Genesis 2, 4b-9+15

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Genesis 2, 4b-9+15

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


15. Sonntag nach Trinitatis,
8. September 2002
Predigt über 1. Mose 2, 4b-9+15, verfaßt von Bogislav Burandt

Liebe Gemeinde!

Die Wahrheit ist umstritten; insbesondere die Wahrheit über den
Menschen. Vom Streit über den richtigen Umgang mit den Sorgen der
Menschen sehen und hören wir reichlich; jetzt in der heißen
Phase des Bundestagswahlkampfes. Was die Menschen in Deutschland vom Staat
und den politischen Rahmenbedingungen erwarten dürfen, das ist umstritten.
Die Parteien setzen unterschiedliche Akzente, vertreten unterschiedliche
Interessen. Beim Streit um die Wahrheit kommt es eben auf die Blickrichtung
an. Auch beim Streit über die Wahrheit des Menschen.

Verschiedene Ansichten vom Menschen etwa begegnen in der Fabel von den
drei Tieren. Drei Tiere treffen sich eines abends zu einem Schwätzchen.
Sie reden über dies und das. Und da kommen sie auch auf die Menschen
zu sprechen. „Die Menschen jagen uns Angst ein, bringen mit ihren
Autos vielen von uns den Tod und engen uns ein. Die Menschen sind Störenfriede!“,
sagt das erste Tier, ein Reh aus dem Wald. „Die Menschen sind bunt,
elegant und geschäftig“, findet dagegen das zweite Tier, eine
Taube, die im Kirchturm am Marktplatz wohnt. „Ach nein,“ antwortet
das dritte Tier. „Die Menschen sind nur Knochen und Erde.“ Das
dritte Tier ist eine Wühlmaus, die vom Friedhof kommt. –

Auf die Blickrichtung kommt es an. Und da gibt es keine, die gegensätzlicher
wäre als die aus dem 1. Buch Mose: Vom allmächtigen Gott wird
hier erzählt. Und dann von der Erde, die durch Gott geformt wird
und in die der Odem des Lebens eingeblasen wird. Zwischen dem gewaltigen
Gott und dem Material, das er verwendet – Erde, Staub oder gar Dreck,
– zwischen dem gewaltigen Gott und dem Material, das er belebt, lässt
sich kaum ein größerer Gegensatz denken.

Aber darin zeichnet sich eben die Größe Gottes aus, dass er
sich hinunterbeugt und auf Tuchfühlung geht zu dem, was er geformt
hat. Gott hat keine Berührungsängste, er macht sich die Hände
schmutzig. Erst die Nähe Gottes, sozusagen die Mund-zu-Mund-Beatmung
schenkt dem Lehmkloß das Leben. Der Mensch ist vergänglich,
hinfällig und wird nach seinem Tod zur Erde werden, das ist wahr.
Das ist die Blickrichtung von unten.

Aber mit dem gleichen Wahrheitsanspruch gilt die Blickrichtung von oben:
Der liebende Gott, der mit seinem Atem den Menschen belebt! Schon allein
diese beiden so gegensätzlichen Blickrichtungen auf den Menschen
machen den Rang dieser zweiten Schöpfungsgeschichte aus. Und ich
denke, gerade bei dieser Gegensätzlichkeit tritt die Wahrheit über
den Menschen zutage: dass wir vom Menschen als einem persönlich belebten
Geschöpf Gottes nie gering denken dürfen, zugleich aber auch
seine Hinfälligkeit, Sterblichkeit und seine Begrenztheit nicht deutlich
genug betonen können!

Die beiden gegensätzlichen Blickrichtungen, sie gehören zur
Basis eines christlichen Verständnisses der Menschenwürde: Kein
Mensch, wie hinfällig, schwach oder gebrechlich auch immer er ist,
kein Mensch ist auf der Erde, über den Gott sich nicht liebevoll
gebeugt hat und ihm den Atem des Lebens eingeblasen hat! Es gibt von daher
kein lebensunwertes Leben! Und das werdende Leben, es darf nicht irgendwelchen
Zielen zum Opfer fallen. Gerade in der Diskussion um die genetische Forschung
an Embryonen und am menschlichen Erbgut müssen wir das festhalten.
Sonst setzt sich unter der Hand eine technische Blickrichtung auf den
Menschen durch. Und das wäre schrecklich! Die liebende, handgreifliche
Zuwendung Gottes zum Menschen, sie verträgt sich nicht mit einer
Blickrichtung auf den Menschen, die dessen biologische Anfänge als
Versuchslabor ansieht!

Zart und sacht kommt unsere Geschichte daher, sie bringt ihre Wahrheit
erzählend zum Zuge. Einen Absolutheitsanspruch erhebt sie nicht.
Auch wenn sich eine technische Blickrichtung auf den Menschen ausschließt
mit der Betrachtung des liebenden Schöpfergottes, eine naturwissenschaftliche
Blickrichtung ist gerade nicht ausgeschlossen. Die gibt es, auch wenn
darauf nicht das Interesse des Erzählers ruht. Alle Sträucher
auf dem Felde waren noch nicht auf Erden…; denn Gott der HERR hatte
noch nicht regnen lassen auf Erden… aber ein Nebel stieg von der Erde
auf und feuchtete alles Land.
Sind das Sätze, die von genauer
Beobachtung der Natur zeugen? Nein, liebe Gemeinde, hier erzählt
keiner etwas für den Biologie-Unterricht; auch wenn wir durchaus
festhalten können, dass der Mensch zu über 80 Prozent aus Wasser
besteht… Die Geschichte wird so schlicht und einfach erzählt, dass
wir Acht geben müssen, ihre Wahrheit nicht zu verpassen.

Neben den beiden Blickrichtungen von unten und von oben ist es gerade
diese Schlichtheit, die unsere Aufmerksamkeit erregt. In einer Welt, in
der alles kompliziert und immer noch komplizierter wird, in der die Ärzte
manchmal über ein einzelnes Organ genauestens Bescheid wissen, aber
den Menschen als ganzen nicht in den Blick bekommen, in dieser Welt ist
die Geschichte von der Erschaffung des Menschen radikal einfach: Nur Erde,
göttliche Handarbeit und göttlicher Lebensatem macht den Menschen
aus. Der Mensch wird hier nicht als komplexes Zellhaufen-Puzzle, als Zusammensetzung
von Leib, Seele und Geist verstanden, sondern als eine von Gott beseelte
Einheit. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes radikal, geht an die Wurzel.
Dabei können wir in unserer komplizierten Welt die einfache Wahrheit
entdecken, dass der Mensch eben doch eine leibseelische Einheit darstellt.
Das modische Wort von der Ganzheitlichkeit, es kann sich auf diese Schöpfungsgeschichte
berufen….

Zur Wahrheit des Menschen gehört auch, dass er Gebote und Regeln
braucht. Das deuten die Verse an, die erzählen, wie der Mensch in
den Garten Eden gesetzt wird, in dem es auch den Baum des Lebens und den
Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gibt. Wir wissen ja, dass
die Sache mit den guten Geboten für den Menschen schlecht ausgeht…

Eingehender nachdenken möchte ich aber über den letzten Vers
unseres Predigttextes: Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn
in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Der Mensch ist
seinem Ursprung nach nicht der, der die Umgegend gestaltet, er ist der,
der von Gott an seinen Ort gesetzt wird. Den Garten Eden soll er bebauen
und bewahren.

Mit diesem Auftrag ist klar: Das Paradies ist kein Schlaraffenland!
Von Anfang an gab es für den Menschen die Arbeit! Arbeit gehört
zum Wesen des Menschen, auch diese Wahrheit lässt sich der Geschichte
entnehmen. Darum ist Arbeitslosigkeit so schrecklich. Wer in seinen arbeitsfähigen
Jahren keine Arbeit hat, kann eine Seite seines Menschseins nicht ausleben.
Da drohen Depression, Krankheit und Suchtgefahren! Das Bemühen, Menschen
zur Arbeit und zu einer angemessenen Tätigkeit zu verhelfen, ist
aller Unterstützung wert!

Arbeit im Paradies ist nicht mühsam, das wird sie erst, nachdem
der Mensch die guten Gebote Gottes gebrochen hat… Arbeit im Paradies
ist keine bezahlte Arbeit. Sie hat ihren Wert in sich selber. Wenn wir
die Schöpfungsgeschichte ernst nehmen, dürfen wir also die Arbeit,
für dies es Geld gibt, nicht höher schätzen als die Arbeit,
die ehrenamtlich vollbracht wird. Da wir nicht im Paradies leben, besteht
natürlich kein Grund, Erwerbstätigkeit zu verachten. Aber um
Geld geht es in unserer Geschichte sowieso nicht. Sie legt den Finger
auf Arbeit als Wesensbestimmung des Menschen.

Vielleicht haben Sie ja auch gelesen, dass in Österreich ein ganzes
Heer von Asyl-Suchenden beim Kampf gegen das Hochwasser im Einsatz war.
Die Menschen haben unentgeltlich gerackert; sie wollten sich bedanken
für die Aufnahme im fremden Land, aber sie haben auch das Gefühl
genossen, etwas Sinnvolles zu tun!

Bebauen und bewahren sollen die Menschen das Paradies. Wenn man will,
kann man zwei Gestalten der Arbeit aus diesen Wörtern herauslesen:
Die Arbeit des Handwerkers, der etwas herstellt und produziert, der am
Ding arbeitet. Und die Arbeit des Bauern oder Hirten, der eher etwas pflegt
und wachsen lässt. Wir brauchen beide Formen der Arbeit, und gerade
die pflegerische Tätigkeit darf gegenüber der produzierenden
nicht herabgestuft werden; so wie es weithin in der Neuzeit geschehen
ist! – Wenn wir nicht nur unseren Balkon oder unseren Garten, sondern
auch unsere Umwelt pflegen würden, dann wäre die Gefahr von
Überschwemmungskatastrophen möglicherweise geringer..

Die Wahrheit über den Menschen ist umstritten. Unsere Geschichte
sagt: Der Mensch ist bei aller Hinfälligkeit ein von Gott geliebtes
und ausgezeichnetes Geschöpf. Er muss als eine leibseelische Einheit
angesehen werden. Er braucht Gebote und Regeln. Die Arbeit gehört
in beiden Gestalten als pflegerische oder als produzierende zur Wesensbestimmung
des Menschen. – Nehmen wir den Wahrheitsanspruch unser Geschichte ernst!
Aufforderungen ergeben sich daraus. Aber die hören wir nur recht,
wenn wir uns zuvor freuen, wie gut Gott es mit uns meint! Er, der sich
liebend zu uns herabbeugt. Aller Sorge um den Menschen geht die Fürsorge
Gottes voraus!

AMEN

P. Dr. Bogislav Burandt
Lukaskirche Hannover
Göhrdestraße 2
30161 Hannover

 

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