Apostelgeschichte 2, 42-47

Apostelgeschichte 2, 42-47

„Nur gemeinsam geht es“ | 7. So. n. Trinitatis | Predigt zum Posaunenchorjubiläum Dorfkemmathen | 31.07.2022 | Apg 2, 42-47 | Uland Spahlinger |

Apg 2: Das Leben in der Gemeinde (BasisBibel)
42Die Menschen, die zum Glauben gekommen waren, trafen sich regelmäßig und ließen sich von den Aposteln unterweisen. Sie lebten in enger Gemeinschaft, brachen das Brot miteinander und beteten. 43Die Leute in Jerusalem wurden von Ehrfurcht ergriffen. Denn durch die Apostelgeschahen viele Wunder und Zeichen. 44Alle Glaubenden hielten zusammen und verfügten gemeinsam über ihren Besitz. 45Immer wieder verkauften sie Grundstücke oder sonstiges Eigentum. Den Erlös verteilten sie an die Bedürftigen – je nachdem, wie viel jemand brauchte. 46Tag für Tag versammelten sie sich als Gemeinschaft im Tempel. In den Häusern hielten sie die Feier des Brotbrechens. Voller Freude und in aufrichtiger Herzlichkeit aßen sie miteinander das Mahl. 47Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk hoch angesehen. Der Herr aber führte täglich weitere Menschen zur Gemeinde, die gerettet wurden.

Liebe Gemeinde,

in Ihren Gottesdienstblättern finden Sie auf dem ein¬ge¬legten Blatt drei Bilder. Rätselfrage: Was haben die mit¬einander zu tun?

Auf den ersten Blick nicht viel. Wir haben da einen Blick in den Bundestag – offensichtlich zu Coronazeiten, die Reihen sind dünn besetzt; eine oberbayerische Trach¬ten¬kapelle bei schlechtem Wetter und einen Blick auf den Hesselberggottesdienst Pfingsten 2018.

Ich behaupte: es gibt etwas, das bei allen Unter¬schieden die drei Bilder mit¬einander verbindet. Klar: eine Parla-mentsdebatte ist kein Gottesdienst, oft weit ent¬fernt davon. Und sie ist oft auch kein Orchester, in dem es ein gemeinsa-mer Wohlklang herauskäme. Aber wir werden einen gemein¬samen roten Faden durch die drei Bilder finden. Nehmen wir die Blaskapelle als Aus¬gangspunkt, da ist es vermut¬lich am einfachsten. Es geht um Musik.

Musik kannst du natürlich allein machen, singen zum Beispiel. Wenn ich bei meiner Großmutter in den dunk¬len Keller musste, um – sagen wir – ein paar Äpfel zu holen, dann hatte ich manchmal Angst. Und dann sagte sie: „Du kennst den Weg, und wenn es dunkel wird, fang an zu singen – das hilft.“ Und es half. Der Taugenichts in Joseph von Eichendorffs wunderbarer Ge¬schichte singt auf seinen langen Wanderwegen vor sich hin. Das hilft dem Gehtempo. Du kannst auch in der Ba¬dewanne sin¬gen oder unter der Dusche. Oder im Regen, wie Gene Kelly im Film.

Und auch mit Instrumenten geht das. Aber eine Geige allein zum Beispiel klingt nach einer Weile ganz schön langweilig, wenn sie nicht sehr, sehr gut gespielt ist. Das liegt daran, dass es normalerweise ein Ton ist, der auf einmal angespielt wird. Klavier ist anders, da kommen Akkorde zum Klingen – vermutlich ist das der entschei¬dende Unterschied. Akkorde machen einen Mehrklang, sie schaffen Stimmungen, Dur oder moll.

Und noch einmal ganz anders ist es, wenn die Musik von vie¬len ge¬meinsam zum Klingen gebracht wird – am be¬sten har-monisch und im gleichen Tempo! Was das be¬trifft, gibt es ja überhaupt keinen Unterschied zwischen einem Vo¬kal- und einem Posaunenchor. Es macht auch keinen Unterschied, ob es um vierstimmige Choräle oder Berg¬steigerlieder geht oder um Shanties oder Jazzstücke; das ist eine Sache des persönlichen Geschmacks.

Der Punkt ist: der gemeinsame Text. Und hier kommt das Bild vom Bundestag mit dazu.

Denn was passiert da? Eine Musikgruppe (Chor oder Orchester) ist, ins Kleine übertragen, ähnlich wie ein Staat, finde ich. Was braucht es, damit ein Staat funktioniert? Es braucht eine Text – bei uns das Grundgesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch, um zwei wichtige Texte zu nennen. Dann braucht es jemanden, der sich mit den Texten auskennt, sagen wir: die Regie¬rungen und die Parlamente. Und es braucht die, die das Ganze mit Leben er¬füllen; das wären die Bürgerinnen und Bürger. Eine Re¬gierung ohne Bürger wäre ziemlich einsam. Regierung und Bürger ohne Text – das gäbe Chaos. Und der Text allein wäre Papierverschwendung. Natürlich gibt es im¬mer wieder Meinungsverschieden¬heiten in dem Dreieck „Text – Regierung – Volk“; dann muss manchmal gestritten werden, oder Irrtümer werden ausgeräumt und Fehler beseitigt. Und natürlich gibt es auch Opposition, die nichts gut findet und über alles schimpft. Nicht alles ge¬lingt immer gleich gut. Aber das Ziel ist es (oder sollte sein), dass das Leben im Staat sinnvoll gestaltet wird.

Dieses Modell können wir im Kleinen ganz leicht zum Beispiel auf unsere Posaunenchöre übertragen: Es braucht einen Text – die Noten. Aber das beste Noten¬material nützt nichts, wenn nicht jemand da ist, der es versteht und weiß wie man es umsetzen kann – Dirigen¬tin oder Leiter. Aber auch der Lei¬ter oder die Leiterin bleibt mit den Noten allein, wenn nicht die Bläser und Bläserinnen das, was auf dem Papier steht, mit Klang füllen. Und dann muss abgewo¬gen und ausgewogen werden: passen die Noten, sind die Posaunen zu laut oder die Trompeten zu leise? Denn es soll ja für ein Pub¬likum gut klingen – gemeinsam gut klingen. Und es wird auch hier manchmal Meinungsver¬schiedenheiten geben: über das Repertoire, über Dyna¬mik, über Laut¬stär¬ke und so weiter. Am Ende muss klar sein, wer die Ansagen macht. Und deutlich muss immer bleiben: Nur gemein¬sam kann es gelingen. Im Kleinen wie im Großen.

Es ist fast wie im wirklichen Leben; wie sollte es auch anders sein? Denn es dreht sich um Gemeinschaft, um das Zu¬sam-menleben. Es geht um die Art und Weise, wie wir uns als Gemeinschaft verstehen und wie wir uns als Gemein¬schaft verhalten. Und nun fehlt noch das dritte Bild: die Gottesdienstgemeinde. Auch da gibt es ein ähn¬liches Gerüst. Es gibt eine Grundlage, nicht das Grundge¬setz, dafür aber die Bibel und unsere Bekenntnisschriften (Kleiner Katechismus, Augsburger Bekenntnis usw.); daran werden wir als Christenmenschen der lutherischen Reformation erkannt. Wir haben für unsere Hauptveran¬staltung zusätzlich eine geordnete Form: die Liturgie des Gottesdienstes. Gewohnt, vertraut und eingespielt – und für geübte Gottesdienstbesucher ist es manchmal ver¬wir¬rend, wenn etwas geändert wird – das muss dann er¬klärt werden. Wir haben gemeinsame Lieder und Gebete, die uns helfen, den Gottesdienst gemeinsam zu feiern.

Denn was wäre ein Kirchengebäude ohne Gottesdienste? Bestenfalls ein Museum. Was wäre ein Pfarrer ohne Ge¬meinde? Arbeitslos vermutlich. Was wäre eine Ge¬meinde ohne Kirche und ohne Pfarrerin? Sie müsste sich ganz schön anstrengen, um Glauben und Leben über längere Zeit zu teilen. Die Gefahr, dass sie auseinan¬der¬fiele über kurz oder lang, ist nicht von der Hand zu wei¬sen.

Wie war das in der Geschichte von der ersten Gemeinde in Jerusalem? „Sie lebten in enger Gemeinschaft, bra¬chen das Brot miteinander und beteten. Alle Glauben¬den hielten zusammen und verfügten gemeinsam über ihren Besitz. Immer wieder verkauften sie Grundstücke oder sonstiges Eigentum. Den Erlös verteilten sie an die Be¬dürftigen – je nachdem, wie viel jemand brauchte. Tag für Tag versammelten sie sich als Gemeinschaft im Tem¬pel. In den Häusern hielten sie die Feier des Brotbre¬chens. Voller Freude und in aufrichtiger Herzlichkeit aßen sie miteinander das Mahl. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk hoch angesehen.“

Sie teilten alles – sie teilten das Leben! Wir wissen, dass es genau so wohl wirklich nur am Anfang war. Eine idea¬lisierende Zusammenfassung. Denn bald darauf wird von Konflikten berichtet; Aufgaben werden verteilt und be¬stimmten Leuten zugewiesen – Stephanus, der erste Dia¬kon, ist ein Beispiel dafür. Es ging eben nicht alles von selbst, sondern wurde geordnet. Was die Christen ins¬ge¬samt aber auszeichnete, war eine große Einigkeit. Sie hatten ihren gemeinsamen Text, ihre gemeinsamen Auf¬gaben, sie organisierten, was zu organisieren war (nicht mehr und nicht weniger), sie hatten eine Leitung, die auch Probleme löste und Konflikte schlichtete. Weil sie sich dem Glauben an Jesus, den Christus, verpflichtet wussten. Weil sie auf Gottes große Taten vertrauten und auf seine Güte hoff¬ten. Und weil sie erkannten: vor Gott sind wir alle gleich wertvoll. Frauen und Männer, Junge und Alte, Juden und Menschen aus anderen Herkünften.

Das war ihr Grundgesetz, ihr Wertegefüge. Ein Grundge¬setz, das auf Gottes Frieden aufbaute.
Und ich vermute, dass genau deshalb wohlklingende, harmonische Musik bis heute eine so große Rolle spielt in unserem Gemeindeleben. Zum einen ist es ausgesprochen gesund, gemeinsam Musik zu machen – das ist nachgewiesen. Wer Musik macht, lebt gesünder – das gilt vor allem für das Singen, aber auch für jede andere Form, gemeinsam Musik zu machen. Und Musik, der harmonische Klang, ist ein Symbol für den Frieden, den Gott für uns ersonnen hat. Das wussten die großen christlichen Komponisten, allen voran Johann Sebastian Bach, der über seine Werke etwa schrieb: Soli Deo Gloria – allein Gott zur Ehre!

Und deshalb, liebe Schwestern und Brüder, gibt es einen Unterschied, den ich nicht unterschlagen will: es ist der Unterschied zwischen einer Blaskapelle und einem Po¬saunenchor. Die Blaskapelle hat (nur) ihren eigenen Text, ihre Leitung und die Bläserinnen und Bläser. Der Posau¬nenchor hat noch eins mehr: er fügt sich mit seinem Spiel ein in das Leben der Gemeinde. Da kommen also zwei Texte zusammen: Der musikalische und der geist¬li¬che. Noten und biblische Botschaft. Klang und Lob Got¬tes, Klage und Trost.

Auf dem dritten Bild, dem vom Hesselberg, ist auch der Posaunenchor zu sehen – auf der Kopie vielleicht nicht so gut: ganz klein und im Hintergrund. Aber einige von Euch werden sogar mitgespielt haben 2018; und dann wisst Ihr genau, wo Ihr gesessen seid. Wir haben in fast allen Gemeinden Posaunenchöre, und Ihr macht die Menschen glücklich mit dem strah¬len¬den Klang Eurer Instrumente.

Gut ist es, dass hier in Dorfkemmathen der Posaunenchor seit 75 Jahren existiert – das ist eine lange Zeit und soll gebührend und ausgiebig gefeiert werden. Gut ist es, dass nach den zwei Jahren Pandemie auch die PC-Proben wieder laufen und dass an ganz vielen Stellen die Chöre da sind und feierlich, erhaben, klassisch und modern die Gottes¬dien¬ste begleiten und erheben. Gut ist es, dass Menschen sich über Jahre und Jahrzehnte zu ih¬ren Chören halten; gut ist es, dass Jungbläserinnen und Jungbläser gewonnen, ausge¬bildet und integriert wer¬den. Und gut ist es, wenn wir dabei im Blick behalten: wir tun das alles nicht zum eigenen Ruhm, sondern zur Ehre Gottes. Der Applaus darf sein – selbstverständlich. Es ist ja auch eine Leistung, die da erbracht wird. (Aber genauso verdienen dann diejenigen Applaus, die vielleicht Gemeindebriefe austra¬gen oder Besuche machen oder nach dem Gemeindefest zusammenräumen.)

Worauf es ankommt: dass es harmonisch zugeht: harmo¬nisch in den Noten und harmonisch in den Beziehungen im Chor und in der Gemeinde. Dass klar ist, wer am Ende das Sagen hat. Dass besprochen wird, was zu besprechen ist, und dass dann Entscheidungen getroffen werden. Manchmal ist es ja so, dass über irgendetwas nochmal und nochmal und nochmal debattiert wird – „das haben wir noch nie so gemacht…“; ha ja, dann ist es halt das erste Mal. Und immer: wir sind nicht die einzigen auf der Welt, da gibt es auch noch andere, die auch das Ihre ma¬chen möchten für die gute Gemeinschaft und zur Ehre Gottes.

An ganz vielen Stellen gelingt das ja auch wunderbar. Oft besser als im Parlament oder den Regierungen alle¬mal. Und woran liegt das? Aus meiner Sicht doch genau an dem, das wir nicht machen können, das uns aber seit allem Anfang trägt: Die Freundlichkeit und die Weisung unseres Gottes, der uns lehrt, aufeinander achtzugeben, dass es möglichst allen gut geht; zu teilen, was wir ha¬ben; Auseinandersetzungen friedlich zu lösen und in al¬lem auf ihn, den lebendigen ewigen Gott, zu vertrauen. Im Gottesdienst und im Alltagsleben.

Spielt also weiter unserem Gott euer Lob in die Ohren, Ihr Blä¬se¬rinnen und Bläser – er wird seine Freude an Euch haben. Und wir auch. Amen.
Dekan Uland Spahlinger, Dinkelsbühl, Email: uland.spahlinger@elkb.de.

Uland Spahlinger, Jahrgang 1958, seit Mai 2014 Dekan in Dinkelsbühl. Selbst engagierter Chorsänger, bringe ich der PC-Kultur im westmittelfränkischen Raum große Begeisterung entgegen: Gerade in den kleinen Gemeinden sind die Gruppen ein kaum zu überschätzender Faktor im Gemeindeaufbau. Sie bringen Menschen aller Altersgruppen zusammen, begleiten die großen Feste im Kirchenjahr sowie Freiluftveranstaltungen. Bei runden Geburtstagen kommen sie meist ebenso zum Einsatz wie bei Beerdigungen und Trauerfeiern auf den Friedhöfen. Darüber hinaus sind sie bestens untereinander vernetzt und helfen, wo nötig einander gegenseitig aus. Protestantische Festkultur vom Feinsten!

Lied nach der Predigt: Eingeladen zum Fest des Glaubens, z.B. in Kommt, atmet auf, Liederheft für die Gemeinde, Gottesdienstinstitut Nürnberg 20145, Nr. 0119 (alle vier Strophen)

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