Adventsandacht

Predigt zu Paul Gerhardt: Wie soll ich dich empfangen,

verfasst von Pfr. Th.-M. Robscheit 

Wie soll ich dich empfangen

und wie begegn ich dir?

Liebe Gemeinde,

diese Frage ist auch die Frage nach Weihnachten. Seit ich mich erinnern kann, steht das erste Weihnachten vor der Tür, das mit Fragen, Unsicherheit und auch mit Sorgen erwartet wird. Die älteren unter Ihnen werden sich an Weihnachtsfeste erinnern, die von Sorgen, Nöten und Ängsten begleitet waren. Doch die meisten von uns kennen das nicht. Für mich in der Kindheit war das Warten auf Weihnachten vor allem eine unglaublich zähe Zeit und je näher der Heilige Abend kam, desto zäher wurde es. Am Schlimmsten war dann der 24.12. selber. Bei uns im Pfarrhaus war die Bescherung erst, wenn die anderen Kinder schon das erste Spielzeug kaputt gemacht und die Hälfte der Süßigkeiten aufgegessen hatten. Als Jugendlicher demonstrierte man Coolness und ging nach dem Gottesdienst (natürlich dem „richtigen “ Gottesdienst, nicht der Christvesper mit Krippenspiel und quengelnden Kindern) bewusst gemächlich nach Hause. Dort hat man dann gerne auch nochmal Kohlen aus dem Keller geholt oder ähnliches, um zu zeigen, dass man gar nicht aufgeregt ist – was natürlich nicht stimmte. Dann als Erwachsener war die Advents- und Weihnachtszeit mit viel Arbeit gefüllt und die Sehnsucht richtete sich auf den Ersten Feiertag. Aber immer war es eine Zeit mit positiver Erwartung. 2020 ist das anders; viele Fragen und noch mehr Unsicherheit in der Adventszeit.

Bisher war der Advent Vorweihnachtszeit und damit meine ich nicht die Zeit vor Weihnachten, sondern eine vorgezogene Weihnachtszeit. Wahrscheinlich ist keiner von uns davor gefeit, ein bisschen Weihnachten schon in die Adventszeit zu holen: Bei uns wird am ersten Advent der Stollen angeschnitten, den ich um den Reformationstag herum gebacken habe. Bei meinen Großeltern wäre das ein Ding der Unmöglichkeit! Natürlich kam der Stollen erst am 25. 12. auf den Kaffeetisch. Es gibt noch mehr Beispiele: Wenn Sie ehrlich in Ihren Kalender von 2019 schauen, stehen dort im Dezember sicherlich etliche Weihnachtsfeiern, dabei müssten es Adventsfeiern sein, sofern das überhaupt geht. Die Adventszeit ist eine Fastenzeit, eine Zeit mit Beschränkungen; Zeit für innere Reinigung und Genesung. Davon war nicht mehr viel geblieben. Stattdessen Hektik, laute „besinnliche“ Dudelmusik, zu klebriger Glühwein, zu viel Glitzer, Licht und oberflächliche Freude.

Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn ich dir?

Dieses Lied aus der Feder von Paul Gerhadt (1607 – 1667) wurde 1653 in der fünften Auflage des Gesangbuchs Praxis Pietatis Melica von Johann Crüger veröffentlicht. Der dreißigjährige Krieg war gerade fünf Jahre vorbei; die Folgen noch immer deutlich spürbar. Berlin hatte etwa 2/3 seiner Einwohner am Krieg und dessen Folgen verloren. Die Verwerfungen, Unsicherheiten und Nöte des Krieges waren allgegenwärtig. Die meisten Menschen haben mehr Lebenszeit im Krieg als im Frieden verbracht. Weihnachten wurde bestimmt nicht als das große jährliche Familien-Friedensfest erlebt. Paul Gerhardt bezieht sich bei diesem Lied, das wir zur Adventszeit singen, auch nicht auf die Weihnachtsgeschichte und die hinführenden Erzählungen, sondern auf den Einzug in Jerusalem und auf die Offenbarung: Jesu Wiederkommen am Ende der Zeit. Für ihn stellt sich hier erneut die Frage: wie begegne ich Jesus? Nicht als niedlichem Baby in einer romantisierten Krippe, sondern als Gegenüber am Ende meines Lebens? Liebe Gemeinde, man kann diese Frage noch weiter fassen: Wie begegne ich Christus dem Ziel meines Lebens, wie dessen Sinn und Inhalt, wie erfahre ich den Kern? Sicher nicht im lauten Hosianna- & Konsumrausch, dem schnell das ebenso laute „Kreuzige ihn“ und fades Erwachen folgen.

Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn ich dir?

Paul Gerhardt gibt darauf keine allgemeingültige Antwort und wir haben sie auch nicht. Die Fragen muss jede und jeder für sich selbst immer wieder neu stellen und um Antwort ringen. Vielleicht gelingt der Weg in die Weihnacht besser in Unsicherheit und mit Beschränkungen; äußeren Zwängen, die mich auf Wesentliches zurückwerfen und mir Entscheidungen abringen: mit wem möchte ich mich unbedingt Weihnachten treffen? Was ist Kern und was nur Beiwerk, was womöglich sogar Ballast? Welche Hindernisse bin ich bereit zu überwinden und welche Einschränkungen erdulde ich, um Christfest zu feiern? So wird die Adventszeit eine Zeit der intensiven inneren Vorbereitung auf ein hoffentlich gesegnetes Christfest.

Und der Friede Gottes, der größer ist als alle menschliche Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Pfr. Th.-M. Robscheit

Apolda

thm@robscheit.de


Als Lied sollte natürlich in der Andacht EG 11 gesungen oder gehört werden. Ich habe die Strophen dabei umgestellt: 1.7.4.2

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