Markus 8,31-38 

Home / Bibel / Neues Testament / 02) Markus / Mark / Markus 8,31-38 
Markus 8,31-38 

Unaufhaltsam | Estomihi | 27.02.22 | Mk 8,31-38 | Eberhard Busch |

Ist es nicht anstößig, was Jesus hier sagt? – und das sagt er ausgerechnet seinem Jünger Petrus, ihm, der an der Spitze seiner Nachfolger steht, ihm, der dann als der erste Papst genannt wird, ihm, unter dessen Namen zwei Briefe in unsrer Bibel stehen. Ihm sagt Jesus: „Nein, was du meinst und willst, das ist nicht göttlich. Das ist teuflisch. Das hat dir der Satan eingeflüstert.“ Aber Himmel, warum weist Jesus ihn diesmal zurecht? In unserer Sicht meint er es doch gut. Er will Jesus schützen. Es möge ihm um Himmels willen kein Leid widerfahren. Sagen wir nicht Ähnliches, wenn wir jemanden vor Unfall und Gefahr warnen: „Pass auf dich auf!“ Was ist denn daran schlimm? Unterscheidet sich Petrus damit nicht von so manchen, die Ungutes im Schilde führen? Und wenn schon Kritik, muss Jesu Tadel eine derart grobe Keule sein? Sei doch höflich, wünscht man sich. Jesus macht uns hier Mühe, ihn zu verstehen. Ist er denn nicht der “liebe Heiland“, wie man ihn oft gemalt hat? Seine Heftigkeit passt nicht in unser Bild von ihm.                                                           

Aber scheuen wir nicht die Mühe, unser Bild von ihm zu überprüfen! Die Mühe lohnt sich. Sein strenges Wort an die Adresse seines Jüngers ist gleichsam eine Nuss, die von einer harten Kruste ummantelt ist. Seien wir geduldig! Auch harte Nüsse lassen sich öffnen. Und in dieser festen Schale befindet sich ein guter, schmackhafter Kern. Wirklich? Hören wir genau hin auf das, was Jesus sagt: auf das Evangelium, auf die gute Nachricht, die er den Seinen, die er auch uns heute mitteilt!

Was das Geheimnis seiner Mitteilung erklärt, ist ein einziges Wort – es ist das Wörtlein: muss. Er, der den Ehren-Titel „Menschensohn“ trägt, er „muss“ viel leiden, heißt es.  An dem Wörtlein „muss“ hängt hier alles. Nur kommt es darauf an, dass wir es richtig verstehen. Das redet nicht von einem blinden Schicksal. Gemeint ist nicht ein fatales Verhängnis, dem man nicht entrinnen kann, vor dem man resignieren muss, das einem, ob man will oder nicht, übergestülpt wird. Recht verstanden redet dieses „muss“ von Gottes gutem Willen, der uns gerade nicht resignieren lässt angesichts des Unabänderlichen. Der gibt uns Hoffnung – eine, in der wir gern Ja sagen dürfen: „Was mein Gott will, das g‘scheh allzeit, sein Will, der ist der beste.“ Vor einer Verwechslung von Gott und Schicksal seien wir gewarnt! Das Schicksal ist nicht wie eine gute Nuss. Es ist verletzend wie in spitziger Stein. Es gibt gewiss rätselhafte Schicksale. Aber Gottes Wille ist anders. Um dessen Geschehen betteln wir doch geradezu im Unservater: „Dein Wille geschehe!“ (Mt 6.10) Gottes Wille überwindet das Leiden unter einem dunklen Schicksal. So dass wir uns der Führung Gottes anvertrauen können.

Wenn Jesus sagt, dass der mit dem Ehrentitel Bekleidete viel leiden muss, dann hat dies einen ganz besonderen Sinn. Dann sagt er: Sein Eintreten für Schuldige, seine Hingabe zur Heilung von Unheil, sein für ihn selbst schmerzlicher Zugriff zur Beseitigung von Falschem, das „muss“ sein.  Sein Einsatz geschieht uns zugute, für uns, denen er zu seiner Unversehrtheit besser aus dem Weg ginge. Aber er geht uns nicht aus dem Weg. Er opfert seine Unversehrtheit auf für unsre Gesundung. Das muss sein, dass er sich dafür hergibt und dazu hingibt. Dafür ist er da. Das ist seine Leidenschaft. Das ist, wie man einen steilen Weg gehen muss, um ans Ziel zu gelangen. Oder seine Selbstgefährdung in seiner Hingabe gleicht eben einer harten Nuss, die geknackt werden muss, um den guten Kern zu schmecken. In seinem Kreuz ist er der „liebe Heiland“. „Dein Wille geschehe“ – ja, dort geschieht er. Das kommt nach drei Tagen, in Jesu Auferstehung ans Licht.

Können wir nun verstehen, warum er den Petrus so streng maßregelt? Wieso nennt er ihn Satan? So als würde sein Jünger sich nicht unterscheiden von den Schurken, die ohne ihn auskommen möchten. Warum fährt Jesus nicht denen an die Kandare? Warum schweigt er zu deren Machenschaften? In Jesu Augen ist dieser ihm nahestehende Petrus ebenso hilfsbedürftig, ja, noch hilfsbedürftiger als die, die ihm nicht nachfolgen. Vor 1400 Jahren hat ein Papst Gregor den Satz geprägt: „Die Verderbnis der Besten ist das Allerschlimmste.“ Ein scheinbar winziger Zugriff Gutmeinender mag winzig scheinen. Jedoch vermag er heillose Auswirkungen haben. So, wie die Entdeckung der Kernspaltung im Jahr 1938 „ein neues Zeitalter in der Geschichte der Menschheit“ heraufgeführt hat (Lise Meitner). Kleine Ursache, böse Folgen.

Was lastet Jesus denn dem Petrus an? Der will den Gesandten Gottes zwar bewahren vor dem Argen. Aber man kann es gut meinen – und man tut tatsächlich das Verkehrte. Man tritt für ein vermutlich Rechtes ein und tritt dabei daneben. Indem Petrus den Heiland der Menschen zu schützen meint, fällt er ihm in den Rücken, hindert ihn, das zu tun, was zum Heil der Menschen getan werden „muss“. Es wäre ernstlich satanisch, einen Wohlfühl-Heiland haben zu wollen, einen, der unberührt wäre vom menschlichen Schicksal, einen leidensunfähigen, einen, der sich nicht hergibt zum Widerstand gegen den Unfug, zugunsten der Rettung der Bedrohten. Ja, Petrus will einen anderen Gott haben. Ein Maskottchen, das unbefleckt ist von all der Misere, das scheint ihm zu passen. Genau das ist Teufelszeug, einen solchen Gott haben zu wollen. Einen anderen als den, der sich für seine Menschen einsetzt und verausgabt Und wenn es noch so gut gemeint ist! Und wenn es noch so fromm klingt! Einen solchen sich ausmalen, wünschen, anbeten, das wäre eine miserable Sache, eine schädliche Spinnerei.

Gott, wie er in Jesus unter uns ist, ist von andrem Format. Er tut, wozu er geschickt ist. Und lässt sich selbst von einem Petrus nicht aufhalten. Unaufhaltsam wie die Planeten um die Sonne kreisen, verrichtet er seine göttliche Aufgabe. Unaufhaltsam, was das ihn auch koste! Unaufhaltsam, damit es uns zum Guten nütze! Er lässt sich nicht stoppen auf seinem Weg, auf seinem Weg an den Rand des Abgrunds, in unsre Nähe. Es ist eben so, wie wir es schon im Buch Jesaja lesen (57,15): „So spricht der Hohe und Erhabene – der ich in der Höhe und im Heiligtum wohne und bei den Zerschlagenen und Gedemütigten, dass ich die Gebeugten belebe und das Herz der Geschlagenen erquicke.“ Sagen wir ruhig mit Martin Luther: „und ist kein andrer Gott“.

Paul Gerhardt, der Liederdichter, hat besungen, worum es geht, wenn er uns von diesem Gott und unsrem Heiland singen lässt: „Sein‘n Lauf kann niemand hindern, sein Arbeit darf nicht ruhn, wenn du, was deinen Kindern ersprießlich ist, willst tun.“ „Und ob gleich alle Teufel hier wollten widerstehn, so wird doch ohne Zweifel Gott nicht zurücke gehn. Was er sich vorgenommen, und was er haben will, das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.“ Drum „hoff, o du arme Seele hoff und sei  unverzagt, Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken. ..“

Was ist also mit den Menschen, die wohl oder übel beteiligt sind bei dem, was Jesus in Gottes Namen tun „muss“? Indem er sich hingibt, tut er es ja genau für die, die daran beteiligt sind. Sie können von Glück sagen. Durch Petrus hat sich Jesus gottlob! nicht bremsen lassen. Wir wären sonst rettungslos dem gottserbärmlichen Schicksalsgott ausgeliefert. Petrus sucht Jesus bei seiner Hingabe zu unserm Heil zu hindern. Er läuft auf der schiefen Ebene, auf der er sich von Jesus lossagen wird. Er fällt Jesus in den Arm. Ja, aber Jesus hält ihn fest mit seinem Arm. Den lässt er nicht fallen. Und sagt ihm: „ich kann dich brauchen, genau dich. Du bist mein Jünger“ (vgl. Joh 21,15f) Zum Glück für die Gutmenschen von seinem Schlag.

Zum Glück für die Ältesten, Hohepriester und Schriftgelehrten gibt Jesus auch sie nicht auf. Gewiss, sie sind dafür, er müsse beseitigt werden. Doch sie schaffen es nicht, Gott aus dem Verkehr zu ziehen. Es gelingt ihnen nicht, sich ihm querzulegen, sie, die bei Jesu Kreuzweg als eine Art Vollzugsbeamte beteiligt sind, als Hilfskraft, als Zuarbeiter. Was immer sie Böses planen und durchführen, „Gott sitzt im Regimente“. Sie sind nur seine Handlanger. Was immer sie gemeint und gewollt haben, unaufhaltsam nimmt er sie mit auf seinen Weg. Sie können sich nicht selbst rechtfertigen, aber Gott kann es.  Es geht auch hier zu, wie es schon im ersten Buch Mose Kapitel 50 heißt: „Ihr Menschen gedachtet es böse zu machen, aber Gott hat es gut gemacht“. Zum Glück für die, die es nicht gut machen.                                                                                                                                                                                        

Zum Glück auch für uns, die vielen Grund haben, an die eigene Brust zu schlagen. Wir haben unseren Bibeltext noch nicht verstanden, wenn wir jetzt den Petrus oder jene Hohepriester und Schriftgelehrten als Sünder anschwärzen. Ein Narr, wer diese Geschichte gegen Juden oder sonstwen verwendet. Ein Weiser, der damit sich selbst prüft. Prüfen wir uns im Licht dessen, der sich für uns eingesetzt hat! Er sagt auch uns: „Trotz allem, was dagegen spricht, ich kann dich brauchen.“ Er bittet auch uns, ihm zu folgen, in seiner Spur, auf dem Weg, auf dem er uns vorangegangen ist. Unaufhaltsam zieht er uns in seinen Bann und lässt uns seine Stimme hören: „Wenn jemand mit mir gehen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich. Und folge mir nach“. Der lerne, über sich hinauszublicken, ohne sich stoppen zu lassen von Schwierigkeiten, von Widerständen, von Zweifeln in der eigenen Brust.

„Wer mir will nachfolgen“, sagt Jesus, „der nehme sein Kreuz auf sich.“ Wer in seine Nähe geraten ist, bekommt etwas zu tragen und muss einiges ertragen. „Es kostet viel, ein Christ zu sein“, hat der Apotheker Christian Friedrich Richter gedichtet. Gottes Gnade ist keine billige Gnade, sie ist teuer – teuer „weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt“, hat uns Dietrich Bonhoeffer eingeschärft. Das Kreuz, das in der Nachfolge zu tragen ist, besteht nicht einfach in dem Übel, das allen irgendwann auferlegt ist.  Es besteht wie das Kreuz Christi in der vorbehaltlosen Teilnahme am Unglück der Anderen: an ihrer Trostlosigkeit, an ihrer Haltlosigkeit, an der Bitterkeit ihres Schicksals. Im Lukasevangelium lesen wir den Satz (6,36): „Seid barmherzig, so wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.“ Und hören wir dazu den Vers von Bertold Brecht: „Ihr, ich bitt euch, wollt nicht in Zorn verfallen, denn alle Kreatur braucht Hilf von allen.“      

___                                                                           

Eberhard Busch

37133 Friedland

ebusch@gwdg.de

de_DEDeutsch