Das Weinberg-Lied

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Das Weinberg-Lied

Sonntag Reminiszere, 28.02.2021 | Predigt über Jesaja 5,1-7 | Johannes Lähnemann |

Jesaja 5,1-7

1 Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. 3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? 5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahlgefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. 7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Rechtlosigkeit.

Liebe Gemeinde,

die Auseinandersetzung mit dem Text, den wir eben gehört haben, hat mich zu drei Predigtschritten angeregt. Ich beginne mit der Auslegung des Textes. Die Überschrift dazu lautet: Ein Liebeslied, das in einer Katastrophe mündet. In einem zweiten Schritt möchte ich mit Ihnen über die Stunde Null nachdenken, die auf die Katastrophe folgt und über das, was nach der Stunde Null kommt. In einem dritten Schritt geht es um eine große Vision für unsere Welt und unser Leben – und was diese Vision für uns bedeutet.

Das Erste: Ein Liebeslied, das in einer Katastrophe mündet.

Es war im Sommersemester 1961, also vor knapp 60 Jahren: Ich saß im größten Hörsaal der Universität Heidelberg. Professor von Rad, berühmter Professor für Altes Testament, hielt die Vorlesung über den Propheten Jesaja. Um uns den Text aus Jesaja 5, den wir gerade hörten, nahezubringen, schlüpfte er in die Rolle des Propheten. „Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“ Der Prophet tritt als Sänger auf. Wie können wir uns die Situation vorstellen? Wahrscheinlich wurde in Jerusalem gerade gefeiert: das Laubhüttenfest, das Erntefest. Ausgelassen waren die Leute, neugierig, was sie wohl vom Propheten zu hören bekämen. Eigentlich ging es den Menschen in Jerusalem gut, damals im 8.  Jahrhundert vor Christus. Es war eine wirtschaftliche Blütezeit. Zwar gab es im Osten eine neue Großmacht, Assyrien. Aber deren Expansionsgelüste spürte man noch nicht direkt. Was hat der Prophet vor, wenn er als Sänger auftritt? Eigentlich war er nicht dafür bekannt, ein fröhliches Festlied zu singen, sondern eher dafür, den Menschen ins Gewissen zu reden. Der Prophet beginnt: „Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.“

„Aha, ein Liebeslied will er uns singen“, müssen die Zuhörer gleich denken. Denn der Weinberg galt als Sinnbild für eine Braut, eine Geliebte.[1] Als der beste Freund des Bräutigams, der alle wichtigen Vorbereitungen für die Hochzeit auszurichten hat, tritt der Prophet auf. Was für ein Lied kann er denn davon singen, wie es seinem Freund, der hier für den Bräutigam steht, mit seinem Weinberg, also mit seiner Braut, geht? Er schildert zunächst ganz unverfänglich, wie sein Freund sorgsam, ja geradezu liebevoll den Weinberg bebaut hat, wie ein guter Weinbauer: Der Weinberg liegt auf einer „fetten Höhe“, so dass er von allen Seiten von der Sonne beschienen werden kann. Zum Schutz vor Erdrissen in der Sommerhitze ist er gründlich durchgehackt und aufgelockert worden. Die Steine hat der Freund aufgelesen. Dann hat er edle Reben in den Boden gesetzt. Mitten in den Weinberg hat der Freund einen Turm gebaut, von dem aus der Weinberg bewacht werden konnte, damit weder Vögel noch Diebe ihm etwas anhaben konnten. Auch eine Kelter hat er gebaut, in der die Trauben ausgepresst werden konnten. Alles war auf das Beste vorbereitet, so dass der Besitzer mit Recht auf eine gute Ernte schöner, reifer Trauben warten durfte. Aber nun kam die bittere Enttäuschung: An den Reben fanden sich zur Erntezeit nur kleine harte Sauertrauben, ungenießbar! Die spontane Reaktion der Zuhörer dürfte gewesen sein, dass sie innerlich denken: „Soll er die Braut doch laufen lassen!“

Aber das Lied wird ernster. Auf einmal redet nun nicht mehr der Prophet, sondern sein Freund, der Bräutigam, selbst. Er wendet sich unmittelbar an die Menschen aus Jerusalem und der umgebenden Landschaft Judäa, die bei dem Fest versammelt sind. Er fordert sie zum Schiedsspruch auf und fragt: „Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?“

Jetzt merken die Zuhörer, dass es nicht mehr um ein einfaches Liebeslied geht: War die Braut treulos geworden, so konnte das mit dem Tod durch die Steinigung bestraft werden!

Dementsprechend hart geht es in dem Lied zu, das der Prophet nun weiter vorträgt. Der Freund schildert, was er mit dem Weinberg tun will: Die Hecke, die zum Schutz gegen die Tiere gepflanzt war, soll niedergehauen, die Mauer niedergerissen werden. Dann kann, wer will, in die Pflanzung einbrechen. Weder beschnitten noch behackt wird der Weinberg, Disteln und Dornen wachsen darauf. Er ist der Vernichtung preisgegeben.

Und nun folgt auch die Enthüllung der Person des Freundes: Wenn er die Macht hat, den Wolken zu befehlen, dass sie nicht darauf regnen, dann ist es Gott selbst – als der Bräutigam, der von seiner Braut so bitter enttäuscht wurde!

Und so kann der Abschluss des Liedes die Zuhörer nicht mehr überraschen: Israel, die Gemeinschaft des Gottesvolkes, ist der Weinberg Gottes – der Weinberg, den er mit Liebe gepflanzt hat. Er wartete auf Treue, auf ein Leben nach seinen Geboten. In einem Wortspiel wird das am Schluss ausgedrückt: „Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Rechtlosigkeit.“

Damit endet das Lied. Es hat keinen versöhnlichen Schluss. Nicht lange danach wird das Nordreich Israels von den Assyrern erobert. Einige Generationen später werden auch die Menschen aus Jerusalem und Judäa ins Exil nach Babylon geführt.

Was kann uns heute eine solch harte prophetische Botschaft bedeuten, was kann sie uns sagen: Ist sie nur eine Drohbotschaft, eine Vernichtungsankündigung in vergangener Zeit – oder können wir sie als Weckruf auch in unsere Zeit hinein verstehen?

Wie steht es bei uns um Rechtsspruch und Rechtsbruch, wie steht es bei uns um Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit?

Wofür der Prophet Jesaja sein Volk anklagt, was er ihm vor Augen hält, besonders den führenden Leuten, das ist auch heute nicht überholt. In dem Text, der dem Weinberglied folgt, wird das entfaltet: „Weh denen, die das Unrecht herbeiziehen mit Stricken der Lüge“ (5,18), „Weh denen, die Böses gut und Gutes Böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen“ (5,20), „Weh denen, … die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke und das Recht nehmen denen, die im Recht sind!“ (5,23). Leben wir, bei allem guten Bemühen in unserer Gesellschaft, nicht unter vergleichbaren Gefährdungen? Da gibt es Verleumdungen, da grassieren Fake News und Hassbotschaften, besonders in den Social Media. Da wird Wahrheit in Lüge und Einsicht in Bosheit verkehrt. Da erleben wir eine Gesellschaft, in der Korruption im Kleinen wie im ganz Großen den Zusammenhalt unserer menschlichen Gemeinschaft bedroht. Können wir uns darüber beruhigen, dass in unserem Land mehr Reichtum vorhanden ist als je zuvor, und dass gleichzeitig die Zahl der Obdachlosen zugenommen hat? Können wir ein ruhiges Gewissen haben, wenn uns Greta Thunberg prophetisch anklagt, dass unser Lebensstil unsere Welt in die ökologische Katastrophe treibt?

Denkt nach, prüft euer Verhalten, überlegt, wo ihr anders denken, wo ihr euch anders verhalten müsst!

Das Weinberglied des Propheten Jesaja kündigt die Katastrophe an, ohne einen Ausweg zu zeigen. – Aber das Weinberglied ist nicht das letzte Wort, das in dem großen Jesaja-Buch steht.

Die Geschichte Israels damals führt in die Katastrophe hinein, bis schließlich im Jahr 587 Jerusalem und der Tempel zerstört und die Menschen ins Exil nach Babylon geführt werden. Aber im Exil steht ein neuer Prophet auf, wir nennen ihn den zweiten Jesaja, der von der erneuten Liebe und Treue Gottes spricht, der das Ende der Verbannung ankündigt: „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist“ (Jesu 40,1-2)

Damit kommen wir zum zweiten Schritt: Es ist gleichsam die Stunde Null, der Neuanfang nach der Katastrophe. Die Israeliten kehren nach Jerusalem und Judäa zurück. Es ist ein mühsamer Wiederanfang in dem verwüsteten Land. Lange dauerte es, bis der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut ist. Aber Gott verspricht: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ (41,10). Dass Gerechtigkeit und Friede Hand in Hand gehen, das ist der Wille Gottes.

Gibt es auch für uns so etwas wie eine Stunde Null? Ich erinnere mich noch, wie ich 1945 als kleiner Junge erlebte, dass die amerikanischen Panzer durch mein Geburtsdorf Schellerten rollten. Alle großen Städte in Deutschland waren zerstört, auch die schöne alte Stadt Hildesheim in unserer Nähe. 75 Millionen Menschen waren umgekommen in dem vom Nazi-Deutschland angezettelten Krieg. Der Irrglaube des Nationalsozialismus hatte in die Katastrophe geführt. Konnte es da überhaupt einen Neuanfang geben? Konnten sich Christen an der Aufarbeitung der Schuld und an einem Weg zur Versöhnung beteiligen? In dieser Situation kam es im Oktober 1945 zu einer erstaunlichen Erklärung: dem Stuttgarter Schuldbekenntnis der neu gebildeten Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Erklärung wurde unter anderem von Martin Niemöller unterzeichnet, der viele Jahre als persönlicher Gefangener Hitlers im Konzentrationslager Dachau gesessen und wie durch ein Wunder überlebt hatte. Die entscheidenden Sätze in der Erklärung lauten: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“[2] Es war ein mutiges Zeichen, das damals von vielen Menschen in Deutschland noch nicht verstanden wurde, weil sie vor allem die eigenen Leiden im Krieg vor Augen hatten. Aber es war der Anfang eines Weges, auf dem die Christen in den anderen Ländern den Deutschen die Hände reichten und Deutschland beim Wiederaufbau halfen. Sich der eigenen Geschichte, der eigenen Schuld stellen, hat sich letztlich als notwendig in der Bearbeitung und Verarbeitung von Unrecht erwiesen.

Und gegenwärtig? Beschert uns die Corona-Krise so etwas wie eine neue Stunde Null? Es wäre vollkommen falsch, wenn wir sie mit der Katastrophe des babylonischen Exils oder des 2. Weltkriegs verglichen. Wie viele Wege und Hilfen, wie viel medizinisches Knowhow haben wir, der Krise zu begegnen – entgegen dem Elend dieser früheren Katastrophen? Und doch ist es eine Krise, die weltweit Menschen betrifft und bedroht, die unser Gemeinschaftsleben in eine Situation der Isolierung zwingt, die wir so noch nie erlebt haben. Nie war das gottesdienstliche Leben unterbrochen, auch in Kriegszeiten nicht. Ganz neu sind wir gefordert, Wege zu finden, wie wir in Verbindung miteinander bleiben und uns gegenseitig stützen können mit den Mitteln, die wir haben, dem Telefon, dem Smartphone, und wenn wir die unterstützen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. Dabei betrifft die Krise in besonderem Maße die Ärmsten der Armen, die in ungesicherten Verhältnissen leben, auf der Flucht sind, die, die ohnehin unter Dürre und Hunger leiden. Allein in Afrika sind schon viele Menschen gestorben, weil der Lockdown bei uns die Lieferketten für Medizin unterbrochen hat. Neu sind wir herausgefordert zu Liebe, Fürsorge und Gerechtigkeit. Wenn Jesus im Gleichnis vom Endgericht sagt: „Was ihr getan habt diesen meinen geringsten Brüdern – den Hungernden, den Durstigen, den Fremden, den Nackten, den Gefangenen –, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), dann ist jeder und jede von uns gefragt, wo und wie wir Zeichen der Liebe Gottes geben können, nicht zuletzt in der finanziellen Unterstützung der Hilfsorganisationen, die vor Ort hier und in anderen Ländern die allergrößte Not lindern. Ein besonderes, unerwartetes Zeichen haben wir in Deutschland in der Bewegung Religions for Peace, Religionen für den Frieden im Mai vergangenen Jahres erfahren. In der Zeit, in der es überall noch an Masken für den Mund-Nasen-Schutz mangelte, haben uns Menschen von Religionen für den Frieden China eine große Sendung mit 20.000 zertifizierten Masken geschickt, die wir über die deutschen Gruppen von Religionen für den Frieden dort verteilen konnten, wo sie am dringendsten gebraucht wurden – in Krankenhäusern, in Gefängnissen, in Ortsteilen, die als soziale Brennpunkte gelten.

Und nun gibt es noch einen weiteren, dritten Schritt, zu dem wir von unserem Predigttext aus hingelangen können: Es ist eine große heilvolle Vision für unsere Welt und unser Leben, gleichsam ein Versprechen Gottes für eine Zukunft, nach der wir ausschauen können. Sie findet sich auch im Jesaja-Buch und greift weit über unsere Gegenwart hinaus. Aber sie will uns anstecken und anstacheln in unserer Gegenwart. Sie steht im 2. Kapitel des Jesaja-Buches – und ähnlich auch beim Propheten Micha. Da heißt es: „…viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Dieses Friedensversprechen Gottes steht dem Bild der Katastrophe gegenüber, die Jesaja im Lied vom Weinberg ankündigen muss. Die Leser des Jesaja-Buches, die die Katastrophe des Exils hinter sich haben, können sich auf dieses Bild ausrichten. Dass es in unsere Zeit hinein strahlen kann, haben die Christen in der DDR gezeigt, indem sie das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ zum Motto ihres Eintretens für Frieden und Gerechtigkeit gewählt haben. Es fiel den DDR-Behörden nicht leicht, es zu verbieten, weil das Denkmal mit einem Schmied, der ein Schwert zu einer Pflugschar umschmilzt, vor den Vereinten Nationen in New York steht, von niemand anderem gestiftet als von der Sowjetunion.

Diese Weissagung ist auch für uns eine Mahnung, über die gegenwärtigen Corona-Sorgen hinaus die nötige Arbeit für den Weltfrieden nicht aus den Augen zu verlieren. Dass dieser Friedensweg von Leid, Not und Schuld begleitet ist und von großer Liebeskraft erfüllt sein muss, zeigen uns die Menschen, die uns Vorbilder auf diesem Weg sein können. Ich denke an Dietrich Bonhoeffer, an Mahatma Gandhi, an Martin Luther King, an Nelson Mandela und an viele weniger bekannte unermüdliche Friedensstifter an den friedlosen Orten dieser Welt. Im christlichen Glauben können wir davon getragen sein, dass Gott selbst in Jesus diesen Weg durchs Leiden zum Leben gegangen ist, und daran wollen wir heute, am Sonntag Reminiszere, dem Gedenken an Gottes Barmherzigkeit, besonders denken.

Gebet im Anschluss an die Predigt zu Jesaja 5,1-7

Vater im Himmel!

Wir haben die Anklage des Propheten Jesaja gegen die Ungerechtigkeiten in seinem Volk, gegen die Missachtung Deiner Liebe gehört. Sei an unserer Seite, dass wir deine Gebote befolgen, dass wir uns für Gerechtigkeit einsetzen gegen alle Ungerechtigkeit. Lass uns aufmerksam sein auf das Recht der Schwachen, auf das Geschick derer, die unter Hunger, Krieg, Vertreibung und Unterdrückung leiden. Sie sind es, die besonders hart von den Folgen der Corona-Pandemie getroffen sind. Lass uns auch an der Seite derer stehen, die mit der Fürsorge für Kranke an den Rand ihrer Kräfte gelangt sind. Hilf denen, deren berufliche Existenz bedroht ist und die von Zukunftsängsten verfolgt werden.

Wir bitten dich, lass uns Neuanfänge suchen in der gegenwärtigen Lage, in der es so viel Einsamkeit und Isolation gibt und in der es uns fast unmöglich ist, einander direkt zu begegnen. Gib, dass wir Fantasie aufbringen, das Beste aus dieser Situation zu machen: dass wir mehr Zeit für Ruhe und Besinnung finden, dass wir unsere Umwelt neu schätzen lernen: die Sonne, den Regen, den Wald, die ganze Natur. Lass uns die neuen Mittel der Kommunikation nutzen, mit denen wir einander austauschen können. Lass uns einander ermutigen, erzählen, aufheitern. Hilf uns, dass wir dem Alleinsein eine vertiefte Verbundenheit gegenüberstellen.

Gib, dass wir mit der Hoffnung leben, die du uns schenken willst: der Hoffnung auf deine gute neue Welt. Ihre Zeichen hat Jesus unter uns aufgerichtet. Für sie ist er auch den Weg ins Leiden und in den Tod hinein gegangen. Du hast darauf mit dem Licht des Ostermorgens, mit dem unerwartet neuen Leben, geantwortet. Mach uns stark in dem Glauben, dass du einst alles neu machen wirst, und lass diese Hoffnung in unser Denken und Handeln hinein ausstrahlen, damit wir überzeugend den Weg der Liebe und der Gerechtigkeit gehen.

Prof. em. Dr. Johannes Lähnemann, Goslar, johannes@laehnemann.de

Johannes Lähnemann (geb. 1941) hatte von 1981-2007 den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Ev. Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Er lebt im Ruhestand in Goslar. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Interreligiöser Dialog, Interreligiöses Lernen, Religionen und Friedenserziehung. Er ist Vorsitzender der Nürnberger Regionalgruppe der Religionen für den Frieden, Mitglied am Runden Tisch der Religionen in Deutschland und Mitglied der internationalen Kommission Strenghtening Interreligious Education der internationalen Bewegung Religions for Peace (RfP).

Seine Autobiografie ist erschienen unter dem Titel „Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität.“ Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017.

Die Predigt wird – unter den aktuellen Hygiene-Bedingungen – in der romanisch-gotischen Kirche St. Peter und Paul auf dem Frankenberg Goslar gehalten.

Liedempfehlungen: EG 168,1-3 (Du hast uns, Herr, gerufen), EG 640 (EKHN – Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn), EG 572 (BT – Herr, wir bitten, komm und segne uns)

[1] Die folgende Schilderung lehnt sich an die Auslegung von Otto Kaiser an, in: Der Prophet Jesaja/Kap. 1-12. Göttingen  1960.= NTD 17, 42ff.

[2] Gerhard Besier, Gerhard Sauter: Wie Christen ihre Schuld bekennen, Göttingen 1985, S. 62

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