Besuch aus der Höhe

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Besuch aus der Höhe

Predigt zu Lk 1, 67-79 | verfasst von Verena Salvisberg Lantsch | 

 

Aufgrund des herzlichen Erbarmens unseres Gottes, mit dem das aufgehende Licht aus der Höhe uns besuchen will, um zu leuchten denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um zu lenken unsere Füsse auf den Weg des Friedens.

Darum Advent. Darum Weihnachten.

Aufgrund des herzlichen Erbarmens unseres Gottes, mit dem das aufgehende Licht aus der Höhe uns besuchen will, um zu leuchten denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um zu lenken unsere Füsse auf den Weg des Friedens.

Vielleicht haben sie den letzten Vers des Benedictus, des Lobgesangs des Zacharias, erkannt, liebe Gemeinde.

Drei Mal wird im ersten und zweiten Kapitel des Lukasevangeliums ausgiebig gesungen, Hymnen unterbrechen die kunstvoll arrangierte Erzählung um Jesus, seine Eltern Josef und Maria, um Johannes den Täufer, seine Eltern Zacharias und Elisabeth, Simeon und Hanna im Tempel.

Der erste Gesang: Das Magnificat, das Lied das Maria über das Kind in ihrem Bauch singt.

Der zweite Gesang: Eben das Benedictus, das Zacharias nach der Geburt seines Sohnes Johannes anstimmt.

Der dritte Gesang erklingt durch den betagten Simeon, der sein Leben lang auf den Retter gewartet hat. Er nimmt das Jesuskind, das von seinen Eltern in den Tempel gebracht wird, auf den Arm nimmt und spricht:

Nun lässt du deinen Diener gehen, Herr, in Frieden, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben das Heil gesehen… Nunc dimittis.

Magnificat, Benedictus und Nunc dimittis. Jeweils ein Innehalten, ein Bedenken, ein Besingen, das den Lauf der Geschichte unterbricht und das, was ist, verzahnt mit den alten Verheissungen und dem Blick in die Zukunft.

Wir kennen das auch, gerade bei den Advents- und Weihnachtsliedern, wo wir singend diese Zusammenhänge nachvollziehen.

Die Bitte um Heil und Erlösung (Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal, RG 361,4)

mit der Vision einer licht- und friedvollen Zukunft (Das Volk, das noch im Finstern wandelt, bald sieht es ein Licht, ein grosses Licht, RG 375,1) und der reinen präsentischen Weihnachtsfreude (Heut schliesst er auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn, RG 395,1).

Indem wir die Advents- und Weihnachtslieder anstimmen, unterbrechen wir den Lauf des Alltagsgeschehens und vollziehen alle Jahre wieder dieses eigentümliche Warten auf etwas, was lange schon geschehen ist, was uns jetzt erfüllt und doch Vision bleibt.

Und jetzt…dürfen wir nicht singen. Es ist zu gefährlich. Eine der wichtigen Massnahmen, um die Verbreitung von Covid19 zu bremsen.

Wir sind gezwungen zu verstummen.

Und das erinnert mich an Zacharias, den Mann aus priesterlichem Geschlecht, der durch das Los dazu bestimmt wird, Dienst zu tun am Tempel, am Räucheraltar.

Er ist verheiratet mit Elisabeth. Ein frommes Paar, verwurzelt in den jüdischen Traditionen, vertraut mit den Geboten Gottes. Unglücklicherweise kinderlos geblieben.

Zacharias tut also seinen Dienst, feiert Gottesdienst, die Handgriffe sitzen, wohl auch die Gebete und Gesänge. Zacharias drinnen, die Gemeinde draussen betend.

Lukas erzählt: Da erschien ihm ein Engel des Herrn, der stand auf der rechten Seite des Räucheraltars. Und als Zacharias ihn sah, erschrak er, und Furcht überfiel ihn.

Der Engel aber sagte zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias! Denn dein Gebet ist erhört worden, und Elisabet, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben. Und Freude und Jubel wird dir zuteil werden, und viele werden sich freuen über seine Geburt (Lk 1, 11-14).

Zacharias kann das nicht glauben. Ein Sohn? In ihrem Alter? Wie soll das möglich sein?

Der Engel gibt sich als Gabriel zu erkennen, von Gott geschickt, ihm diese Botschaft zu überbringen und er sagt zu Zacharias:

Und jetzt sollst du stumm sein und nicht reden können bis zu dem Tag, da dies geschieht, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die in Erfüllung gehen werden zu ihrer Zeit (Lk 1,20).

Gott selbst stört den geordneten Gottesdienst.

Wie soll Zacharias seinen Dienst tun, ohne sprechen zu können? Gezwungen zu verstummen.

Für ihn als Priester – ob jetzt im Tempeldienst oder nicht – eine schlimme Sache! Zacharias kann den versammelten Menschen keinen Segen erteilen. Umsonst stehen sie da. Und von Gottes Botschaft und der Begegnung mit Gottes Boten kann er nicht erzählen, nicht einmal seiner Frau.
Mit dieser körperlichen Einschränkung wird Zacharias auf einem Nebengleis abgestellt, aus dem aktiven Dienst suspendiert, unfähig zu kommunizieren, wie aus dem Leben herausgenommen. Er muss sich zurückziehen – wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, die neun Monate von Elisabeths Schwangerschaft. Gott mutet ihm diese Aus-Zeit zu.

Gezwungen zu schweigen.

Ein Freund von mir meinte: Der stumme Zacharias muss das Reden den Frauen überlassen.

Was ja auch ausgiebig erzählt wird im Evangelium, die Begegnung der beiden Schwangeren: Elisabeth und Maria. Und Maria, die singt: Magnificat anima mea dominum…

Nicht singen dürfen. Sich nicht umarmen dürfen. Nicht Speis und Trank teilen. Nicht Einsamkeit lindern in der zusammengewürfelten Gemeinschaft einer offenen Heiligabendfeier. Über 5000 Menschen, die an der Schweiz an Corona gestorben sind. So viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt verlieren. Zu erleben, dass alles abgesagt werden muss und auch kann. Wir versuchen tapfer zu sein und kreativ. Das Mögliche zu machen, durchzuhalten, Zuversicht zu behalten und auszustrahlen, zu trösten, zu ermutigen.

Aber verständlich wäre es doch allemal, wenn wir angesichts dieses Elends auch mal verstummten. Nichts mehr zu sagen wüssten. Das Unmögliche nicht könnten und auch nicht glaubten. Wie damals Zacharias.

Wie es Zacharias ergangen ist in der Zeit seines Timeouts, dazu äussert sich die Bibel nicht.

Aus dem, was er tut und aus dem, was er sagt, nein singt, nachdem er wieder sprechen kann, lassen sich aber Schlüsse ziehen.

Zacharias kommt von «sachar», sich erinnern. Der Name bedeutet: Jahwe gedenkt. Gott hat nicht vergessen. Keine seiner Verheissungen. Dich hat er nicht vergessen. Das Warten ist nicht ohne Sinn.

Zacharias erinnert sich. Kommt zu sich. Sich Er-innern. Wahr-nehmen, was da ist an Gottvertrauen, an Zweifel, an Angst, an Enttäuschung, an Hoffnung. Einfach darüber nachdenken, ohne daraus gleich eine Predigt machen zu müssen. Wie sollte er sie auch halten, stumm, wie er ist!

Aber diese Zeit bleibt nicht ohne Folgen.

Nach der Geburt seines Sohnes, am achten Tag, als er beschnitten werden sollte und er gemäss der Tradition den Namen seines Vaters Zacharias bekommen sollte, widerspricht die Mutter Elisabeth und sagt:

Nein, Johannes soll er heissen!

Und sie sagten zu ihr: Es gibt niemanden in deiner Verwandtschaft, der diesen Namen trägt.

Und sie machten Zeichen, um seinen Vater zu fragen, wie er ihn genannt haben wolle.

Und er verlangte eine kleine Tafel und schrieb: Sein Name ist Johannes. Und alle wunderten sich.

Und auf der Stelle tat sich sein Mund auf, und seine Zunge löste sich; und er redete und pries Gott. (Joh 1, 61-63)

Zacharias’ Aus-Zeit ermöglicht, dass er auf der Spur des lebendigen Gottes aus traditionellen Bahnen ausbrechen kann. Johannes statt Zacharias Junior.

Und all das, was in ihm aufgestaut ist, bricht sich Bahn – das, was Gott ihm während seiner Aus-Zeit, während seines Stummseins, während des Wartens mit auf den Weg gegeben hat, was in ihm gearbeitet hat.
In zwei unglaublich langen Sätzen, fast atemlos, kommt es mir vor, erinnert sich Zacharias.

Ein erster langer Satz über die Verheissungen des alten Bundes, die Erlösung, über einen Gott, der sich seines Volkes annimmt. Errettung aus der Hand der Feinde. Menschen, die Gott ohne Furcht dienen.

Und sein Vater Zacharias wurde von heiligem Geist erfüllt und weissagte:

Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sich seines Volkes angenommen und ihm Erlösung verschafft und uns aufgerichtet ein Horn des Heils im Hause Davids, seines Knechtes,

wie er es versprochen hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von Ewigkeit her,

uns zu retten vor unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen,

Barmherzigkeit zu erweisen unseren Vätern und seines heiligen Bundes zu gedenken,

des Eides, den er unserem Vater Abraham geschworen hat, uns zu gewähren,

dass wir, errettet aus der Hand der Feinde, ihm ohne Furcht dienen

in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm all unsere Tage (Lk 1, 67-75).

Und ein zweiter langer Satz über das Kind in seinem Arm, Johannes, der später der Täufer genannt wird:

 

Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten genannt werden, denn du wirst vor dem Herrn hergehen, seine Wege zu bereiten, Erkenntnis des Heils zu geben seinem Volk durch die Vergebung ihrer Sünden, aufgrund des herzlichen Erbarmens unseres Gottes, mit dem das aufgehende Licht aus der Höhe uns besuchen will, um zu leuchten denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen, um zu lenken unsere Füsse auf den Weg des Friedens (Lk 1, 76-79).

Zacharias’ Singen tröstet mich in meinem verordneten Stummsein und meiner Ratlosigkeit und macht mir Mut, mich zu erinnern, mich zu vergewissern, Jahr für Jahr, und heuer ganz besonders.

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch

Roggwil

E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Pfarrerin seit 1. Dezember 2018 in Roggwil BE, vorher in Laufenburg und Frick.

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