2. Mose 32,1-6.15-20

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2. Mose 32,1-6.15-20

Auch für uns Christen: Bildlosigkeit Gottes! | 02.03.22 | Ex 32,1-6.15-20 | Rainer Stahl |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser! Liebe Schwestern und Brüder!

Zuerst hoffe ich, Ihnen mit meiner eigenen Übersetzung dieses beeindruckenden Bibelabschnitts Gesprächsanstöße bieten zu können:[i]

1aα    „Und es sah das Volk,

aβ     dass Mose zögerte, vom Berg herabzusteigen.

bα1  Und es versammelte sich das Volk über / zusammen mit Aaron.

bα2  Und sie sprachen zu ihm:

bβ1   »Komm / Steh auf [und] mache uns Götter {!}, die vor uns hergehen.

bβ2   Denn siehe, Mose – der Mann, der uns hinaufgeführt hat vom Land Ägypten –,

bβ3   nicht wissen wir, was ihm ist.«

2aα    Und es sprach Aaron zu ihnen:

aβ     »Reißt die goldenen Ringe ab, die in den Ohren eurer Frauen, eurer Söhne

und eurer Töchter sind.

b      Und bringt sie zu mir.«

3a      Und das ganze Volk riss die goldenen Ringe ab, die in ihren Ohren sind.

b      Und sie kamen [mit ihnen] zu Aaron.

4aα    Und er nahm es von ihren Händen.

aβ     Und er bildete damit mit dem Meißel

aγ     und machte [es] zu einem gegossenen Kalb.

bα    Und sie sprachen:

bβ    »Diese {!} sind deine Götter {!} Israel,

bγ     die dich herausgeführt haben aus dem Land Ägypten!«[ii]

5aα    Und Aaron sah es.

aβ     Und er baute einen Altar davor / vor ihnen.

bα    Und Aaron rief aus und sprach:

bβ    »Ein Fest für Jahwe / für Adonaj / für den Herrn morgen!«

6aα    Und sie standen früh am Morgen auf,

aβ     und sie ließen Brandopfer aufsteigen

aγ     und brachten Friedensopfer / Schlachtopfer dar.

bα    Dann setzte sich das Volk und aß und trank.

bβ    Und / danach stand es auf, um sich zu vergnügen.

15aα    Und er [Mose] wandte sich um, und Mose stieg vom Berg herab.

aβ     Und die beiden Tafeln der Weisung in seiner Hand.

bα    – Tafeln, beschrieben auf ihren beiden Seiten.

bβ    Von vorn und von hinten waren sie beschrieben.

16a      Die Tafeln aber: Sie waren Werk Gottes,

bα    und das Geschriebene: Geschrieben von Gott war es,

bβ    eingeritzt in die Tafeln –.

17a      Da hörte Josua den Lärm des Volkes wegen seines Jauchzens

bα    und meinte zu Mose:

bβ    »Kriegsgeschrei ist im Lager!?«

18a      Er [Mose] aber sagte:

»[Doch] kein Laut von Siegesliedern.

Und kein Laut von Klagegesängen.

b      Laut von Wechselgesängen höre ich.«

19aα    Und es geschah, als er sich dem Lager näherte,

aβ     sah er das Kalb und die Tänze.

bα    Und es entbrannte der Zorn des Mose.

bβ    Und er warf die Tafeln aus seiner Hand

bγ     und zerschmetterte sie unten am Berg.

20aα    Und er nahm das Kalb, das sie gemacht hatten,

und verbrannte es in Feuer,

aβ     zermalmte es, bis es zerstob,

bα    und verstreute es in Wasser

bβ    und ließ es die Söhne Israels trinken.“[iii]

Vielleicht vor zehn Jahren entdeckte ich in einem der Antiquariate auf der Leipziger Buchmesse ein mich sofort beeindruckendes Buch aus dem Jahr 1924 – von Uriel Birnbaum: „Moses“.[iv] Der Verfasser hatte dort den Zusammenhang dieser biblischen Geschichten großartig wiedergegeben: „Er führte das Volk der Feuersäule nach zu dem Berge der Berufung, er stieg empor zu dem flammenden Gipfel, blieb vierzig Tage dort oben, dem Volke durch feuriges Gewölk verborgen, und sprach mit Gott. Er mit Menschenhänden nahm aus Gottes eigenen Händen die Tafeln des Bundes und zerschlug im Zorne die Handschrift des Herrn. Er […] zermalmte das goldene Kalb und verbrannte den Goldstaub und zwang höhnisch seinen eigenen abtrünnigen Bruder – den Hohepriester – den Schwächling, die Asche zu trinken.“[v] Damals beim Kauf war es nicht der Text, der mich überwältigt hatte – den hatte ich ja am Antiquariatsstand gar nicht lesen können –, sondern der Zyklus seiner Bilder. Auf jedem Bild gibt es einen zweizeiligen unteren Rand, auf dem die entscheidenden Formulierungen der entsprechenden biblischen Szene aufgeführt sind.

Auf dem folgenden Bild des Kalbes zum Beispiel: אלה אלהיך ישראל אשר העלוך מארץ מצרים  –  «’elläh ’älohäjcha  jisra’el ’aschär häcälucha me’äräz mizrajim» – „Diese sind deine Götter Israel, die dich herausgeführt haben aus dem Land Ägypten!“ (Vers 4). Und dann bietet der Künstler noch den Vers 6:  „Und sie standen früh am Morgen auf, und sie ließen Brandopfer aufsteigen und brachten Friedensopfer / Schlachtopfer dar. Dann setzte sich das Volk und aß und trank. Und / danach stand es auf, um sich zu vergnügen.“

Dabei ist besonders beeindruckend, dass der Künstler das Stierbild übergroß dargestellt hat und die es verehrenden Menschen von wimmelnder Kleinheit,[vi] so dass bei mir die Frage aufkommt: Wie hatte Aaron aus den goldenen Ohrringen dieser winzigen Menschen solch ein Standbild formen können?

Und gleich auf der Seite rechts daneben hat der Künstler Mose dargestellt, wie er dieses Stierbildes und der Feierei vor ihm gewahr wurde:

Unter diesem Bild hatte er zum Beispiel hervorgehoben: וירא את העגל ומחלת  – «wajjar’ ’äth hacegäl umcholoth» –  „Sah er das Kalb und die Tänze“ (Vers 19). Daran anschließend bietet der Künstler den Abschluss dieses 19. Verses: „Und es entbrannte der Zorn des Mose. Und er warf die Tafeln aus seiner Hand und zerschmetterte sie unten am Berg.“

Jetzt ist das Stierbild – nun von hinten gesehen – viel kleiner, die feiernden und tanzenden Menschen winzig, aber Mose übergroß und voller Emotion.[vii]

Geht es Ihnen wie mir? Diese interpretatorischen Leistungen durch Uriel Birnbaum machen diese Szenen lebendig und herausfordernd.[viii]

Eine interessante Deutung seitens Uriel Birnbaums darf ich noch andeuten: „Und wie jung gar sind Christentum und Islam – und dabei sind doch letzten Endes beide Weltreligionen selbst nur große Erweiterungen des ursprünglichen Stromes […]. Er wird noch viele Seen durchfließen, in vielen Tälern sich stauen und viele Schluchten durchbrausen […]. Aber nie mehr kann er versiegen, nie mehr eingedämmt werden […] bis die Erkenntnis des wahren Gottes, wie sie Mose als erstem zur Gänze zu Teil wurde, sich ausgebreitet haben wird über alle Menschen […].“[ix]

Jetzt muss ich ein Geständnis ablegen: Gerade die so sorgfältig wie möglich angefertigte Übersetzung ließ mich ganz ratlos zurück. Was wäre von diesem Bibelwort her zu predigen? Gerade auch: Welche Einsicht würde uns die Spannung zwischen beiden so fernen und abständigen Szenen gewinnen lassen?

Natürlich ist klar, dass diese Sätze von der Glaubenseinsicht judäischer Theologen in die Einzigkeit und Ausschließlichkeit Gottes geprägt sind. Am deutlichsten wird das an der Abgrenzung gegen die in dieser Skizze angedeutete Kultentscheidung des Aaron – die ich mutig übersetzt hatte mit: „Diese sind deine Götter Israel, die dich herausgeführt haben aus dem Land Ägypten!“ (V. 4). Wirklich in der Mehrzahl: אלה  –  «’elläh» – „diese“, nicht „dieser“. Und dann kann man auch mutig einmal „Götter“ sagen und nicht „Gott“. Oder vorher schon: „Komm / Steh auf [und] mache uns Götter, die vor uns hergehen. […]“ (V. 1). Vor allen solchen Herausforderungen und Gefährdungen will dieses Bibelwort bewahren.

In diesem Zusammenhang hat mich die überwältigende Glaubenszuversicht Uriel Birnbaums in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts überzeugt: „[…] bis die Erkenntnis des wahren Gottes […] sich ausgebreitet haben wird über alle Menschen […].“ Darum geht es – gerade auch heute! Das ist uns aufgetragen: Die Einsicht in die Einzigkeit Gottes! – Nur: Er! Sonst: Niemand!

Tief bewegt hatte mich, dass zum Tag meiner Verabschiedung aus der praktischen Arbeit als Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes in den Ruhestand – am 11. März 2016 – von den Herrnhutern gerade ein Wort aufgegeben worden war, das so klar wie nur möglich diese Wahrheit zur Sprache bringt: Jesaja 45,6b-7, in meiner eigenen Übersetzung:

„Ich bin Jahwe / bin Adonaj / bin der Herr. Nur Nichtsein ist dann noch.

Bildner des Lichts und Schöpfer der Finsternis.

Macher des Friedens / des Wohls und Schöpfer des Bösen.

Ich, Jahwe / Adonaj / der Herr bin Macher von diesem allen.“

Ist es nicht so, dass die ganze Erzählung, die wir in Exodus / 2. Mose gelesen haben, derselben geistigen Welt entspricht wie diese Definition, die wir im Jesaja-Buch gefunden haben? Das ist es, was uns auch 2022 aufgetragen ist! Auch uns Christinnen und Christen!

Wir haben die Bilder von Uriel Birnbaum aufgenommen. Deshalb möchte ich jetzt noch auf eine andere Bilderfahrung hinweisen: In Nürnberg wurde ab dem Jahr 2000 eine kleine Kirche zur Kathedralkirche der Metropolie der Rumänischen Orthodoxen Kirche für Deutschland und Zentraleuropa umgebaut. Bis 2006 wurde die Kirche durch Grigore Popescu und Maria Popescu ausgemalt. Als ich vor Jahren als Gast bei einer Diakonen-Weihe in dieser Kirche war, haben mich die Wandmalereien tief beeindruckt. Damals fiel mir an der Westwand der Kirche der Lebensbaum mit Bildern von Bekennern Christi auf – auch mit Medaillon-Bildern für Pfarrer Paul Schneider (ermordet 1939) und für Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (ermordet 1945)! Aber auch mit Medaillon-Bildern für Edith Stein (ermordet 1942), für den Landwirt Franz Jägerstätter (ermordet 1943) und für Pater Maximilian Kolbe (ermordet 1941)! Mir hat dann der Amtsbruder, der damals zum Diakon geweiht worden war – Vater Jonuţ Paun, jetzt Pfarrer in Bamberg – einen wunderschönen Bildband über diese Kirche geschenkt.[x]

Was fiel mir beim genauen Studium des Buches auf? Was ist in dieser Kirche ganz entscheidend? Es gibt keinerlei Gemälde für Gott Vater! Das einzige Bild für Gott, das dargestellt ist, ist das Bild für Jesus Christus – und das gibt es vielmals! Im Tonnengewölbe zwischen der Kuppel und der Westwand der Apsis gibt es ein beeindruckendes Gemälde über Pfingsten, über die Ausgießung des Heiligen Geistes an die Jünger.[xi] Da haben die Künstler die Dreieinigkeit durch drei Rottöne der kreisrunden Fläche dargestellt, aus der die roten Kraftströme auf die Häupter der Jünger fließen!

So lade ich Sie ein: Üben Sie sich in dem Glauben an den nicht darstellbaren Gott ein! Wir sind Gott besonders nahe, wenn wir ihn ganz geheimnisvoll bleiben lassen – und seinen Entscheidungen und seinem Weg mit uns vertrauen! Alle Bilder sind Hilfsmittel, um dieses Vertrauen einzuüben. Aber wirklich durchhalten werden wir dieses Vertrauen dann müssen, wenn wir keine Sicherungen in unseren Händen haben. Wenn uns alles aus den Händen geschlagen ist. Wenn wir überwältigt werden von der Angst um unsere Gesundheit und unser Leben, wenn wir uns vielleicht auf den letzten irdischen Weg einlassen müssen, wenn wir zwar von Pflegern und Schwestern, von Ärztinnen und Ärzten gut versorgt werden, aber doch ganz unklar bleibt, wie die Dinge ausgehen werden. Dann festhalten, dass der unsichtbare Gott uns nicht verlassen wird – das wäre wichtig. Wie einmal mir gesagt wurde, als ich wieder zu einer Chemotherapie in die Klinik kam: „Man hat sich auf der Station gefreut, dass Sie kommen!“ Und ein Pfleger zu mir sagte: „Sie haben ja Ihr Losungsbuch mitgebracht!“ Solche Glaubensversuche wird Gott nicht enttäuschen!

Amen.

„Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

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Liedvorschlag: EG 407:  „Stern, auf den ich schaue, Fels, auf dem ich steh,

Führer, dem ich traue, Stab, an dem ich geh,

Brot, von dem ich lebe, Quell, an dem ich ruh,

Ziel, das ich erstrebe, alles, Herr, bist du“ (Strophe 1 als Beispiel).

*Dies kann ich nur singen lassen, weil dieser Stern, weil dieser Führer, weil dieses Brot, weil dieses Ziel der Friedensfürst ist! In Russisch gesagt: Der «Князь мира» (Jesaja 9,6 – so die Verseinteilung in der russischen Bibel) – Notiert am 24. Februar 2022.

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Dr. Rainer Stahl

Erlangen

rainer.stahl.1@gmx.de

[1951 geboren, Studium der Theologie in Jena, Assistent im Alten Testament, 1981 ordiniert, Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, zwei Jahre lang Einsatz beim Lutherischen Weltbund in Genf, dann Pfarrer in Altenburg, Alttestamentler an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Referent des Thüringer Landesbischofs in Eisenach, seit 1998 Dienst für den Martin-Luther-Bund (das lutherische Diasporawerk) in Erlangen, seit 2016 im Ruhestand.]

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[i]   Dabei versuche ich, die Aufteilung der Verse in der Hebräischen Bibel genau einzuhalten.

[ii]   Für die Zweifelnden unter Ihnen zitiere ich nur die Verdeutschung von Martin Buber und Franz Rosenzweig: „Dies sind deine Götter, Jisrael, die dich hinanholten aus dem Land Ägypten.“

[iii]  Hier darf ich die Symbole erläutern: Begriffe nach / geben parallele Verstehensmöglichkeiten. Begriffe in eckigen Klammern bezeichnen klärende Erläuterungen und in V. 18 einen Zusatz der griechischen Übersetzung. Ausrufezeichen in geschwungenen Klammern geben wertende Hinweise meinerseits.

[iv]  Ein biblischer Zyklus in fünfzig Bildern mit einem einleitenden Essay, Thyrsos-Verlag, Wien und Berlin 1924.

[v]  Uriel Birnbaum, a.a.O., S. 19-20.

[vi]  A.a.O., S. 56.

[vii]   A.a.O., S. 57.

[viii]   Nur an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Uriel Birnbaum, geboren am 13. November 1894 in Wien, mit Mühen der Gefährdung durch die deutsche Mordmaschinerie entkommen war – weil er sich von 1943 bis 1945 verstecken konnte. Er war im Dezember 1956 in Amersfoort, Niederlande, verstorben. Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Uriel_Birnbaum (Zugriff am 29.1.2022).

[ix]  Uriel Birnbaum, a.a.O., S. 15.

[x]   Rumänische Orthodoxe Kathedrale Nürnberg. Freskenmalerei und Geschichte, hg. von Grigore und Maria Popescu, Cluj-Napoca – Klausenburg 2009.

[xi]   Grigore und Maria Popescu, a.a.O., S. 42 und 43. Ich empfehle zu beachten, dass am unteren Bildrand die Schlusswand der Apsis der Kirche mit den gemeinsam betenden Maria und Christus zu sehen ist. Am oberen Bildrand ist ein kleiner Blick in den Tambur der Kuppel zu sehen – mit dem „nicht mit Menschenhand gemalten Bild“ Christi.

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