Apostelgeschichte 6,1-7

Apostelgeschichte 6,1-7

 


13. Sonntag nach Trinitatis,
25. August 2002
Predigt über Apostelgeschichte 6,1-7, verfaßt von Dorothea
Zager

„In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob
sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die
hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen
Versorgung.
Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen:
Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber
das Wort Gottes vernachlässigen.
Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in
eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit
sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus,
einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus
und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus
Antiochia.
Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten
die Hände auf sie.
Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde
sehr groß in Jerusalem.“

Liebe Gemeinde,
Wasserfluten soweit unser Auge reicht,
gebrochene Deiche und Dämme,
Sturzbäche im Dresdner Hauptbahnhof,
der Dresdner Zwinger meterhoch im Wasser,
die Semperoper aufgegeben,
Eisenbahnzüge, die bis zum Dach im Wasser stehen,
schwimmende Gartenhütten und Häuser,
die von der Urgewalt des Wassers an Brückenpfeiler gedrückt
werden,
ein versinkender Bagger, der zur Hilfe kommen wollte,
Berge von Sandsäcken,
Laufstege und Rettungsboote,
bis zur Erschöpfung kämpfende Helfer,
mit Schlafsäcken ausgelegte Turnhallen,
mutlose Menschen,
verzweifelte Geschäftsleute … Liebe Gemeinde, das ist das, was
sich in den letzten Tagen an Bildern in uns tief eingegraben hat: die
Hochwasser-Katastrophe entlang der Elbe.
Verzweiflung und Hilflosigkeit, das sind die Gefühle die uns in den
zahlreichen Fernsehberichten vermittelt werden. Und wir können es
kaum fassen, was dort im Osten geschieht. Ein wenig verstohlen und zutiefst
dankbar schauen wir in unseren eigenen Keller; denn er ist trocken. Unvorstellbar
ist uns der Gedanke, unsere Wohnung sei überflutet bis in den zweiten
Stock. Zugleich sind wir hilflos und denken: Ist das Überweisen eines
Geldbetrags auf eines der Spendenkonten auf dem Fernsehbildschirm wirklich
das Einzige, was wir tun können?

Hilflosigkeit und zugleich Solidarität ist das, was uns erfüllt.
Im Stillen drücken wir den Sand-Sack-Schleppern die Daumen, dass
ihr kleiner Wall den Wasserfluten standhält, wir können die
Rückenschmerzen nachempfinden, die diese fleißigen Helfer haben
müssen, wenn sie stundenlang die kilo-schweren Sandsäcke auffangen
und an den Nächsten hinüberwerfen. Wir schauen mit den Menschen
dort bedrückt auf die Pegelstände und bewundern die Kraft derjenigen,
die nach dem Sinken der Fluten ihre völlig zerstörte Wohnungseinrichtung
auf den Sperrmüll werfen und den Schlamm aus ihren Wohnungen schieben.

Was soll uns da jetzt diese Geschichte aus der Apostelgeschichte bringen?
Eine Geschichte, in der es mal wieder um einen gemeindeinternen Streit
geht, um hebräische oder griechische Witwen und über das ewig
ungelöste Problem der Delegierung von Aufgaben und Neuordnung der
Machtverhältnisse?

Sollten wir heute nicht vielmehr auf die Geschichte von der Sintflut
hören? Von der Flut, die Gott über diese Welt ergossen hat aus
Zorn, weil seine geliebten Menschen ihm nicht gehorchten, sondern gegen
seine Gebote handelten, sich selbst bekämpften, die Gerechtigkeit,
den Frieden und das Leben auf dieser Welt bedrohten?

Nein, liebe Gemeinde, als eine Strafe Gottes dürfen wir diese Flut
an der Elbe nicht verstehen. Es wäre zu einfach. Es wäre zynisch
gegenüber den Opfern und unaufrichtig gegenüber Gott. Gott selbst
hat uns verheißen, dass Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer
und Winter nicht mehr aufhören sollen auf dieser Erde, und dass er
das Leben der Menschen nicht mehr durch eine Flut zerstören will.
Diese Flut aber – und das erkennen jetzt auch endlich diejenigen, die
jahrzehntelang die Warnungen der Meteorologen und Umweltforscher in den
Wind geschlagen haben – diese Flut ist „hausgemacht“, eine Folge
unseres gnadenlosen Umgangs mit der Schöpfung Gottes. Das Klima verändert
sich; gehört haben wir es seit Jahren. Bis jetzt dachten wir aber
immer: Das Ozonloch am Nordpol ist weit weg. Und wenn die Gletscher schmelzen,
wird so schnell der Meeresspiegel auch nicht ansteigen, als dass er uns
im Binnenland Deutschland bedroht. Jetzt sind wir erwacht, liebe Gemeinde,
und ich denke, auch die letzten Zauderer und Zweifler sind jetzt erwacht.
Es ist nicht mehr fünf Minuten, sondern nur noch eine Minute vor
Zwölf. Und wenn wir unsere Umwelt und damit die Menschheit vor dem
Untergang retten wollen, dann muss endlich damit begonnen werden, die
Vereinbarungen von Kyoto nicht nur anzuerkennen, sondern auch in die Tat
umzusetzen. Die Nutzung der Bodenschätze, der Energien und der Regenwäldern
unserer Erde muss sofort auf ein behutsames Maß zurückgeführt
werden, das Benutzen von Flugzeugen zu anderen als zu unbedingt nötigen
Anlässen – also nur zum Urlaub oder zum Vergnügen muss endlich
geächtet werden und die Nutzung alternativer Energien wie Wind-,
Sonnen- oder Wasserkraft darf nicht mehr wie zum Beispiel jetzt in Wachenheim
zugunsten des so genannten sanften Tourismus zurückgestellt werden.

Noch einmal die Frage: Was sollen wir da jetzt mit dieser Geschichte
anfangen, der Geschichte vom Ärger in der Jerusalemer Gemeinde? Unsere
Herzen sind beunruhigt und aufgeschreckt – und eigentlich suchen wir heute
eher nach einer Antwort, nach einem Weg, der drohenden Katastrophe zu
entkommen, die uns unausweichlich erscheint.

Was ist zu tun? – fragen wir, und genau diese Frage ist es, die eine
Brücke schlägt zu unserem Predigttext aus der Apostelgeschichte.
Hören wir deshalb – trotz unserer vielen Gedanken an das Elbe-Hochwasser
und seine Opfer – einmal genauer hin, was dort in Jerusalem überhaupt
geschehen war.
„Die Zahl derjenigen, die sich in der jüdischen Gemeinde zu
Jesus als dem Messias bekannten, war erheblich angestiegen, vor allem
die Gruppe der griechischen Juden, das heißt der Griechen, die zum
Judentum übergetreten waren, hatte in der letzten Zeit erheblich
zugenommen.

Da von der Thora die besondere Fürsorge der Witwen geboten war,
organisierte die Gemeinde täglich eine spezielle Mahlzeit für
sie. Im Laufe der Zeit stellte sich jedoch eine eklatante Benachteiligung
der Witwen der griechischen Juden gegenüber denjenigen der hebräischen
Juden heraus, die zu Unzufriedenheit und Protesten seitens der griechischen
Juden führte. Der leitende Kreis der Gemeinde bestand selbstverständlich
aus zwölf Mitgliedern der hebräischen Juden, die neben der Verkündigung
von Jesus als dem gekreuzigten und auferstandenen Messias auch die Verteilung
der Mahlzeiten an die Witwen und andere Bedürftige übernommen
hatten … Die Fülle der Aufgaben führte zur Überforderung
im leitenden geistlichen Amt, so daß die Witwen der hebräischen
Juden auf Grund der guten Beziehungen zum Führungsteam bei der täglichen
Versorgung zunächst unmerklich, dann unübersehbar privilegiert
wurden. …

Erst als die Einheit der jungen Gemeinschaft, die sowohl innerhalb der
jüdischen Gemeinde als auch durch die römischen Behörden
zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt war, durch den massiven Protest der
griechischen Juden bedroht schien, reagiert die Leitung. Auf einer einberufenen
Versammlung wurde die Teilung der Arbeiten und Aufgaben beschlossen: Die
bisherige Leitung kümmert sich primär um die Verkündigung
der Botschaft Gottes, während sieben gewählte Vertreter aus
der Gruppe der griechischen Juden die Versorgung der Witwen und Armen
übernehmen. Die sieben Diakone erkennen den Primat der Prediger an,
die in Fürbitte und Segen die Personalentscheidungen der Gemeinde
bestätigen.“ (Werner Schneider-Quindeau, Arbeitsteilung oder
Von neuer Herrschaft, in: Textspuren. Konkretes und Kritisches zur Kanzelrede,
Bd. VI, hg.v. Peter Härtling, Stuttgart 1995, S. 151)

Durch eine einfache Aufteilung der Funktionen wurde der Streit in der
Gemeinde beigelegt. Die griechischen Juden bekamen auch eine wichtige
Aufgabe – und damit auch Machtbefugnisse. Und das Gemeindeleben insgesamt
wurde glaubwürdiger, weil keiner der Armen oder Witwen mehr benachteiligt
wurde.

Wie schön wäre es, wenn sich auch bei uns alle Probleme so
leicht lösen ließen. Wir kennen es eher anders. Entweder sind
es zu viele Menschen in einer Gemeinde, die sich engagieren und mitwirken
wollen. Und es kommt ständig zu Reibereien und Eifersüchteleien
zwischen verschiedenen Gruppen. Oder es ist eher so, wie wir es auch von
hier kennen, aus Wachenheim und Mölsheim: Es sind zu wenige, die
sich engagieren wollen. Viele haben Erwartungen an die Kirche. Nur wenige
helfen mit. Und die Last der Aufgaben – Gottesdienst oder Kindergottesdienst,
Besuchsdienst oder Seniorenarbeit, Verwaltung und Kollekte – liegt auf
den Schultern von einigen, ganz wenigen.

Was sollen wir da jetzt mit dieser Geschichte anfangen, der Geschichte
vom Ärger in der Jerusalemer Gemeinde? Wir haben doch nicht ein solches
Problem, oder?
Ich denke schon, liebe Gemeinde: Diese alte Geschichte, die uns so fremd
vorkommt mit ihren Gedanken über Primat und Diakonie, birgt eine
Botschaft, die tröstlich ist, zugleich aber auch ermahnend.

Tröstlich ist die Geschichte insofern: Keiner von uns muss alles
können. Keiner von uns muss alles tun. Ein Kirchenvorsteher braucht
keine Predigten schreiben – dafür gibt’s eine Pfarrerin, Kindergarteneltern
brauchen keine Blumen für die Kirche besorgen – dafür sorgt
liebevoll die Küsterin, die Küsterin wiederum muss nicht auch
noch dafür sorgen, dass im Pfarrbüro genug Papier vorhanden
ist – dafür sorgt die Sekretärin, und die Sekretärin trägt
nicht die Verantwortung dafür, dass das Kindergartensommerfest gelingt.
Das wiederum ist Sache der Kindergarteneltern – und da schließt
sich der Kreis! Es gibt welche, die die Kollektenkasse führen, andere
die Kindergottesdienst halten, wieder welche, die sich um die musikalische
Ausgestaltung der Gottesdienste Gedanken und Mühe machen. Letztendlich
gibt es Menschen, die einander besuchen, einander zuhören, nach den
Alten und Kranken sehen und sich gegenseitig helfen. – Es ist also ein
tröstlicher Gedanke: Keiner von uns muss alles können. Keiner
von uns muss alles tun. Und wenn eine Gemeinde so miteinander lebt, dann
können Menschen in ihr glücklich sein.

Genau dies gilt übrigens auch jetzt in unserer Hilflosigkeit und
Fassungslosigkeit im Hinblick auf die Überschwemmungskatastrophe
im Osten. Keiner von uns muss alles können. Keiner von uns muss alles
tun. Wir hier in der Ferne können die Hände falten und darum
beten, dass die bedrohten und verzweifelten Menschen dort nicht den Mut
verlieren, sondern mit Hoffnung und Kraft in eine neue Zukunft gehen.
Und wir können sie tatsächlich unterstützen, indem wir
einen Beitrag leisten zu den enormen Wiederaufbaukosten, die jetzt nach
dem Abklingen der Katastrophe auf die Menschen dort zukommen. Wir können
und müssen darüber hinaus auch unser eigenes Verhältnis
und unser eigenes Verhalten zum Schutz der Schöpfung überprüfen.
Das alles ist genug. Mehr können wir im Moment nicht tun. Und mehr
brauchen wir auch im Moment nicht tun. Aber weniger dürfen wir auch
nicht tun.

Gehen wir noch einmal zurück zu dem, was in einer Gemeinde zu tun
ist, kommt nun neben der tröstlichen Botschaft unserer Geschichte
auch die mahnende: Muss ein Mensch dies alles ganz alleine tun und erfährt
er zu wenig Unterstützung aus der Gemeinde, dann geht er zugrunde.
Und die Gemeindearbeit kann nicht in vollem Maße getan werden. Deshalb
gilt auch die Mahnung: Keiner kann alles alleine tun. Darum seid füreinander
da, helft einander mit den Gaben, die Ihr von Gott empfangen habt. Nur
dann kann unser Gemeindeleben blühen. Nur dann sind wir fähig,
kleinere Konflikte zu lösen, so wie die Jerusalemer Gemeinde, oder
große Katastrophen bestehen, wie die, die unsere Brüder und
Schwestern in Ostdeutschland getroffen hat.

Keiner kann alle Aufgaben alleine erfüllen.
Und keiner muss alles können.
Nur als Gemeinde, die zusammenhält und zusammenwirkt wie ein Körper
mit seinen vielen verschiedenen Gliedern und Gaben, können wir den
Herausforderungen unserer Zukunft standhalten. In der Kirche und in der
Welt.
Amen.

Dorothea Zager, Wachenheim
E-Mail: DWZager@t-online.de

Vorschläge zur Liturgie:
EINGANGSLIED
EG 288,1-5: Nun jauchzt dem Herren, alle Welt

WOCHENSPRUCH
Christus spricht:
Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan.
(Mt 25,40)

EINGANGSSPRUCH
Christus spricht:
Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie
ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.
Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr
Liebe untereinander habt.
(Joh 13,34.35)

SCHRIFTLESUNG
Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37)

WOCHENLIED
EG 343,1-3: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ

LIED NACH DER PREDIGT
EG 413,1-8: Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt
EG 629,1-3: Liebe ist nicht nur ein Wort
EG 620,1-4: Gottes Liebe ist wie die Sonne
EG 627,1-3: Schalom, Schalom

FÜRBITTENGEBET
EG 825 im Wechsel mit der Gemeinde gesprochen

SCHLUSSLIED
EG 322,5-7: Er gebe uns ein fröhlich Herz
EG 259,3: Er mache uns im Glauben kühn

 

 

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