Hebräer 10, 23-25

Hebräer 10, 23-25

 


1.
Advent, 2. Dezember 2001
Predigt über Hebräer 10, 23-25 , verfaßt von Ulrich Nembach


Liebe Gemeinde,

Advent ist. Die Erwartungen sind da, und sie sind groß – trotz
und gerade wegen Afghanistan und Bin Laden. Wer noch nicht in der richtigen
Stimmung ist, wird von anderen angesteckt und lässt sich gerne anstecken.
Mir erging es auch so. Das warme Wetter, grüne Felder, noch keine
Schneeprobleme – sonst war um diese Jahreszeit die Autobahn schon einmal
zu gewesen; Autos, besonders LKWs kamen die Kasseler Berge nicht hoch,
rutschten, und alles stand für Stunden – da fehlte mir einiges. Das
ändert sich, wenn andere uns ansprechen. Bei mir war es der Posaunenchor.
Seine Mitglieder sind voller Vorfreude. Freudige Adventslieder wurden
für unseren Gottesdienst vorgeschlagen. Sie nahmen mich mit in ihrer
Vorfreude, und ich ließ mich gern mitnehmen. Die Vorfreude gilt
Weihnachten.

Wie bereiten wir uns vor? Vielleicht eine nicht sehr intelligente Frage,
denken Sie jetzt. Ich gestehe, dass ich mich etwas scheue, diese Frage
zu stellen. Aber ist die Frage wirklich banal? Richtig, wir alle kennen
Weihnachten und feiern es gern. Wir wissen auch schon, wie wir es dieses
Mal feiern werden. Geschenke sind gekauft, oder wenigstens in Gedanken
schon ausgesucht. Das ist richtig, aber ist es auch die ganze Wahrheit?
Der Predigttext ist anderer Meinung und die, die ihn für den heutigen
Sonntag uns vorschlagen, sind ebenfalls anderer Meinung.

Hören Sie:
„Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht
wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander
Acht haben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen
unsere Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen,
und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.“ (Hebr.
10, 23-25).

I.
Bekenntnis. „Typisch Kirche“, mag es Ihnen jetzt durch den Kopf
gegangen sein. Richtig, und wieder ist es nicht die ganze Wahrheit.

Schauen wir uns einmal um. Hier hinter unserer Kirche steht das alte
Rathaus. Dorthin kommen festlich gekleidete Paare. Freunde, Eltern begleiten
sie. Sie wollen heiraten. Sie kommen in das schöne alte Rathaus,
um sich ihr Ja in einem festlichen Rahmen zu geben. Sie legen Wert darauf.
Manche leben schon Jahre zusammen, nun wollen sie es wissen und klar zum
Ausdruck bringen: Ich will Dich.

Paare kommen aus demselben Grund in diese Kirche, zu diesem Altar. Sie
bitten zugleich um Gottes Segen für ihren gemeinsamen Weg.

Bekenntnis ist der Wille zu einer Lebenseinstellung. So ist das christliche
Bekenntnis der Wille, Christ zu sein. Da Ja der Trauung ist der Wille,
sein Leben gemeinsam mit der bzw. dem anderen zu teilen.

Um was für eine Bekenntnis geht es im Text? „Bekenntnis der
Hoffnung“ lesen wir. Die Formulierung ist unbekannt. Sie kommt auch
nur hier im Neuen Testament vor. Schauen wir darum im Text nach, was damit
gemeint sein könnte. Der Text kommt uns dabei selbst zur Hilfe. Die
folgenden Verse konkretisieren das Gemeinte. Sie sagen und zwar klar,
worin die hier gemeinte Lebenseinstellung besteht. Die Verse werden so
konkret, dass sie uns fast zu konkret sind. So genau wollten wir es eigentlich
nicht wissen. Das hat ja zur Folge, dass wir dann auch unser Leben entsprechend
einstellen müssen.

II.
Zunächst wird die Liebe genannt. Sie wird näher beschrieben
als Aufforderung: „Laßt uns aufeinander achthaben.“

Eine heikle Aufforderung bekommen wir zu hören. Auf den anderen
achtzuhaben, ist uns in unguter, sehr unguter Erinnerung aus der Zeit
der DDR. Auf der anderen Seite haben wir ein ungutes Gefühl, wenn
wir wieder einmal in der Zeitung lesen, dass ein Toter tagelang in seiner
Wohnung lag und niemand, keine Nachbarn ihn entdeckten. Achtzuhaben und
achtzuhaben ist nicht dasselbe. Bei der Trauung ist die Rede davon, auf
die, auf den anderen acht zu haben „in guten und in schlechten Tagen“.
Eine reiche Erfahrung aus Jahrhunderten zeigt sich hier. Die Erfahrung
wird mit dem christlichen Leben, der christlichen Lebenseinstellung zusammengebracht.

Genau das meint unser Text. Er fährt nämlich fort, dass wir
uns anreizen sollen zur Liebe und zu guten Werken. Die guten Werke werden
von uns Evangelischen schnell abgehakt. Wir verweisen dabei auf Luther.
Nur der sagte mit Recht, dass wir uns mit guten Werken nicht den Himmel
verdienen können. Deshalb können sie aber getan werden und sollen
getan werden. Was soll ich meinem Nächsten tun, wenn ich ihm nicht
helfe, ihm ein gutes Werk tue?

III.
Dann gibt es noch eine weitere Konkretion. Wir sollen nicht unsere Verrammlungen
verlassen, wie das offensichtlich schon damals einige taten.

Wieder werden manche nun denken: das ist typisch Kirche. Richtig, aber
auch diese Aussage ist nicht die ganze Wahrheit.

Warum begnügen wir uns immer mit halben Wahrheiten? Gehen wir wenigstens
heute morgen einmal aufs Ganze. Der Text spricht zuvor von der Liebe zu
einander. Will er uns dann anschließend plagen, ein schlechtes Gewissen
machen? Ich denke nein.

Konsequent wird die Liebe nun dargestellt, konkretisiert. Wie will ich
dem Nächsten Gutes tun, wenn ich ihm aus dem Wege gehe?

Ich erlebte Gemeinschaft auf einem Universitätscampus. Ich war zu
früh da. Es war Sonntagmorgen. Ich wusste nichts so rechtes, mit
mir und meiner Umgebung anzufangen. Da kam eine Frau und sprach mich an:
„Do you feel a bit alone?“ Ich erschrak. Es war eine ungewöhnliche
Rede. Ich hatte sie noch nie gehört. Dann dachte ich, die Frau hat
recht, vollkommen recht. Ich bejahte, und sie sagte, ich solle zum Gottesdienst
mitkommen. Der beginne gleich. Ich ging mit. Ich wurde begrüßt.
Ich war auch nicht schwer als Fremder zu erkennen. Ich war der einzige
Weiße unter Maoris. Es war in Auckland. Alles ging gut, bis die
Predigt begann. Hier sprach der Prediger in seiner Sprache und nicht in
Englisch wie zu vor. Ich verstand nichts. Und doch dachte ich: „Das
kommt mir vertraut vor. Das ist wie bei uns. So könnte auch ein Student
bei uns predigen.“ Nachher erfuhr ich, dass er wirklich ein Student
war, der seine erste Predigt hielt. Ich war da schon zum Mittagessen eingeladen
worden, das wir gemeinsam zubereiteten. Das ging ganz anders zu als bei
uns. Pausen wurden gemacht und viel erzählt, auch von den eigenen
Wünschen, wo man herkommt usw. Ich war direkt dabei. Es war schön,
so dass ich es bis heute nicht vergessen habe.

IV.
Schließlich gibt der Text eine Begründung für seine Aufforderungen.
„Der Tag naht sich.“ Gemeint ist die Wiederkunft Christi. Advent
meint die Geburt Jesu, woran wir bei Advent zunächst denken, aber
Advent ist auch die Zeit der Vorbereitung auf Jesu Wiederkunft. Er kommt
zweimal, das erste Mal zu Weihnachten und dann bei seiner Wiederkunft.

Die letzten Worte der Bibel, auf der letzten Seite ganz am Schluss, lauten
deshalb: „Amen, ja, komm, Herr Jesus!“ Und es folgt nur noch
der Segen: „Die Gnade des Herrn Jesu sei mit allen“.

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
E-Mail: unembac@gwdg.de

 

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