Der fremde Jesus

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Der fremde Jesus

Predigt zu Lukas 24,13-35 | verfasst von Rudolf Rengstorf |

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Ostern braucht Zeit. So sehr es unserer Zeit entspricht, alles gleich und alles auf einmal zu bekommen. Mit Ostern geht das nicht. Gewiss, die Osterbotschaft ist uns längst bekannt und kann immer ganz schnell vergegenwärtigt werden mit dem Ruf: „Der Herr ist auferstanden!“ und der bekräftigenden Antwort: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Aber das steht – mag es auch noch so oft wiederholt werden – quer zu dem, was wir gewohnt sind und fassen können. Wir kennen das Leben nur als die Spanne zwischen Geburt und Tod. Dass das so nicht mehr gelten soll, dass Jesus  davon befreit wurde, das hat bei den Frauen damals am Ostermorgen Verwirrung und Erschrecken ausgelöst. Und immer noch stößt die Osterbotschaft auf Unverständnis und löst Verlegenheit aus. Wenn sich das ändern soll, wenn aus Verwirrung und Zweifel Osterfreude werden soll, dann muss der Auferstandene schon selbst aktiv werden und seinen verunsicherten Leuten nachgehen. Und dafür muss er sich die Zeit nehmen, die sie brauchen, um das auch wahrnehmen und fassen zu können, dass weder die Todesgrenze, noch der garstig breite Graben der Geschichte von 2000 Jahren uns von ihm trennen können.

Und weil er sich diese Zeit tatsächlich nimmt, gibt es in den Evangelien eine Fülle von Ostergeschichten. Beim Karfreitag, der Geschichte der Kreuzigung Jesu, ist das anders:  Da sind die vier Evangelien so nah und geschlossen beieinander wie sonst nie. In ihren Ostergeschichten aber gehen sie ganz unbekümmert eigene Wege. Weil Jesus seinen Leuten auf immer neue Weise nachgeht bis heute.

Das wird sehr schön anschaulich in der Geschichte von den Emmausjüngern.

 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus.  Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen.  Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.

 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.  Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,  haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.

 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!  Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?  Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.  

Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.  Und sie nötigten ihn und sie sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.  Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.  Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?

Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren;  die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen.  Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.(Lukas 24,13-35)

 

Zurück an den Anfang:

Die beiden sind auf dem Weg zurück. Sie haben Jerusalem hinter sich gelassen. Die Stadt, in die sie voller Erwartung und unter Hosianna-Rufen eingezogen waren, in der Gewissheit: Jetzt wird Jesus das Friedensreich aufrichten, in dem das von den Römern blutig unterdrückte Volk wieder ganz und heil wird und auch die kleinen Leute zu Ehren kommen. Doch in nur wenigen Tagen hatte sich das alles als Illusion erwiesen. Die Römer hatten gezeigt, wer Herr im Hause ist,  und mit Jesus hatte man wie mit einem Rebellen kurzen Prozess gemacht. Jetzt also geht es zurück auf dem langen Weg nach Galiläa, zurück in das Leben, das sie um Jesu willen aufgegeben hatten. Ein schwerer Weg, denn sie konnten sich ausmalen, wie die Familie und das Dorf daheim sie empfangen würden: „Na, da seid ihr ja wieder. Endlich ist wohl bei euch der Groschen gefallen, dass ihr einem Traumtänzer nachgelaufen seid. Wir haben es ja gleich…“ Aber da mussten sie jetzt durch.

Die anderen, vor allem die Frauen, waren noch in Jerusalem geblieben, wollten es noch nicht wahrhaben und versuchten nun, sich mit weiteren Illusionen über die trostlose Realität hinwegzuretten. Engelserscheinungen wollten sie am Grab gesehen haben, und als einige der Männer nachschauten, hatten sie das Grab tatsächlich leergefunden. Aber ihn sahen sie nicht. Damit hatte Ostern für die beiden sein Bewenden. All das erzählten sie einem Fremden, der sich auf dem Wege zu ihnen gesellt und sich interessiert gezeigt hatte an dem, was sie beschäftigte.

Einem Fremden waren sie begegnet. Und das passt nun gar nicht zu den Theorien, mit denen die Ostererscheinungen von Psychologen erklärt werden. Denen zufolge geht es bei diesen Geschichten um Visionen, die aus Trauer und Enttäuschung der Jünger Jesu entstanden sind. Weil sie sich mit dem Tod ihres Meisters nicht abfinden konnten, hätten sie ihn in ihrer Phantasie wieder ins Leben geholt und sich – im wahrsten Sinn des Wortes – seine Gegenwart ein-gebildet. Doch diese Erklärung passt auch nicht im entferntesten zu den Ostergeschichten. Nicht wie sie ihn kannten und ihn zurücksehnten, also gerade nicht in der Gestalt eines wiederbelebten Toten ist Jesus seinen Leuten erschienen. Zunächst ist er fremd, wird er eben nicht erkannt. Die Psychologie in Ehren, aber in den Ostergeschichten kommt man mit ihr nicht weiter.

Behutsam und unauffällig tritt der Auferstandene in das Leben seiner Leute. Auch in unser Leben, hört zu, wenn wir mit den beiden traurig sind über eine Welt, aus der er verschwunden zu sein scheint, hört zu, wenn wir mit ihnen klagen: „Wir aber hofften, er sei es, der uns erlösen würde.“ Aber nun sieh sie dir doch an – die Welt, die Menschen, die Kirche, die Christen. Da sollen sie von ihren Balkons singen: „Christ ist erstanden, des solln wir alle froh sein“, aber gleichzeitig müssen wir uns abschirmen und verstecken vor einem überall lauernden Kranheit und Tod bringenden Virus.  Da triumphiert ein anderes Osterlied: „O Tod,. wo ist dein Stachel nun?“ Aber die Angst um unser und das unserer Lieben Leben setzt uns von allen Seiten zu.

Und Jesus? Er  empört sich nicht über die beiden und über uns, die es alles doch viel besser wissen und auch machen müssten. Wann hätte Jesus seinen Leuten denn einen Rosengarten versprochen, wann und wo hätte er gesagt: Wer an mich glaubt, der wird unbeschadet leben? Nein, der nehme sein Kreuz auf sich, hat er gesagt. Und dabei bleibt der Auferstandene. So geduldig, wie er dem Thomas seine Nägelmale zeigt und deutlich macht, dass er das Kreuz nicht hinter sich sondern an sich hat, ebenso geduldig erklärt er den beiden, dass Erlösung nicht an Leiden und Kreuz vorbeigeht und Auferstehung Leiden und Kreuz nicht beseitigt. Dass seine Herrlichkeit darin besteht, die Seinen aufzurichten und zu geleiten. „Ist auch dir zur Seite still und unerkannt.“ Das gilt nicht nur für das Christkind zu Weihnachten – das gilt erst recht für den Auferstandenen, der seinen Jüngern geduldig den Kreuzesweg nahebringt auch heute noch.

Er bringt eine auf Leidensfreiheit, Konsum, Spaß und Genuss fixierte Gesellschaft dazu, sich dem  Leiden zu stellen, fürsorglich  miteinander umzugehen und phantasievoll zu werden, wie noch wirksamer geholfen werden kann. Daran zeigt sich, dass Jesus nicht im Grabe geblieben, sondern sehr lebendig unter uns ist. Und das nicht nur spirituell, sondern sehr leibhaftig, die Nöte von Leib und Seele wahrnehmend.

Und dabei bedient er sich nicht des immer schon Bekannten, sondern mutet uns die Begegnung mit Fremdem, Ungewohntem, Neuem zu, das zunächst gar nicht nach ihm aussieht und sich dann doch als seine verhüllte Gegenwart erweist.

Ja, und dann bricht er das Brot mit ihnen, wie er es mit uns bricht – und bis heute gehen Menschen dabei die Augen auf: danken, teilen, geben: das ist typisch Jesus, hier teilt er sich uns ganz unmittelbar mit, wie er ist. Zwar nicht so, dass wir ihn festhalten, vorzeigen, wissenschaftlich untersuchen lassen könnten – dazu ist er zu lebendig. Aber so, dass wir etwas mitbekommen von seinem Leben, und so, dass er uns Zeit schenkt, mitzukommen mit ihm. Amen.

Rengstorf, Rudolf

Superintendent i.R.

Rudolf.Rengstorf@online.de

Insterburger Straße 0 – 31141 Hildesheim

 

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