Hebräer 13, 15-16

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Hebräer 13, 15-16

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost


19. Sonntag nach Trinitatis
– Erntedankfest, 6. Oktober 2002
Predigt über Hebräer 13, 15-16, verfaßt von Anke Fasse

Liebe Gemeinde,

Heute möchte ich Malerin sein, dieses farbenprächtige Bild
hier im Altarraum in seiner ganzen Schönheit festhalten. Wieder einmal
wird uns durch diesen Anblick vor Augen geführt, welch eine Fülle
und Vielfalt an Farbe, Form, Größe, Geschmack die Natur für
uns bereit hält: da strahlen leuchtend gelbe Sonnenblumen, neben
noch erdverkrusteten Kartoffeln, dicke Kohlköpfe neben roten und
grünen Äpfeln, große und kleine Kürbisse – und auf
dem Altar das warme Braun des Brotes. Ich habe den Eindruck, die ganze
bunte Pracht dieser Erde sammelt sich heute zum Erntedankfest hier in
der Kirche.

Aber, liebe Gemeinde, dieser schöne Anblick all der Gaben hat einen
bestimmten Sinn, und den gilt es auch nach dem Erntedankfest nicht zu
vergessen: das Lob und der Dank an Gott für alle Gaben.

Das Erntedankfest bietet einen festen Punkt im Kirchenjahr, zu Beginn
der Herbstzeit, einmal Innezuhalten, zurückzuschauen und anzuschauen,
was wir im und zum Leben haben und immer wieder neu geschenkt bekommen.
Dazu gehört auch, sich bewusst zu machen, wo unsere Lebenswurzeln
liegen. – Und nicht ohne Grund haben all die verschiedenen Gaben heute
ihren Platz am Altar. Als Zeichen dafür, das wir unser Leben, unsere
Lebensgrundlage immer wieder neu Gott, dem Schöpfer des Himmels und
der Erde verdanken. Ja, liebe Gemeinde, der Dank steht heute im Mittelpunkt.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag möchte uns den Dank
Gott gegenüber als eine bestimmte Lebenshaltung nahe bringen.

Ich lese aus dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes die Verse 15 und
16.

(15) So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen,
das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen.
(16) Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht; denn solche
Opfer gefallen Gott.

„Vergesst nicht!“ lautet eine Aufforderung, eine Mahnung fast
am Ende dieses kurzen Predigttextes. Das Erntedankfest ist ein Tag, der
uns vor diesem Vergessen bewahren will, weil er uns daran erinnert, was
wir täglich als selbstverständlich hinnehmen, obwohl es das
gar nicht ist. Wir leben vom Wachstum, das diese Erde ermöglicht.
Wir leben von dem Boden, auf dem wir stehen. Wir leben von der Arbeit,
der Kraft, dem Fleiß, der Hingabe, der Fürsorge und Liebe unzähliger
Menschen, die in der Landwirtschaft und der Viehhaltung arbeiten. Die
meisten kennen wir gar nicht. Einige von Ihnen sind heute unter uns hier
in der Kirche. Ein Netz der verlässlichen Zusammenarbeit ist nötig.
Und in, mit und unter alledem leben wir aber vor allem von der Güte
und Verlässlichkeit Gottes. Sie quillt sozusagen aus allen Poren
dieser Welt, kommt uns in verschiedenster Gestalt entgegen – heute in
der Fülle und Pracht der Erntegaben, auf denen unser Blick ruht.
Dabei sind sie doch nur stellvertretend für all die anderen Gaben,
die unser Leben reich machen hier in der Kirche. Ein Foto von der Familie,
von einem besonderen Festtag, eine Erinnerung an ein gutes Gespräch
… all das hätte auch seinen Ort hier vorn bei den Erntegaben. Dieses
nicht zu vergessen, das Gott es ist, der unser Leben hält und trägt,
mündet ein in Lob und Dank ihm gegenüber.

Was bedeutet es eigentlich „danke“ zu sagen? Danken ist eine
Lebenshaltung. Sie gehört zum Glauben. Den Zusammenhang zwischen
Gott, den Mitmenschen und uns selbst zu erkennen, das bedeutet Glauben.
Wer glaubt wird nachdenklich und kommt schon bald ins Danken. Was gibt
es in unserem Leben, das nicht Gott oder den Mitmenschen zu verdanken
ist? Der Dankende weiß sich beschenkt von Gott und seinen Mitmenschen.
Danken macht gelassen, denn es kommt ja Gott sei Dank nicht nur auf uns
an. Danken macht glücklich. Danken gehört zur alltäglichen
christlichen Lebenskunst. Und vor allem: Danken lässt sich nicht
auf ein bestimmtes Kalenderdatum beschränken.

Kommen wir nun noch einmal zurück auf unseren Predigttext: Der Schreiber
des Hebräerbriefes fordert uns nun heute aber dazu auf: Lasst
uns durch Jesus Christus allezeit Gott das Lobopfer darbringen.
Wahrscheinlich
mögen manche von Ihnen auch das Wort „Lobopfer“ als fremd
empfinden. Der Schreiber setzt sich damit gegen den praktizierten Opferkult
in jener Zeit ab, bei dem Gott Tiere als Opfer dargebracht wurden. Er
soll deutlich werden, seit Jesus Christus ist das Opfer kein Weg mehr,
Gott freundlich zu stimmen. Jetzt, nachdem wir auf die Geschichte Jesu
zurückblicken, der Gott uns Menschen ganz nah gebracht hat, kann
es nur noch um ein Opfer im übertragenen Sinn gehen. Und damit ist
nun das Lobopfer gemeint: Gott zu loben von ganzem Herzen und ganzer Seele.

Lobopfer – ich habe mich zunächst in diesem Zusammenhang sehr an
dem Wort Opfer gestoßen. Doch bei näherem Nachdenken fiel mir
auf, wie schwer uns oft das Loben ebenso wie das Danken fällt. An
allem bleibt noch irgendetwas auszusetzen. Wenn es darum geht, dass berühmte
Haar in der Suppe zu finden, sind wir doch oftmals dabei. So gesehen erscheint
Loben wirklich wie ein Opfer. Schade! Und ein weiteres kommt hinzu: Unsere
Gesellschaft und somit auch unser tägliches Leben ist geprägt
von der Aufeinanderfolge von Leistung und Gegenleistung. Die alte Frau
zahlt einen bestimmten Geldbetrag, dafür steht ihr dann eine ganz
bestimmte Pflegeleistung zu. Ich bestelle im Restaurant ein Essen, im
Bewusstsein dafür im Anschluss einen bestimmten Preis zu zahlen.
Oder noch ein anderes Beispiel: Wenn wir ein Geschenk bekommen, überlegen
Sie dann nicht auch oft im Stillen, wie Sie sich dafür wohl revanchieren
können?

Ja, liebe Gemeinde, alles hat seinen Preis – dieses Grundgefühl
ist vielerorts zu spüren.

Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert für den
Sonnenschein und das Rauschen der Blätter, die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen, für den Schnee und den Wind, den Vogelflug
und das Gras und die Schmetterlinge, für die Luft, die wir geatmet
haben, und den Blick auf die Sterne und für alle die Tage, die Abende
und Nächte.

Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen; bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht: Ich habe euch eingeladen, sagt
der und lacht, so weit die Erde reicht: Es war mir ein Vergnügen
.
So drückt es Lothar Zenetti, das Geschenk Gottes aus, aus dem heraus
wir leben. Das zu erkennen und dankbar anzunehmen – das ist unsere Aufgabe
– das ist das Lobopfer zu dem wir aufgefordert sind.

Aber, liebe Gemeinde, mal ehrlich, immer ist uns doch gar nicht zum Loben
zumute, denn täglich begegnen uns in Gesprächen durch Zeitung
oder Fernsehen oder wir erfahren es am eigenen Leib unzählige schwere
Schicksale, Entwicklungen, die zum Himmel schreien, die uns Angst machen,
ja, die Veränderung verlangen. Aber ich meine, gerade das Lob und
der Dank machen uns nicht blind und unempfindlich für viele Leiden,
persönliche oder weltweite, für Naturkatastrophen, wie in diesem
Jahr die große Flut. Ich möchte sogar sagen, das Danken und
Loben öffnet uns die Augen, ermöglicht uns tiefer zu sehen und
zu erkennen, wo unser Handeln gefordert ist, wo etwas verbesserungswürdig
ist. Sei es im Umgang mit der Schöpfung, im Zusammenhang mit Landwirtschaft
und Viehhaltung, ja, in unserem Umgang mit all dem, was uns anvertraut
ist.

Und da bin ich bei dem nächsten wichtigen Punkt auch unseres Predigttextes:
Aus dem Lob und dem Dank folgen tätige Konsequenzen. Diese sind für
den Schreiber des Briefes so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich weiß,
liebe Gemeinde, teilen, opfern, Gutes tun, das sind alles keine knisternden
Neuigkeiten, die der Hebräerbrief uns heute hier präsentiert.
Es sind die Klassiker des Christseins – aber, liebe Gemeinde, es sind
eben Klassiker, weil sie gestern galten, heute gelten und morgen immer
noch ihre Gültigkeit haben werden. Es ist das Doppelgebot der Liebe,
das hier anschaulich wird: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von
ganzem Herzen und ganzer Seele und deinen Nächsten wie dich
selbst. Mit dem Loben geht das Tun des Guten einher. Ohne Taten, ohne
Konsequenzen wäre der Glaube reiner Selbstzweck und tot. Aus solchem
Denken heraus ist in den ersten Gemeinden die Geldsammlung für die,
die in Not sind, entstanden. Das Denken über die eigenen Bedürfnisse
hinaus, ein Gefühl und Bestreben nach Gerechtigkeit war seit Beginn
charakteristisch für das Christentum. Diese tätigen Konsequenzen
des Glaubens sind nach wie vor sicher die materielle Hilfe für andere
Menschen, sei es durch Geld- oder Sachspenden, aber ebenso auch die Aufmerksamkeit
für das Wohlergehen unseres Nachbarn, unserer Nachbarin, denn
manche Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, dass sie da sind. Manche
Menschen wissen nicht, wie gut es ist, sie nur zu sehen. Manche Menschen
wissen nicht, wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.
Manche Menschen wissen nicht, wie wohltuend ihre Nähe ist. Manche
Menschen wissen nicht, wie viel ärmer wir ohne sie wären. Manche
Menschen wissen nicht, dass sie ein Geschenk des Himmels sind. Sie wüssten
es – würden wir es ihnen sagen.
So beschreibt Lena Lieblich einen
Aspekt christlichen Handelns und Miteinander – eine Konsequenz des Lobopfers.

Und nun zum Schluß der Predigt fällt mein Blick wieder auf
all die Pracht hier im Altarraum. Das Erntedankfest macht uns deutlich,
wir haben viele Gründe zum Loben und Danken, denn hinter all den
Gaben steht nicht allein menschliche Mühe und Arbeit, es steckt Gott
als Geber dahinter. Und so schenkt uns der Glaube ein anderes, ein tiefes
und befreites Lebensgefühl. Vergessen wir es nicht, auch nach dem
Erntedankfest: Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, darum dankt
ihm und hofft auf ihn. Amen.

 

Lied nach der Predigt EG 508 (Wir pflügen und wir streuen)

 

Literatur: Kirche im ländlichen Raum, Erntedank 2002 LippenBekenntnis,
2/2002 53. Jg, herausgegeben im Auftrag des Ausschusses für den Dienst
auf dem Lande in der Evangelischen Kirche in Deutschland (ADL)

 

 

Anke Fasse
Pastorin in Sengwarden/Wilhelmshaven
email: anke@sefarim.de

 

 

 

 

 

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