2 Samuel 12, 1-10.13-15a

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2 Samuel 12, 1-10.13-15a

Du bist der Mann | 11. Sonntag nach Trinitatis | 28. August 2022 | Predigt zu 2 Samuel 12, 1-10.13-15a | Verena Salvisberg |

Liebe Gemeinde

Gott schickt Natan zu König David und der erzählt ihm eine Geschichte: Es war einmal.

Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine war reich, und der andere war arm. Der Reiche besass Schafe und Rinder in grosser Zahl, der Arme aber besass nichts ausser einem einzigen kleinen Lamm, das er gekauft hatte, und er zog es auf, und zusammen mit seinen Kindern wurde es bei ihm gross. Es ass von seinem Bissen, trank aus seinem Becher und schlief an seiner Brust, und es war für ihn wie eine Tochter. Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann, und diesen reute es, eines von seinen eigenen Schafen oder Rindern zu nehmen, um es für den Reisenden zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Und so nahm er das Lamm des armen Mannes und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war.

Eine Geschichte, könnte der Zuhörer sagen. Interessant. Spannend.

Nur eine Geschichte, könnte der Zuhörer auch sagen. Du wieder mit deinen Geschichten!

Aber nein, der Zuhörer David ist bewegt, wie wir wohl auch. Berührt von der Liebe des armen Mannes zu seinem kleinen Lamm, seinem einzigen, das er verhätschelt, zusammen mit seinen Kindern aufzieht, ein Schoss-Lamm. Es isst von seinem Teller und trinkt aus seinem Becher, ja es ist für ihn wie ein Kind.

Die Geschichte lässt David nicht kalt. Er ist empört über das Verhalten des reichen Mannes, der das Lamm nimmt, schlachtet und zubereitet für seinen Gast. Einfach weil ihn seine eigenen Tiere reuen. Einfach weil er es kann. Der Zuhörer David ist zornig über den reichen Mann. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit!

Sein Urteil kommt von Herzen und ist schnell gefällt: So wahr der Herr lebt: Der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes! Und das Lamm soll er vierfach ersetzen, weil er das getan hat und weil er kein Mitleid hatte.

Da sagt Natan zu David: Du bist der Mann!

Und das soll ich dir von Gott ausrichten: Ich habe dich zum König gesalbt. Ich habe dich vor Saul gerettet. Ich habe dich zum Nachfolger gemacht, dir Israel und Juda gegeben. Ich würde dir noch viel mehr geben, wenn das noch nicht reicht.

Ist es denn nie genug? Was willst du noch? Warum nur?

Warum hast du das Wort des Herrn verachtet und getan, was ihm missfällt? Urija, den Hetiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen, und ihn selbst hast du durch das Schwert der Ammoniter umgebracht.

So soll nun das Schwert nie von deinem Haus weichen, weil du mich verachtet und die Frau Urijas, des Hetiters, genommen hast, damit sie deine Frau werde.

Worauf spielt Natan an? Was ist passiert? Die Geschichte wird im vorangehenden Kapitel erzählt: David ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er schickt seinen Feldherrn Joab und die Soldaten in den Kampf. Er selber bleibt in Jerusalem.
Eines Abends steht David auf seiner Dachterrasse und lässt den Blick über die Dächer von Jerusalem schweifen. Er schliesst die Augen und geniesst die Wärme der letzten Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Dann sieht er sie. Wunderschön ist sie! Gebannt beobachtet er jede ihrer Bewegungen, während sie ein Bad nimmt und schliesslich wieder verschwindet. Sehnsüchtig schaut er ihr hinterher. Und dann entscheidet er sich kurzerhand, sie sich zu nehmen. Sie ist verheiratet – egal! Er will sie und er kann sie haben. Er ist der König.

Ist das nicht Batseba, die Frau Urias, des Hetiters?, fragt er.

Er lässt sie holen, schläft mit ihr. Sie wird schwanger.

Um dies zu vertuschen, unter den Teppich zu kehren, was er getan hat, verstrickt sich David immer mehr in Lügen und weiteren Untaten, die schliesslich mit dem Mord an Batsebas Ehemann enden.

Zuerst lässt er den Ehemann Uria holen, damit er zu seiner Frau geht und es so aussieht, als sei sie von ihm schwanger. David beschenkt ihn, bewirtet ihn, macht ihn betrunken. Uria will jedoch keine Sonderbehandlung gegenüber seiner Mitsoldaten und geht nicht nach Hause zu seiner Frau. Dieser Plan hat also nicht funktioniert. Deshalb lässt David seinem Feldherrn Joab durch Uria einen Brief überbringen, darin schreibt er: Stellt Uria vornehin, wo der Kampf am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, dass er erschlagen werde und sterbe.

Uria stirbt an vorderster Front. Und nach Batsebas Trauerzeit um ihren Mann lässt David sie zu sich holen.

Schweigen, lügen, vertuschen, intrigieren, Mord.

Aber dem Herrn missfiel die Tat, die David getan hatte, heisst es am Ende dieser Geschichte. Und er schickt Natan zu ihm. Und der erzählt ihm eine Geschichte: Es waren zwei Männer in einer Stadt… Und David ist berührt und empört und er fällt sein Urteil.

Du bist der Mann, sagt Natan.

Und jetzt – und das ist eindrücklich – ist Schluss mit Ausreden. Kein «Was?», «Wer, ich?», «Was habe ich denn getan?», «Ich bin doch unschuldig!».

David sagt: Ich habe gegen den Herrn gesündigt.

Man könnte sagen, Natan hat David reingelegt mit seiner raffinierten Strategie, den Übeltäter sich selbst das Urteil sprechen zu lassen.

Ich sehe das eher als eine Einladung zum ehrlichen Blick auf sich selbst. Die Geschichte macht möglich, was jede noch so wahre Moralpredigt nicht geschafft hätte, nämlich dass David ehrlich mit sich selbst und den andern eingestehen kann: Ich war’s. Ich habe das getan. Grosses Unrecht. Gesündigt gegen den Herrn.

Hier geht es ja nicht um Kleinigkeiten. Aber selbst bei den kleinen Verfehlungen, Ungerechtigkeiten und Fehltritten kennen wir das, wie schwierig es ist zu sagen: Ja, ich war’s.

Möglich macht ein solches Eingeständnis die Einsicht, dass meine Existenz nicht abhängt von meiner weissen Weste. Ja, Leben hat seinen Preis. Ja, ich mache mich schuldig. Aber das Vertrauen in Gnade und Vergebung macht möglich, dass ich dies nicht verbergen und vertuschen muss.

Und so fällt die Antwort Natans auf Davids Eingeständnis ziemlich evangelisch aus: So sieht der Herr über deine Sünde hinweg: Du musst nicht sterben!

Die Geschichte kann uns anregen über unsere Rolle als Verkündiger:innen dieser frohen Botschaft nachzudenken. Ja, das ist wahr: Unrecht muss aufgedeckt werden. Machtmissbrauch angeprangert und eingedämmt. Aber auf welche Weise kann das gelingen? Mit dem Finger zu zeigen oder eine Moralpredigt zu halten scheint mir weder im Grossen noch im Kleinen das Mittel der Wahl zu sein.

Stellen Sie sich vor: Der Patriarch Kirill, anstelle den Krieg christlich zu rechtfertigen, ginge zu Wladimir Putin und spräche zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine war reich, und der andere war arm…

Wie tönt das in Ihren Ohren?

Naiv? Unmöglich?

Vielleicht ist es das. Und dennoch ist es das, was wir können mit unserer Botschaft: Nicht rechnen, nicht aufzählen, nicht anklagen, sondern die Geschichte erzählen, die einlädt zur Wahrheit, die frei macht. Zu Einsicht, Reue und Vergebung.

Auch wenn Gott die Schuld vergibt, ist damit das Geschehene nicht ungeschehen gemacht.

Die Erzählung von David und Natan endet mit dem lapidaren Satz: Und Natan ging nach Hause.

Was lässt er zurück? Einen frommen König. Stark und schwach. Was er getan hat, nimmt er mit.

Denn das macht einen frommen Menschen aus: nicht ein Leben ohne Fehl und Tadel, sondern ein Leben im Vertrauen auf die Gnade Gottes.

Amen


Pfrn. Verena Salvisberg

Merligen

verenasalvisberg@bluewin.ch


Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Regionalpfarrerin seit 1. August 2022, vorher Gemeindepfarrerin in Roggwil BE, Laufenburg und Frick.

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