Apostelgeschichte 2,41-47

Apostelgeschichte 2,41-47

Update eines geistlichen Gemeindemodells | 7. So. n. Trinitatis | 23.07.2023 | Acta 2,41-47 | Rudolf Rengstorf |

Die die Predigt des Petrus annahmen, ließen sich taufen.

Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.

Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.

Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

(Apostelgeschichte 2, 41a.42-47)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Die Gemeinde, von der oben die Rede ist, entstand unmittelbar nach der Pfingstpredigt des Apostel Petrus – also als Folge der Ausgießung des Heiligen Geistes. Damit ist sie eine Gemeinde, wie Gott sie haben will, so etwas wie eine Modell-Gemeinde.  Alle nachfolgenden Gemeinden sollen sich an ihr orientieren und messen lassen. Danach hat die christliche Gemeinde fünf Kennzeichen:

  1. Sie bleibt beständig in der Lehre der Apostel,
  2. Sie hält Gemeinschaft untereinander.
  3. Einmütig übt sie sich im Abendmahl und im Teilen der Habe.
  4. Sie praktiziert das gemeinsame Gebet.
  5. Sie wächst kontinuierlich.

Hm, mit dem Wachsen ist es bei uns offenbar genau umgekehrt. So ist die Gemeinde, zu der ich gehöre, in der ich in den letzten Jahrzehnten war, etwa um die Hälfte geschrumpft. Eine der beiden Pfarrstellen wurde gestrichen, und eines der beiden Zentren der Gemeinde musste aufgegeben werden. In Ihrer Gemeinde sieht es vielleicht nicht so dramatisch aus. Aber auch Sie werden mehr Beerdigungen als Taufen, mehr Austritte als Eintritte zu verzeichnen haben.

Und bei den vier anderen Merkmalen von Kirche sieht es ebenfalls nach Verlust und Rückgang aus. Das beständige Bleiben in der Lehre der Apostel scheint sich zu verflüchtigen in ständigen Diskussionen und nicht endenwollenden Neuerungen und Experimenten. Die verbindliche Gemeinschaft der Christen scheint zerfallen in die einzelnen Individuen, für die Kirche meist nur noch bei Gelegenheit vorkommt. Die Einheit des Abendmahls ist längst im Zwist und am Eigensinn der Konfessionen zerbrochen. Statt Teilen scheint überall Besitzstandswahrung angesagt. Und das gemeinsame Gebet hat sich außer den liturgischen Resten im Gottesdienst inzwischen aus fast allen Häusern selbst von Pastoren verabschiedet.

Doch Sie brauchen nicht zu befürchten, dass es in der Predigt jetzt so weitergeht und in den allzu gut bekannten Tenor mündet: Also bitte, Kameraden, es muss etwas getan werden, damit wir uns den guten alten Zeiten der Kirche wieder annähern. Täte ich das, würde ich den entscheidenden Unterschied zwischen damals und heute übersehen. Denn anders als bei den ersten Christen und allen, die nach ihnen kamen, leben wir in einer Zeit, die ganz und gar von der Autonomie, der Mündigkeit und Freiheit des Menschen geprägt ist. Ob ich glaube, was ich glaube, was ich mit meiner Freizeit anfange, mit wem ich zusammen bin, wo ich mich engagiere und wo nicht – das und noch viel mehr ist alles mir selbst überlassen, und bei Ihnen ist das nicht anders. Was früher durch Herkunft, Tradition und Sitte vorgegeben, ja festgelegt war, unterliegt heute dem Belieben und der Wahl der Einzelnen. Mit Anordnungen, normativen Erwartungen, moralischem Druck ist nichts mehr zu machen. Es geht nur noch mit dem, was gut gemacht ist, was anzieht und was Freude macht. Und das auf einem Markt, auf dem viele andere sich tummeln. Das ist die Herausforderung, der die Kirche sich heute stellen muss, ohne dabei auf frühere Erfahrungen zurückgreifen zu können.

Und ich vermag es nur mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu erklären, dass Kirche noch da ist. Dass sie diesen wirklich umstürzenden Wandel von einer obrigkeitlich-hierarchischen zu einer demokratischen Gesellschaft und Kultur überlebt hat. Oft genug zunächst widerstrebend. Aber es waren auch viele da, die diesen Prozess als Gottes Gabe und Aufgabe begrüßt und sogar vorangetrieben haben. Nach den Maßstäben einer Staats- und Gewohnheitskirche: sieht vieles nach Verlust und Rückgang aus. Doch demgegenüber sorgt der Heilige Geist auch heute für kontinuierliches Wachsen. Für das Wachsen in eine Kirche der Freiheit und Freiwilligkeit. Jede Gemeinde lebt von Frauen und Männern, die sich aus freien Stücken mit ihren Gaben einbringen. Und mit jeder Taufe wird ein Menschenkind aus freien Stücken zu dieser Kirche hinzugebracht.

Und unter dem Horizont von Freiheit und Autonomie ist Kirche nach wie vor mit dem beschäftigt, was der Heilige Geist ihr von Anfang an eingegeben hat: Natürlich bleibt sie beständig in der Lehre der Apostel. Wo denn sonst? Aber diese Lehre ist keine Formel-Sammlung, die von allen gelernt und wiedergegeben werden muss. Vielstimmig und bunt haben die Apostel von Anfang an das Bild Jesu weitergegeben. Eine Lehre, die das Suchen und Lernen erfordert. Und Lernen hat damit zu tun, dass wir die Lehren aus verhängnisvollen Irrwegen ziehen und uns von neuem an der Heiligen Schrift orientieren.

 So haben wir in unserer Zeit entdeckt und gelernt, wie tief Jesus verwurzelt war im Glauben seines Volkes und wie eng Christen und Juden zusammengehören. Wir haben entdeckt und gelernt, dass Frauen in der Gesellschaft Jesu und den ersten Gemeinden ebenso mitsprachen und entschieden wie Männer. Und wir haben entdeckt und gelernt, dass man Leib und Seele nicht trennen und unterschiedlich bewerten darf. Der Mensch ist eine gottgewollte Einheit von Leib und Seele, von Bauch und Kopf, ganz und gar in, aber doch nicht nur von dieser Welt. Was für ein Segen!

Ja, und wie ist das mit dem Gemeinschaft- Halten? Auch hier hat uns der Heilige Geist nicht verlassen. Gewiss, Gemeinschaft kann in einer freien und mobilen Gesellschaft nicht auf den Wohnbereich und nicht auf eine bestimmte Gemeinde festgelegt und verordnet werden. Jeder hat so seine eigenen Netz- und Beziehungswerke, in denen er und sie leben. Und doch stiftet Kirche im Verbund mit Vereinen und Verbänden auf vielfältige Weise dazu an, dass Alleinlebende nicht vereinsamen. Und dass wir in einem Gemeinwesen leben, in dem Menschenrechte und Solidarität großgeschrieben werden, ein Gemeinwesen, in dem das höchste Gericht darüber wacht, dass keiner auf der Strecke bleibt und alle bekommen, was sie zum Leben brauchen: Ohne das Wirken des Heiligen Geistes wäre das kaum möglich.

Und denken Sie an die vielen Initiativen, oft angesiedelt in Kirchengemeinden, die eine Willkommens-Kultur für Flüchtlinge entwickelt haben und durchhalten, und andere Gruppen, die sich für Arbeitslose, Suchtkranke oder Suizidgefährdete und für andere Mühselige und Beladene einsetzen. Überall sind Christen oft sogar maßgeblich beteiligt und das immer in ökumenischer Eintracht. Was für ein Segen!

Das mag etwas versöhnen damit, dass wir beim Abendmahl noch nicht zur Einheit gefunden haben. Doch hier ist etwas in Bewegung. Uns Protestanten ist das Abendmahl viel wichtiger geworden als in früheren Zeiten. Da wurde es – ich erinnere mich noch sehr genau – gerade zweimal im Jahr – am Bußtag und am Karfreitag – gefeiert. Je selbstverständlicher das Abendmahl im Gottesdienst wird, desto näher wird uns das der gemeinsamen Feier mit den Katholiken bringen.

Und das Teilen unserer Habe, wie ist es damit bestellt?  Leicht ist das den Menschen noch nie gefallen. Hier bedürfen wir kräftiger Anstöße des Heiligen Geistes, dass wir kreativer, phantasievoller werden, um das heute gebotene globale Teilen, den Lastenausgleich von Nord nach Süd voranzutreiben und uns großherziger zu lösen von dem, was wir sowieso nicht festhalten und nicht mitnehmen können.

Und wie stehts mit dem gemeinsamen Beten? Da ist die sehr zu achtende Scheu, die eigene Gottesbeziehung zu zeigen. Beim Beten mit Kindern aber ist das anders. Und da geschieht vieles zwischen Eltern, Kindern und Großeltern. Das persönliche Gebet ist ohnehin lebendiger als oft angenommen. Und in Gottesdiensten und Amtshandlungen erlebe ich statt agendarischer Formeln überall Gebete, die der Gemeinde aus dem Herzen sprechen und sie vor Gott versammeln.

Also, in allem, was Kirche von Anfang an ausmacht, sind wir auf dem Wege, vor Holzwegen und Sackgassen nicht gefeit, aber beharrlich und behutsam begleitet vom Heiligen Geist,

Der bleibe bei uns und komme immer von neuem.  Amen.


Rudolf Rengstorf war Gemeindepastor in Göttingen, Celle und Hildesheim, Rundfunkbeauftragter der norddeutschen Kirchen beim NDR und Superintendent in Stade. Seit seiner Pensionierung lebt er in Hildesheim

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