2. Thessalonicher 3, 1-5,

2. Thessalonicher 3, 1-5,

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


5. Sonntag nach Trinitatis, 30. Juni 2002
Predigt über 2. Thessalonicher 3, 1-5, verfaßt von Ulrich
Haag


Die Parallele ist leicht zu übersehen, und dennoch vorhanden:
Die einen ortsfest, bodenständig, wohnhaft in einer Hafenstadt am
östlichen Mittelmeer. Die anderen in ständiger Bewegung, reisend
durch die halbe damals bekannte Welt. Die einen verharrend, in der Zuschauerhaltung,
nur indirekt und von Ferne beteiligt, sollen preisen und loben. Eine Fangemeinde
also. Die anderen aktiv, zielgerichtet und dynamisch: Daß schnell
laufe, was ihre Idee ist, ihr Spiel und Ziel.

Beide kennen einen Gegner. Beide sehnen sich nach Erlösung und
Klarheit. Beide sehen die Stunde der Wahrheit kommen und erwarten sie
mit Spannung. Und wie dieser Tage bei der deutschen Mannschaft und ihren
Fans ist auch zwischen Paulus und der Gemeinde in Thessaloniki das Verhältnis
geprägt von nahezu unüberwindbarer räumlicher Distanz und
trotzdem großer Verbundenheit, Nähe und Anteilnahme.

So sind die wenigen Verse des Paulus geprägt vom Loslassen, vom
Abschied (nur wenig später richtet der Apostel seine Grüße
aus) und von Begleitung, intensiver Bindung und bleibender Präsenz
trotz räumlicher Trennung.

Beinahe möchte man das Märchen erzählen von ihr und ihm,
die sich in jungen Jahren finden. Er muß – aus welchen Gründen
auch immer – in die Welt hinaus. Sie steckt ihm eine Rose an den Hut:
„Blüht sie und steht in Farben, so geht es mir gut. Welkt sie
und verliert die Blätter, so zögere nicht und kehre rasch zurück.“
Über alle Ferne hinweg Begleitung, innige Verbundenheit, Sorge.

Doch zwischen diesen Beiden, dem Apostel und seiner Gemeinde in Saloniki,
hat jemand die Botschaften vertauscht. Von Bösen und falschen Menschen
spricht Paulus, eindringlich und mehr als einmal. Wenige Verse vorher
verrät er warum. Laßt euren Sinn nicht so leicht ins Wanken
bringen – nicht durch ein Wort, erst recht nicht durch einen Brief, der
angeblich von mir sein soll (Kap.2,2).

Offensichtlich ist jemand dazwischengekommen. Ein dritter, der den Platz
des Paulus übernimmt. Der redet, als sei er es. Der den Anspruch
stellt, als hätten seine Worte das gleiche Gewicht. Der die Rolle
des Apostels ausfüllen will und ihn verdrängt. Ohnmächtig
und hilflos schaut der Apostel von Ferne zu, wie die Verbindung gestört
und die Beziehung ausgehöhlt wird.

Was tun, wenn die Kinder unter anderen Einfluss geraten?
Wenn ich als Vater da stehe und alles was ich sage meine Kinder in ihrer
Ablehnung nur bestätigt, noch weiter wegtreibt? Kämpfen. Natürlich.
Eindeutige Botschaften senden. Das tut Paulus auch. er schreibt diesen
Brief, der Klarheit in die Beziehung, Licht ins Dunkel bringen soll. Aber
was tun, wenn einfach nichts mehr durchdringt? Wenn die Kommunikation
so gestört ist, daß sogar und gerade die gutgemeinten Sätze
die Fronten nur noch weiter verhärten? Als würde ein dritter
zwischen uns stehen und alles was gesagt wird, verfälschen, verwirren
und verdrehen?

Doch auch dort, wo vermeintlich alles stimmt, normal läuft, können
wir nie sicher sein, daß im Gespräch bei unserem Gegenüber
wirklich das ankommt, was wir sagen wollten. Zu vieldeutig und changierend
sind die Worte, ist jedes einzelne Wort unserer Sprache. Kein Ausdruck,
dem das Lexikon nicht eine Vielzahl von Bedeutungen beilegt. Niemand kann
garantieren, daß die Bedeutung, die ich einem gesprochenen Wort
gerade mit auf den Weg gebe, mit der identisch ist, die mein Gesprächspartner
ihm beimisst, wenn er es hört. Friede. Liebe. Glaube. Gott. Meine
Güte, wie kann man sich missverstehen, obwohl man das gleiche sagt!

Heute gewinnt Deutschland – dieser Satz löst in Maastricht ganz
andere Reaktionen aus, als in Köln. Unsere niederländischen
Nachbarn werden an Sieg, Krieg und an die deutsche Besatzung denken. In
Köln dagegen wird der Satz mit der lauthals skandierten Aneinanderreihung
rätselhafter Namen honoriert werden: Janker, Metzelder, Ramelow,
Kahn – Weltmeister!

Kein Wort, kein Satz ist aus sich selbst heraus verständlich. Jedes
einzelne Wort ist abhängig von dem Platz an dem es gesprochen wird,
von der Zeit, von den Gesten, die es begleiten, den Erinnerungen, mit
denen es sich verbindet und die es weckt. Noch einmal und gerade hier
geht es ums Loslassen. Wir entlassen Worte in die Welt. Und wir können
nicht abschätzen und nicht beeinflussen, welche Wirkung sie hervorrufen,
ob sie in Bewegung setzen, was wir uns vorgestellt haben, ob sie etwas
anderes bewirken, gar das völlige Gegenteil. In dem Moment, in dem
sie über unsere Lippen kommen, geben wir ihnen den Abschied, das,
was daraus wird, was sie auslösen, gar anrichten liegt nicht in unserer
Hand.

In diesem Meer aus gesprochener Sprache, aus verwirrenden Botschaften
und verworrener Deutung, aus Unsinn und ungewissem Sinn, in dem wir ohne
Orientierung schwimmen, wirft Paulus einen Anker. Einen Anker, ohne den
wir eigentlich gar nicht leben können: das Vertrauen. „Wir haben
Vertrauen, daß ihr tut, was wir sagen“, schreibt Paulus.

Natürlich klingt das nach Befehl und Gehorsam und nach einem unterschwellig
geführten Machtkampf. Aber ich weiß nicht, ob Paulus das wirklich
wichtig gewesen ist. Wichtig ist mir jedenfalls: Paulus vertraut, daß
das Gespräch zwischen Thessalonich und ihm gelingt. Daß ankommt,
was er schreibt. Und daß es auslöst, worauf er zielt. Daß
sich der Gemeinde weit weg zwischen all den verwirrenden Ansprüchen
und verfälschten Botschaften ein Sinn erschließt, der mit dem
übereinstimmt, wofür Paulus eintritt.

Wie nur kommt Paulus zu diesem Vertrauen, das weit mehr ist als der pragmatische
Zweckoptimismus: Wird schon klappen, kommt schon an.
Paulus präzisiert: Ich habe Vertrauen in dem Herrn, daß ihr
tut, was wir sagen.
„In dem Herrn“ – damit ist Gott für Paulus der Garant dafür,
daß das Gespräch zwischen Menschen gelingen kann. Alles, was
Menschen senden und empfangen, alles, was sie sagen und hören, tun
sie „in dem Herrn“. Was zwischen Menschen geschieht, geschieht
also in Gott, ist Bestandteil von ihm, der alles umfasst und birgt. Selbst
das verfälschte, selbst das Böse verbindet er zu einem übergeordneten
Ganzen, einem Geschehen mit Sinn und Ziel.

So gesehen ist jeder Sprechakt – wo immer Menschen mit einander reden
– ein Akt des Vertrauens. Des Vertrauens darauf, daß allem, was
wir tun und sagen ein Sinn zugrunde liegt, ein Boden, auf dem wir stehen
und der sich immer wieder neu als tragfähig erweist. Vielleicht dürfen
wir dieses Vertrauen sogar als Gottvertrauen bezeichnen. Dann wäre
der Glaube, dessen Rückläufigkeit die Kirchen häufig beklagen,
viel weiter verbreitet, als wir auf den ersten Blick erkennen.

Gott ist treu, sagt Paulus.
Daß wir uns verständigen können haben wir letztlich der
ständig mitlaufenden, alle Kommunikation begleitenden Treue und Liebe
Gottes zu verdanken. Er vermag alles, was gesprochen wird und alles was
geschieht, in seine Geschichte einzuordnen, in die Geschichte seines Heils.
Worte. Taten. Kinder. Freunde und Gefährten.

Manchmal müssen wir die Dinge sich selbst überlassen, obwohl
wir das schlimmste befürchten. Paulus tut es mit einer Zuversicht,
die er wohl selbst erst hat mühsam lernen müssen. Aber mit der
er ein beredtes Zeugnis dafür abgibt, was es damals wie heute bedeuten
kann, an Gott zu glauben. Was tun, wenn ich loslassen muß, eigene
Wege gehen lassen muß, mir der Einfluß zwischen den Fingern
zerrinnt – und mein Herz trotzdem mitgehen will, meine Sorgen und Gedanken?

„Betet für uns“, schreibt Paulus. Denn wenn ihr betet,
lasst ihr los, legt aus der Hand. Und zugleich seid ihr doch ganz dabei,
ganz engagiert, geht in Gedanken, geht in eurem Herzen mit.

So wird das heute Mittag sein: Die einen beten, beten vielleicht inständig,
denn sie haben keinen Einfluß auf das Geschehen. Die anderen – auf
der gegenüberliegenden Seite des Globus – laufen und „kämpfen
den guten Kampf“, würde Paulus vielleicht feststellen.
So kann das sein, wenn ich Menschen sich selbst überlassen muß,
die ich doch von ganzem Herzen noch begleiten möchte. Betet für
uns.

So war es schließlich damals zwischen dem Apostel und der Gemeinde
in Saloniki. Das Gebet für einander ist das Bindeglied, das bei aller
noch so gestörter Beziehung funktioniert. Es ist die Form des Gesprächs,
bei der ich gewiß sein kann, daß bei meinem Gegenüber
genau das ankommt, was mich bewegt. Die einzige Form der zuverlässigen
und unverfälschbaren Kommunikation. Denn Gott, der hört, weiß,
was wir brauchen, sogar noch bevor wir es aussprechen. Er ist es, der
in unsere Herzen sieht und erkennt, was wir meinen.

Was er aus unseren Bitten und unserem Begehren macht, bleibt freilich
offen. Natürlich geht es letztlich nicht darum, daß Gott so
reagiert, wie wir es für sinnvoll halten. Sondern daß wir erkennen,
welchen Sinn er den Geschehnissen um uns her bemisst, worauf er hinaus
will, auf welchen Wegen wir ihm entgegengehen können. Daß wir
uns einfügen in die Geschichte, die er schreibt. Das meint Paulus,
wenn er schließt: „Der Herr richte eure Herzen aus auf die
Liebe Gottes und die Geduld Christi.“

Amen.

Ulrich Haag, Aachen
E-Mail: haag@ekir.de

 

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