Was ist real?

Was ist real?

Predigt zu Lukas 24, 36-45 | Verfasst von Thomas-M. Robscheit |

 

Anmerkungen:

 

Der Gottesdienst wird aufgezeichnet über das Internet (ab 12.04.2020; 10:00 unter: https://kirchspiel-kapellendorf.de/ostern-2020-online-gottesdienst-aus-der-martinskirche-in-apolda/) zu sehen sein. Das ermöglicht das Spiel mit real & unreal (wahrscheinlich werde ich im ersten Teil der Predigt plötzlich an der entsprechenden Stelle ausgeblendet werden). Die Osterkerze wird seit vielen Jahren aus Kerzen gegossen, die Menschen in den Gottesdiensten zum Jahreswechsel entzünden können. In dem Videofilm wird das Giesen der Kerze wenn ich darüber spreche, eingeblendet werden

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

 

Was ist real? Sie sehen mich nur auf einem Bildschirm, manche hören mich nur. Bin ich da? Oder ist das alles nur Einbildung? Virtuell? Kann ich überhaupt da sein, wenn Sie mich nur auf einem Bildschirm wahrnehmen? Was ist, wenn Sie mich nicht mehr sehen?

 

Wir Menschen neigen dazu, Dinge nur für real zu halten, wenn wir sie physisch spüren und anfassen können. Das war auch schon in den Zeiten, als die Evangelien aufgeschrieben worden sind, so gewesen. Während Paulus noch von einem Geist-Leib schreibt, ist die Auferstehung bei den Evangelisten etwa 30 Jahre später handfest:

 

Lukas 24, 36-45:

36 Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! 37 Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. 38 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? 39 Seht meine Hände und meine Füße, ich bin’s selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. 40 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße. 41 Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? 42 Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. 43 Und er nahm’s und aß vor ihnen. 44 Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. 45 Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden,

 

Auferstehung zum Anfassen. Lukas erzählt diese Begebenheit unmittelbar nach der Emmausgeschichte, als zwei Männer mit dem auferstandenen Jesus unterwegs waren und ihn nicht erkannten bis er mit ihnen Abendbrot essen wollte. Und dann war er plötzlich weg; jetzt ist er ebenso plötzlich wieder mitten im Raum. Aber handfest, anfass- & spürbar.

Wir brauchen manchmal etwas zum Festhalten, Berühren. Unsere Welt ist oft so eng, dass wir kaum über die Grenzen des offensichtlichen hinausspüren können. Seit gerade mal drei Wochen leben wir weitgehend isoliert, doch es kommt uns vor wie eine Ewigkeit, Urlaubsbilder vom letzten Jahr wirken fast wie aus einer anderen, unechten Welt.

 

Sie erinnern sich an den Beginn des Gottesdienstes. Am Anfang ist die Osterkerze in die Kirche getragen worden. So wie jedes Jahr zum Osterfest. Doch 2020 ist nicht wie jedes Jahr! Ich habe die Kerze in eine fast leere Kirche getragen.

Aber mit dieser Kerze habe ich auch unzählige Wünsche, Gebete, Dankbarkeit und Sorgen in diese Kirche gebracht.

Manch einer von Ihnen erinnert sich an den Jahrewechsel. Als Sie in Großromstedt, Herressen oder Kapellendorf zum Gottesdienst waren, konnten Sie dort alles was Sie bewegt vor Gott bringen. Nicht nur als ein stilles Gebet, sondern auch zum Berühren: eine brennende Kerze auf dem Altar. Plötzlich wird etwas Unfassbares greifbar.

 

Aus diesen Kerzen habe ich in der Passionszeit die Osterkerze gegossen. Ihre Kerzen sind alle in dieser einen Kerze vereint. Das was Sie gehofft oder befürchtet haben, das was Sie an Dankbarkeit gespürt oder ihnen Unruhe bereitet hat, ihre Gebete sind in dieser Osterkerze gereifbar.

Die Kerze wurde von Gerburg verziert und brennt nun in diesem und allen Gottesdiensten der Osterzeit und sie wird in jedem Taufgottesdienst leuchten.

 

Mir kommt das alles unwirklich vor: Ostern, das Fest des Ausbruchs des Lebens und da ausgerechnet sind wir gefangen und hinter Steinen eingesperrt. Wegen der Corona Krise haben wir weitgehende Kontaktsperre, Menschen dürfen nicht zu den Gottesdiensten kommen.

 

Und dennoch feiern wir Ostern, wie auch in den letzten Jahren wird eine brennende Osterkerze in die Kirche getragen. Ich habe sie getragen, angefaßt, gespürt.

 

Aber was ist mit Ihnen? Ist diese Kerze auch für Sie real? Auch wenn Sie sie jetzt nicht berühren können?

Ja, natürlich! So real wie Ihre Hoffnungen & Gebete! Christus ist auferstanden! Das Leben ist stärker als der Tod! Für Lukas um das Jahr 85 herum, so real, dass man den Auferstandenen anfassen kann. Kein Geist, keine Einbildung, sondern bis in die Seele spürbar.

 

Zum Osterfest 2020 spüren wir stärker als in den vergangenen Jahren, das Ostern das Fest der Sehnsucht nach Leben ist. Uns ist deutlich, Leben ist mehr als nur dessen biologische Funktion. Uns reißt es förmlich nach den Spuren und Symbolen des österlichen Lebenssieges: das Licht am Morgen, die wärmende Sonne im Gesicht. Wir lechzten nach dem Leben hinter den Corona-Grabesmauern, saugen die kühle Morgenluft in unsere Lungen und spüren: Leben!

 

Ja, Ostern ist real, auch wenn wir es jetzt nicht begreifen können.

 

Und der Friede Gottes, der größer ist, als all unser Verstand, unsere Vorstellung und unsere Phantasie, der bewahre Eure Herzen und Sinne im lebendigen Christus! Amen

 

 

Th.-M. Robscheit

Pfarrer in Apolda

thm@robscheit.de

 

 

 

 

 

 

 

 

de_DEDeutsch