Lasst euch versöhnen mit…

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Lasst euch versöhnen mit…

Lasst euch versöhnen mit Gott – und untereinander… | Predigt zu 2. Korinther 5 | verfasst von Dekan Uland Spahlinger |

Predigttext: 2. Korinther 5

19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Hörerin, lieber Hörer,

die Kirche, aus der ich zu Ihnen spreche, ist die Heilig-Geist-Kirche in Dinkelsbühl. Ursprünglich, im Mittelalter, gehörte sie zu einem Spital, einem Krankenhaus, in dem auch ansteckend Kranke und Todgeweihte gepflegt und behandelt wurden. Das Spital lag außerhalb der Stadtmauer, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern. Man wusste nicht, woher die Krankheiten kamen – aber man wusste: die Kranken muss man isolieren.

Die ältesten Teile der Kirche stammen aus dem späten 13. Jahrhundert, so der ausgemalte Chorraum. Die Bilder erzählen zum einen vom Ernst der Lage für die Kranken – seid immer bereit, dem göttlichen Gericht entgegenzutreten, mahnt zum Beispiel die Abbildung der fünf klugen und der fünf törichten Jungfrauen. Aber sie spendeten auch Trost: das Wandgemälde des Christophorus etwa. Wer Christophorus sieht, so eine mittelalterliche Legende, der wird an diesem Tag nicht sterben…

Als die Reformation kam, wurde die Spitalkirche die evangelische Stadtkirche. Christus rückte anstelle der Heiligen ins Zentrum. Ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der die Rechtfertigung im Glauben schenkt: ihm wurde die fromme Betrachtung gewidmet.

Hier also halte ich diese Predigt für den Karfreitag 2020. Mitten in der Corona-Pandemie. In einer Zeit der Ausgangsbeschränkung, der Quarantäne bei Ansteckungsverdacht, der Ernstfall-Vorbereitung in den Krankenhäusern. Die Angst ist da: vor Ansteckung, vor Infizierung, vor dem Husten des Menschen hinter mir an der Kasse. Oder vor Verlust des Betriebes, der Arbeitsstelle. Langeweile, weil du nicht, weißt, welches Fenster du als nächstes putzen sollst. Aggression, weil die Kinder rumbrüllen in der engen Wohnung. Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte, auf die wir zu Recht so stolz sind. Überforderung, weil nichts mehr so läuft, wie du es gewohnt bist.

Karfreitag in Zeiten der Seuche, gegen die es kein Mittel gibt. Und wer ist schuld? Ich möchte nicht wissen, in wie vielen Köpfen diese Frage herumgeistert. Einer muss doch schuld sein, oder nicht?

Ein alter Reflex: wenn etwas nicht funktioniert, suchen wir einen Schuldigen. Einen Sündenbock, der unsere Ängste, unseren hilflosen Zorn, unsere Unfähigkeit, selbst Verantwortung zu übernehmen, tragen soll – weg von uns, weit weg, ab in die Wüste, wie damals im Volk Israel, als tatsächlich der rituelle Sündenbock in die Wüste gejagt wurde und seltsame Regeln aufgestellt wurden: wer am Holz stirbt, muss von Gott verflucht sein…  Karfreitag – Jesus stirbt am Kreuz. Ein Sündenbock? Ein vor Gott Verfluchter? Das Lied „Holz auf Jesu Schulter“, im Gesangbuch die Nummer 97, erzählt davon. Wir hören zunächst die Strophen 1 und 2.

Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,

ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.

Kyrie eleison, sieh wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt

Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt.

Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Alle biblischen Berichte erzählen, wie katastrophal seine Zeitgenossen Jesus missverstanden haben: den Prediger des Friedens und der Vergebung, den Heiler und Versöhner, den streitbaren Diskutanten um den tiefen Sinn der Weisungen Gottes, den Lehrer des nahen Gottesreiches. Sie hielten ihn für einen Lästerer, der sich etwas anmaßte, das ihm nicht zuzustehen schien. Darum sollte er sterben. Nein, sie hatten nicht verstanden. Sie waren selbst gefangen: in ihren Traditionen und Normen, in den Lebensräumen, in denen sie sich weltlich und geistlich eingerichtet hatten. Ihnen kam ein ferner Gott, ein Richtergott gerade zupass, ein Gott, in dessen Namen sie Ungewissheit verbreiteten und Schuldsprüche verhängten. Wie wenn Armut oder Krankheit oder der falsche Beruf oder die falsche Herkunft Zeichen göttlicher Strafe wären…

Und wissen Sie? Ich finde: das alles ist nicht überwunden. Das alles gibt es bis heute. Streitsucht, Ausbeutung, Ausgrenzung, Fanatismus, Fundamentalismus, Faschismus: alles noch da. Es sind nicht nur die von woanders – oder besser noch: die von damals. Wir selbst sind verstrickt. Und ich kenne keinen, der sich davon wirklich lossprechen könnte. Wir unter uns und wir mit Gott: das schuldfreie Miteinander haben wir längst verspielt.

Hören wir die dritte und die vierte Strophe unseres Liedes.

Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.

Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht.

Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.

Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.

Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Lasst euch versöhnen mit Gott!, schreibt Paulus den Korinthern. Eine paradoxe, eine befremdende Aufforderung. Jeder normale Mensch würde doch sagen: Versöhnt euch mit Gott.

Paulus dreht das um. Er entzieht uns die aktive Rolle. Glaubt nur nicht, ihr müsstet oder könntet gar irgend etwas tun. Euch sind die Hände gebunden. Euer ganzes übersteigertes Selbstwertgefühl ist für die Katz. Nicht einmal ich, Paulus, oder meine Reisegenossen, handeln in dieser Sache aus eigenem Antrieb. Die Idee von der Versöhnung ist nicht auf unserem Mist gewachsen. Wir haben nur den Auftrag, euch weiterzusagen, worum es geht. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Von Christus geht die Versöhnungsbitte aus, von Christus, den wir für den großen Gotteslästerer gehalten haben, für den abgrundtief Verirrten. Aber die Verirrten waren wir selbst. Das haben wir erkannt. Und deshalb bitten wir euch: Lasst euch versöhnen mit Gott! Wir bitten, wir befehlen nicht. Denn Gott zeigt in eurer weltlichen und geistlichen Verirrung, worauf es ihm ankommt: 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Mit anderen Worten: Gott braucht keinen Sündenbock.

Gott will nichts weiter, als dass wir seine Gerechtigkeit – wir können dafür genau so gut Barmherzigkeit oder Liebe sagen – endlich als das erkennen, was sie ist. Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit für uns. Zu unseren Gunsten. Für Zeit und Ewigkeit. Das ist das große Versprechen Gottes. Dieses große Versprechen hat seinen Niederschlag gefunden in den Vereinbarungen über die Würde und die fundamentalen Rechte, die Menschen zuerkannt sind. Egal woher sie kommen, egal was sie glauben, egal welches Geschlecht oder welche Hautfarbe sie haben. Dass wir dafür immer noch kämpfen und gegen Verletzungen dieser Rechte protestieren müssen, spricht eine klare Sprache über die Defizite, mit denen wir unterwegs sind.

Und darum heute, am Gedenktag des Foltertodes Jesu: Lasst euch versöhnen mit Gott. Verabschiedet die selbstgebastelten Phantasien vom Menschen, der alles, aber auch alles im Griff haben muss. Lasst euch versöhnen mit Gott, der einen guten, klaren Rahmen gesteckt hat für seine Schöpfung, die er liebt, der gute, einfache Regeln für das Zusammenleben der Menschen aufgestellt hat, der Hoffnung in unsere Herzen gelegt hat. Lasst euch herausreißen aus dieser giftige Mischung von Angst, Hass, Sensationslust und Gleichgültigkeit. Gott will die Angst nicht. Gott muss nicht versöhnt werden. Davon singt der Schluss unseres Liedes.

Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu.

Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?

Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Hart auf deiner Schulter, lag das Kreuz, o Herr,

ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer.

Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn.

Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Lasst euch versöhnen mit Gott, der dem Tod den vorletzten Platz zuweist und uns den Sieg des Lebens verspricht – ein Dasein, das unsere Grenzen sprengt, ein Dasein, das keine Zeit mehr kennt. Ewiges Leben. Gutes Leben.

Leben, das in unsere Zeit hineinscheint. Gerade auch in diese kraftzehrenden Tage. Bleiben Sie klug und besonnen; bewahren Sie Ihren Mut. Amen.

Dekan Uland Spahlinger, Dinkelsbühl                 uland.spahlinger@elkb.de

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