„Der Mensch Paul Gerhardt“

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„Der Mensch Paul Gerhardt“

Paul Gerhardt, 2007

„Der Mensch Paul Gerhardt“, verfasst von Hermann Ehmer


Der Mensch Paul Gerhardt

Liebe Gemeinde,

Der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Heinz Schlaffer hat vor einigen Jahren (2002) ein Büchlein erscheinen lassen, dem er den Titel „Die kurze Geschichte der deutschen Literatur“ gegeben hat. Der bestimmte Artikel „ Die kurze Geschichte“ ist Programm: kurz ist die Geschichte der deutschen Literatur, weil sie erst mit der deutschen Klassik, mit Goethe und Schiller beginnt. Alles andere, was in der Zeit davor als deutsche Literatur bezeichnet wird, ist Konstruktion, es sind die Vor- und Überbauten der Literaturwissenschaftler, die das Bewußtsein und die Kenntnis dieser alten Texte künstlich am Leben halten.

Schlaffer gibt freilich in einer kurzen Bemerkung zu, daß es sich im Blick auf Religion und Kirche anders verhält. Leider bleibt es bei dieser Bemerkung, er führt diese Erkentnis nicht weiter aus, weil ihn Religion und Kirche nicht interessieren. Hätte er diesen Gedanken weiterverfolgt, würde sein Büchlein anders aussehen, und dieses Ergebnis eines Gelehrtenlebens, als das er sein Büchlein offenbar versteht, wäre nicht so mager ausgefallen.

Eine wichtige Eigenheit der christlichen Kirche – und unserer evangelischen Kirche zumal – ist ja, daß in ihr Texte gebraucht und lebendig gehalten und dadurch von einer Generation zur anderen überliefert werden. Dazu gehört nicht nur die Bibel und innerhalb der Bibel besonders wichtige und zentrale Stellen, sondern auch der Katechismus, das Konfirmandenbüchlein, mit seinen prägnanten Formulierungen. Ganz besonders – und darum soll es heute gehen – gehören zu diesen Texten, die in unserer Kirche seit Jahrhunderten lebendig sind, das Gesangbuch, unsere Kirchenlieder.

Die Geschichte unserer Gesangbücher mannigfach. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hat sich zumindest in unserer württembergischen Kirche ein 50-Jahres-Takt eingestellt, in dem das Gesangbuch erneuert worden ist. Diese Erneuerung wurde jeweils für notwendig gehalten, weil manches im Laufe der Zeit altmodisch erschien und sich auf der anderen Seite Neues geltend machte. Das ist nichts anderes als ein lebendiger Überlieferungsvorgang, denn die Gesangbuchlieder werden gebraucht, sie werden gesungen, gelesen, gebetet, auswendig gelernt, behalten und weitergegeben. Es handelt sich nicht um tote Überlieferung, die in den Bibliotheken ruht, bis Wissenschaftler sie entdecken und – mit mehr oder weniger Erfolg – darauf aufmerksam machen. Im Gesangbuch ist die Glaubenserfahrung von Generationen in Worte gefaßt. Diese Worte bewähren sich – oder auch nicht. Deshalb wird das, was sich bewährt hat und bewährt, auch überliefert und weitergegeben.

Neben den Liedern Martin Luthers gehören die von Paul Gerhardt zum Grundbestand unserer Gesangbücher, der die Jahrhunderte überdauert hat. Es soll also heute darum gehen, Leben und Werk von Paul Gerhardt nachzugehen und danach zu fragen, was die Zeitlosigkeit seiner Dichtung ausmacht, daß sich ihre Aussagen trotz aller Zeitgebundenheit bis zum heutigen Tage bewähren.

Eine Darstellung des Lebens von Paul Gerhardt begegnet der Schwierigkeit, daß weite Strecken seines Lebensgangs in Dunkel gehüllt sind. Einer seiner Biographen hat geklagt, das Leben Gerhardts zu beschreiben, sei wie wenn man aus Mauerrissen und fehlenden Balken ein Haus bauen wollte. Dieses Fehlen von Nachrichten über Paul Gerhardt hat sicher mit den Zeitumständen zu tun, hat aber gewiß noch andere Ursachen.

Paul Gerhardt ist Sachse, ein Landsmann Luthers also. Er wurde vor 400 Jahren, am 12. März 1607 in Gräfenhainichen bei Wittenberg als Sohn eines Bauern und Gastwirts geboren. Die Mutter kam aus einer Pfarrersfamilie. Schon als Jugendlicher verlor Gerhardt seine Eltern und kam 1622 auf die Fürstenschule nach Grimma. Es handelt sich hier um eine Internatsschule, deren Besuch ein Stipendium darstellte, ähnlich wie unsere württembergischen Klosterschulen und Seminare. In Grimma hat Gerhardt seine gymnasiale Ausbildung erhalten.

1628 begann Paul Gerhardt mit dem Studium der Theologie in Wittenberg. Der Wittenberger Universität verdankt Gerhardt eine gründliche theologische Schulung mit eindeutiger lutherischer Ausrichtung. Von seiner Einschreibung in Wittenberg an verliert sich jedoch seine Spur. In eben jenen Jahren wurde Sachsen ganz besonders in den Strudel des Dreißigjährigen Kriegs hineingezogen und wegen der schwankenden Politik des Kurfürsten schließlich von beiden Parteien verwüstet. Auch Gerhardts Heimatort Gräfenhainichen wurde zerstört. Die überlebenden Einwohner flüchteten hinter die schützenden Mauern der Stadt Wittenberg. Diesem Umstand verdanken wir ein Lebenszeichen von Paul Gerhardt. Er war 1641 Pate bei einem Kind, dessen Eltern aus Gräfenhainichen kamen. Gerhardt wird hier immer noch als „studiosus“ bezeichnet. Ist er ein Langzeitstudent im 26. Semester? Wie hat er seinen Lebensunterhalt gefristet? Diese Fragen sind nicht zu beantworten.

1643, also zwei Jahre später, wird in Berlin ein Gedicht von Gerhardt veröffentlicht, sein erstes deutsches Gedicht, das wir kennen. Es ist ein sogenanntes Gelegenheitsgedicht, das in einer Sammlung ähnlicher Gedichte erschien, die zu einer Hochzeit in der Familie des Berliner Juristen Berthold angefertigt wurden. Das ist nun Gerhardts erste Verbindung zu Berlin, doch läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, seit wann er dort geweilt hat. Immerhin ließ 1647 der Berliner Kantor und Gymnasiallehrer Johann Crüger eine Sammlung geistlicher Gesänge erscheinen, die nicht weniger als 18 Lieder von Gerhardt enthält. Man hat angenommen, daß Gerhardt in der Familie des Juristen Berthold als Hauslehrer gedient hat, doch ist dies ungewiß, ebenso wie der Grund, weshalb er aus seiner Heimat, dem Kurfürstentum Sachsen, ins Kurfürstentum Brandenburg umgezogen ist.

1651 stellte die lutherische Geistlichkeit in Berlin dem Kandidaten der Theologie Paul Gerhardt ein Zeugnis aus, das ihn für das Amt eines Propstes in Mittenwalde, unweit von Berlin, empfahl. Gerhardt bekam die Stelle und ist somit als 44jähriger erstmals in ein festes Amt eingetreten. Überdies war das Amt als Propst oder erster Pfarrer in Mittenwalde zugleich ein Leitungsamt, da ihm auch die umliegenden Landpfarreien unterstellt waren.

Es war sonst die Regel, sich unmittelbar bei Antritt eines festen Amts zu verheiraten. Auch in dieser Beziehung hat Gerhardt zugewartet: erst 1655 verheiratete er sich mit Anna Maria Berthold, einer Tochter aus dem Hause, in dem er 1651 in Berlin weilte. Von den fünf Kindern, die dem Ehepaar geboren wurden, hat nur der Sohn Paul Friedrich die Eltern überlebt.

Sechs Jahre lang wirkte Paul Gerhardt als Pfarrer in Mittenwalde. 1657 wurde er als Diakonus an St. Nikolai in Berlin berufen. Die Nikolaikirche ist heute noch – aufs Beste hergerichtet – in Berlin zu sehen, unweit vom Dom, dem Alexanderplatz und dem ehemaligen Palast der Republik. Es ist aber nicht viel mehr als die Kirche, die an das Berlin von damals erinnert, das gegen 10.000 Einwohner gehabt haben dürfte. Gleichwohl war es für Gerhardt ein beruflicher Aufstieg, eine Stelle in der Residenzstadt zu bekommen.

In die Berliner Zeit fallen aber auch die größten Schwierigkeiten, die Gerhardt mit seinem Landesherrn bekam. Die brandenburgischen Hohenzollern waren 1613 zum reformierten Bekenntnis übergetreten. Die Hohenzollern standen mit diesem Schritt nicht allein. Das calvinistische Bekenntnis, das sich nicht nur in der Abendmahlslehre vom lutherischen unterschied, besaß damals für manche Regierenden eine hohe Attraktivität. In Berlin gab es fortan Kirchen beider evangelischer Konfessionen. Der damalige Kurfürst, der als der „große Kurfürst“ in die Geschichte eingegangen ist, wollte noch einen Schritt weitergehen und beide Bekenntnisse vereinigen. Man hat das gerne als Akt der Toleranz des Fürsten verstehen wollen, doch ging es diesem gewiß auch um eine Festigung seiner Herrschaft, zu der auch eine einheitliche Kirche gehören sollte. Zudem hat es wohl wenig mit Toleranz zu tun, daß der Kurfürst versuchte, mit Zwang diese Einheitlichkeit herzustellen.

Paul Gerhardt vertrat mit seinen Kollegen die lutherische Seite. Wegen dieser eindeutigen Stellungnahme wurde Gerhardt 1666 aus seinem Amt entlassen, aber aufgrund zahlreicher Fürbitten aus der Gemeinde im folgenden Jahr wieder eingesetzt. Kurfürst Friedrich Wilhelm erwartete von Gerhardt, daß er sich den Verordnungen stillschweigend beugen würde, ohne diese – wie ursprünglich gefordert – schriftlich anerkennen zu müssen. Aber ein solches Versprechen hielt Gerhardt für unvereinbar mit seinem Gewissen. Beim Antritt seines Amtes hatte er sich auf das lutherische Bekenntnis verpflichtet und wollte auch dabei bleiben. Er gab deshalb sein Amt auf, konnte aber vorerst noch Gehalt und Amtswohnung behalten.

Dieser Vorgang ist für uns heute zweifellos derjenige, der uns am wenigsten verständlich ist. Die innerreformatorischen Bekenntnisunterschiede sind uns fern gerückt. Doch hatte gerade die lutherische Lehre das Gewissen in den Vordergrund gestellt. Für Gerhardt war es daher um seines Gewissens willen wichtiger, bei seinem Bekenntnis zu bleiben als in seinem Amt. In dieser Zeit fehlte es auch nicht an persönlichen Schicksalsschlägen. Seine Frau starb 1668, Gerhardt blieb allein mit seinem einzigen überlebenden Sohn zurück.

Im selben Jahr 1668 erreichte ihn eine Anfrage aus Lübben im Spreewald, wo die Stelle des ersten Pfarrers frei war. Lübben gehörte zur sächsischen Lausitz, lag also außerhalb der Mark Brandenburg. Gerhardt nahm die Stelle an und zog von der Residenzstadt in die Provinzstadt. In Lübben starb Gerhardt am 27. Mai 1676.

Paul Gerhardt ist ein Barockdichter. Gleichwohl hat er mit dem Literaturbetrieb seiner Zeit nichts zu tun gehabt. Dieser Literaturbetrieb war organisiert in Gesellschaften, wie der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ und anderen, deren Mitglieder sich gegenseitig ihrer Bedeutung versicherten. Das war Gerhardts Sache nicht. Dies ist aber auch ein Grund dafür, daß wir über sein Leben so wenig wissen. Er war offenbar jemand, der sich zurücknahm und seine Person hinter seinem Werk und seiner Aufgabe zurückstellte.

Das dichterische Schaffen von Paul Gerhardt konzentriert sich auf zwei Jahrzehnte, auf die Zeit in Mittenwalde und Berlin, also von seinem vierzigsten bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr. In seine letzten Lebensjahre fällt die Veröffentlichung seiner Lieder in zehn Heften zu je einem Dutzend Lieder mit Melodien des Berliner Komponisten Johann Georg Ebeling. Der Titel dieser Sammlung heißt „Geistliche Andachten“. Damit verknüpft sich diese Ausgabe mit der ersten von Johann Crüger aus dem Jahre 1647, die bereits 18 Lieder von Paul Gerhardt enthielt und den lateinischen Titel führt „Praxis Pietatis melica“. Der Untertitel hatte dies übersetzt mit „Übung der Gottseligkeit in Gesängen“. Gemeint ist damit nichts anderes als geistlich-musikalische Andacht. Das heißt, daß diese Lieder nicht nur für den gottesdienstlichen Gemeindegesang zu gebrauchen waren, sondern ebenso für den „Privat-Gottesdienst“, als Mittel der persönlichen Frömmigkeit.

Grundlegend dafür ist, daß der Leser oder Sänger der Lieder von Paul Gerhardt gewissermaßen in das Lied hineingenommen wird, in der Weise, daß er eins wird mit dem Dichter und mit ihm singen kann:

Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu, du mein Leben,
ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.

Hier wird schon im ersten Vers der Leser, Sänger oder Beter dieses Lieds Teil des weihnachtlichen Geschehens, er steht selber vor der Krippe und nimmt wahr, was hier geschieht: die Menschwerdung Gottes, nicht nur für die Menschheit an sich, sondern „für mich“ – „was du mir hast gegeben“. Dieses „für mich“ zieht sich durch die Lieder durch, mit denen Paul Gerhardt die Heilsgeschichte besingt.

O Welt, sieh hier den Leben
am Stamm des Kreuzes schweben,
dein Heil sinkt in den Tod.

So heißt es in Gerhardts Karfreitagslied. Die Frage nach dem „warum“ wird wiederum mit dem „für mich“ beantwortet:

Ich, ich und meine Sünden,
die sich wie Körnlein finden
des Sandes an dem Meer,
die haben dir erreget
das Elend das dich schläget,
und deiner schweren Martern Heer.

Nicht anders verhält es sich aber auch mit Gerhardts österlichem Jubelgesang, der zunächst eine Selbstermunterung ist:

Auf, auf, mein Herz, mit Freuden
nimm wahr, was heut geschicht;
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht!

Die letzten drei Verse dieses Liedes bringen wieder das „für mich“ zum Ausdruck:

Ich hang und bleib auch hangen
an Christus als ein Glied …
dann:
Er dringt zum Saal der Ehren,
ich folg ihm immer nach …
und zuletzt:
Er bringt mich an die Pforten,
die in den Himmel führt …

Doch nicht nur diese heilsgeschichtlichen Lieder zeigen Paul Gerhardt als lutherischen Theologen, der gelernt hat, worum es geht. Auch ein zunächst nur barock anmutender Jubelklang, wie „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ist theologisch gefüllt. Nachdem über sieben Verse liebevoll die Sommerzeit beschrieben wurde, von der „schönen Gärten Zier“ über die Glucke, die ihr „Völklein“ ausführt, und den Weizen, der „mit Gewalt“ aufwächst, ist zunächst jeder von uns eingeladen, sich mit dem Dichter zu identifizieren:

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Nach diesem Lobpreis des Schöpfers in der Schöpfung kommt ein Umschwung, den wir nur viel zu selten wahrnehmen, weil uns nach den ersten acht Versen des Liedes die Luft ausgegangen ist, und die zweite Hälfte in der Regel ungesungen bleibt. Es lohnt sich aber, diese auch wahrzunehmen. Wiederum ist es das „Ich“, das hier zur Sprache kommt:

Ach, denk ich, bist du hier so schön
und läßt du’s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden.

Hier wird nun der Schluß vom Kleinen zum Großen, von der diesseitigen zur jenseitigen Welt gemacht: wenn es hier auf der Welt so schön sein kann – aber beileibe nicht immer ist – um wieviel schöner muß Gottes Wirklichkeit sein, die der Barockdichter Gerhardt mit den ihm gemäßen Ausdrücken bezeichnet, dem „reichen Himmelszelt“ und „güldnen Schlosse“.

Aber auch hier zeigt sich Gerhardt wieder als solider lutherischer Theologe. Er hört jetzt nicht mit himmlischen Jubelklängen auf, wie man es eigentlich auch machen könnte. Gleichwohl seufzt er noch:

O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen;
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

Noch ist es aber nicht so weit. Unser Dasein auf dieser Welt hat seine eigene Würde und seine eigene Qualität. Es ist der „Sommer deiner Gnad“. Das menschliche Leben wird hier verstanden als die Zeit der göttlichen Gnade, die Früchte des Glaubens hervorbringt. Aus der so anschaulich beschriebenen Sommerzeit mit „Narzissus“ und „Tulipan“ ist ein geistliches Sinnbild geworden.

Auch dies ist eine barocke Eigenart, nämlich Vorfindliches und Alltägliches auf einen tieferen, einen geistlichen Sinn zu befragen. Ganz deutlich wird das bei dem Abendlied

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
es schläft die ganze Welt.

Dieser Feststellung wird dann gleich eine Selbstermunterung angeschlossen:

ihr aber, meine Sinnen,
auf, auf, ihr sollt beginnen,
was eurem Schöpfer wohlgefällt.

Was ist es nun, was die Sinne des Dichters und die seines Lesers beginnen sollen? Es ist eine Betrachtung über etwas Alltägliches, nämlich daß der Tag zu Ende gegangen ist, daß aber dieser Vorgang ein Sinnbild ist für das menschliche Leben.

Der Leib eilt nun zur Ruhe,
legt ab das Kleid und Schuhe,
das Bild der Sterblichkeit;
die zieh ich aus, dagegen
wird Christus mir anlegen
den Rock der Ehr und Herrlichkeit.

Man könnte so fortfahren und in dieser Weise alle 30 Lieder von Paul Gerhardt in unserem Gesangbuch betrachten. Es mag bei diesen Beispielen für heute sein Bewenden haben.

Zuletzt noch die Frage, was es nun eigentlich ist, das die Lieder Paul Gerhardts lebendig und frisch gehalten hat? Wir haben hier die Glaubenserfahrung eines Menschen, der es verstand, diese mit den Mitteln seiner Zeit in Worte zu fassen. Doch haben die Lieder Gerhardts nichts Individuelles, obwohl man schon versucht hat, einzelne Stellen auf Lebenssituationen des Dichters zu deuten. Er hat seine Glaubenserfahrung auf eine solche Weise in Worte gefaßt, daß sich seitdem Menschen immer wieder und immer aufs Neue von ihm verstanden wußten, Tröstung und Hilfe fanden. Es sind Worte eines Menschen, die sich in vielen Feuern der Anfechtung bewährt haben und deswegen auf uns gekommen sind.
Amen.


Dr. Hermann Ehmer
Kirchenoberarchivdirektor
Stuttgart
Hermann.Ehmer@ELK-WUE.DE

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