, 16-19

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2. Petrus 1, 16-19

 


Letzter Sonntag nach Epiphanias,
20. Januar 2002
Predigt über 2. Petrus 1, 16-19, verfaßt von Peter Kusenberg

16 Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch
kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern
wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
17 Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme,
die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe.
18 Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit
ihm waren auf dem heiligen Berge.
19 Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass
ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.Liebe Gemeinde,

ich behaupte: Menschen glauben gern an Fabeln und Märchen. Und ihr
Glaube daran ist unabhängig vom Alter und von der Zeit, in der sie
leben.

Vielleicht möchte jemand widersprechen und dagegen halten: „Unabhängig
von Zeit und Alter? Das stimmt doch nicht. Früher wurden doch viel
mehr Märchen erzählt oder gelesen als heute. Und Märchen
sind doch etwas für Kinder, aber nicht für Erwachsene.“

Aber ich bleibe dabei: Auch heute, im Zeitalter der bemannten Raumstationen
und der weltweiten Computernetze glauben Menschen aller Altersstufen gern
an Märchen. Es sind allerdings nicht mehr die Volksmärchen der
Brüder Grimm oder von Hans Christian Andersen, sondern moderne Fabeln
und Märchen.

Ich nenne ein paar Beispiele dafür. Die Geschichten um den jungen
Zauberlehrling Harry Potter – als Bücher und inzwischen auch verfilmt
ein Millionenerfolg: ein Märchen. Ebenso steht es mit dem „Herrn
der Ringe“: ein Märchen.

Nicht nur in den USA gibt es die Freizeit- und Märchenparks für
die ganze Familie, und auch viele so genannte „Fantasy“-Computerspiele
sind moderne Märchen, in denen sogar mitspielen möglich ist.

Ich könnte die Aufzählung von Beispielen noch beliebig fortsetzen.
Doch es reicht wohl, um zu erkennen, dass sich zwar die Gestalten und
die Schauplätze gewandelt haben, dass aber die Freude und der Glaube
an Märchen heute ebenso vorhanden sind wie zu früheren Zeiten.

Was hat das nun mit dem Predigttext zu tun? Folgendes: Sind vielleicht
auch die Geschichten um Jesus Märchen? Sind die Berichte in den Evangelien
etwa auch sagenhafte Überlieferungen? Könnte es nicht sein,
dass der ganze christliche Glaube nichts weiter ist als das Für-Wahr-Halten
von „ausgeklügelten Fabeln“, wie es der Predigttext ausdrückt?

Fragen, die sich nicht so einfach vom Tisch wischen lassen. Und wir
sehen, dass diese Fragen schon im frühesten Christentum laut werden.
Es sind also nicht nur Fragen, die als skeptischer Vorwurf von außen
an die Christengemeinde kommen, sondern auch Fragen, die ihre Wurzel in
inneren Glaubenszweifeln haben.

Ich bin sicher, dass viele von uns so manchmal ihre Schwierigkeiten haben
mit den unglaublichen Dingen, die von Jesus überliefert sind: Wasser
in Wein verwandeln, Kranke durch ein Wort heilen, sogar Tote erwecken.
Das ging den frühen Christen nicht anders. Je weiter die Zeit fortschritt,
desto mehr verblasste die unmittelbare Erinnerung an den Menschen Jesus.

Hier meldet sich Petrus als Weggefährte Jesu und Augenzeuge der
Ereignisse zu Wort. „Wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen“,
schreibt er. Die Geschichten um Jesus, die Berichte über ihn sind
keine Märchen. Ich, Petrus, war dabei. Was euch im Rückblick
märchenhaft erscheint, haben wir, seine Freunde und Begleiter, miterlebt
und können es bezeugen.

So wie Petrus haben auch die anderen Frauen und Männer, die Jesus
persönlich begegnet sind, ihre Erlebnisse weitergesagt. Sie haben
es immer wieder geschildert, wie es ihnen ergangen ist in der Gesellschaft
dieses Jesus aus Nazareth. Sie hatten es miterlebt – manche vom ersten
Zusammentreffen bis zum bitteren Ende in Jerusalem, und weiter bis zum
Erscheinen des Auferstandenen in ihrer Mitte.

Anders hätte sich, meine ich, das Christentum wohl auch kaum so
schnell und so weit ausbreiten können, wenn nicht hinter allem die
Gewissheit gestanden hätte: dies wird bezeugt von Menschen, die selbst
dabei gewesen sind.

Und das ist der Unterschied zu Märchen oder Fabeln, die frei erfunden
sind oder allenfalls einen Kern von Wahrheit in sich tragen. Die Apostel
aber waren keine Dichter, die ihrer Phantasie freien Lauf gelassen haben,
sondern Augenzeugen.

Wenn heute beispielsweise irgendwo ein Autounfall passiert (und das geschieht
ja leider oft genug), dann wird hinterher niemand die Beobachtungen der
Augenzeugen als Märchen oder Erfindung abtun. Ganz im Gegenteil:
ihre Aussagen werden möglicherweise sehr große Bedeutung haben,
wenn es um die Klärung von Ursache und Schuldfrage geht.

Augenzeugen sind wertvoll. Sie stehen mit ihrem Wort für das ein,
was sie erlebt oder beobachtet haben. Das betont auch Petrus in seinem
Brief: „Wir haben uns nicht auf geschickt erfundene Märchen
gestützt, als wir euch das machtvolle Kommen unseres Herrn Jesus
Christus bekannt machten.“

Und er fährt fort: „Sondern wir haben mit eigenen Augen seine
göttliche Hoheit gesehen, als er von Gott, seinem Vater, geehrt und
verherrlicht wurde. Gott, der die höchste Macht hat, sagte zu ihm:
‚Dies ist mein Sohn, über den ich mich von Herzen freue. Ihn habe
ich erwählt‘. Als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren, haben
wir diese Stimme vom Himmel gehört.“

Petrus bezieht sich auf das Erlebnis der drei Jünger, die Jesus
auf den Berg Tabor begleiteten. Johannes, Jakobus und Petrus hatten dort
oben jene unerklärbare Vision, die in der ersten Lesung dieses Gottesdienstes
beschrieben wurde.

Ich habe auch zweimal auf der Spitze dieses Berges gestanden – dort steht
zur Erinnerung an dieses Ereignis eine Kirche – und es war jedes Mal ein
ganz eigenartiges Gefühl, geheimnisvoll und unerklärbar auch
nach fast 2000 Jahren.

Dort auf diesem Berg ist den Jüngern deutlich geworden, dass in
Jesus Gott selbst bei ihnen war, dass durch ihn Gott selbst redete und
handelte. Diese Gewissheit gab ihnen Sicherheit und Kraft, am Glauben
festzuhalten, selbst später in Anfechtung, Verfolgung und Märtyrertod.
Ein Märchen hätte ihnen solche Kraft nicht geben können.
Selbsterfundene Phantasien zerplatzen da wie Seifenblasen.

Und wir heute? Wir können nicht wie die Jünger zusammen mit
Jesus auf einen Berg steigen, um seine Vollmacht zu erleben. Aber wir
haben seine Worte, seine Botschaft im Neuen Testament, die an uns ebenso
gerichtet ist wie an die Menschen damals. Im Evangelium spricht Jesus
auch zu uns, in ihm können auch wir seine Vollmacht erkennen.

Im Predigttext ist das so formuliert: „Darum glauben wir umso fester
der Botschaft, die von den Propheten verkündet wurde. Ihr tut gut
daran, sie ernst zu nehmen. Sie ist wie eine Lampe, die in der Dunkelheit
brennt, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns eure Herzen
hell macht.“

Ein treffendes Bild. Mein Leben hat oft dunkle Ecken, das weiß
ich selbst am besten. Leid, Angst, Unsicherheit – das macht oft meinen
Alltag finster. Neid, Abneigung, Kampf um Führungsrollen – dies alles
verdunkelt oft mein Gesichtsfeld, manchmal so weit, bis ich andere Menschen
nicht mehr richtig erkenne.

Im Dunkeln gehe ich unsicher, verliere schnell die Orientierung und habe
Angst, den nächsten Schritt zu tun. Das Evangelium von Jesus Christus,
im Neuen Testament überliefert und in der Kirche gepredigt, kann
mir wie ein Licht helfen, mich im Dunklen zurecht zu finden.

Lasse ich dagegen mein Leben von den Maßstäben leiten, die
mir das Evangelium zeigt, dann merke ich, wie ich mehr Sicherheit und
Klarheit gewinne. Es ist mir tatsächlich schon vorgekommen, als ob
ein Licht in die Dunkelheit scheint. Licht, das sichere Wege ohne Angst
vor Fehltritten und Irrwegen erlaubt, Licht, das dem bedrohlichen Dunkel
ringsum widersteht. Das mir nicht zuletzt auch hilft, andere Menschen
„im rechten Licht“ und nicht durch eine Brille von Vorurteilen
zu sehen.

Ein solches Licht ist wirksamer als die zauberkräftigste Wunderlampe
aus Tausendundeiner Nacht. Denn – das Evangelium ist eben mehr als ein
Märchen.

Amen.

 

Peter Kusenberg, Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de

 

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