Christmette, 24.12.2014

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Christmette, 24.12.2014

Predigt zu Matthäus 1:1-25| verfasst von Klaus Bäumlin|

Buch des Ursprungs Jesu, des Messias, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serach mit Tamar, Perez zeugte Hezron, Hezron zeugte Ram, Ram zeugte Amminadab, Amminadab zeugte Nachschon, Nachschon zeugte Salmon, Salmon zeugte Boas mit Rahab, Boas zeugte Obed mit Rut, Obed zeugte Isai, Isai zeugte den König David.

 

David zeugte Salomo mit der Frau des Urija, Salomo zeugte Rehabeam, Rehabeam zeugte Abija, Abija zeugte Asaf, Asaf zeugte Joschafat, Joschafat zeugte Joram, Joram zeugte Usija, Usija zeugte Jotam, Jotam zeugte Ahas, Ahas zeugte Hiskija, Hiskija zeugte Manasse, Manasse zeugte Amon, Amon zeugte Joschija, Joschija zeugte Jechonja und seine Brüder zur Zeit der babylonischen Verbannung.

 

Nach der babylonischen Verbannung zeugte Jechonja Schealtiel, Schealtiel zeugte Serubbabel, Serubbabel zeugte Abihud, Abihud zeugte Eljakim, Eljakim zeugte Azor, Azor zeugte Zadok, Zadok zeugte Achim, Achim zeugte Eliud, Eliud zeugte Elasar, Elasar zeugte Mattan, Mattan zeugte Jakob, Jakob zeugte Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, welcher der Christus genannt wird. Im Ganzen also sind es vierzehn Generationen von Abraham bis David, vierzehn Generationen von David bis zur babylonischen  Verbannung und vierzehn Generationen von der babylonischen Verbannung bis zum Christus.

 

Mit der Geburt Jesu Christi aber verhielt es sich so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte es sich, dass sie schwanger war vom heiligen Geist. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht blossstellen wollte, erwog, sie in aller Stille zu entlassen. Während er noch darüber nachdachte, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen, denn was sie empfangen hat, ist vom heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von ihren Sünden retten. Dies alles ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären,  und man wird ihm den Namen Immanuel geben. Das heisst: ‹Gott mit uns›. Als Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er erkannte sie aber nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte; und er gab ihm den Namen Jesus.

 

Liebe Gemeinde! Wie langweilig: A zeugte B, B zeugte C, C zeugte D undsoweiter – 15 Verse lang und über 42 Generationen. Wer mag schon einen Stammbaum lesen, sofern es nicht derjenige der eigenen Familie ist?  Aber sehen wir zu. Das Verzeichnis der Vorfahren Jesu, mit dem Matthäus sein Evangelium beginnt, ist nicht ein biologischer Stammbaum. Es ist ein konstruierter, ein theologischer Stammbaum. Er enthält eine Botschaft. Alle vier Evangelien des Neuen Testaments versuchen am Anfang eine Antwort zu geben auf die Frage: Woher kommt Jesus? Mit welcher Vollmacht tritt er auf? Was ist sein Ursprung, was sein Geheimnis? Jedes von ihnen beantwortet diese Frage auf seine Weise. Matthäus richtet sein Augenmerk zunächst auf die irdische, die menschliche Herkunft Jesu. Deshalb haben die frühchristlichen und mittelalterlichen Maler den Evangelisten Matthäus mit dem Symbol einer menschlichen Gestalt ausgestattet.

 

Zum Nachweis der menschlich-irdischen Herkunft Jesu dient der Stammbaum. Er reicht zurück bis auf Abraham. Abraham ist der Ur-Vater Israels. Das ist das erste. Was Matthäus uns sagen will: Jesus ist ein Kind Israels. Man kann das nicht genug betonen. Im Verlauf von zweitausend Jahren Christentum gab es so viele feine und grobe Versuche, Jesus von seinen jüdischen Wurzeln, von Israel zu trennen – bis hin zu den finsteren Zeiten des Nationalsozialismus mit den Bestrebungen, das Alte Testament aus der Bibel zu entfernen. Damals wurde ein Gesangbuch herausgegeben, in dem die alten Weihnachtslieder von Wendungen wie „Jakobs Stern ist aufgegangen“, „Zions Hilf und Abrams Lohn, Jakobs Heil und Davids Sohn“ gesäubert wurden. Und aus der Erinnerung und der Geschichte gestrichen und eliminiert werden sollten nicht nur die jüdische Bibel, sondern auch die jüdischen Menschen. Jesus ist ein Judenkind, ein Sohn Abrahams, ein Kind Israels. Matthäus will damit sagen: In Jesus kommt der Segen, mit dem Gott den Abraham gesegnet hat, zu den Völkern der Erde: „Der Herr sprach zu Abram: Ein Segen sollst du sein. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“ (Gen 12,1ff).

 

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Nun ist freilich die Geschichte Israels, die mit Abraham beginnt und für die der Stammbaum Jesu steht, alles andere als eine reine, eindeutige Segensgeschichte. Wenn wir in der Bibel nachlesen, was für Geschichten und Schicksale hinter den Namen dieses Stammbaums stehen, es würde uns exemplarisch Menschengeschichte, menschlich-allzumenschliche Geschichte begegnen. Hinter den Namen dieses Stammbaums stehen Nomaden, Hirten und Bauern und eine lange Reihe von Königen in der Nachfolge Davids, gerechte Könige, die taten, „was dem Herrn gefiel“, und andere, die sich aufführten, wie es dem Herrn ganz und gar nicht gefiel. Auch ganz unbekannte Leute kommen vor, deren Namen wir gerade nur in diesem Stammbaum begegnen und von denen wir sonst gar nichts wissen.

 

Hinter den Namen stehen Menschengeschichten, die erzählen von Liebe und Leidenschaft, von Treue und Freundschaft, von Hass und Streit, von Mut und Weisheit, von Feigheit und Dummheit, von Versöhnung und Solidarität, von Gewalt und Totschlag, von menschlicher Grösse und Gemeinheit, vom Suchen nach Gerechtigkeit und von Intrigen und Korruption, von Glück, Reichtum und erfülltem Leben und von Armut, Not und Leiden, von Glaube und Hoffnung und von Irrtum und Verzweiflung, von Verstrickung in abgründige Schuld. Sie erzählen über individuelle Schicksale hinaus von Zeiten politischer Stabilität und Prosperität, von Krieg und von Frieden, von Siegen und Niederlagen, von kultureller und wirtschaftlicher Blüte, aber auch von Zeiten des Niedergangs, von gerechter Regierung und von schlimmstem Machtmissbrauch, von tiefster Verunsicherung und Katastrophe – etwa von der Verbannung der Juden nach Babylon, dieser schwersten Krise in Israels Geschichte.

 

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In diese von Männern gemachte und geschriebene Geschichte schreibt Matthäus – haben Sie es beachtet, liebe Gemeinde? – die Namen von vier Frauen. Was für Schicksale stehen hinter diesen Namen! Tamar, die kinderlos verwitwete Schwiegertochter Judas, die sich als Hure verkleiden muss, um sich von ihrem Schwiegervater schwängern zu lassen und einen Nachkommen gebären zu können (Gen 38). Rahab, die Prostituierte in Jericho, die in ihrem Haus die Spione Israels versteckt, ihnen das Leben rettet und dadurch zur Verräterin an ihrer eigenen Stadt wird (Jos 2; 6,22ff). Rut, die Moabiterin, die Ausländerin, die ihre Heimat verlässt und mit ihrer Schwiegermutter nach Israel zieht und zur Stammmutter des Königs David wird. Die Frau des Hettiters Urija, von ebendiesem David zum Ehebruch missbraucht, sie wird Mutter des Königs Salomo (2 Sam 11).

 

Was für Schicksale! Schicksale von Frauen in einer Männergeschichte, gebraucht, missbraucht, aber auch selber denkend und handelnd, mit List, Klugheit und Initiative sich hineinmischend in diese Geschichte. Alle vier Frauen sind Fremde, Ausländerinnen – wie wenn Matthäus sagen wollte: Von Anfang an ist Israels Geschichte durchmischt mit der Geschichte der Völker. Nicht Sara, nicht Rebekka, nicht die Stammmütter Israels, sondern Frauen von aussen, und einige von ihnen mit zweifelhaftem Ruf und krummen Geschichten, finden Aufnahme in den Stammbaum Jesu, werden zu seinen Ur-Müttern, die den Abraham-Segen weitergeben.

 

In diese Menschengeschichte hinein wird Jesus, der Messias, geboren. In diese menschlich-allzumenschliche Geschichte hinein stellt sich der, von dem der Prophet verheissen hat: „Seinen Namen wird man rufen Immanuel, das heisst übersetzt: ‚Mit uns ist Gott'“. Oder, wie es der Apostel Paulus schreibt: „Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter das Gesetz, um die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir die Kindschaft empfangen“ (Gal 4,4).

 

Seltsam strereotyp, gleichförmig ist der Stammbaum formuliert: „Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob … Isai zeugte David, David zeugte Salomo … Eliud zeigte Elasar, Elasar zeugte Mattan, Mattan zeugte Jakob“ undsoweiter … Nein, nicht undsoweiter!  Am Ende des Stammbaums wird die Gleichförmigkeit auf einmal unterbrochen: „Jakob zeugte Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, welcher der Christus genannt wird.“ Eine kleine Änderung der sprachlichen Formulierung, ein Passivum statt eines Aktivums. Man liest leicht darüber hinweg, beachtet es kaum. Ein kleiner, kaum bemerkter Unterbruch  in der Männer- und Menschengeschichte, eine kleine Unterbrechung der alten, gewohnten Spielregeln und Gesetzmässigkeiten der Geschichte. Eine kleine Lücke, in der jetzt ein Anderer zu reden und zu handeln beginnt.

 

Noch einmal kommt Matthäus jetzt zurück auf den „Ursprung Jesu, des Messias“. Und jetzt lässt er den Stammbaum Stammbaum sein. Die Männer, die Macher der Geschichte, treten zur Seite. Noch einmal tritt eine Frau in die Mitte: Maria. „Von ihr wurde Jesus geboren, welcher der Christus genannt wird.“ Maria verkörpert gewissermassen die Lücke, den Leerraum. Auch sie ist nicht die aktiv Handelnde. „denn was sie empfangen hat, ist vom heiligen Geist“.

 

Die sogenannte Jungfrauengeburt will nicht als ein Mirakel verstanden werden, das der Biologie ins Gesicht schlägt. Das Evangelium will eine Antwort geben auf die Frage: Woher kommt Jesus? Was ist sein Ursprung? Woher ist seine Vollmacht? Und die Antwort heisst: Aus dem Geist Gottes. Immanuel – mit uns ist Gott. Ein Mensch in der Kette der Menschengeschlechter. Der Mensch, wie Gott ihn sich von Anfang an gedacht hat. Der Mensch eins mit Gott, im Einklang mit ihm. Das schöne, unverstellte Bild Gottes. Und das nicht als Utopie, als Traumbild, sondern real: „in einer Krippe liegend“. „In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut.“ Ein wirkliches Abrahamskind und Erdenkind – und in ihm Gottes Nähe und Gegenwart auf der armen Erde, mitten in der Menschengeschichte, ein Kind des Friedens, gezeugt und bewegt und belebt vom Geist Gottes.

 

Die Juden hoffen wenn der Messias komme, werde er das Antlitz der Erde verwandeln und der Welt den Frieden bringen: den Völkern der Erde den Segen Abrahams. Wir Christen glauben und hoffen, der Geist des Messias Jesus verwandle das Antlitz der Erde und bringe der Welt den Frieden. Vielleicht sind wir, Juden und Christen, gar nicht so weit von einander entfernt in unserem Glauben und Hoffen. Aber wie sollten wir solches glauben und hoffen und singen, wenn wir nicht allererst uns selber berühren, bewegen, verwandeln und erneuern lassen durch den Geist es Messias Jesus – wenn wir uns nicht selber von ihm zu Menschen des  Friedens zeugen lassen! Amen.

 

Liebe Gemeinde, der Stammbaum von Abraham bis zu Christus ist auch der Stammbaum der Christen-Familie. Fügen wir also unseren eigenen Namen hinzu! Amen

Pfarrer i.R. Klaus Bäumlin
Bern
E-Mail: klaus.baeumlin@bluewin.ch
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