Befiehl du deine Wege (EG 361)

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Befiehl du deine Wege (EG 361)

Predigtreihe: Paul Gerhardt, 2007

„Befiehl du deine Wege“ (EG 361), verfasst von Ulrich Fick


Befiehl du deine Wege (EG 361)

Vor der Predigt die Verse 1-7

TEIL 1

Für einen Augenblick, liebe Gemeinde, möchte ich Sie mitnehmen an eine Straßenkreuzung in der Provinz Calabar in der Nähe der Küste von Nigeria. Ich hatte einen großen alten Mann der nigerianischen Kirche in seinem Heimatort besucht und sollte nun an dieser Kreuzung von einem Mitarbeiter der Bibelgesellschaft zu meiner nächsten Station mitgenommen werden. Er war noch nicht da – Zeit ist in Afrika etwas Dehnbares. Also schaute ich mich um: der Treffpunkt war mitten im Busch, ein paar Palmen, Hütten im tropischen Grün versteckt. Neugierig, wie ich bin, folgte ich dem nächsten Trampelpfad. Vor der ersten Hütte standen zwei lebensgroße Ahnenfiguren, ein Mann und eine Frau. Früher waren solche Figuren aus Holz, heute sind sie aus Beton. Sie gewährleisten die bleibende Gegenwart der Vorfahren, sie schützen den begrenzten Lebensraum der Familie. Bei Festen stellt man ihnen Essen und Becher mit Palmwein hin.

Nach einem Blick zurück auf die Straße – der Wagen war noch nicht da – ging ich weiter. Es war eine kleine Moschee, die auftauchte. Kein Minarett, ein Wellblechdach, Gefäße für die Reinigung vor dem Freitagsgebet. Leute aus dem moslemischen Norden Nigerias mussten sie gebaut haben. Hier wurde Allah verehrt, angerufen in der Sprache, in der er sich dem Propheten Mohammed offenbart hatte, im klassischen Arabisch des Korans, – er ‚ der universale eine Gott, Schöpfer und Lenker des Weltalls, der über die Geschicke der Menschen längst schon entschieden hatte.

Und ein paar hundert Meter weiter kam ich an eine Kirche. Schilfdach, Holzbänke, ein Altar. Hier hörten Menschen die Botschaft, die Jesus verkündet hatte, und sprachen in ihrer eigenen Sprache zu ihrem Vater im Himmel.

Auf diesem kurzen Weg begriff ich, welche unerhörten Gegensätze unser christlicher Glaube miteinander verbindet. Er ist mein Gott, mir persönlich nah, und er ist zugleich der universale Gott, „der Wolken. Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da mein Fuß gehen kann“.

Er ist für mich nicht zu gross- und ich bin für ihn nicht zu klein. Paul Gerhardt hat eine der abenteuerlichsten Überzeugungen der Christen am Anfang seines Chorals in Worte gefasst. Wie verwegen das ist, die Wege der Wolken und die Wege meines Fußes so zusammenzusehen, fällt uns kaum noch auf, dazu sind diese Verszeilen uns zu bekannt.

Unser evangelischer Katechismus spricht das klar aus: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“ heißt es in der Erklärung zum ersten Glaubensartikel. Und auch der neue katholische Katechismus hält das zusammen, – mich und die ganze Schöpfung: „Der Mensch ist erschaffen, um Gott zu erkennen, ihm zu dienen und ihn zu lieben, um ihm in dieser Welt die ganze Schöpfung darzubringen.“ (Artikel 67).

Bei den meisten Menschen fällt das jedoch auseinander: entweder baut ihnen ihre Religion eine kleine persönliche Insel des Schutzes (so wie die Ahnenfiguren vor der nigerianischen Hütte es tun), oder Gott ist für sie, wenn überhaupt, eine weit entrückte, Jenseitige und unzugängliche Macht, die ich mit meinen persönlichen Anliegen besser nicht behellige. Entweder – oder. Entweder persönlich oder kosmisch. Wir dagegen wagen es, das zusammenzudenken: meinen Weg und den Gang der Gestirne. meine minimale Zeitspanne und die Lichtjahre, – alles in einer Regie! Das ist verwegen, das zu denken verlangt Mut. Aber um weniger geht es nicht in unserem Glauben. Ferner und näher, größer und kleiner zugleich dürfen wir uns Gott nicht vorstellen. Denn Jesus sagt: „Du kannst darauf vertrauen, dass dieser große Gott dich kennt und für dich sorgt und dir helfen kann, will und wird.“

Vertrauen: das ist das große Thema dieses ganzen Liedes. Das sollen wir lernen. „Dem Herren musst du trauen.“ Aber wie soll das gehen, wenn Probleme sich vor mir auftürmen?

Eine Frau sagt zu mir: „Ich kann nicht mehr schlafen. Meine Tochter ist krank, ein Tumor. Sie muss operiert werden. Jetzt ist ihr Mann von ihr und den Kindern weggegangen. Ich muss helfen. Aber ich wie? nicht, wie ich das schaffe, und was alles noch auf uns zukommt. Jede Nacht liege ich wach. „Sorgen“. „Grämen“. Wir älteren, wir alten Menschen wissen, wie es ist, wenn man nicht einschlafen kann oder mitten in der Nacht aufwacht und nicht mehr in den Schlaf zurückfindet. Selbst ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden werdet das kennen: eine Klassenarbeit, die vor einem steht wie ein Berg, ein Konflikt, man hat etwas gesagt, das nicht stimmt, wie lässt sich das einrenken – und dann noch die sprichwörtliche „selbsteigne Pein“, jene Schwierigkeiten, die ich mir selbst zusammengesteckt und zurechtgemacht habe durch meine Empfindlichkeit und mangelnde Einsicht.

Gottvertrauen setzt ein mit dem kühnen Gedanken, dass Gott wie? und sieht, wie es mir geht. Das ist etwas anderes als das Zugeständnis, es müsse schon so etwas wie eine überirdische Intelligenz geben, es müsse ja nach einem vernünftigen Plan alles so eingerichtet sein, dass die Gestirne umeinander kreisen und dass auch für kritische Wissenschaftler eine Ordnung des Weltalls zu erkennen ist! Selbst Adolf Hitler, dessen beherrschender Gedanke der Wille zur Macht war, hat mit „der Vorsehung“ gerechnet. So in der Rede nach dem Attentat vom 2o. Juli 1944. Dass er das überlebt hatte, schrieb er einer überirdischen Macht zu, die ihn dazu bestimmt habe, sein Werk zu vollenden.

Solchen religiösen Entwürfen gegenüber klingt es naiv, wenn wir uns hier sagen lassen: „Was aus dir wird und wie es weitergeht, liegt nicht an dir, sondern“: „Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken“.

Was für ein Bild! Die „Höhle“: da sitzen wir im Dunkeln, im Loch einer Depression, mutlos, niedergeschlagen. Aber Vorsicht! Diese Stimmung ist die Kehrseite des Selbstvertrauens, das sagt: „Das schaff ich schon, da komm ich raus, das muss ich aussitzen. Ich muss das machen. Ich bin der Schmied meines Glücks. Schließlich hängt doch alles von mir ab, –oder?“

Einer unserer deutschen evangelischen Bischöfe erzählte mir einmal, wie er bei einem Neujahrsempfang seinem Ministerpräsidenten begegnet sei, der – ein guter evangelischer Chris – mitten in einer schweren Krise seiner Partei steckte. Das war ihm anzumerken. Statt einer der üblichen Neujahrsfloskeln sagte der Bischof zu ihm: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll“, und die Sorgenschatten auf dem Gesicht des Politikers hellten sich auf: er kannte den Choral und wie dieser Satz weitergeht.

Es ist Bescheidenheit, was wir in der Schule Paul Gerhardts mit seinem Lied lernen. Zum Gottvertrauen gehört, dass wir selbst uns nicht alles zutrauen. Aber nun lassen Sie uns drei weitere Verse unseres Chorals singen denn die führen uns zu weiteren Lektionen in dieser Schule des Gottvertrauens, die für uns Menschen von heute wichtig sind.

Verse 8 bis 1 des Liedes.

Predigt Teil II

Vor Jahren rief nach einem „Geistlichen Wort“ im Rundfunk ein Hörerin an. „Sie haben über das Beten gesprochen“, sagte er. „Ich muss Ihnen sagen, wie es mir gegangen ist. Ich habe in den letzten Jahrzehnten mein Geschäft aufgebaut, einen soliden Familienbetrieb. Dann interessierte sich ein Riesenunternehmen meiner Branche für ein Baugelände an unserem Ort. Ich wusste, dass ich gegen diese Kette keine Chance hatte, was Preise und was Service anging. Ich bin sonst kein Mensch, der betet. Aber da habe ich darum gebetet, dass sie diesen Platz nicht bekommen. Wissen Sie, was geschehen ist? Sie haben gebaut und eröffnet. Ich habe verkauft und geschlossen. Gott hat meine Bitte nicht erhört. Beten kann jetzt nicht mehr“.

Das ist sicher kein Einzelfall, liebe Gemeinde. Es gibt gewiss viele Leute, die Gott ernsthaft um etwas gebeten haben, und ihre Bitte wurde nicht erfüllt. Hinter der Enttäuschung, die sie erleben, steht oft die Erwartung, die sagt: Wenn ich Gott schon um etwas bitte, dann wird er das doch auch tun. Gleich, Bald, Die Zeit spielt dabei oft eine große Rolle, die ich Gott für die Erfüllung gebe, – ich würde ja nicht bitten, wenn es nicht dringend wäre! Das ist, wie wenn ich mein Gebet einwerfe wie in einen Automaten, dann rattert und summt es eine Zeit lang, aber nicht lange, und dann fällt heraus, was ich mir gewünscht habe. Vor dem Missverständnis eines solchen „Automatismus“ will unser Lied uns warnen.

„Er wird zwar eine Weile mit seinem Trost verziehn“, haben wir im 9. Vers gesungen, und dann sieht es so aus, „als frag er nicht nach dir“. Dabei haben wir es eilig. Unser Problem wird mit der Zeit ja nicht kleiner, Warten können wir nicht. Soforthilfe. „Instant-Erhörung“, das ist’s, was wir erwarten.

Hier stoßen wir auf etwas, das zum christlichen Glauben gehört, und was wir oft ignorieren. Zum Glauben gehört Hoffen, und zum Hoffen gehört Geduld. Das hat der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom unauflösbar zusammengebunden,- nachzulesen im 5. Kapitel in der Versen 3-5. Aber Sie haben jetzt noch ihr Gesangbuch (Ausgabe Württemberg) aufgeschlagen, und das enthält auf den Seiten, wo die Verse 6 bis l0 stehen, ein Wort des Dichters Hermann Hesse – genau zu dem wichtigen und schwierigen Begriff, um den er hier geht:

Geduld ist das Schwerste und das Einzige, was zu lernen sich lohnt. Alle Natur, alles Wachstum, aller Friede, alles Gedeihen und Schöne in der Welt beruht auf Geduld, braucht Zeit, braucht Stille, braucht Vertrauen“. Das Vaterunser können die meisten von uns noch auswendig sprechen; bei Trauungen oder Trauerfeiern wundere ich mich manchmal darüber wie viele es noch sind –, aber über die Bitte „Dein Wille geschehe“ denken wir in der Regel gern hinweg. Auch das flehendlichste Gebet kann gegen Gottes Willen kein Veto einlegen, so wie ein „Nein“ im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auch das notwendigste und vernünftigste Votum zu Fall bringen kann. Nein, mit dieser Bitte des Vaterunsers ordnen wir unsere Bitten dem Willen Gottes unter. Das hat Jesus selbst lernen müssen, als er vor seiner Festnahme angesichts eines grausamen Todes seinen Vater bat, doch einen anderen Weg zur Rettung der Menschheit mit ihm einzuschlagen: „Mein Vater, ist’s möglich..? (Matthäus 26,39)- „doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“.

Ob unsere Gebete gleich oder später oder gar nicht erfüllt werden, unser Vertrauen auf Gott muss daran nicht zerbrechen. Denn wir können in jedem Fall gewiss sein, dass Gott es gut mit uns meint. Gerade darum kann er uns die Erfüllung einer Bitte verweigern.

Noch haben wir vor uns die beiden letzten Verse unseres Liedes. Die werden wir gleich singen und können dabei spüren, dass auch sie uns ein paar Schritte weiterbringen.

Da ist nun nicht mehr von unseren jetzigen Nöten die Rede, in denen Gott uns nicht allein lässt, sondern sie sprechen vom Himmel, auf den unsere Wege zugehen. Lassen Sie uns bei dem Wort „Himmel“ bitte nicht an die bauschigen Wattewölkchen denken, nicht an die Engel in den weißen Nachthemden und die Harfentöne, mit denen uns manche Fernseh-Werbespots uns den Himmel verkaufsfördernd ausmalen! Das Evangelium spricht von viel mehr: von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, die Gott am Ende der Zeit schaffen wird, und die sich vorzustellen keine irdische Phantasie ausreicht.

Es genügt, wenn wir glaubend festhalten, dass mit unserer kurzen Lebensspanne und der etwas längeren Lebensspanne der Erde Gottes Kraft und sein Wille, Neues zu schaffen, nicht zu Ende sind. Ja, so weit soll unser Gottvertrauen reichen! Was auf uns wartet, ist nicht bloß die Befreiung aus unseren Höhlen, nicht bloß die Beseitigung unserer Probleme, sondern eine neue Welt, in der es kein Leid mehr gibt, sondern für mich und für alles nur noch Freude. Auf diesen Ton der Freude läuft unser Lied hinaus, und der ist es, den wir hören und in den wir einstimmen sollen – schon jetzt – und dann immer.

Amen.

Verse 11 und 12 singen


Oberkirchenrat i.R. Dr Ulrich Fick
H.-Rorbeck-Weg 19
73614 Schorndorf

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