Apostelgeschichte 10, 34a.36-43

Apostelgeschichte 10, 34a.36-43

 


Ostermontag, 1. April 2002
Apostelgeschichte 10, 34a.36-43, verfaßt von Johannes Neukirch

Apostelgeschichte 10, 34a.36-43
Petrus tat seinen Mund auf und sprach: Gott hat das Wort dem Volk Israel
gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welche ist Herr
über alle. Ihr wißt, was in ganz Judäa geschehen ist,
angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie
Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft; der
ist umhergezogen und hat Gutes getan im jüdischen Land und in Jerusalem.
Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott
auferweckt am dritten Tag und ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen
Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir
mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von
den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen,
daß er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten.
Von diesem bezeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen alle,
die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.

Liebe Gemeinde,

„Bewegungsfreiheit“ ist für mich ein sehr hohes Gut. Ich
liebe das Gefühl, mich frei bewegen zu können, reisen zu können
genau so wie das Gefühl, frei denken und reden zu können, beides
ist, wie wir wissen, nicht selbstverständlich. Selbstverständlich
bewege ich mich, wie alle anderen Menschen auch, in bestimmten Grenzen.
Ich kann auch nur dann wegfahren, wenn meine Frau und ich Urlaub haben.
Ich bewege mich, ich führe mein Leben nach bestimmten Regeln und
Konventionen. Trotzdem habe ich ganz grundsätzlich das Gefühl
von Bewegungsfreiheit.

Ich komme auf diesen Begriff „Bewegungsfreiheit“, weil er am
Ende eines faszinierenden Werbespots steht, der zur Zeit im Fernsehen
ausgestrahlt wird. Ein junger Mann steht in einem leergeräumten nichtssagenden
Raum, sein Gesicht in Nahaufnahme drückt ernste Entschlossenheit
aus. Musik von Händel setzt ein. Dann fängt dieser Mann an zu
rennen, rennt durch den Raum auf die Wand zu und einfach durch die Wand
hindurch. Er rennt weiter, von Raum zu Raum, immer durch die Wände
hindurch, quer zu den offenen Fluren, die in die andere Richtung gehen.
Neben ihm taucht eine junge Frau auf, auch sie durchbricht die Wände.
Beide rennen durch die letzte Wand des Gebäudes, sind in einem Wald
und laufen einen riesigen Baum hoch. Sie werden immer schneller, die Musik
wird immer dramatischer, schließlich sind sie am Wipfel des Baums,
aber sie halten nicht an, sie rennen weiter und springen in den blauen,
endlosen Himmel hinein. Dann wird das Wort „Bewegungsfreiheit“
eingeblendet. Das Ganze ist übrigens ein Werbespot für eine
Jeanshose.

Noch nie sah ich einen Dreißig-Sekunden-Film, der so intensiv Freiheit
und die Sehnsucht nach Überwindung von Grenzen darstellt. Die Grenzen
durchbrechen, Mauern überwinden und sich dann in den blauen Himmel
fallen lassen. Das ist ja auch die Aufgabe derer, die Werbung machen:
Sie müssen unsere Sehnsüchte treffen und abbilden, sie müssen
uns sagen: mit diesem Produkt hebst du dich über dein graues alltägliches
Leben hinaus. Mit diesem Produkt kommst du weiter, bist du mehr.

Bewegungsfreiheit – da fällt mir sofort ein, wo die Bewegungsfreiheit
eingeschränkt ist. In Flüchtlingslagern, in Kriegsgebieten,
dort wo Mädchen verboten wird, die Schule zu besuchen, überall
wo Menschen unterdrückt werden, wo sie hungern, wo sie keine Arbeit
haben. Auch eine Krankheit kann die Bewegungsfreiheit enorm einschränken.
Genau so schlimm ist es, wenn man seine Meinung nicht frei äußern
kann, wenn man im Denken und Fühlen behindert wird. Und was es bedeutet,
wenn sich die Menschen gegenseitig die Bewegungsfreiheit nehmen, das sehen
wir zur Zeit in Israel.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Der Abschnitt aus
der Apostelgeschichte, den ich als Predigttext vorgelesen habe, ist ein
schönes Beispiel dafür, wie Menschen mehr Bewegungsfreiheit
geschenkt wurde.

Petrus erzählt von Jesus – aber nicht irgendjemandem, sondern dem
römischen Hauptmann Kornelius. Dieser hatte zwei seiner Leute zu
Petrus geschickt, um ihn zu sich zu holen. Wie Petrus und Kornelius zusammenkommen,
ist eine komplizierte, aber interessante Geschichte. Eigentlich ist zwischen
ihnen eine Mauer, eine religiöse Mauer, die zwischen dem Juden Petrus
und dem Heiden Kornelius, der aus der Sicht des Petrus unrein war, ein
Fremder, jemand, zu dem man eigentlich keinen Kontakt aufnimmt. In der
Apostelgeschichte wird nun sowohl von Kornelius als auch von Petrus berichtet,
dass sie Erscheinungen hatten. Kornelius hatte die Erscheinung eines Engels,
der zu ihm sagte, er solle Petrus zu sich holen. Petrus wiederum hatte
eine Erscheinung, die ihm klar machte, dass die Unterscheidung von rein
und unrein, von Jude und Heide keine gottgewollte Unterscheidung ist!
Sie sehen, liebe Gemeinde, es waren Umwege und große Anstrengungen
nötig, bis sich die beiden treffen konnten. Aber es war ein historisch
überaus bedeutsames Treffen: der christliche Glaube überwindet
die Mauer zwischen Juden und Heiden, nur so konnte er sich weiter und
schließlich auch zu uns hin ausbreiten: Bewegungsfreiheit.

Nun ist Petrus also im Haus des Kornelius, das er vor kurzem noch erst
gar nicht betreten hätte, sitzt mit ihm und seiner Familie an einem
Tisch. Was geschieht?

„Petrus tat seinen Mund auf und sprach“ heißt es in aller
Nüchternheit und dann fasst Petrus in wenigen Worten den Kern des
christlichen Glaubens zusammen, er bezeugt den Grund christlicher Freiheit:
Dass Jesus von Nazareth durch die Lande gezogen ist, voll des heiligen
Geistes und voller Kraft, dass er Gutes getan hat, alle gesund gemacht
hat, die in der Gewalt des Teufels waren, dass sie ihn getötet haben
und dass Gott ihn am dritten Tag auferweckt hat.. Dass er danach als Auferstandener
einigen erschienen ist und ihnen befohlen hat, das alles weiterzuerzählen
– nämlich dass alle, die an ihn glauben, die Vergebung ihrer Sünden
bekommen.

In aller Schlichtheit bezeugt Petrus das, was geschehen ist. Nicht ohne
Folgen: „Während Petrus noch diese Worte redete,“ heißt
es, „fiel der heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten“.

Bewegungsfreiheit – plötzlich war sie da, eine neue Bewegungsfreiheit.
Worte sind gefallen, die den Horizont geöffnet haben. Ob rein oder
unrein, ob Jude oder Heide, alle Schranken sind gefallen und der Heilige
Geist hat Kornelius und sein ganzes Haus in Ekstase versetzt. Sie „redeten
in Zungen“ heißt es.

Ich bin sicher, wenn Kornelius an diesem Tag diesen Werbespot, von dem
ich erzählt habe, hätte sehen können – er hätte gesagt:
das trifft genau meine Stimmung: Ich kann Mauern durchbrechen, ich bin
frei. Denn ich weiß jetzt von dem, der mich befreit hat, der für
mich gestorben ist, der von Gott von den Toten auferweckt worden ist und
für uns diesen Weg freigemacht hat.

Für mich, liebe Gemeinde, gibt Ostern die größtmögliche
Bewegungsfreiheit, die ich mir vorstellen kann. „Er hat zerstört
der Höllen Pfort, die Seinen all herausgeführt“ heißt
es in einem Osterlied. Und was das für uns bedeutet, wird in dem
Lied beschrieben, das wir zum Schluß singen werden: „Wach auf,
mein Herz, die Nacht ist hin, die Sonn ist aufgegangen. Ermuntre deinen
Geist und Sinn, den Heiland zu umfangen, der heute durch des Todes Tür
gebrochen aus dem Grab herfür der ganzen Welt zur Wonne.“

Ich weiß, es geht nicht – aber ich würde gerne der Werbeagentur
diesen Spot abkaufen und nur den Schluss leicht ändern. Wenn die
beiden den Baum hoch gerannt sind und in den freien Raum springen, müsste
man einblenden: Ostern gibt Bewegungsfreiheit. Denn der Herr ist auferstanden
– er ist wahrhaftig auferstanden.

Amen.

Dr. Johannes Neukirch
E-Mail: johannes.neukirch@evlka.de

 

 

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