2. Mose 32,1-5,10-15

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2. Mose 32,1-5,10-15

Aschermittwoch | 02.03.22 | Ex 32,1-5,10-15 | Bernd Giehl | 

„So strahlend schön war der Stier, dass er die Menge blendete und einige sogar nichts mehr sehen konnten, als hätten sie minutenlang in die Sonne geblickt. Der Priester hielt ihn hoch und rief: ‚Das ist dein Gott, Israel.‘ Und das Volk jubelte. Als dem Priester selbst bewusst wurde, wie hell das Götterbild leuchtete, ließ er eine Decke bringen und verhüllte die Skulptur. Aber selbst durch die Decke leuchtete die Skulptur noch und ihre Formen waren gut zu erkennen.

„Du erzählst die Geschichte falsch“, unterbrach den Sprecher jetzt ein anderer. „Ist ja auch kein Wunder, du warst ja noch gar nicht geboren.“

„Mein Vater hat es mir erzählt. „Willst du behaupten, mein Vater habe gelogen?“

„Vielleicht hat seine Erinnerung das Ganze noch magischer gemacht, als es schon war. Nein, das mit der Decke stimmt nicht.“

„Natürlich stimmt es. Du warst doch auch nicht dabei.“ Und schon ist das schönste Handgemenge in Gang. Ich sehe zu, dass ich mich so schnell wie möglich entferne. Ich will schließlich keinen Schaden davontragen.

Was sagen Sie? Dass ich Sie jetzt an der Nase herumgeführt habe? Weil ich schließlich mit keinem, der damals dabei war, habe sprechen können? Und weil es sowieso egal sei, wie sehr das Götterbild nun geleuchtet habe? Den ersten Punkt will ich Ihnen zugeben. Ich habe die kurze Geschichte tatsächlich erfunden. Aber der zweite Punkt ist mir wichtig. Ich denke, dass auch ein selbstgemachtes Götterbild leuchten muss. Weil man es sonst eben sofort als selbstgemacht durchschauen würde.

Zugleich aber muss es sichtbar bleiben. Dafür ist es schließlich gemacht. Es soll Hoffnung geben. Es soll Mut machen. Es soll den Weg zeigen, den man gehen muss.

Ja, und leuchten muss es auch. Vielleicht nicht für alle. Aber im Bewusstsein derer, die an es glauben.

Aber Sie haben ja Recht. Davon erzählt diese Geschichte nicht. Wenn man sie aufmerksam liest, dann merkt man, dass sie ganz und gar auf der Seite des bilderlosen Gottes steht. In ihr zittert die Empörung über das ungehorsame Volk noch nach. Wie konnten sie nur den Weg mit Gott verlassen und sich ein Goldenes Kalb machen? Wie konnten sie all ihre Erfahrungen mit dem fürsorglichen Gott, der sie in der Wüste vor dem Hunger und vor so vielem Gefahren bewahrt hat, einfach in die Tonne treten und sich einen neuen Gott machen? Allein schon der Umfang der Erzählung – drei Kapitel – zeigt, wie wichtig die Erzählung vom „Goldenen Kalb“ ist. Sie ist nicht einfach nur eine Revolte gegen Gott, wie das Murren wegen des eintönigen Essens oder des Durstes. In den Augen des Erzählers ist sie so ungeheuerlich, dass es eines neuen Bundeschlusses mit dem Volk bedarf.

Aber dann ist doch die Frage: Hat diese Geschichte recht? Ist das Verhalten der Menschen, von denen hier erzählt wird, tatsächlich so empörend? Ist es quasi eine neue Sündenfallgeschichte, analog der von Adam und Eva, wie die Erzählung es darstellen will, sodass Gott einen neuen Anfang machen muss?

Treten wir noch einmal einen Schritt zurück. Mose ist seit 40 Tagen auf dem Berg. Ob er tot ist oder noch lebt, weiß das Volk nicht. Auch nicht, ob er ihnen auch weiterhin den Weg durch die Wüste zeigt. Alles ist offen: ob sie leben oder sterben, ob sie am Ziel ankommen oder weiterhin durch die Wüste irren.

Ist es da wirklich so verwunderlich, dass sie sich einen Gott machen, den sie auch sehen können? Und ist das wirklich ein anderer Gott? Das ist zumindest eine Frage wert. Wollen sie denn einen anderen Gott? Aber woher sollen sie den denn kennen? Die Bibel nennt ihn das „Goldene Kalb“? Kann ein Kalb einen Gott darstellen? Wohl doch eher nicht. Ein Kalb ist lieb und zutraulich; man will es streicheln und beschützen; das sind keine Eigenschaften, die man einem Gott zuschreibt. Also wird es eher ein Stierbild gewesen sein. Aber woher sollten die in der Wüste einen Stier als Gott kennen? Aus ihrer Zeit in Ägypten kannten sie eher Götterbilder wie den Skorpion oder den Horusfalken. Der Stier als Gottesbild taucht erst in der Königszeit Israels auf, als Gott der Nachbarvölker oder als Gottesbild, das in Beth El verehrt wurde und gegen das die Propheten ebenso oft wie vergeblich protestiert hatten.

Ich nehme also an, dass diese Geschichte tatsächlich in der Zeit der Wanderung Israels entstanden ist, bevor sie ins Gelobte Land kamen, dass sie aber von den Erfahrungen späterer Generationen überlagert und überschrieben wurde. Anders ist weder der Stier zu erklären, noch die Tatsache, dass sie so hart bestraft werden. Es sei denn, dass der Stier wirklich ein fremder Gott war, von dem sie wussten, dass er fremd war. Das Verbot, sich kein Bild von Gott zu machen, reicht dafür nicht aus. Das bringt Mose ja erst mit bei seinem Abstieg vom Berg.

Was also bringt Gottes Zorn so in Wallung, dass er sein ganzes Volk vernichten und aus Mose ein neues Volk machen will? Diese Frage werden wir im Auge behalten müssen, auch wenn wir jetzt in die Gegenwart hinüberwechseln und uns den Tanz um das Goldene Kalb aus einer anderen Perspektive ansehen.

Vor ein paar Wochen habe ich die erste Folge von „Kir Royal“ gesehen. Es ist ein Film aus den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aber irgendwie auch zeitlos. Darin spielt Franz Xaver Kroetz den desillusionierten Klatschreporter Baby Schimmerlos, der bei einer Münchner Abendzeitung angestellt ist. Er berichtet über wichtige Leute und große gesellschaftlich Ereignisse oder solche, die sich für wichtig halten. Abend für Abend besucht er mit seiner Freundin Mona die Gourmet Restaurants der Stadt, aber er hat den Eindruck, dass alle immer dasselbe kochen. Dazu kommt, dass Mona ihren Zahnarzt und sein Fotograf eine junge Frau, die er anhimmelt, in der Zeitung porträtiert sehen will, aber Baby lehnt das ab. Dann tritt Heinrich Haffenloher auf, ein schwerreicher Fabrikant von Klebstoff aus der Nähe von Tauberbischofsheim, der im Fünf Sterne Hotel wohnt und sich als „Herr Generaldirektor“ anreden lässt. Er möchte in die Zeitung und zwar möglichst in Großaufnahme. Also lässt er Schimmerlos samt Fotografen kommen, präsentiert sich in Badehose am Swimmingpool, aber Schimmerlos ist alles andere als beeindruckt. Noch so ein Nobody, den niemand kennt. Haffenloher droht ihm, er werde ihn mit Geld zuscheißen. Er werde ihm jede Woche einen Koffer mit Geld zuschicken. Beim ersten Mal werde er noch ablehnen, vielleicht auch beim zweiten Mal, aber jedes Mal werde die Summe größer. Als auch das nicht wirkt, ruft er die Verlegerin an und bietet ihr an, eine ganze Anzeigenseite für seinen Kleber zu schalten, wenn sie dafür sorgt, dass Schimmerlos ein Porträt über ihn macht. Die Verlegerin wiederum übt sanften Druck auf den Reporter aus indem sie ihn auf eine völlig überhöhte Spesenabrechnung anspricht, von der sie natürlich selbst weiß, dass sie getürkt ist. Haffenloher wiederum erkundigt sich beim Portier seines Hotels, wo Schimmerlos normalerweise speist. Dort will er einen Tisch reservieren, aber so einfach wie er sich das vorstellt, geht das nicht, Er muss einen Tisch für 12 Personen im Drei Sterne Restaurant reservieren und natürlich auch die Rechnung dafür bezahlen. Das macht er auch und klebt beim Verlassen des Lokals jedem Angestellten einen Tausend Mark schein ins Gesicht. Schimmerlos war natürlich nicht da, aber Haffenloher erfährt durch Zufall, wo er ist und der Wirt telefoniert schnell all seine Bekannten zusammen und verspricht ihnen ein kostenloses Menu um nur ja in die Zeitung zu kommen. So kommt Haffenloher doch noch zu seinem Porträt, das ihn als Mann von Welt im Kreis seiner Bekannten zeigt und der Prominentenzahnarzt sowie der Schwarm des Fotografen kommen ebenfalls aufs Bild.

Eine Satire, natürlich. Natürlich ist das alles übertrieben. Was die Serie sympathisch macht, ist das auch Baby Schimmerlos sich dem allem nicht entziehen kann. Er braucht den Geruch des Luxus, genauso wie der Luxus ihn braucht. In gewisser Weise zeigt die Serie die Welt so, wie sie ist. Alles dreht sich ums Geld und man kann nie genug davon haben. Aber selbst die, die soviel haben, dass sie darin schwimmen, sind immer noch unzufrieden. Sie wollen nicht nur Geld haben; sie wollen, dass alle Welt davon erfährt. Und auch wenn sie nicht glücklich mit ihrem Reichtum sind, so wollen sie doch wenigstens, dass die Anderen es glauben.  Nichts ist mächtiger als das Geld und wer es hat, der hat ausgesorgt. Für den ist das Leben ein einziges Fest.

Kein Wunder, dass die meisten nach mehr materiellem Wohlstand streben. Es sollte schon das neueste i-phone sein. Wenn sie das haben, so glauben viele, dann geht es ihnen besser. Und der Wagen, den sie fahren, kommt allmählich auch in die Jahre. Also muss ein neueres Modell her. Am besten ein SUV mit Elektroantrieb. Das Geld, das man nicht hat, kann man sich ja bei der Bank leihen.

Und was sagt Gott nun zu alldem? Der verhält sich anders als in der Geschichte vom Goldenen Kalb. Der lässt dieses Mal seinem Zorn nicht freien Lauf, sondern er zieht sich zurück. Wenn sie einen anderen Gott wollen, so scheint er zu sagen, sollen sie mit ihm glücklich werden.

Aber ist das nun das letzte Wort? Glücklicherweise ist es das nicht. Nicht in der Geschichte und hoffentlich auch nicht in der Gegenwart. In der Geschichte steigt Mose noch einmal auf den Berg. Das kann noch nicht Gottes letztes Wort gewesen sein. Er kann sich nicht von dem Volk abwenden, das er aus der Sklaverei in Ägypten geführt hat. Auch wenn sie sich so schwer an ihm vergangen haben wie vorher noch nie. Also legt Mose Fürbitte für sein Volk ein. Er erinnert Gott an seine Geschichte mit dem Volk. Dass er versprochen hat, er werde sein Gott und Israel werde sein Volk sein. Gott schlägt vor, er werde ihn, Mose, zum großen Volk machen, aber darauf geht Mose nicht ein. Er will, dass Gott seinen Bund mit diesen Menschen beibehält. Es wird ein hartes und zähes Ringen, aber am Ende setzt Mose sich durch. Gott wird auch weiterhin der Gott Israels sein.

Fragt sich natürlich immer noch, was diese Geschichte für uns heißt. Dass die Erzählung vom Goldenen .Kalb aktuell für uns ist – keine Frage, Aber die Geschichte mit  erhobenem Zeigefinger predigen kann es wohl nicht sein. Dafür sind wir viel zu sehr beteiligt und dafür stehen die Kirchen momentan viel zu sehr in der Kritik. Aus anderen Gründen zwar, vor allem weil katholische Priester Kinder missbraucht haben, aber es wird uns entgegenschallen, wir sollten erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. So bleibt wohl nur eins: dem Beispiel des Mose folgen und Fürbitte halten. Fürbitte für die Welt aber auch für uns selbst. Weil ja auch wir verführbar sind.

Dabei wird es um das Bitten gehen wie auch um die Fürbitte. Vielleicht denken Sie, es gehe vor allem um die Fürbitte, aber ich meine, auch wir Christen lebten nicht einfach in einer anderen Welt. Auch wir setzen unser Vertrauen oft genug auf das Geld. Erwarten, dass es unser Leben sichert. Dass es uns glücklich macht. Insofern sind wir genauso gefährdet wie alle anderen. Auch wir müssen womöglich wieder ganz neu lernen, dass es Gottes Güte ist, die unser Leben trägt.

Heute feiern wir Aschermittwoch. Den Tag der Umkehr. Und der Einsicht. Möge es die richtige Einsicht sein.

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Pfr. i.R. Bernd Giehl Albert Einstein Str. 9 D-64569 Nauheim

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