Apostelgeschichte 8,26-39

Apostelgeschichte 8,26-39

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


6. Sonntag nach
Trinitatis

30.7.2000
Apostelgeschichte 8,26-39

Hilmar Menke


Liebe Gemeinde,

„Er zog seine Straße fröhlich
weiter” – ich glaube, dieser Satz ist es, der mir die Geschichte auf den
ersten Blick schon sympathisch macht. Ich freue mich, daß die Geschichte
dieses Ende hat, ein wirkliches „Happy End”.

Und das
wünsche ich mir und allen Menschen: Daß wir alle unsere Straße
– wo immer sie hinführt – fröhlich weiterziehen können.
Aber
– wie es sich bei Geschichten gehört – bis zu diesem guten Ende ist vieles
geschehen – und keineswegs nur fröhliches oder frohmachendes:

Ein Mann ist aufgebrochen zu einer langen Reise. Nicht weil er
Urlaub machen möchte und die weite Welt zusehen wünscht. Dafür
wäre seine Reise auch wohl zu beschwerlich gewesen, selbst für ihn,
der sich jeden Luxus leisten kann.
Er tritt diese Reise auch nicht an, weil
es ihm zu Hause an all dem gemangelt hätte, was das Leben schön
machen kann: Er war reich und einflußreich, angesehen und mächtig –
kein Asylsuchender und kein Wirtschaftsflüchtling…
Er reist auch
nicht zu einem Staatsbesuch, wie es einem Finanzminister ja durchaus ansteht.

Er reist nach Jerusalem, weil er etwas sucht, etwas, das ihm trotz
all seinem Reichtum, trotz all seiner Macht, trotz all seines Ansehens fehlt;
etwas, was man nicht kaufen kann und was auch der Mächtigste sich mit all
seiner Macht nicht zu beschaffen vermag.
Wahrscheinlich – so vermute ich –
weiß er selbst nicht einmal genau, was er sucht und was er in Jerusalem
zu finden hofft.
Er will „anbeten”, so heißt es, mit Gott
sprechen, mit dem wahren Gott, von dem er gehört hat. Er will ihn dort
finden, wo er dem Vernehmen nach seinen besonderen Ort hat, wo sein
„Haus” ist, die Stätte seiner besonderen Gegenwart.

Angekommen sucht er den Tempel auf, den „Vorhof der Heiden”,
weiter darf er nicht gehen. Er betet.
Aber, was er gesucht hat, das hat er
doch nicht gefunden – mehr hat er erhofft, sich nach etwas anderem gesehnt als
das Gebet von Ferne.

Ich fange an, diesen Mann immer mehr zu bewundern: Selbst diese
Erfahrung bringt ihn nicht davon ab, weiter zu suchen – auch sein Rückweg,
den er bald antritt gehört mit zu seiner Suche: Er liest in der Heiligen
Schrift – wohlgemerkt, ohne zu verstehen, was er liest – wie sich später
herausstellt…
Unbeirrte Suche, ungestillte Sehnsucht, trotz allem keine
Resignation.

Ein Mann ist aufgebrochen in dieser Geschichte.
Ein Mann ganz
anderer Art: Arm, einflußlos, ohne Macht. Nicht die Sehnsucht treibt ihn,
nicht die Suche reizt ihn. Er kennt nicht einmal das Ziel seines Weges.

Aber, er hat einen Auftrag, einen Auftrag, der ihm eigentlich recht
merkwürdig vorgekommen sein muß, und den er trotzdem fraglos,
widerspruchslos ausführt.
Er wird nicht zum Tempel geschickt, sondern
in die Einsamkeit, an irgendeine Straße, an einen unbestimmten Ort.

Dort treffen sie beide zusammen – der Gott Suchende und der von
ihm Beauftragte.
Und sie kommen ins Gespräch, diese beiden so
grundverschiedenen Menschen.
Der einfache Mann ist mutig genug, den hohen
Herrn anzusprechen, und der ist sich nicht zu fein, das Gesprächsangebot
anzunehmen, die Fragen zu beantworten.
Der Einheimische geht auf den
Fremden zu und der läßt sich auf das Gespräch ein, obwohl er
wahrscheinlich in Jerusalem mit den Einheimischen seine Erfahrungen gemacht hat
und manchem Vorurteil und vielen Vorbehalten begegnet sein mag.
Trotzdem
bittet er ihn zu sich, behandelt ihn wie einen Gleichberechtigten…

Was Philippus dem Kämmerer sagte, das wissen wir im Einzelnen
nicht, aber die Richtung, der Inhalt wird doch ganz deutlich:
Der Gesandte
und Gesalbte Gottes, der Messias, vom dem der Profet spricht, er ist gekommen.
Als Leidender, Verfolgter, Erniedrigter ist Gott zu den Mensch gegangen, als
Gequälter und Ermorderter. Ein Gescheiterter im Urteil der Welt!
Dies
Urteil aber ist „aufgehoben”, Gott hat ihn rehabilitiert und zur
Bestätigung das Leben neu geschenkt.
In diesem Gespräch, so
glaube ich, geht es um dieses Zentrum der frohen Botschaft!

Der Äthiopier jedenfalls versteht – endlich; endlich hat er
gefunden, was er gesucht hat. Er hat es gefunden an einem Ort, mit dem er nicht
rechnete.
Auf dem Wege noch läßt er sich taufen, und die beiden
so unterschiedlichen Menschen werden sich darin und dadurch gleich: Menschen,
die die frohe Botschaft erreicht hat, die verstanden haben, die sich
entschieden haben für den, der diese Botschaft verkörpert…

Nun trennen sich ihre Weg – aber sie bleiben verbunden.
Fröhlich zieht der eine in seine Heimat und fröhlich – so vermute ich
– geht der andere seinen Weg.

Ein „Happy End”, wie ich es mag bei Geschichten.

Aber gerade darum bin ich doch eine wenig skeptisch und etwas
mißtrauisch.
Oft sind solche Geschichten mit „Happy End”
mehr Wunsch als Wirklichkeit.
Und das andere: Mir kommen die beiden doch
etwas zu „glatt” vor. Wahrscheinlich deswegen, weil ich mich mit
keinem der beiden wirklich identifizieren kann:
Den Auftrag, den Philippus
bekommt, habe ich auch gehört (im Evangelium des Sonntags ist er ja so
formuliert: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet
sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret
sie halten alles, was ich euch befohlen habe.”) – ich will ihn auch
ausführen, so gut ich kann – aber ich weiß nicht immer so genau, wo
und wann und ins Unbekannte und Ungewisse mag ich nicht gehen.

Und andererseits: Ich bin immer noch auf der Suche, manchmal auf
der Suche nach dem richtigen Ort für das Gebet – und manchmal verstehe ich
auch nicht – noch nicht vielleicht – was ich lese…

Kann es ein gutes Ende geben in meinem, in unserem Leben – werden
wir unsere Straße fröhlich weiterziehen können?
Sicher
nicht, wenn ich nicht bereit bin aufzubrechen und zu suchen – nicht, wenn ich
nicht bereit bin einmal alles hinter mir zu lassen, was mein Leben bisher
bestimmt hat – nicht, wenn ich nicht bereit bin, immer wieder weiterzufragen,
weiter zu lesen, auch wenn das Verständnis sich nicht sofort einstellen
will – nicht wenn ich resigniere, wenn ich die Antworten nicht dort finde, wo
ich sie suche und wo ich meine, daß sie doch dort zu finden sein
müßten – nicht, wenn ich es vermeide und ablehne, mit Menschen zu
sprechen, die anders sind als ich; an Orten, an denen ich nichts erwarte.

Aber auch nicht, wenn ich den Aufbruch scheue, der mich an einsame Orte
führt – dorthin wo ich Leere und Dürre sehe in unserer Welt, in
meinen Mitmenschen, in mir selbst – nicht, wenn ich Angst habe, auf Menschen
zuzugehen, die ich nicht kenne, die mir fremd sind – nicht, wenn ich nicht
bereit bin, Suchende zu erkennen und Fragenden Rede und Antwort zu stehen,
Auskunft zu geben über das, was ich schon weiß.

Ich habe diese Erfahrung in meinem Leben gemacht, ich habe
Menschen getroffen, die mir geholfen haben, die Botschaft Jesu zu verstehen.
Das waren nicht immer theologische Experten oder Muster an Frömmigkeit –
es waren Menschen, die ich „zufällig” (?) getroffen habe in
Situationen, in denen ich eigentlich nichts erwartete.
Und ich glaube, ich
konnte selber auch schon Menschen helfen – zum Verstehen der guten Botschaft –
und auch das waren manchmal Menschen, zu denen ich eigentlich gar nicht gehen
wollte, Menschen bei denen ich oft mehr die Leere des Lebens erwartet hatte als
die Sehnsucht nach der Fülle Gottes.

Wir können einander helfen, mit der frohen Botschaft unseren
Weg fröhlich zu gehen.

Amen.

Hilmar Menke, Superintendent
Claus-Meyn-Str. 1, 21781
Cadenberge
E-Mail: HHFJMenke@aol.com


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