Apostelgeschichte 2,41-47

Apostelgeschichte 2,41-47

Nahe bei Gott und den Menschen | 7. So. n. Trinitatis | 23.07.2023 | Apg 2,41-47 | Barbara Pfister |

Liturgischer Hinweis: Die Predigt nimmt Bezug auf ein Video, das Gemeindeglieder via Twitter geteilt haben und auf ein Lied, welches unser Kirchenmusiker einstudiert hat und an diesem Sonntag präsentiert, dessen Text jedoch aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden kann.

Text vom Video:

Ein kleiner Junge fragte seinen Vater, wie gross ist Gott?
Der Vater antwortete erst einmal nicht, richtete den Blick zum Himmel, sah ein Flugzeug und fragte seinen Sohn: «Wie gross ist dieses Flugzeug?» Der Kleine antwortete, ohne zu zögern: «Sehr klein Papa, kaum zu sehen!»
Dann brachte er seinen Sohn zum nächsten Flughafen. Während sie sich einem Flugzeug näherten, fragte er seinen Sohn: «Und jetzt? Wie gross ist es jetzt?»
Fasziniert antwortete der Kleine: «Es ist riesig Papa, man könnte es nicht übersehen!»
Daraufhin sagte der Vater: «So ist Gott! Seine Grösse ist abhängig von der Ferne, die du zu ihm hältst. Je näher du ihm bist, desto grösser wirkt Gott in deinem Leben!»

Hinführung zum Lied und Predigtthema:

Es ist nicht Gott, der zu uns auf Distanz geht – sondern wir Menschen, die uns oft von ihm entfernen. Wir stehen in Gefahr, Gott entweder «übergross» und «alles bestimmend» zu machen, so, dass er für uns unnahbar und fern wird. So bewahren wir zwar die Allmacht Gottes, aber verlieren seine Barmherzigkeit.

Wir können aber auch in der gegenteiligen Gefahr stehen und Gott klein machen. Wir werten ihn ab oder nehmen ihn in Schutz angesichts all dem Leid in der Welt, gegen das er anscheinend nichts tun kann. So machen wir Gott ohnmächtig und hilflos.

Ich habe das Gefühl, dass wir heute hier bei uns eher in Gefahr stehen, Gott klein und damit bedeutungslos zu machen. Wir begrenzen ihn, sperren ihn ein in unsere Vorstellungen, wie er Handeln sollte und müsste. Deshalb wollen wir an dieser Stelle mit unserem Versagen und unserer Schuld vor Gott kommen.

–> Schuldbekenntnis

«Nichts ist mehr, wie es einmal war!»
So sagt es ein Paar, um die fünfzig, das sich vor kurzem getrennt hat. Damals, frisch verliebt, waren sie überzeugt, dass nichts und niemand ihre Liebe zum Erkalten bringen könnte. Doch jetzt erzählen sie mir, wie sie sich über längere Zeit voneinander entfremdet hätten und die Distanz zwischen ihnen auf einmal unüberwindbar gross geworden sei.

Auch der alte Mann im Altersheim beginnt fast jeden zweiten Satz damit «Nichts ist mehr, wie es einmal war. Früher, da war alles besser!» Vieles, das er aufzählt, ist unwiederbringlich in die Ferne gerückt und unserer Gesellschaft verloren gegangen.

Verlusterfahrungen gibt es nicht nur in Beziehungen oder im Alter, sondern auch in unserem Glauben an Gott. Vielleicht hast auch du einmal dein persönliches Pfingsten erlebt: eine Gottesbegegnung, die dein Leben veränderte oder eine Erfahrung von christlicher Gemeinschaft, die ein Feuer von Glaubensenergie in dir angezündet hat.

Wir hören Verse aus dem 2. Kapitel der Apostelgeschichte – die direkte Fortsetzung von Pfingsten. Gott hat den Heiligen Geist den Jünger*innen von Jesus gesandt und die Auswirkungen davon bekam das gesamte Volk in Jerusalem mit. Nur konnten die Menschen das, was sie sahen, und hörten nicht einordnen, deshalb erklärte ihnen Petrus das Evangelium von Jesus Christus zusammengefasst in einer eindrücklichen Predigt. Wir hören, wie die Zuhörer*innen darauf reagierten…

Lesung: Apostelgeschichte 2, 37-41

Was für ein Tag! So schnell wächst die Gemeinschaft derer, die Jesus nachfolgten von ein paar Dutzend Menschen auf über 3000 Glaubende! Doch dieses gewaltige Kommen des Heiligen Geistes ist bereits 2000 Jahre Geschichte. Vielleicht liegt auch deine Gottesbegegnung, die dein Leben verändert hat, bereits fünf, 20 oder gar 50 Jahre zurück. So kann es gut sein, dass du dich eher fühlst, wie wenn du eine Kopie, der Kopie, der Kopie in Händen hältst, auf der die Handschrift Gottes nur noch schwach, kaum mehr lesbar und überhaupt nicht mehr kraftvoll. Der Glaube, die Begeisterung und die erste Liebe, die damals dein Herz erfüllten, sind verblasst. Gott ist in die Ferne gerückt und du verlierst ihn immer mehr aus den Augen. Wir entfremden uns langsam von Gott und machen ihn dadurch kleiner, belang- und bedeutungsloser für unser persönliches Leben und unsere Gesellschaft. Selbst innerhalb der Kirche, wo wir ständig von Gott reden, kann uns das passieren. Diese Situation beschreibt unser heutiger Liedbeitrag.

Lied: «Wir haben Gott klein gemacht»; Text: Johannes Hansen; Musik: Siegfried Fietz
https://www.youtube.com/watch?v=e8dKzRtJbfo

Predigt

        nähertreten, damit Gott uns grösser werden kann

 Wir können nur klein machen, was uns einmal gross und wichtig war. Wir können nur verlieren, was uns einmal gehört hat: Sei das die erste Liebe, wie beim Ehepaar, welches ich erwähnt habe; sei es die unbebauten Grünflächen und die Postfiliale auf dem Dorf, welchen der alte Mann nachtrauert; oder sei es Gottes spürbare Gegenwart und sein sichtbares Wirken, so wie es die erste christliche Gemeinde an Pfingsten erlebt hatte.

N.T. Wright schreibt in seinem Apostelgeschichtekommentar:
«Wo sich die Kirche heute stagnierend, unattraktiv, alltäglich und schrumpfend wiederfindet – und traurigerweise gibt es zumindest in der westlichen Welt viele Kirchen, auf die das zutrifft – da ist es Zeit, Apostelgeschichte 2,42-47 noch einmal zu lesen, auf unsere Knie zu gehen und zu fragen, was denn nicht geschieht, aber geschehen sollte. Das Evangelium hat sich nicht verändert. Gottes Kraft hat nicht nachgelassen.»[1]

Deshalb tut es auch uns gut, wenn wir uns, wie dieser kleine Junge im Video, an der Hand nehmen lassen – nicht um das Flugzeug von Nahem zu sehen, sondern um in Gottes Nähe zu treten. Denn je näher wir ihm sind, desto grösser wird er in unserem Leben. Für solch eine Annäherung kann es helfen zurück zu den Wurzeln zu gehen. Nicht, weil sich das, was an Pfingsten geschah und andere erlebten, kopieren liesse. Sondern um genau hinzuschauen, nach zeitlosen Merkmalen zu suchen oder wie es Wright formuliert: Fragen was heute denn nicht geschieht, aber eigentlich geschehen sollte. Für dieses «zurück zu den Wurzeln» kann uns der heutige Predigttext helfen, welcher die direkte Fortsetzung von Petrus’s Pfingstpredigt ist.

Predigttextlesung: Apostelgeschichte 2,41-47 (Zürcher Bibel)

41 Die nun [das von Petrus verkündigte] Wort annahmen, liessen sich taufen. Und an jenem Tag wurden ungefähr dreitausend Menschen der Gemeinde zugeführt.
42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und am Gebet.
43 Und Furcht erfasste alle: Viele Zeichen und Wunder geschahen durch die Apostel.
44 Alle Glaubenden aber hielten zusammen und hatten alles gemeinsam;
45 Güter und Besitz verkauften sie und gaben von dem Erlös jedem so viel, wie er nötig hatte.
46 Einträchtig hielten sie sich Tag für Tag im Tempel auf und brachen das Brot in ihren Häusern; sie assen und tranken in ungetrübter Freude und mit lauterem Herzen,
47 priesen Gott und standen in der Gunst des ganzen Volkes. Der Herr aber führte ihrem Kreis Tag für Tag neue zu, die gerettet werden sollten.

Eine «ganz normale», christliche Gemeinde wird uns hier beschrieben: nah bei Gott und nah bei den Menschen.
Ich möchte mit Hilfe des Bibeltextes etwas konkretisieren, was es heissen kann, wenn wir die Nähe zu Gott und den Menschen suchen und daran festhalten:

         nahe bei Gott sein heisst festhalten

Eifrig haben die ersten Christen ihr Glaubensleben begonnen, damals, als die zu Gott umgekehrt sind, sich auf den Namen Jesu taufen liessen, Sündenvergebung und den Heiligen Geist empfangen haben. Doch nicht nur das, sie blieben auch beständig dran, täglich, wöchentlich und das über Monate hinweg.

42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und am Gebet.

… an der Lehre der Apostel

Alles wollten sie von den Aposteln wissen über das Leben und Wirken von Jesus, wie es sich verhielt mit seinem Tod, seiner Auferstehung und der Mission, welche er denen hinterlassen hat, die ihm nachfolgten. Quellfrisch konnten die Apostel ihre Erlebnisse mit und die Lehren von Jesus weitergeben.

Nahe bei Gott zu bleiben heisst für die Christen aller Epochen und Zeiten: an der Lehre der Apostel festhalten, wie sie uns in der Heiligen Schrift überliefert ist.

Sich mit der Bibel auseinandersetzen, selbst nachlesen, Hörbibel oder eine Bibelauslegung in einer Predigt hören, zusammen in einem Hauskreis Jesus-Worte lesen und gemeinsam darüber diskutieren – all das kann uns helfen, zurück zu den Wurzeln zu finden, uns Gott anzunähern oder in seiner Nähe zu bleiben.

Wir werden staunen, wie der kleine Junge am Flughafen, wenn wir in der Bibel etwas davon entdecken, wie Gott ist – ganz anders als erwartet, überraschend und gross – ziemlich sicher ganz anders als unsere Vorstellungen und Bilder von ihm. Beim Lesen der Evangelien werden wir merken, dass es nicht wir sind, die einen Schritt näher treten, sondern dass Gott bereits einen Schritt auf uns zu gekommen ist, indem er in Jesus Christus für uns Menschen sichtbar, greifbar und erlebbar geworden ist.

Dort, wo wir der Lehre der Apostel, also dem Evangelium, keinen Platz mehr gewähren und dem lebenslangen Lernen aus der Heiligen Schrift keine Aufmerksamkeit schenken, wird es bald passieren, dass Gott in die Ferne rückt und er für uns unbedeutend klein wird. Wer Gott aus dem Blick verliert, wird bald zur Weltanschauung und dem Gedankengut der uns umgebenden Gesellschaft zurückkehren.

42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft…

… an der Gemeinschaft

Der gemeinsam gelebte Glaube war schon damals bei den ersten Christen nicht primär eine Interessensgemeinschaft. Nicht weil Spiritualität ihr gemeinsames Hobby war, schlossen sich diese Menschen zu einem regelmässigen Verein zusammen. Nein, der Heilige Geist selbst war es, der an Pfingsten alle, die zum Glauben an Jesus Christus kamen, zusammenführte in diese neuartige Gemeinschaft, die wir später Kirche nennen.

Von Anfang an gab es unter den Christen keine Einförmigkeit – weder Volksgruppen-Zugehörigkeit noch Sprache, Schicht oder Geschlecht hätte diese Menschen verbunden. Vielmehr waren es diese persönlichen Unterschiede, die auf einmal zweitrangig wurden, weil nur noch wesentlich war, dass sie alle den gleichen Erlöser, Jesus Christus, gefunden und von Gott den gleichen Geist erhalten hatten, der nun in ihnen lebt (Vgl. Apg 2,5-11; Gal 3,28). So wurde Einheit in Vielfalt möglich und ist bis heute ein Kennzeichen der Christen weltweit.

Nahe bei Gott zu bleiben – das gelingt Christen aus allen Zeiten und Epochen, wenn sie festhalten, an der Gemeinschaft und um die Einheit untereinander ringen.

So, wie es in einem alten Schweizer Jungscharlied heisst: «Warum gaht’s denn nöd als Solo-Chrischt? … En Chrischt brucht de ander, de ander brucht mich, so hälfed mir enander uf em Wäg i Gottes Riich.»[2]

42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und am Gebet. (ZB)
46 Tag für Tag kamen die Gläubigen einmütig im Tempel zusammen und feierten in den Häusern das Abendmahl. In grosser Freude und mit aufrichtigem Herzen trafen sie sich zu den gemeinsamen Mahlzeiten. (Hfa)

… am Brotbrechen

Die ersten Christen brachen nicht einfach mit ihrer jüdischen Vergangenheit. Vielmehr zog es sie nach dem Erlebnis mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden, erst recht in den Tempel, in Gottes Gegenwart. Darüber hinaus trafen sie sich in den Häusern der andern Jesus-Nachfolger*innen um Gemeinschaft zu pflegen. Interessanterweise ist dort, sozusagen im Hauskreis, nicht im Tempelgottesdienst, der ursprüngliche Ort, an dem sie Abendmahl feierten. Der Name deutet es schon an: Die ersten Christen feierten anders Abendmahl als wir. Sie assen zusammen eine gewöhnliche Mahlzeit und wohl im Anschluss daran, brachen sie gemeinsam das Brot in Erinnerung an das, was Jesus tat. (Vgl. wie damals Lk 20,14-20)

Sie erinnerten sich daran, wie er mit Sündern und Zöllnern ass (Lk 15,1; Lk 19,1-10), die auf Gottes Vergebung angewiesen waren und dankten ihm, dass er auch ihnen immer wieder vergibt. Sie dachten daran, wie Jesus kurz vor seinem Tod das Brot brach und sagte: Das ist mein Leib – mein Leben, das ich hergebe, aus Liebe zu euch (Lk 22,19). Sie riefen sich wohl auch in Erinnerung, wie sich einige Tage später, der Auferstandene, beim Brotbrechen zu erkennen gab und weiterhin beim Abendmahl auf besondere Art und Weise gegenwärtig ist (Lk 24,30-32).

Mit grosser Freude und ehrlicher Herzlichkeit feierten sie. Ziemlich anders als wir es oft tun in bedrückter Feierlichkeit, ähnlich einer Abdankung. Die ersten Christen jedenfalls feierten Abendmahl freudig mit dem Bewusstsein, dass sie selbst Anteil haben an Jesu Auferstehungsleben. Das gab ihnen die Hoffnung, eines Tages erneut mit Jesus zusammen zu Essen und Trinken in Gottes neuer Welt (Lk 22,16-18).

Nahe bei Gott zu bleiben, heisst für die Christen aus allen Epochen und Zeiten: Nicht aufhören das Brot zu brechen und Abendmahl zu feiern.

Wenn es stimmt, was wir im Video gehört haben: «Gottes Grösse ist abhängig von der Ferne, die wir zu ihm halten. Je näher wir ihm sind, desto grösser wird er in unserem Leben.» Dann lohnt es sich zu überlegen, ob es eine grössere Nähe gibt, als die Gegenwart des Auferstandenen leibhaftig in uns aufzunehmen durch Brot und Wein?

Abendmahl feiern dient uns als Erinnerung an das, was Jesus für uns getan hat. Es dient aber auch zur Vergewisserung: Uns ist vergeben, wir sind gerettet. Gleichzeitig weckt es in uns die Hoffnung, dass Auferstehung und ewiges Leben auch uns erwartet und es gibt die tiefe Gewissheit für’s Hier und Jetzt: Der dreieine Gott lebt in mir und ich in ihm.

42 Sie aber hielten fest an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und am Gebet.

         … am Gebet

Wer betet, kann Gott nicht klein machen und aus seinem Leben verdrängen. Denn mit Gott reden heisst auch, mit ihm rechnen. Die ersten Christen rechneten mit Gottes Gegenwart in ihrer Mitte trotz Verfolgung, Armut, fehlendem Rechtsstatus und ohne eigene Gemeinderäumlichkeiten. Eine christliche Gemeinde, die nicht betet, ist eine sterbende Gemeinde, weil sie nicht mehr mit Gottes Wirken rechnet und stattdessen sich selbst zum Massstab und Mittelpunkt macht.

Nahe bei Gott zu bleiben, heisst somit für Christen aus allen Epochen und Zeiten: Beharrlich zu bleiben im Gebet.

Denn mit jedem Gebet gestehen wir uns ein: Wir selbst sind in Vielem hilflos, schwach und ohnmächtig – darum bitten wir Gott und klagen ihm unsere Not. Beten ist aber auch ein Ausdruck dafür zu sagen: Was gut gelungen ist, haben wir nicht allein uns zu verdanken. Deshalb loben wir Gott und danken ihm. Beim Beten verlassen wir die kleine, begrenzte Welt unserer eigenen Möglichkeiten und treten in den Aktionsradius des unbegrenzten Gottes ein.

Es ist besonders spannend die Apostelgeschichte einmal mit dem Fokus auf das Gebet durchzulesen. Es fällt auf, dass bei den ersten Christen beten und arbeiten, Kontemplation und Aktion immer untrennbar zusammengehörte (Vgl. Apg 1,12-14; Apg 1,23-26; Apg 3,1-10; Apg 4,23-31; Apg 6,3-7; Apg 7,59f; Apg 8,14-17; Apg 8,27ff; Apg 9,40f; Apg 10,9ff). Keines kann durch das andere ersetzt werden, denn gebetslose Aktionen enden in purem Aktivismus und tatenlose Gebete werden zum leeren Geschwätz. Von den ersten Christen können wir lernen dieses Gleichgewicht zu halten.

Obwohl das Festhalten am Evangelium, an der Gemeinschaft, am Abendmahl feiern und beten alles recht unscheinbare, nach Innen gerichtete Sachen sind, hatten diese sichtbare Auswirkungen nach aussen hin. Auf einmal konnte die Gesellschaft rund um diese Gemeinde herum Gott nicht mehr an den Rand drängen, klein reden oder ignorieren.

43 Jedermann in Jerusalem war von einer tiefen Ehrfurcht vor Gott ergriffen, und durch die Apostel geschahen zahlreiche Wunder und viele außergewöhnliche Dinge. (NGÜ)

         nahe bei den Menschen zu sein heisst teilen

Nebst dem übernatürlichen Eingreifen Gottes, lösten auch die aussergewöhnlichen menschlichen Verhaltensweisen Erstaunen aus. Die ersten Christen sind nämlich nicht nur nahe bei Gott geblieben, sondern auch nahe bei ihren Glaubensgeschwistern:

44 Die Gläubigen lebten wie in einer großen Familie. Was sie besaßen, gehörte ihnen gemeinsam.
45 Wenn es an irgendetwas fehlte, war jeder gerne bereit, ein Grundstück oder anderen Besitz zu verkaufen und mit dem Geld den Notleidenden in der Gemeinde zu helfen. (Hfa)

Oft ist bei diesen Versen die Rede von einem urchristlichen Kommunismus. Doch niemand hatte den ersten Christen verordnet, sie müssten ihr Privatbesitz aufgeben und alles in einen Topf werfen. Vielmehr teilten sie freiwillig und mutig ihre Ressourcen, wie in einer grossen Familie. Da würde auch kaum jemand davon reden, dass dies mein Tisch, mein Stuhl, mein Vorrat ist. Viel mehr bezeichnen die, welche das Brot verdienen dies nicht als ihr alleiniger Besitzt, sondern sehen das Erwirtschaftete als Ressource des gesamten Haushaltes, die allen in der Familie zu gut kommen soll.

Ihre Umkehr zu Jesus Christus hat bei den ersten Christen ihr Verhältnis zum Besitz auf den Kopf gestellt. Statt Äcker, Bauland, Zweitwohnungen, gefüllte Vorratskeller oder Sparkonten zu horten, teilten sie freiwillig. Sie sahen es als ihren Gewinn an, wenn die Kinder ihrer Mitchristen nicht mehr hungern müssen, sondern satt ins Bett gehen können, sauberes Wasser zur Verfügung steht, Arme eine Chance auf Arbeit und Bildung bekommen und in ihrer Mitte Menschen aufatmen können, weil für ihr Lebensnotwendigstes gesorgt ist.

Diese Menschen sind keine Sklaven von Geld und Besitz mehr, sondern durch Jesus frei gemacht, um ohne Zwang und Sorge mit ihrem Besitz wirtschaften zu können. So investierten sie in ein Unternehmen, das Ewigkeitswert hat: die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in ihrer Mitte. So können die Armen in der Gemeinde Gottes Versorgung praktisch erleben durch die Reichen.

Ein beeindruckender Zusammenhalt, den ich so nicht mehr kenne. Könnte es sein, dass wir durch unseren Individualismus, Egoismus, die Sicherheitsliebe und den Geiz immer wieder Gott klein machen und ihm im Wege stehen, durch uns andern Menschen seine Grösse, Güte und Gegenwart zu zeigen?

Christen, die am Zentralen festhalten, zusammenhalten, indem sie teilen und ineinander investieren – die werden wahrgenommen von ihrem Umfeld:

47 Sie lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden. (LUT 2017)

Eine «ganz normale» Gemeinde – eine Kirche, die wächst, die nahe bei Gott, den Mitchristen und der Gesellschaft ist – das zeigt unsere Reise zurück zu den Wurzeln.

         wie finden wir zurück in diese Nähe?

Habt ihr den kleinen oder auch himmelweiten Unterschied bemerkt zwischen unserer Kirchgemeinde und der Jerusalemer Urgemeinde? Zwischen uns als Kopie der Kopie der Kopie und dem Original?

Es gibt mindestens zwei Strategien, wie wir mit diesem bemerkten Unterschied umgehen können.

Die einen sagen: Damals war das goldene Zeitalter, sozusagen der Frühling der christlichen Gemeinde. Aber bei uns heute ist diese erste Liebe erkaltet. Uns ist diese innige Nähe zu Gott abhandengekommen. Wir leben im Spätherbst der Kirche. Wir müssen akzeptieren, dass die Blätter fallen und wir immer weniger werden. Wir erwarten besser nichts mehr von Gott, so werden wir auch sicher nicht enttäuscht werden.
So verabschieden sich einige kühl distanziert innerlich von der Kirche und dem christlichen Glauben.

Andere wiederum sagen: Früher was alles besser! Wir müssen um jeden Preis zurück zum Original und wieder eine Gemeinde werden, wie sie in Apostelgeschichte 2 beschrieben ist. Koste es, was es wolle. Krempeln wir die Ärmel hoch und packen an: mehr Jugendangebote, ansprechendere Gottesdienste, ein Café, Strasseneinsätze und ein 24Stunden Gebet brauchen wir. Mit roten Köpfen und Schweissperlen stürzen sie sich in die Arbeit die Kirche zu retten.

Beides wird uns keinen Zentimeter weiterbringen. Eigentlich wissen wir dies auch aus Erfahrung. Doch, gäbe es wohl einen dritten Weg, jenseits von Resignation und Hyperaktivismus? Ich habe keine Antwort darauf, deshalb stelle ich nur ein paar offene Fragen und Gedankenanstösse in den Raum:

Wäre es möglich, dass uns beim Lesen der Apostelgeschichte die Sehnsucht neu packen würde, dass wir als Kirche heute und hier eine kleine Schwesterngemeinde dieser Jerusalemer Urgemeinde werden könnten? Nicht, weil wir so nahe dran sind am Original – aber weil Gott Gott bleibt und seine Gemeinde heute genauso baut wie damals.

Wäre es möglich, dass es uns ein gemeinsames Anliegen wird, wofür wir Gott beharrlich bitten, dass er aus uns eine solche «normale» Gemeinde macht, die festhält am Wesentlichen, zusammenhält und wahrgenommen wird in der Gesellschaft? Nicht, weil wir so ausdauernde Beter*innen sind, eine starke Gemeinschaft untereinander verspüren oder um Gunst in der gesamten Stadt buhlen wollten. Sondern, weil Gott Gott bleibt und seine Gemeinde hier genauso bauen will wie dort.

Wäre es möglich, dass wir uns gegenseitig immer wieder daran erinnern, dass es kein frommer Wunschtraum ist, dass Gott unsere Gemeinde verwandelt und verändert?  Nicht weil wir so aktiv sind oder grossen Glauben haben, sondern weil Gott Gott bleibt und er selbst es ist, welcher die Menschen dazufügt, rettet und seine Kirche wachsen lässt.

Gott ist genügend gross dazu – höchstens wir haben ihn klein gemacht. Aber wie gut, dass er sich nicht von uns vorschreiben lässt, was «normal» ist und was er zu tun hat.

Gott sei Dank, dass er Gott bleibt – gegen uns und so für uns.[3]

Amen.


VDM (Verbi Divini Ministra) Barbara Pfister, CH-Bubikon
E-Mail: barbara_pfister@gmx.ch

Barbara Pfister, geb. 1977, Pfarrerin in der ev. ref. Kirche Wetzikon (Zürich).


[1] N.T. Wright; Apostelgeschichte für heute; Bd 1; Brunnen Verlag 2015; Seite 71

[2] Melodie: Ueli Stadelmann; Satz: David Plüss; Text: Ueli Stadelmann & Thomas Brefin

[3] Aus dem Lied: Wir haben Gott klein gemacht; Text: Johannes Hansen; Musik: Siegfried Fietz

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