Kolosser 4, 2-6

Kolosser 4, 2-6

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


5. Sonntag nach
Ostern, Rogate

28.5.2000
Kolosser 4, 2-6

Günter Linnenbrink


„Sei beharrlich im Gebet, und wacht dabei mit Danken!
Betet
zugleich auch für uns, damit Gott uns eine Tür für das Wort
auftut und wir das Geheimnis Christi predigen können. Seinetwegen bin ich
auch gebunden, um es offenbar zu machen, wie ich es muß.
Verhaltet
euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit
aus.
Eure Rede sei allezeit freundlich und mit Salz gewürzt, so dass
ihr jedem in der rechten Weise antworten könnt.“

Liebe Gemeinde!

1.1. Da wird uns dringend ans Herz gelegt, beharrlich im Gebet
zu sein
und vor allem das Danken nicht zu vergessen.

In einer Zeit, in der alles zur Kultur hochstilisiert wird, was
früher schlicht Streiten, Fragen, Spielen, Essen, Trinken heißt, ist
dankenswerterweise das Beten noch verschon geblieben, sich auch mit der Kultur
verbinden zu müssen.

Das hat gewiß damit zu tun, dass unsere Zeitgenossen und
natürlich auch wir selbst mit dem Beten gewisse Schwierigkeiten haben.

Das fängt schon mit unserem täglichen Zeit-Budget an. Es
ist knapp bemessen. Bevor man zur Arbeit, ins Geschäft, in den Dienst
aufbricht, sind alle Minuten mit den üblichen Verrichtungen gefüllt.
Schließlich sind ja nicht alle Rentner, Pensionäre, die
großzügig über ihre Zeit verfügen können.

Es gibt aber noch andere Gründe für diese
Schwierigkeiten.
Was soll ich eigentlich beten? Also die inhaltlicheFrage.

Ein Stoßgebet, wenn mich eine besondere Sorge bedrückt,
ein heftiger Kummer mich plagt, geht schon noch über die Lippen oder durch
das Herz.
Aber das tägliche Gebet, die regelmäßige
Besinnung und sprachliche Ausformung meines Gottesverhältnisses, ergibt
sich nicht von selbst. Es will eingeübt, gelernt sein. Es fehlen einem
sonst die Worte und man wird stumm.
Aber dieses Verstummen kann auch einen
tieferen Grund als die mangelnde Gebetspraxis haben.
Ist da überhaupt
ein Ansprechpartner, den mein Ruf, mein Stoßseufzer, meine Bitte, meine
Sorge erreicht?
Ist der Himmel nicht doch leer und mein
Ruf
kommt als mein Echo nur zurück? Sollte man es daher nicht
besser mit der Meditation versuchen? Ein persönliches Du als
Gegenüber ist da nicht unbedingt vonnöten. Die Gottesfrage kann offen
bleiben. Und Kraft, innere Stärke und Gelassenheit können auch durch
meditative Übungen gewonnen werden.

1.2. An dieser Stelle möchte ich eine kleine Geschichte
erzählen:
„Ein Gaukler war des unsteten Lebens müde. Er
verschenkt seinen Besitz und tritt in ein Kloster ein. Aber weil sein Leben bis
dahin Springen, Tanzen und Radschlagen war, war ihm das Leben der Mönche
fremd, und er wußte weder ein Gebet zu sprechen noch einen Psalm zu
singen.
In seinem Kummer ging er in eine abseitige Kapelle und sagte:
‚Wenn ich schon nicht mitbeten und mitsingen kann, so will doch tun, was
ich kann!‘
Er streifte sein Mönchsgewand ab und begann zu
springen und zu tanzen, auf den Händen durch die Kapelle zu gehen und in
die Luft zu springen, um Gott zu loben.
Der Abt des Klosters ließ ihn
rufen, küßte ihn und bat ihn, für ihn und die Menschen bei Gott
einzustehen. Er sagte zu dem Gaukler: ‚In deinem Tanz hast du Gott mit
Leib und Seele geehrt, uns aber möge er alle wohlfeilen Worte
verzeihen!‘ “

Also das was wir können, sollen wir vor Gott
bringen.

Es geht nicht um die wohlgesetzte Rede, die sonore Stimme, die
melodiöse Begabung, das ästhetisch sichere Auftreten. Das sind alles
Stilfragen, die auch ihre Bedeutung haben. Aber entscheidend ist, wir
sollten unverkrampft und ohne die Sorge, dass wir es nicht richtig
hinbekämen, den Dialog mit Gott im Gebet suchen, mit den Mitteln, die uns
gegeben sind.

2. Schritte auf dem Wege zum Beten.
(1) Als junger Vikar
schickte mich mein damaliger „Vikarsvater“ zu dem – wie er sagte –
„Lazarus der Gemeinde“. Es war ein querschnittsgelähmter Mann mittleren
Alters, der schon über 10 Jahre bettlägerig war. Ich hatte regelrecht
Angst vor diesem Besuch. Was sollte ich, jung und dynamisch, dabei voller
theologischer Begriffe und Konzepte im Kopf, an sozialethischen Fragen
besonders interessiert, einem solchen Menschen sagen?

Ich setzte mich an sein Bett und er fragte mich nach dem Leben in
der Gemeinde. Das löste meine Verkrampfung etwas, aber ich dachte immer
noch voller Sorge, was kannst Du hier eigentlich seelsorgerlich ausrichten?
Nach 20 Minuten sagte schließlich der Kranke zu mir: „Herr Vikar, es
wäre schön, wenn Sie jetzt ein Gebet mit mir sprächen. Lesen Sie
mir doch bitte den 23. Psalm vor!“
Voller Erleichterung tat ich das. Diese
geprägten biblischen Sätze brauchten keine seelsorgerlichen
Erklärungen. Sie wirkten durch sich selbst.

Seit damals weiß ich: Wer Beten lernen will, greife zur
Bibel! Nicht nur die Psalmen sind ein unerschöpflicher Gebetsschatz
für uns, auch und gerade für ungeübte Beterinnen wie auch
für leere Herzen und Köpfe.

(2) Seit vielen Jahren begleiten meine Familie und mich die
Losungen der Herrnhuter Brüdergemeinde durchs Leben.
Nicht selten
gaben sie mir einen wichtigen geistlichen Impuls für den jeweiligen Tag,
so unterschiedlich diese Tage, Wochen, Monate und Jahre auch waren. Sie
führten durch manche tiefe Täler, aber auch über lichte
Höhen und sich endlos hin ziehende Ebenen. In gleicher Weise hat mich
Martin Luthers Morgen- und Abendsegen durchs Leben begleitet. In ihm ist auf
unübertrefflich prägnante Weise ausgedrückt, was ein
Christenmensch am Morgen und am Abend vor Gott bringen sollte.

Und wenn mein Glaube einmal wieder schwach, meine Zuversicht durch
Zweifel, Skepsis und bittere Erfahrungen ausgesprochen gering geworden war,
ließen diese Schrift- und Gebetsworte aus sich selbst heraus so etwas wie
einen festen Bezugsrahmen entstehen, in dem ich wieder Halt finden konnte.
Besonders dieser Hinweis, dass Gottes Verborgenheit in Christus aufgebrochen
ist. Dieser gekreuzigte Jesus von Nazareth ist nicht tot, sondern er ist
lebendig, weil Gott sich zu ihm bekannt hat – uns zu gut.
Ihm kann ich
alles, vor allem aber mich selbst in meiner ganzen Widersprüchlichkeit und
religiösen Unsicherheit anvertrauen. Er ist Gottes Angebot an mich, wie
und wo auch immer ich mich befinde.

(3) –Aber unser Briefautor bittet auch darum, daß
Fürbitte, und zwar für ihn und seine Freunde, gehalten werden
möge. Er möchte heraus aus dem Gefängnis, um wieder
missionarisch tätig sein zu können. Nicht die Freiheit ist ihm
wichtig, sondern das Evangelium, das weitergegeben werden soll.

Es ist für mich eine ungemein ermutigende, Trost und Kraft
vermittelnde Gewißheit zu wissen, daß Menschen für mich beten.
Sie bringen meinen Namen vor Gott. Sie denken über Gott an mich.
Fürbitte zu tun, halte ich für eines der wichtigsten Dinge im Leben
der Christen und der Gemeinde.

Fürbitte zu tun, erfordert keinerlei besondere Begabung,
Ausbildung, körperliche oder geistige Kraft. Das kann eigentlich jeder, ob
er alt oder jung, krank oder gesund, stark oder schwach ist.
Wer im Leiden
oder in Anfechtungen steht und gewiß sein kann, dass andere
fürbittend seiner vor Gott gedenken, gewinnt neue Kraft. Das habe ich
erfahren.

Aber Fürbitte geht über die individuellen Nöte,
Bedürfnisse und Schicksale hinaus. Dass das Evangelium, die
Botschaft von Gottes grundloser Barmherzigkeit weitergeht, bindet Gott
auch an die Fürbitte seiner Gemeinde.

Vielleicht ist deshalb so oft Resignation und
Gleichgültigkeit in der Kirche anzutreffen, weil wir den Fortbestand der
Kirche mehr von äußerlichen Dingen wie Kirchensteuer, Institutionen
und gesetzlichen Regelungen abhängig sehen und nicht mehr wissen, dass es
die Kraft der Fürbitte ist, auf die es wirklich ankommt. Fürbitte ist
dabei alles andere als Nichtstun. Wer Fürbitte tut, legt seine Hände
nicht in den Schoß und wartet ab, sondern sucht zuversichtlich nach Wegen
der Hilfe.

In Bertolt Brechts Theaterstück „Mutter Courage“ gibt es eine
Stelle, wo die Bäuerin zu der stummen Kathrin sagt: ‚Bet, armes Tier,
bet! Wir können nix machen gegen das Blutvergießen. Wenn du schon
nicht reden kannst, kannst du noch beten. Er hört dich, wenn dich keiner
hört.‘
Es ist das Jahr 1636, und die kaiserlichen Truppen sind
vor der Stadt Halle zusammengezogen worden, um diese nachts zu überfallen
und zu brandschatzen.
Brecht läßt nun in seinem Stück alle
niederknien und beten. Die stumme Kathrin jedoch klettert auf das Dach,
schlägt die Trommel, weckt dadurch die Soldaten und die Stadt auf, rettet
sie, aber erleidet selbst den Tod.

Brecht will sagen: das Beten hat nicht geholfen, die mutige Tat
der stummen Kathrin hat die Wende gebracht.
Unseren Text kann Brecht
dafür nicht als Beleg für seine kritische These nehmen. Hier beim
Verfasser des Kolosserbriefes heißt es ausdrücklich:

„Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen
sind, und kauft die Zeit aus!“
Das ist wirklich etwas anderes als die
Hände in den Schoß legen.
„Weise“ handeln bedeutet, dem Willen
Gottes entsprechend sich verhalten, d.h. dem Nächsten helfend zur Seite
stehen und mit kräftiger, d.h. mit salzgewürzter Rede, sich zu
Christus als unserem Herrn bekennen.

Beterinnen sind nüchterne, wache und tatkräftige
Christenmenschen, für die Beten und Trommeln kein Gegensatz ist.

Amen.

Dr. Günter Linnenbrink
Schackstr. 4
30175 Hannover

Tel.: 0511 / 816887


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