Apg. 2 und Joh. 14,  15-26

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Apg. 2 und Joh. 14,  15-26

Der Heilige Geist, der Tröster | Pfingstsonntag | 05.06.22 | Apg. 2 und Joh. 14,  15-26 | Ulrich Nembach

Liebe Gemeinde,

1.

Pfingsten ist ein bedeutendes und gerade in unserer Zeit hoch aktuelles Fest. Vielleicht meinen Sie, Weihnachten und Ostern wären wichtiger. Aber ohne Pfingsten würden wir weder mit Weihnachten noch mit Ostern etwas anfangen können. Wer versteht schon, warum uns die mehr als 2000 Jahre zurückliegende Geburt eines Kindes in prekären Verhältnissen bis heute beschäftigt? Wer kann begreifen, dass jemand, der mit Jubel begrüßt und groß gefeiert wurde, fünf Tage später hingerichtet wird? Pfingsten macht es möglich.

Wir geben uns Mühe, die Vergangenheit zu verstehen. Weit schwieriger ist es, sich in der Gegenwart zurechtzufinden. Sie zu verstehen ist fast unmöglich. Die vielen, sich vielfach widersprechenden Informationen machen ratlos. Dazu kommen die – gefühlt sind es immer mehr – gezielt gestreuten Desinformationen. Beschönigend nennen wir sie heute Fake News. Menschen setzen bewusst falsche Aussagen in die Welt und geben ihnen den Anschein von Wahrheit. Wer sie hört oder liest, läuft Gefahr, das Erfundene für wahr, das Falsche für richtig zu halten. Das Internet verbreitet alles unterschiedslos rasch.

Politiker treiben mit Unwahrheiten Propaganda. Manager verbreiten manipulierte Daten. In den sozialen Netzwerken werden Jugendliche von anderen Jugendlichen schlechtgemacht und bloßgestellt. Die Betroffenen leiden. Sie wissen oft nicht, wie sie dem standhalten können oder wer ihnen helfen kann.

Wir nehmen die Probleme wie neu wahr. In Wirklichkeit sind sie es nicht. Die Bibel weiß gleich mehrfach davon zu erzählen. Sie verwendet freilich ein anderes Vokabular. Fake News heißen dort schlicht Lügen. Das achte Gebot geht genauer auf die Sache ein und weist konkret an: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Das gilt unter Jugendlichen wie unter Erwachsenen.

König David, so berichtet die Bibel, sah einst eine Frau. Sie war sehr schön, er hat Verlangen nach ihr und lässt sie sofort zu sich holen. Die Frau, Frau eines Untergebenen, hat keine Möglichkeit, dem zu entgehen. David setzt durch, was er möchte. Die Frau kann sich nicht dagegen wehren. Sie wird schwanger. Und David? Ihm liegt daran, die Angelegenheit zu vertuschen. Er sinnt auf einen Weg, dem Ehemann das Kind unterzuschieben (2. Sam. 11). Männliche Übergriffigkeit, sexualisierte Gewalt, ein Gespinst von Lügen: ein Fall von „Me Too“. Nicht der Beginn einer Kampagne, doch schonungslos öffentlich gemacht vor mehr als 2000 Jahren.

Nicht anders eine andere Geschichte. In ihr gehen Lügen und Gewalt umgekehrt von einer Frau aus. Der Mann wird zum Opfer einer Machenschaft. Joseph lebt als Sklave im Haus eines angesehenen Ägypters. Dessen Frau hat nicht nur ein Auge auf den Sklaven geworfen. Als er sich ihr verweigert und gar vor ihr flüchtet, wird sie wütend. Sie berichtet ihrem Mann, der Sklave habe sie bedrängt. Daraufhin lässt der Mann Joseph ins Gefängnis werfen (Gen. 39) – wo er jahrelang bleibt, bis er schließlich zum Ratgeber und Bevollmächtigten des Pharao aufsteigt.

Vor Angriffen und Verleumdungen ist niemand gefeit, die Erwachsenen nicht, Jugendliche nicht, schon Kinder nicht. Das ist ein Thema für Pastorinnen und Pastoren. Lassen sie sich auf es ein?
In diesen Tagen finden in unserem Land vielerorts Konfirmationen statt. Manche Gemeinden konfirmieren zu Pfingsten. Haben Pastorinnen und Pastoren in der Konfirmandenzeit das Vertrauen begründen können, eine Anlaufstelle zu sein, die Hilfe bietet? Die Kirchen, beide, die evangelische wie die katholische, tun sich in der Praxis wie im Umgang mit Betroffenen bekanntlich sehr schwer.

Die Bibel erzählt vielfach von ausweglosen Situationen. Sie berichtet, dass gegebenenfalls Gott die Hand im Spiel hat und im Laufe des Geschehens die Dinge selbst in die Hand nimmt. Notsituationen verhindert er nicht, so ist das nicht. Aber er greift in sie ein, und sei es auf verschlungenen Wegen, wie bei Joseph, vor dem, aus dem Gefängnis freigekommen, eine große Zukunft liegt.

2.

Pfingsten lässt sich verstehen als Brennpunkt einer Befreiungsgeschichte. Gott sendet seinen Geist. Er kommt in die Welt, nachdem Jesus sie verlassen hat. Er hilft Jüngerinnen und Jüngern, über die Abwesenheit Jesu hinwegzukommen. Nur für eine kurze Zeit war der Auferstandene bei ihnen. Jetzt steht Gottes Geist ihnen bei, sodass sie zurechtkommen, auch mit der Abwesenheit Jesu.

Der gottgesandte Geist macht die Jünger mutig. Nach Jesu Tod waren sie ängstlich und verwirrt zurückgeblieben. Sie saßen beieinander hinter verschlossenen Türen (Joh. 20,19), weil sie befürchteten, nicht anders als Jesus verurteilt und hingerichtet zu werden. An Pfingsten gehen sie hinaus. Sie verlassen den Untergrund und die Anonymität. Sie werden sichtbar, unverkennbar. Sie beginnen zu begreifen, was geschehen ist, Karfreitag und Ostern. Sie beginnen, davon zu reden. Und sie beginnen in Jesu Namen zu handeln (Apg. 2). Gottes Geist hilft ihnen auf. Sie bleiben nicht ohne Orientierung zurück. Gott nimmt sich ihrer an.

Unter dem Strich ist Pfingsten der Knotenpunkt einer fortgesetzten Liebesgeschichte. In diese Perspektive stellt das Johannesevangelium das Kommen des Heiligen Geistes. Jesus kündigt es vorausschauend als Gottes eigenes Tun an. Es bezeugt seine erneute Zuwendung mit bleibender, bindender Kraft. Der Heilige Geist richtet den Blick auf die Verbundenheit Jesu mit Gott aus, die Verbundenheit Gottes mit den Menschen, die Verbundenheit der Jünger mit Jesus und untereinander, und dies unter dem Vorzeichen der Liebe. So lesen wir es im 14. Kapitel des Johannesevangeliums (Joh. 14, 15 -26).

3.

Was Liebe ist, sahen wir dieser Tage. Es war ein bewegendes Erlebnis. Sie haben es vielleicht vor dem Fernseher miterlebt, liebe Gemeinde, oder gar im Olympiastadion in Berlin. Das Pokalspiel Freiburg gegen Leipzig war gerade zu Ende gegangen. Leipzig hatte glücklich gewonnen. Für die Leipziger war eine Zitterpartie positiv ausgegangen. Sie hatten lange Zeit in Unterzahl gespielt, weil einer der Ihren mit Recht eine rote Karte gesehen hatte. Nun also der Sieg! Jubel sollte ausbrechen. Aber nichts geschah. Was war los? Stille herrschte. Der Fernsehsprecher sagte: „Sie können es nicht sehen. Am Seitenrand bemühen sich Sanitäter um einen Menschen.“ Später sah man einen Krankenwagen ins Stadion fahren. Die Menschen, zigtausende, schwiegen. Später holten sie ihre Smartphones heraus und schalteten das Licht ein. Dazu schwiegen sie. Das Fernsehen zeigte das weite Rund des Olympiastadions in Berlin mit den leuchtenden Smartphones. Es war eindrucksvoll. Sie merken, ich bin noch immer beeindruckt.

Wie war das möglich? Was ist da passiert? Ich diskutierte mit einigen anderen darüber. Manche meinten, das sei Betroffenheit gewesen. Andere sprachen von Solidarität. Ebenso war die Rede von Empathie. Ein verbindendes Miteinander zeichnet die Menschen aus, wie man es auch nennen mag, Mitfühlen, Sich-zuwenden, Zur-Seite-Stehen. Das alles meint Liebe.

Wir sprechen heute viel von ihr und über sie, und sind doch skeptisch. Aus Liebe wird geheiratet. Gleichwohl landen nicht wenige Ehen vor dem Scheidungsrichter. Etliche heiraten schon gar nicht mehr deswegen. Einfach auseinanderzugehen ist einfacher als eine Scheidung.

Gott wählt den Weg der Liebe und sendet seinen Geist. Kennen, fühlen Menschen diese Liebe, wenn sie sie auch anders nennen oder gar keine Worte für sie haben? Denken Menschen so, wenn sie nur noch selten in die Kirche gehen oder gar nicht mehr, ja aus der Kirche austreten? Betroffen und solidarisch nehmen Menschen zurzeit vor dem Krieg geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer bei sich auf. Menschen halfen im Ahrtal, als die Flut dort Häuser, Wohnungen, Existenzen zerstörte.

Pfingsten erinnert uns an Gottes Liebe. Nicht nur Weihnachten ist, wie es landläufig heißt, das Fest der Liebe. Die Liebe von Weihnachten setzt sich fort. Ostern feiern wir den Sieg der Liebe Gottes in der Auferstehung Jesu von den Toten. Pfingsten bedeutet: Gott schenkt seine Liebe uns allen.

Darum lasst uns Pfingsten feiern! Amen.

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Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen

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