Aufs Wort gesetzt

Aufs Wort gesetzt

Predigt zu 2Kor 5,19–21 | von Pfarrer Dr. Christoph Kock |

I. Wellen des Hasses

Es ist ruhig geworden. Leere Straßen. Das öffentliche Leben steht beinahe still. Die Nachrichten drehen sich um Corona und die Folgen der Pandemie. Kaum ein Abend ohne Sondersendung. Was alles dahinter zurückgetreten ist. Zum Beispiel Morde aus Hass. Wie die am 19. Februar in Hanau. Keine zwei Monate ist das her. Oder die Morde im Zusammenhang des gescheiterten Anschlags auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober. Oder der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten am 2. Juni. Für viele inzwischen weit weg. Aber Ursachen bleiben:

Hass zieht Kreise. Worte führen zu Worten. Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich. Im Netz ist der Ton rauer, brutaler, unversöhnlicher gworden. Das Internet wirkt wie ein Wellenbad des Hasses: Wer den richtigen Knopf zu drücken vermag, kann die Wellen hoch­schlagen lassen. Irgendwann werden Worte zu Taten. Was sich digital aufschaukelt, hat tödliche Folgen. Die Spirale der Gewalt dreht sich.

Im Herbst 2015 informiert Regierungspräsident Walter Lübcke über geplante Flüchtlings­unter­künfte in seinem Regierungsbezirk. Immer wieder wird er im Internet falsch zitiert und diffamiert. Er bekommt Mails mit Morddrohungen. Seine Adresse wird veröffentlicht. Posts, die dazu aufrufen, ihn „abzuknallen“ werden nicht gelöscht, sondern verbreitet. Weiter und weiter. Am 2. Juni 2019 wird Walter Lübcke vor seinem Haus erschossen. Aus nächster Nähe trifft ihn eine Kugel in den Kopf. 14 Tage später wird ein Nazi verhaftet, der als dringend tatverdächtig gilt.

II. Wort von der Versöhnung

Auf eine andere Hinrichtung blickt der Apostel Paulus zurück. Er schreibt an die Gemeinde in Korinth:

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. (2. Kor 5,19–21)

Gekreuzigt. Jesus stirbt wie so viele Sklaven vor ihm und nach ihm, die im römischen Reich auf diese Weise hingerichtet werden. Jesus stirbt einen qualvollen Tod. Das Kreuz ist Hinrichtungsinstrument und Folterwerkzeug in einem. Unglaublich, was Paulus dazu einfällt: Gott war da. In dem Mann mit der Dornenkrone. Gott war da, als Gewalt am Werk war. Die Henker richten ein Kreuz auf und Gott das Wort von der Versöhnung. Das verstehe, wer will. Aber eines ist deutlich: Versöhnung hat einen hohen Preis. Gott hat ihn bezahlt. Gott hat dafür geblutet und ist dafür gestorben. Die Sünden der Welt hat Gott am Kreuz selbst getragen, damit sie uns nicht erdrücken. Damit das Wort von der Versöhnung in der Welt steht.

Erstaunlich, was Gott alles aushält. Da stirbt einer den Sklaventod. Und Gott war in Christus. Da wird einer gefoltert, beschimpft, beleidigt. Mit Hass überschüttet. Bekommt Gewalt nicht nur angedroht, sondern am eigenen Leib zu spüren. Und Gott war in Christus. Da stirbt einer qualvoll, Mutter Seelen allein. Und Gott war in Christus. Gott war da. Gott hält aus. Gott stirbt mit und versöhnte die Welt mit sich selber.

Ob das nötig war. Wie Gott das angestellt hat. Ich habe keine Ahnung. Aber eines ist klar: Für Paulus markiert Jesu Kreuz das Ende eines unversöhnten und unversöhnlichen Gottes. Gott ist mit der Welt versöhnt. Im Reinen. Was das bedeutet kann ich mir kaum vorstellen, aber ich ahne: Mit Jesu Tod ist Feierabend für jedweden Fundamentalismus. Gott schickt keinen in die Hölle. Denn Gott war selbst in der Hölle und hat sie eigenhändig geschlossen. Gott hat jede Vorstellung von einem gewalttätigen Gott durchkreuzt. So schwer es Menschen fällt, sich davon zu verabschieden. Wie schnell ist Gott immer noch zur Hand, wenn es gilt, Andersdenkende auszugrenzen und tatkräftig zum Teufel zu wünschen. Gott ruft nicht zum Mord von Gegnern auf. Das unterscheidet Gott von anonymen Usern. Angesichts von Hass und Gewalt geht Gott andere Wege. Wer kommt da schon mit.

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

III. Botschafter/innen gesucht

Den Weg aus Hass und Gewalt weist ein Wort. Ein Wort, das gehört werden will. Das bewegen und verändern, die Spirale der Gewalt unterbrechen kann. Das Wort von der Versöhnung. Ein Wort, das Botschafterinnen und Botschafter braucht. Ein Gesicht, eine Begegnung, eine Geschichte.

So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Gott setzt auf die Macht der Worte. Menschen reden von der Versöhnung mit Gott, indem sie der Versöhnung zwischen Menschen nachgehen. So vertreten sie den menschgewordenen Gott in der Welt. So verbreiten sie Gottes Botschaft. Worte sind nötig, von Angesicht zu Angesicht, damit Versöhnung geschieht. Und eine Tür aufgeht. Wo Versöhnung unter Menschen geschieht, hat der versöhnte Gott Spuren hinterlassen.

Was Menschen tun können: Gegner miteinander ins Gespräch bringen. Oder an Unrecht und Leid erinnern. Oder dafür sorgen, dass Menschen sich selbst und andere als Menschen wahrnehmen. Das braucht Zeit. Das ist mitunter schwer. Manchmal tut es weh. Aber es ist möglich.

IV. Stolperstein in Wesel

Vor dem Haus liegt ein neuer Stein im Pflaster. Die Oberfläche glänzt im Wasser, das der Regen hinterlassen hat. Eine Inschrift ist eingraviert: „Hier wohnte Gerhard Lenzen, Jahrgang 1896, eingewiesen 1925 Heilanstalt Bedburg-Hau, ‚verlegt‘ 6.3.1940 Grafeneck, ermordet 6.3.1940 ‚Aktion T4‘.“ Dürre Worte erinnern an einen Menschen und an einen Mord.

Im Haus erfahre ich mehr. Barbara Goike erzählt, was sie von ihrem angeheirateten Großonkel in Erfahrung gebracht hat. Im Ersten Weltkrieg war er bei der Marine, hat einen Kohlesack auf den Kopf bekommen. Das hat den jungen Mann so verändert, dass er als verrückt galt und nicht selbständig leben konnte. Zunächst hat er noch bei seiner Familie gewohnt, wurde dann in eine Klinik für psychisch Kranke eingewiesen. Irgendwann im Frühjahr 1940 kam überraschend die Todesnachricht. Über den Onkel wurde in der Familie nicht gesprochen. Erst viel später stellte sich heraus, wie die Nazis seine Ermordung und die tausender anderer Menschen mit Behinderung geplant und durchgeführt hatten. „Vernichtung unwerten Lebens“. Worte mit tödlicher Wirkung.

Versöhnung? Barbara Goike runzelt die Stirn. „Nazis die Hand geben und dann ist alles vergeben und vergessen?“ Nein. So nicht. Eben nicht vergessen, sondern erinnern. Den Großonkel aus dem Schweigen holen. Das war gar nicht so einfach. Im Nachlass auf dem Speicher fanden sich kaum Spuren. Ein Foto, auf dem er – vielleicht – zu sehen ist. Dann erzählt sie von den Jugendlichen, die bei ihr vor 1½ Jahren auf dem Sofa gesessen haben. Sie haben zugehört, nachgefragt, sich für die Geschichte interessiert, die in knappen Sätzen erzählt ist. Die kargen Ergebnisse ihrer Recherchen. Die Jugendlichen waren dabei, als der Stolperstein vor ihrem Haus verlegt wurde. Haben kurze Szenen aufgeführt. Im Straßentheater spielte Gemeinschaft eine Rolle und wie man daraus ausgeschlossen wird, ohne sich wehren zu können. Das war bewegend. Barbara Goike hat vom Großonkel ihres Mannes erzählt, damit die Jugendlichen erfahren, dass Nazis Menschen mit Behinderungen getötet haben. Einen Menschen, der in diesem Haus gelebt hat. Ihr ist wichtig, dass sie wissen, was Nazis getan haben als sie tun konnten, was sie wollten. Sie hofft, dass die Jugendlichen widersprechen, wenn sie mit Worten des Hasses in Berührung kommen. Einspruch erheben, wenn Menschen entwürdigt, ausgeschlossen, abgeschrieben werden. Die Spirale unterbrechen. Und es hat gutgetan mitzuerleben, wie das Leben von Gerhard Lenzen gewürdigt worden ist. Mit einem Stein, der an ihn erinnert und über den sie schon des Öfteren mit Passanten ins Gespräch gekommen ist. Eine Botschafterin der Versöhnung.

V. Not-wendig

Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

 

Was immer auch Karfreitag geschehen ist. Gott setzt sich der Gewalt aus, anstatt sie zu fordern. Gott setzt die Gewalt aus und fängt selbst damit an. Was daraus folgt? Davon ist zu reden.

In unserem Land gehört dazu: Erinnern, erschrecken, widersprechen. Wie Menschen die Hölle auf Erden geschaffen haben. Alles andere als ein Vogelschiss. Viel eher ein Abgrund.

Und doch dreht sich die Spirale der Gewalt weiter. Im Netz werden Posts geteilt, die zu Hass und Gewalt aufrufen – gegen Politiker, gegen Flüchtlinge, gegen andere. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diesen Worten Taten folgen werden. Hass hält sich an keine Ausgangssperre. Widerspruch tut Not. Worte, die Würde hochhalten und Respekt einfordern. Elektronisch. Von Mensch zu Mensch, wenn es wieder möglich ist.

Gott setzt aufs Wort. Hält fest am Wort von der Versöhnung. Ein not-wendiges Wort, weil es so viel ändern kann und wird. Das seine Kreise zieht. Weil es Botschafterinnen und Botschaftern hat.

Amen.

Karfreitagsgebete:

Gott,

an Karfreitag ist es schwer, zu dir zu beten.

Wie soll ich dich anreden:

Lieber Gott?

Dein Sohn ist grausam am Kreuz gestorben.

Weil du die Welt liebst.

Diese Liebe geht weiter als ich ertrage.

Allmächtiger Gott?

Du hast Jesu Tod nicht verhindert.

Du verbirgst dich in Ohnmacht.

Immer wieder.

Diese Macht geht weiter als ich aushalte.

Gütiger Gott?

Was mir zugutekommt,

ist so eng mit Leid und Tod verbunden.

Diese Güte geht weiter als ich verstehe.

Gott,

ich weiß nicht, wie ich zu dir beten soll.

Aber du hörst mich.

Amen.

Verborgener Gott,

das Kreuz deines Sohnes ist mir vor Augen.

Du gehst den Weg des Leidens und Sterbens.

Du verzichtest auf Macht.

Du lässt dich hineinziehen

in das Elend einer unversöhnlichen Welt.

Hilf mir, in deinem Leiden bei dir zu bleiben.

Dich dort zu suchen, wo du dich verbirgst.

Wege zu finden, die du eröffnest.

Hilf mir, eigenes Leid anzunehmen

und fremdes Leid mitzutragen.

Hilf mir, Ohnmacht aus zuhalten

und zugleich das zu entdecken,

was ich für mich selbst und für andere tun kann.

Hilf denen, die in Einsamkeit versinken.

Dass sie deine Nähe spüren

und Zeichen der Verbundenheit wahrnehmen.

Hilf denen, die sich jetzt kaum aus den Weg gehen können.

Dass sie Wege finden,

ihr Miteinander zu gestalten.

Hilf dort,

wo Corona und Armut zusammentreffen.

Dass sich Menschen unterstützen,

auch über Grenzen hinweg.

Verborgener Gott,

wo ich nur das bittere Ende sehen kann,

beginnst du neu.

Mit mir.

Mit deiner Welt.

Durch Jesus Christus,

der das Kreuz überwunden hat.

Amen.

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

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