Lukas 23,34

Lukas 23,34

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Worte vom
Kreuz
Predigtreihe für die Passionszeit 2000
1. Sonntag der
Passionszeit, Invokavit

12.3.2000
Lukas 23,34

Hans-Theodor Goebel


Vater, vergib ihnen; denn sie
wissen nicht, was sie tun!

Luk 23,34a1.
Wer sagt das?
Der Mensch, den sie gerade gekreuzigt
haben an dem Ort, der Schädelstätte heißt.
Dort
kreuzigten sie ihn und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und
einen zur Linken.

Vater, vergib ihnen…! – sagt der in der Mitte. Das ist
sein erstes Wort am Kreuz.

Wer sind die, denen vergeben werden soll?
Die ihn ans Kreuz
schlugen.
Die Soldaten vom römischen Hinrichtungskommando, die
Befehlsempfänger auf der untersten Ebene, die die Dreckarbeit machen
mussten.
Und die ihn in der Nacht vorher gefangennahmen. Die ihn danach
schlugen und verspotteten, Folterknechte, wie sie auch heute noch ihr Handwerk
verrichten auf Polizeiwachen in der Türkei und anderswo – es lässt
sich nachlesen in Berichten von ai, pro asyl und sonstigen
Menschenrechtsvereinen.

Vater, vergib ihnen…! – sagt der, den sie gekreuzigt
haben. Er meint auch jene, die den Befehl dazu gaben. Die dazu anstifteten.

Pontius Pilatus, der Statthalter des römischen Macht- und
Rechtsstaates, der ihn verurteilte, weil er unter Druck gesetzt wurde. Und er
hatte ihn doch keines Staatsvergehens für schuldig befinden können.

Der König Herodes, der seinen Mutwillen mit dem Gefangenen trieb.

Die Ältesten aus Gottes Volk Israel, seine Hohenpriester und die
Gelehrten der heiligen Schriften, der Hohe Rat, der über Jesus zu Gericht
saß und auf Todesstrafe erkannte.
Die Aufhetzer und die Aufgehetzten
im Volk, die zu Pilatus schrien: Kreuzige ihn, kreuzige ihn!

Vater, vergib ihnen…! Ihnen allen.
Auch Judas, der
sein Jünger war und verriet ihn mit einem Kuss für dreißig
Silberlinge.
Und Petrus, sein Vertrauter, der dreimal leugnete, ihn zu
kennen und zu ihm zu gehören – in jener Nacht der Gefangennahme.

Vergib ihnen, Vater! – sagt der Gekreuzigte.
Vater? – Mein Vater.
Vergib
ihnen, weil du mir Vater bist und mich lieb hast. Weil du der bist, in dessen
Namen ich selber Sünden vergeben habe.
Wer kann das himmelschreiende
Unrecht auf der Erde vergeben, wenn nicht du, mein Vater im Himmel!

2.
Vergib ihnen!

Grausam hingerichtet gegen geltendes Recht bittet er selber um
Vergebung für die Täter.
Der Gequälte bittet für die
Quäler.
Der Verfolgte für seine Verfolger.
Der Erniedrigte
für seine Folterer.
Der Gehenkte bittet für seine Henker. Der
Sterbende für seine Mörder. Dass ihnen vergeben werde, was sie ihm
angetan haben.
Kein anderer hätte so für sie Fürbitte tun
können.
Es gibt Geschichten von Unrecht und Leiden, da kann sonst
keiner um Vergebung bitten.
Dies ist so eine Geschichte.

Jeder andere, der um Vergebung für die Täter gebeten
hätte, hätte das Leiden des Leidenden nicht ernst genommen,
hätte den Gekreuzigten in seinem Leiden nocheinmal verhöhnt.

Für die Täter um Vergebung bitten, kann in dieser
Geschichte kein anderer. Kein anderer ist hier an Leib, Seele und Leben
betroffen und getroffen wie er.
Die Bitte um Vergebung kann hier nur der
aussprechen, der am Kreuz hängt.
Das Geheimnis dieser Vergebung ist
die Fürbitte. Die Fürbitte des Opfers für die Täter.

Diese Fürbitte ist ein Wunder. Weil der Gehenkte dem Himmel ruft, er
solle dem schreienden Unrecht mit Vergebung antworten. Der hier so bittet, holt
auf die mit seinem Blut getränkte Erde so eine Antwort vom Himmel
herunter. Seine Fürbitte ist ein Wunder.

Wie kein anderer für die Täter um Vergebung bitten kann,
so können die Täter sich erst recht nicht selbst entschulden.

Wenn wir im täglichen Leben einen Fehler machen, sagen wir
vielleicht gedankenlos: Ich entschuldige mich. Politiker, die öffentlich
gelogen und betrogen haben, sagen vor dem Parlament und laufenden
Fernsehkameras: Ich habe einen Fehler gemacht. – Ich entschuldige mich. –
Fertig.
Geht das überhaupt?
Ich glaube, das geht nicht. Ich kann
mich nicht selbst entschulden. Ich kann mir nicht selbst vergeben.

Höchstens kann ich selber den um Vergebung bitten, dem ich
Unrecht getan habe.
Aber es gibt Geschichten, in denen selbst das nicht
geht. Das Unrecht und seine Folgen sind so groß, dass der Schuldigen Mund
verschlossen bleibt, von ihnen aus verschlossen bleiben muss.

Hier ist das Wunder, dass ein anderer für die Schuldigen
spricht. Der andere, der für sie sprechen kann, wie keiner sonst. Hier
wird das Opfer zum Mund für die Unrechttäter. Der Gekreuzigte selber
bittet seinen himmlischen Vater, er möge den Mördern zusprechen:
Dir sind deine Sünden vergeben!
Früher – als er predigend
und heilend durch die Dörfer und Städte Galiläas und Judäas
gezogen war, hatte er selber schuldigen Menschen die Sündenvergebung
zugesprochen, wie nur Gott sie zusprechen kann, und hatte damit Widerspruch
provoziert.
Nun macht er am Kreuz so weiter, wie er es vorher in seinem
Leben getan hatte, und bittet für Fromme und Gottlose, Heiden und Juden
Gott, seinen Vater um Vergebung.

Indem Jesus so Fürbitte tut, lebt er selbst in seinem Sterben
aus, was er uns in der Bergpredigt fürs Leben gelehrt hat:

Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen,
damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel!

Wo so gebetet wird, geht es auf der Erde schon zu wie im
Himmelreich.

3.
Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
– Sie wissen nicht, was sie tun.

Wussten die Folterer nicht, dass sie ihren Gefangenen
quälten?
Doch, sie wussten es.
Wusste Pilatus nicht, dass er mit
seiner Entscheidung, Jesus zu kreuzigen, Recht brach?
Doch, er wusste es.

Wussten die Frommen nicht, dass ihre politische Anklage, Jesus sei ein
Volksaufrührer, falsch war?
Doch, sie wussten es.
Und handelten
wahrscheinlich doch guten Glaubens, weil sie meinten, wer Gottes Nähe so
in Anspruch nähme wie dieser Jesus, der lästere Gottt und
gefährde auch die öffentliche Ordnung.

Seine Jünger kamen zu Bewusstsein erst nach ihrer Tat:

Petrus, der ihn verleugnete, weinte bitterlich, als es geschehen war und
der Hahn krähte in dieser Nacht, wie Jesus es ihm vorhergesagt hatte.

Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass Jesus zum Tode verurteilt war. Da
reute es ihn, er brachte die dreißig Silberlinge zurück und sagte:
Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldig Blut verraten habe. Aber da war es
zu spät. Keiner hörte mehr auf Judas. Er aber ging fort und
erhängte sich.

Was immer sie auch wussten und nicht wussten – sie alle hatten
Gott nicht auf ihrer Rechnung.
Und wussten nicht, dass Gott sie alle auf
seiner Rechnung hatte. Und dass Gott mit diesem Jesus sehr anders rechnete als
sie. Dass Gott auch mit ihnen in dieser Geschichte anders rechnete als sie
selber.

Sie wussten nicht, dass Gott in dieser Geschichte aus ihrem
Bösesten sein Allerbestes machte.
Sie wussten nämlich nicht, dass
sie Gott selber trafen, als sie Jesus kreuzigten – und dass der sich von ihnen
treffen ließ. Und zog in diesem Gekreuzigten das Böse auf sich
selber, um es von ihnen abzuziehen.

Das Geheimnis der Vergebung ist das Kreuz des Gekreuzigten, der
für seine Mörder betet.

4.

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht was sie tun!

Was geht uns dieses erste Wort Jesu am Kreuz an?
Die Täter
von damals sind tot.

Aber die Bitte des Gekreuzigten ist noch lebendig. Wie der
Gekreuzigte selbst – auferstanden von den Toten.

Seine Bitte nennt noch heute die Täter. Er trifft sie unter
uns, unter Leuten, die sind wie ich und du. Die mit ihrem Leben Jesus ins
Gesicht schlagen. Die damit ihn treffen. Er nennt sie seinem Vater und bittet
ihn für sie um Vergebung.

Er bittet heute seinen Vater im Himmel um Vergebung für uns,
wo unser Mund vielleicht immer noch verschlossen bleibt.
Das Geheimnis der
Vergebung ist bis heute sein Kreuz.
Das ist, wo Unrecht geschieht, Hoffnung
für Täter, für Leute wie mich und dich. Amen.

Literaturhinweise:

  • Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik IV/2,288.
  • Robert Leicht, Glauben. Pardon, Sorry, ‘tschuldigung
    …,in: DIE ZEIT Nr. 10, 2. März 2000. Leben, 7.

Dr. Hans Theodor Goebel, Im Wasserblech 1c, 51107 Köln


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