Kolosser 3,1–4

Kolosser 3,1–4

Die im Dunkeln sehen | Osternacht | 17.04.2022 | Predigt zu Kol 3,1–4 | Christoph Kock |

1 Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. 2 Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. 3 Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. 4 Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

  1. Ein Verkehrsunfall[1]

„Und die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht,

doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“

Ein Verkehrsunfall. Jemand war übermüdet. Hatte getrunken. Saß hinter dem Steuer. Ein anderer war zur falschen Zeit am falschen Ort und ist tot. Hans Udo Peyer war 63 Jahre alt. Mehr weiß man nicht über ihn. An seiner Wohnanschrift in Berlin-Lichtenberg stehen die Polizisten nach dem Unfall vor verschlossener Tür. Keiner da, dem sie die Todesnachricht überbringen können. Niemand hat darauf gewartet, dass Herr Peyer nach Hause kommt. Auch der Schlüsseldienst fördert nichts an Licht. Kein Anrufbeantworter, der blinkt. Die Kripo findet eine einzige Telefonnummer – sie gehört einer Frau, die Herr Peyer mit der Pflege des elterlichen Grabes beauftragt hat. Ein Journalist recherchiert, wie es zu seinem Tod gekommen war und welche gerichtlichen Folgen es hat. Dabei verwendet er den richtigen Namen des Unfallopfers, um noch Menschen zu erreichen, die Herrn Peyer gekannt haben. Es meldet sich niemand. Hans Udo Peyer, 63 Jahre alt, Einzelkind und kinderlos, lebte offenbar sein Leben nur mit sich.

  1. Drei Tage später

Drei Tage später. Wenn man den ersten mitzählt. Zwei Frauen wollen einem Toten die letzte Ehre erweisen und finden sein Grab leer. Bekommen eine unglaubliche Botschaft zu hören: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“ Dann erscheint ihnen der Auferstandene selbst. „Fürchtet euch nicht!“ Der Ostermorgen. Auf einmal ist alles hell, wie in Licht getaucht. So hell, dass es blendet und es schwierig ist, sich zu orientieren. Eine himmlische Botschaft hat den Schalter umgelegt. Was für ein Glanz. Wie es leuchtet. Das Licht dieses Morgens verändert die, die diese Botschaft hören und sie mit anderen teilen. Weil die, die ihr Glauben schenken, mit dem verbunden werden, von dem sie hören. Dieses Licht verbreitet sich, ist nicht mehr auszukriegen, die ganze Welt sieht anders aus. Später schreibt der Verfasser des Kolosserbriefes:

1 Seid ihr nun mit Christus auferweckt,

so sucht, was droben ist, wo Christus ist,

sitzend zur Rechten Gottes.

2 Trachtet nach dem, was droben ist,

nicht nach dem, was auf Erden ist.

3 Denn ihr seid gestorben,

und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.

4 Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird,

dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

III. Herrlichkeit, Glanz und Ehre

Herrlichkeit, Glanz und Ehre. Alles in einem Wort. Doxa auf Griechisch. Eng mit Gott verbunden. Wo Gott erfahrbar wird, da wird es hell. Da glänzt es. Da sieht die Welt anders aus: Da kommen Menschen zu Ehren, erscheinen in einem neuen, wunderbaren Licht. Wo der Himmel aufgeht, wird es hell.

So war es doch schon, als der Auferstandene vor seinem Tod unterwegs war: Jesus hatte ein Gespür für Menschen im Dunkeln. Er heilte jene, die isoliert lebten, auf sich gestellt, fernab ihres Dorfes. Weil ihre Krankheit ebenso ansteckend wie angsteinflößend war. Jesus saß mit denen am Tisch, die wegen ihres Berufes gemieden wurden. Zöllner, die an der römischen Besatzung verdienten. Frauen, die mit Sex ihren Lebensunterhalt bestritten. Öffentlich suchte Jesus Gemeinschaft mit solchen, mit denen niemand gesehen werden wollte. Kontakte gab es natürlich, aber die blieben im Dunkeln. Jesus ließ sich auf ein Gespräch mit einer Ausländerin ein und war selbst überrascht, wie ihr Glauben Grenzen überwand.

Menschen begegnen Jesus. Menschen, die für andere am helllichten Tag unsichtbar sind. Jesus sieht sie, klar und deutlich. Für Menschen auf der Schattenseite des Lebens wird es hell. Das ist Evangelium, eine gute Nachricht.

Herrlichkeit, Glanz und Ehre. Darauf läuft es hinaus. Das Osterlicht scheint überall hin. Die im Dunkeln werden sichtbar. Die unsichtbar sind, werden gesehen. Kein Spot, der im Dunkeln angeht. Nein, volles Licht für alle. Weil der Tod verloren hat. Jetzt noch verborgen, aber dann wird sie offenbar: Die Herrlichkeit, die in Jesus aufleuchtet, und an der alle Menschen Anteil bekommen werden.

Von solcher globalen Hoffnung schreibt und träumt der Verfasser des Kolosserbriefs (vgl. Kol 1,26–38). Sie verbindet die Geschichten der Menschen im Rampenlicht mit den Geschichten der Menschen, die unsichtbar gemacht werden oder vereinsamen. In allen anderen Nächten stehen manche im Rampenlicht, andere bleiben unsichtbar. Manche gehören zum erlesenen Kreis derer, die vom Scheinwerferlicht angestrahlt werden. Von anderen nimmt niemand Notiz. Was ihnen widerfährt, interessiert keinen. In der Osternacht leuchtet ein Licht, das allen scheint, das für alle noch aussteht. Die Herrlichkeit, in der wir offenbar werden mit Christus. Die Ehre, die Gott jedem Menschen gleichermaßen erweisen wird. Göttlicher Glanz auf dem Gesicht eines jeden Menschen.

Widerspruch wird laut gegen den Grundsatz, den Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper verewigt hat. „Und die einen sind im Dunkeln und die anderen sind im Licht, doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Auch wenn das viel zu oft stimmt, ewig gilt das nicht. Dafür wird Gott sorgen. Den Anfang hat Gott gemacht. Irgendwann wird es offenkundig sein: Keiner ist mehr im Dunkeln, alle sind im Licht.

  1. Unvorstellbar Ostern

Wie wäre das denn. Die Wirklichkeit sieht anders aus, dunkler. Noch ist das Licht „verborgen mit Christus“. Verborgen im Leid, das Menschen widerfährt. Das Kreuz, Folter- und Hinrichtungsinstrument in einem, wirft einen langen Schatten. Verdeckt ist das Licht durch Menschen, die ermordet auf der Straße liegen. Exzesse der Gewalt. Spuren des Krieges, die russische Soldaten zurückgelassen haben. Fürchterlich. Menschen entehrt, ihre Würde mit Füßen getreten. Es ist zappenduster. Vom göttlichen Glanz fehlt jede Spur. Wo Krieg herrscht, wird es dunkel. Rasant zieht die Finsternis ihre Kreise. Es reicht nicht, dass irgendwann die Wahrheit ans Licht kommt. Ostern muss es werden. Licht, das allen scheint. Gottes Herrlichkeit auf allen Kanälen, jede Propaganda längst verblasst, jede Lüge verstummt. Die Ehre offenbar, die Gott jedem Menschen gleichermaßen erweisen wird. Sie wird der Mutter zuteil, die ein Fotos ihres ermordeten Sohnes verzweifelt in die Kamera gehalten hat. Göttlicher Glanz auf dem Gesicht eines jeden Menschen. Unvorstellbar Ostern. Den Anfang hat Gott gemacht. Irgendwann wird es offenkundig sein: Keiner ist mehr im Dunkeln, alle sind im Licht.

  1. Fantasie auf dem Friedhof

Was das für Menschen wie Herrn Peyer bedeutet? Vielleicht geht die Geschichte so weiter: Nach der Polizei ist das Ordnungsamt zuständig. Eine Mitarbeiterin inspiziert die Wohnung, auf der Suche nach Hinweisen auf Angehörige, die für die Trauerfeier verantwortlich sein könnten. Ihr fallen die Wanderschuhe auf, die geputzt im Flur stehen, daneben ein Wanderrucksack, schon ein paar Jahre alt, aber noch ganz gut in Schuss, und ein Ticket für die Zugspitzbahn, das neben dem Spiegel befestigt ist.

Bei der Urnenbeisetzung sind nur der Bestatter und der Friedhofsgärtner dabei. Und die Mitarbeiterin vom Ordnungsamt. Ihr Chef sieht es nicht gern, wenn sie zu einer solchen Bestattung von Amts wegen geht. Aber sie kann sich nicht damit abfinden, dass jemand wie Herr Peyer anonym beerdigt wird. Sie nennt seinen Namen und sein Alter, erzählt, dass er noch vor dem Mauerbau geboren wurde und was deren Fall für einen Bergwanderer wie ihn bedeutet hat. Höhere Gipfel in Reichweite. Sie lässt ihn noch einmal in die Zugspitzbahn einsteigen und unten an der Talstation hinauf zum Gipfel blicken, der noch im Nebel steckt. Mir gefällt ihre Fantasie und ich lasse mich darauf ein. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“ So beginnt Psalm 121, ein Lied für alle, die unterwegs sind. Der Psalm endet mit Gottes Segen für alle, die kommen und gehen. „Der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!“ Wer gehen muss, kommt zurück zu Gott. Geht ein ins Licht, das sich seit Ostern ausbreitet.

3 Denn ihr seid gestorben,

und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.

4 Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird,

dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

Amen.

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Bausteine:

Schuldbekenntnis

Gott, du sprengst die Ketten des Todes

und befreist das Leben.

Aber das können wir nicht sehen.

Wir hören von Ostern.

Aber wir können uns nicht vorstellen,

wie diese Geschichte unser Leben berührt.

Wie sie den Lauf der Welt verändert.

Dafür fehlt uns der Mut und die Fantasie.

Wenn es doch nur anders wäre.

Wenn es doch endlich Ostern würde.

In uns!

Dort, wo der Krieg alles verdunkelt.

Herr, erbarme dich.

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Fürbitten:

Lebendiger Gott,

du besiegst den Tod.

Wir bitten dich:

Tritt der Macht entgegen,

die der Tod noch hat.

 

Widersprich Hass,

der andere abschreibt.

Heile Krankheit,

die Leben einschnürt.

Entwaffne Gewalt,

die sich die Feinde sucht,

die sie braucht,

und die über Leichen geht.

 

Gott, Ostern muss es werden.

Damit geschieht,

was so undenkbar, so schwer und doch so nötig ist:

Schritte zum Frieden im Kriegsgebiet.

Die Welt mit anderen Augen als den eigenen sehen.

Wahrnehmen, was im Dunkeln liegt.

 

Berge die Menschen,

von denen wir Abschied nehmen mussten,

in deiner Hand.

Tröste die, die um sie trauern.

Hilf uns glauben:

Du bist stärker als der Tod.

 

Das bitten wir dich im Namen Jesu Christi,

den du auferweckt hast,

damit wir leben werden.

Ja, Gott, Ostern muss es werden.

Dein Reich kommen.

Darum beten wir mit Jesu Worten: Vater unser im Himmel …

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(weitere) Lieder:

Durch das Dunkel hindurch (WortLaute 19)

In deinem Licht (WortLaute 56)

Und ein neuer Morgen (WortLaute 118)

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[1] Hinweise darauf in Johannes M. Modeß, Doxische Menschenfreundlichkeit, GPM 76 (2022), 253–258, hier 254f.

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Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

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Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

[1] Hinweise darauf in Johannes M. Modeß, Doxische Menschenfreundlichkeit, GPM 76 (2022), 253–258, hier 254f.

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