An Gottes Segen…

An Gottes Segen…

An Gottes Segen ist alles gelegen | Predigt zu 4. Mose 6,22-27 |verfasst von Paul Wellauer |

 

Predigttext 4. Mose 6,22-27 [Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007]

 

Der Priestersegen

22 Und der HERR sprach zu Mose:

23 Rede zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen, sprecht zu ihnen:

24 Der HERR segne dich und behüte dich.

25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

26 Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.

27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, und ich werde sie segnen.

 

Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach lebt. Amen

 

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, versammelt unter Gottes segnenden Händen

«Heile Welt», so hat der Künstler Peter Kübele sein Fensterbild benannt, das in der Kirche Bürglen (Thurgau, Schweiz) zu bewundern ist. Es zeigt Gott den Schöpfer inmitten seiner farbenfrohen und vielfältigen Schöpfung mit ausgestreckten, segnenden Armen. Das Gesicht des segnenden Gottes ist der Schöpfung zugeneigt. [Auf einen Exkurs zum Bilderverbot in den 10 Geboten verzichte ich hier und geniesse das paradiesische Bild des nahen Gottes, der mitten in seiner Schöpfung wandelt, vgl. 1. Mose 3,8]
Im Rahmen unseres alljährlichen Kanzeltausches in unserer Region durfte ich Anfang Jahr einen Gottesdienst in dieser Kirche gestalten. Mich hat das Kirchenfenster begeistert, umso mehr, als es ein heller Morgen war und von draussen die Sonne durch die bunten Glasscheiben leuchtete, als wollte sie die Wirkung des Fensters bestätigen und verstärken. «Heile Welt»: Gemeint ist wohl die Schöpfung noch vor dem Sündenfall, als Gott alles betrachtete und sah, «dass alles gut war.» «Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut.» [1. Mose 1,31]

 

Drei Mal lesen wir im Schöpfungsbericht, dass Gott das Geschaffene segnet: Am fünften Schöpfungstag alle Tiere, am sechsten die Menschen [1. Mose 1,22.28] und am siebten Tag legt er seinen Segen auch auf diesen besonderen Tag, den Ruhetag, an dem auch Gott selbst von seinem Werk ruht. [1. Mose 2,2-3]

Gottes Segen, sein schützender, bewahrender Zuspruch gilt demnach Tier und Mensch und auch der besonderen Zeit, die am Sabbat in Ruhe und Besinnung Gott geweiht sein soll. Wir sind Gesegnete, wenn wir hier und heute Gottesdienst feiern oder uns ganz persönlich Zeit nehmen für Stille, Besinnung und die Ausrichtung auf Gott. Wir sind gesegnet, weil Gott sich uns zuneigt, sein Gesicht uns zuwendet, sein Antlitz über uns leuchten lässt.

Auch der Aaronitische oder Priestersegen ist ein dreifacher Segen, ein Dreischritt, in welchem uns Schutz, Gnade und Frieden zugesprochen werden.

I) Der HERR segne dich und behüte dich. (V24)

In unserer Region findet man da und dort Anschriften an Häusern, vor allem an alten Bauernhäusern: «An Gottes Segen ist alles gelegen». Haus und Stall bieten Schutz und Heimat für Mensch und Tier, und doch ist den Bewohnern klar: Wir sind und bleiben angewiesen auf einen anderen Schutz als den, welchen uns Mauern und ein Dach über dem Kopf bieten können. Landwirte erleben tagtäglich, dass all ihr Arbeiten, Säen und Ernten von Wind und Wetter abhängig sind. Und wenn etwas an der Corona-Krise heilsam sein könnte für unsere Gesellschaft, wäre es genau diese Einsicht: Wir haben nicht alles im Griff! Die Wesentlichen Dinge des Lebens stehen letztlich nicht in unserer Verfügungsmacht: Unsere Geburt, unsere Gesundheit, unser Tod und das Leben in Ewigkeit liegen in den Händen des Schöpfers, der diese Welt geschaffen und gesegnet hat.

Als Bauernsohn sind mir die Strophen des Matthias Claudius-Liedes «Wir pflügen und wir streuen» (1783) sehr vertraut: Sie drücken auf poetisch-tiefsinnige Weise aus, welche wunderbare Kraft in Gottes Segen schlummert.

  1. Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land.
    Doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.
    Der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft,
    wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.

Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn:
Drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.

  1. Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein,
    er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein
    und bringt ihn dann behände in unser Feld und Brot;
    es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.

Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn:
Drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.

In diesen Liedversen berührt und bewegt mich immer neu: Gottes Segen hat seinen Ursprung bei Gott, ER ist der Spender, der Geber, der «Segner». Und doch sind auch unsere Hände und unser Herz mit im Spiel: «…unser Feld und Brot, es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.» Wir dürfen, wir sollen Gottes Segen empfangen, mit ihm arbeiten, ihn dankbar geniessen und teilen. Gottes Segen kommt nur zur vollen Entfaltung, wenn wir sein Begleiten und Leiten auch zulassen, seinen Schutz suchen und geniessen.
Selbstverständlich kann und wird Gottes Segen auch an, in und durch Menschen wirken, die ihn nicht bewusst kennen, ehren oder auf ihn hören, aber er wird sich bei jenen vermehren und gedeihen, die mit ihm rechnen und auf ihn bauen. So wie der Bauer mit gnädigem und fruchtbarem Wetter rechnet, wenn er seine Saat ausgebracht hat.

«Der HERR segne dich und behüte dich.», kann in anderen Worten heissen: Was du in deinem Leben im Vertrauen auf Gott säst, hegst und pflegst, wird er gerne wachsen und gedeihen lassen und dir eine gute Ernte schenken.

II) 25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. (V25)

In jüdischen Familien gehört es zur Einstimmung in den Sabbat, dass der Vater jedem seiner Kinder persönlich und auf Augenhöhe den priesterlichen Segen zuspricht. Auch wenn er drei, fünf oder sieben Kinder hat, wird er jedem einzelnen in die Augen blicken und mit den Worten des Aaronitischen Segens Gottes Nähe, Fürsorge und Hilfe zusagen. Jedes der Kinder erfährt die Zuwendung des irdischen Vaters und kann dahinter den Schutz und die Obhut Gottes erahnen. Ich stelle mir vor, die Worte des Vaters und die ungeteilte Aufmerksamkeit brennen sich tief in die Herzen und den Geist der Kinder ein, ihr Vertrauen wird genährt und gestärkt. Zu den Aufgaben der Mutter gehört es, die Sabbatkerzen noch vor dem Anbruch der Dunkelheit zu entzünden, weil danach Feuer machen nicht mehr erlaubt wäre. Die Mutter bringt Licht ins Dunkle und verdeutlicht und vertieft diesen Segenszuspruch: «Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.» Die Blicke der Eltern und das Leuchten der Kerzen entzünden wohl auch im Innern der Kinder immer neu Lichter der Hoffnung und des Glaubens: «Da ist ein Gott, der mich freundlich und gnädig betrachtet, mich ermutigend anspricht, Licht in die dunklen Momente meines Lebens bringt!»
Ich habe mir sagen lassen, dass es selbstverständlich auch in jüdischen Familien Spannungen und Streit gibt, gerade auch, wenn es um die Feier des Sabbats und die Einhaltung der Sabbatregeln geht, doch von diesem Moment des Segenszuspruchs wird mit grosser Ehrfurcht und Achtung berichtet: Es sind heilige und heilsame Minuten, in denen etwas von der Heiligkeit Gottes in den irdischen Alltag hineinleuchtet. Und es sind gnadenvolle Momente, weil Meinungsunterschiede und Feindseligkeiten plötzlich in den Hintergrund treten und viel von ihrem Gewicht verlieren. Alle Beteiligten erleben, was es heissen kann «Der Herr… sei dir gnädig.»

So taucht dieser Segensvers unser bisheriges Leben, unsere Unzulänglichkeiten und Sünden in Gottes gnädiges Licht: Busse, Vergebung und Neuanfang sind unter dem Segen Gottes nicht bedrohlich oder eine Last, sondern entlastend und befreiend, hell und hoffnungsvoll. So, wie sich die Kinder auf das besondere Sabbat-Abendessen freuen, dürfen wir uns an den Tisch Gottes setzen, wo uns nicht Vorwürfe und Anklagen aufgetischt werden, sondern Gnade und Erlösung.

Als Pfarrer erlebe ich es als etwas vom Schönsten und Kraftvollsten, wenn ich beim Abendmahl den GottesdienstbesucherInnen das Brot als Vergegenwärtigung des Leibes Christi geben darf: Gottes Heilstat verdichtet in einem Stück Brot, sinnlich, besinnlich, spürbar, belebend. Und ich hoffe und bete jeweils, dass die Empfangenden in diesem Moment Gottes gnädige Nähe erfahren und in sich aufnehmen können.

Mein Tipp: Rufen sie sich einen solch befreiend-belebenden Moment beim Feiern des Abendmahls in Erinnerung, wenn Ihnen der Priestersegen zugesprochen wird und versetzen sie sich in die Lage der Kinder beim Sabbat-Segen!
«Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.», kann dann heissen: Ich blicke Gott in die Augen, wie das Kind am Sabbat seine Eltern anschaut und ich empfange aus Gottes Hand Gnade wie das Stück Abendmahlsbrot.

III) Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden. (V26)

Beim dritten Teil des Segens ist es erneut ein Kirchenfenster, das in meinem Innern aufleuchte: «Der segnende Christus», wie er in vielen Kirchen als Bild oder Kirchenfenster zu finden ist. Dieses spezifische Kirchenfenster erschien mir allerdings in einem Traum und der darauf dargestellte Christus sprach mir zu: «Zieht ihr nur weiter; ich schaue hier schon zum Rechten; das mache ich seit Jahrhunderten und auch für die nächsten Jahrhunderte!»

Ich hatte eine Berufung aus einer Kirchgemeinde erhalten, bei ihnen das Pfarramt zu übernehmen. An sich eine sehr schöne und verlockende Anfrage, aber mit einer grossen Familie überlegt man sich mehr als nur zwei Mal, ob man aus einer lebendigen und verheissungsvollen Gemeindesituation weggehen möchte, wenn doch so viele Beziehungen und Teams tragend und ermutigend sind. Meine Familie und liebe Freunde beteten für eine gute Entscheidung und wogen auch etliche Für und Wider ab. Bisher hatte ich kaum je Träume, in denen ich einen «Wink von Gott» erhielt, aber dieser Traum war ein wesentlicher Mosaikstein für das Gesamtbild, in die neue Gemeinde zu wechseln.

«Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.» bedeutete in dieser Situation für meine Familie und mich: Jesus Christus hat den Überblick über meine Situation, Familie und Gemeinde und weit darüber hinaus über die weltweite Kirche und Menschheit. Er sieht nicht bloss meine momentane Situation und meine Bedürfnisse, er weiss auch schon um nächste Schritte und Entscheidungen. Er schenkt mir innere Ruhe, Gelassenheit und Vertrauen, mich auf seine guten Pläne einzulassen. Ich finde innerlich Frieden, eine Entscheidung zu treffen und einen Schritt zu gehen, von dem ich erwarte, dass Christus an meiner Seite ist, mir vorausgeht und mich ans Ziel führt.

Vielleicht erinnern sie sich an eine ähnliche Situation, in der nach langem Ringen und Beten «eine Tür aufging», Fragen wie von selbst beantwortet wurden und eine grosse und schwierige Entscheidung plötzlich leicht fiel. Gut möglich, dass dies ihr ganz persönlicher «Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.»-Moment war, den ihnen niemand nehmen kann und von dem es sich lohnt, ihn tief im Herzen festzuhalten.

Nicht immer sind es solch grosse und lebensverändernde Schritte, die uns Gottes Segen und Frieden erfahren lassen: Auch im «ganz normalen» Alltag ist Gott uns mit seinem Segen nahe. Ein Vers aus dem Psalm 32 (V8) bringt dies in meinen Augen sehr schön auf den Punkt: «Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.»

Wenn Gott sein Angesicht über uns leuchten lässt, uns sein Angesicht zuwendet, was heisst das anderes, als dass er mit seinen Augen den Weg betrachtet und überblickt, der vor uns liegt? An uns ist es wiederum, seinem guten Blick für den richtigen Weg zu vertrauen und uns leiten zu lassen.
Am letzten Sonntag haben wir Pfingsten gefeiert: Gott sendet uns seinen Geist als «anderen Beistand», als Fürsprecher, Tröster und «Leiter in alle Wahrheit». [Johannes 14,16-17.26; 16,7.13] Auch wenn wir Jesus nicht mehr sichtbar unter uns haben, Gottes Heiliger Geist übernimmt gerne und verlässlich die Aufgabe, uns wie ein guter Hirte ans frische Wasser und durch dunkle Täler zu führen, bis wir im Haus des Herrn ewige Heimat finden. [Nach Psalm 23]

«Der HERR segne dich und behüte dich.»Gottes «Heile Welt» gewinnt Gestalt, wo ich mein Saatgut mutig und grosszügig aussäe und erwarte, dass Gott Segen, Wachstum und Gedeihen schenkt.

«Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.»Gott blickt mich an wie liebevolle Eltern ihr Kind, er zündet mir ein Licht der Hoffnung an und verschenkt sich mir in Jesus Christus als das Brot des Lebens. Aus seiner Gnade darf ich leben.

«Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.»In grossen und kleinen Entscheidungen: Gott überblickt den Weg, Jesus Christus geht an meiner Seite und der Heilige Geist führt mich ans Ziel.

Amen

Liedvorschläge

ERG 540 Wir pflügen und wir streuen [Matthias Claudius]

[RG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, 1998]

RW 110 Gott segne dich [Jennifer & Martin Pepper]

[Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, TVZ 2017]

Tipp für KollegInnen, die keinen Beamer zur Verfügung haben, um die Bilder zu projizieren: Die Bilder in Postkartengrösse ausdrucken und verteilen oder grossformatig ausdrucken und beim Kircheneingang oder im Chor der Kirche aufstellen.

Pfr. Paul Wellauer

Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich

Fotos

«Heile Welt» / Peter Kübele, Evang. Kirche Bürglen, Thurgau, Paul Wellauer

«Segnender Christus» / Alte Evang. Kirche Zürich-Altstetten, Paul Wellauer

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