Der Traum von der einfachen Wahrheit

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Der Traum von der einfachen Wahrheit

Johannes 14,15-21 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Jens Torkild Bak | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

Es ist kein Geheimnis, dass der christliche Gottesbegriff komplizierter ist als der Gottesbegriff, den so viele andre Religionen aufweisen.

Das ist eine immer wiederkehrende Herausforderung für den Konfirmandenunterricht. Wie soll man erklären, dass Gott einer ist, der ewig einzige wahre Gott, und doch – denkt man an die drei Artikel des Glaubensbekenntnisses – als drei verschiedene Personen aufzufassen ist mit drei unterschiedlichen Namen, die in je ihre Richtung weisen: Vater, Sohn und Heiliger Geist?

Der Heilige Geist, der Geist von Pfingsten, stellt wohl ein eigenes Erklärungsproblem dar. Denn was ist Heiliger Geist? Es mag schon schwer genug sein, sich darüber zu einigen, was Geist in einer materialistischen Zeit ist. Aber ganz schwierig wird es erst, wenn man erklären soll, dass der Vater derselbe ist wie sein Sohn. Im Vergleich zu diesen Herausforderungen können sich die anderen sogenannten Religionen Abrahams, der Islam und das Judentum, damit rühmen, dass sie ein einfacheres Gottesbild haben.

Aber Einfachheit in der Vorstellung von Gott und im alltäglichen Ausdruck des Gottesglaubens können wir auch im Christentum finden – in den volkstümlichen Erzählungen, mündlichen wie schriftlichen. Hier finden sich nicht dieselben intellektuellen Umschweife. Ein Beispiel: Als König Valdemar nach seinem heftigen Ritt in das Zimmer der Königin in der Burg von Ribe tritt und König Dagmar sieht, wie sie im Sterben liegt in den Armen der „kleinen Kirsten“, ruft er so die Überlieferung einer Volksweise: Herr Gott Vater im Himmelreich, rette mich von diesem Leid! So wie er auch, als er Stunden zuvor auf der Gullandsburg die schreckliche Nachricht vom Zustand der Königin erhielt, rief: Das verbiete Gott im Himmelreich, dass Dagmar so jung sterben soll!

Der Gott, zu dem Valdemar hier in seiner Angst betet, ist sozusagen der klassische Gott, der den Gang der Welt bestimmt und über Tod und Leben bestimmt, aber vor allem ist es ein Gott, von dem wir wissen, wo er ist. Wir kennen die Adresse: Er ist immer im Himmelreich zu finden. Er geht nicht eine Zeitlang auf der Erde umher in der Gestalt des Sohnes und stiftet Streit mit seinen radikalen Ansichten, und er hinterlässt auf Erden auch nicht seinen Geist, den Geist der Wahrheit, an dem Tag, wo er ansonsten behauptet, die Erde zu verlassen.

Dieselbe Einfachheit oder, wenn man so will, Einfalt findet man auch in den Morgen- und Abendliedern des dänischen Liederdichters Ingemanns, und – neben den Melodien des Komponisten Weyse – ist dies wohl der Grund dafür, dass sie so populär sind. Auch wenn Ingemann sehr wohl weiß, dass der christliche Gott nicht nur im Himmelreich ist, sondern auch Mensch wurde in Jesus von Nazareth. Denn wie es in Nun grüßen sich die Blümlein heißt: Gotts Sohn war selbst ein Kind, und auf Heu und Stroh er lag, ihn schaukelte auf Erden keine Wiege[1]…. Und in der Tat, erklärt Ingemann in demselben Lied, allein weil Gott selbst auf Erden ein Kind war und sich damit im buchstäblichen Sinne in unsere Welt eingelebt hat, kennt er unsere Verhältnisse.  Es ist überhaupt von der Erfahrung her, dass er weiß, was wir brauchen, und sich unser annimmt und tröstet: Gott haucht auf die Augen, wenn sie weinen …. sagt Ingemann.

Aber urteilt selbst! Hier stehen wir nun vielleicht – bei Ingemann! – plötzlich mit der einfachsten und schönsten Beschreibung dessen, was man unter dem Wirken des Heiligen Geistes zu verstehen hat: Gott haucht auf die Augen, wenn sie weinen …

Wir haben als Christen nicht nur – und nicht in erster Linie – einen fernen Gott im Himmelreich, der alles regiert und kontrolliert. Wir haben vielmehr einen nahen Gott (diesen Geist der Liebe oder den Tröster, wie ihn der Evangelist Johannes nennt), der sich unserer annimmt, tröstet und uns wieder aufrichtet. Auf das weinende Auge haucht. Dieser Gott ist es, dem wir im Evangelium begegnen, im Gebet, in den Liedern und der Gemeinschaft des Glaubens.

Man soll sich davor hüten, die Dinge komplizierter zu machen als sie sind. Wenn es um eine verständliche Weitergabe des Zentrums im christlichen Glauben geht, kann noch viel dazugelernt werden. Jeder neue Ingemann, der ganz wie dieser direkt die Herzen ansprechen kann, ist in der Volkskirche willkommen. Grundtvig, unser großer Liederdichter von Ostern und Pfingsten, war da angeblich neidisch gegenüber Ingemann und seinen diesbezüglichen Fähigkeiten. Zugleich aber ist der Traum von der Einfachheit mit einer Gefahr verbunden. Jeder kann sich selbst sagen, dass man mit einfachen Gottesvorstellungen in einer komplizierten Welt vorsichtig sein muss. Denn wann wird die Überzeugung, dass die Wahrheit von Gott einfach ist, zu der Überzeugung, dass ich die einfache göttliche Wahrheit habe und dazu berufen bin, die zu bekriegen, die sie nicht haben und in ihrem Unverstand gegen Gott stehen? Wir sind in Europa in dieser Hinsicht durch Erfahrungen belastet.

Ein denkwürdiges Beispiel dafür, wie verhängnisvoll der Traum von der Einfachheit werden kann, ist das Beispiel des theologischen Chefideologen der deutschen Nazizeit Reichsbischof Ludwig Müller. In dem Buch „Was ist positives Christentum“ aus dem Jahre 1939 spricht er von der Sehnsucht des Volkes nach einem einfachen Gott, der nicht durch komplizierte dogmatische Vorstellungen belastet ist, die nur dazu geführt haben, behauptet er, dass moderne Menschen der Kirche und ihrer Botschaft entfremdet wurden. Das Volk hungert nach einer klaren Gottesverkündigung, die den einzelnen innerlich befreit und stark macht, so dass er nicht verzweifelt, sondern sich aus ganzem Herzen über das Leben freut und über jede Not und Verbitterung sein ganzes gläubiges Vertrauen auf den einen Gott setzt.

Der Titel des Buches: „Was ist positives Christentum?“ ist nicht zufällig. Ludwig Müller ruft dazu auf, sich auf das Positive und Erbauliche im Christentum zu konzentrieren und das Reden von Sünde und der Versöhnung Christi zu vermeiden, das den Menschen nichts sagt, sie vielmehr in die falsche Richtung weist. Seine Pointe ist, dass es dem deutschen Volk wieder etwas zu sagen hat, in die Kirche zu gehen. Wenn sich das deutsche Volk in der Kirche nicht fremd fühlen soll, soll es in der Kirche einen Nachklang des zu jeder Zeit herrschenden Volksgeistes erleben. Gott ist der reine Geist, sagt Ludwig Müller, und in der gegenwärtigen Phase der Geschichte zeigt sich Gott im Geist des Nationalsozialismus, um den sich die ganze Kirche deshalb sammeln muss und zu dem sie loyal stehen soll. Auch im Jahre 2020 erleben wir in der ganzen Welt Tendenzen, einfache Wahrheiten zu finden, einfache Antworten auf komplizierte Fragen (wie z.B. das Entstehen der Korona-Krise), und das Ergebnis ist stets Hass und das Entstehen von Feindbildern.

Wenn die lutherische Kirche in Europa in der Nachkriegszeit sehr zurückhaltend war gegenüber jeder Forderung, mit der Zeit zu gehen, und sehr skeptisch gegen jeden Versuch, den Zeitgeist mit dem Heiligen Geist zu identifizieren, so hat dies jedenfalls auch seinen Grund in der Erinnerung an die verhängnisvollen Perioden in der europäischen Geschichte, wo man sich allzu eng dem Zeitgeist in Form von jeweils herrschenden politischen Ideologien angeschlossen hatte.  Die Erinnerung an diese Perioden sollte auch eine Warnung sein für uns Dänen vor allzu unkritischer nationaler Selbstzufriedenheit in Volk und Kirche. Und im Lichte der schweren historischen Erfahrungen aus der Zeit der Nationalsozialismus (der nicht überall Vergangenheit ist!) wird uns verständlich, dass der Evangelist Johannes nicht das, was die Welt sieht und worauf sie sich stützt, mit dem gleichsetzt, was der Christ sieht und worauf er sich stützt. Er spricht mit großem Vorbehalt gegenüber der Welt von dem „Geist der Wahrheit“, den die Welt nicht annehmen kann, weil sie ihn weder kennt noch sieht …. Es bedarf einer Trennung zwischen dem Heiligem Geist und dem Zeitgeist – auch wenn man lokal gerne eine Gemeinsamkeit zwischen Kirchen- und Volksfesten akzeptieren kann.

Zum Schluss zurück zum komplizierten Gottesbegriff, der uns in dem dreigliedrigen Glaubensbekenntnis zu Vater und Heiligem geist begegnet.

Warum haben wir eine Zukunft, etwas worauf wir hoffen und wofür wir leben? Weil es die Vergebung in Christus gibt. Warum kann ich erleben, dass das Leben noch immer schön ist, eine Gabe? Weil Gott mir in seiner Liebe das in repariertem Zustand zurückgibt, was ich einst kaputtgemacht habe. Deshalb kann ich mit Jakob Knudsen noch immer sagen, „dass mich der Tag freut trotz Sünde und Tod“.[2]

Unlöslich verbunden mit dem christlichen Glauben – und überhaupt mit dem Christus -Namen – ist das Wissen, das in der „Gemeinschaft der Heiligen“ geteilt wird, dass wir von der Vergebung leben. Das Wissen, das Ludwig Müller negativ fand und von dem er nichts wissen wollte, weil, er unkritisch die göttliche Wahrheit mit dem Geist des deutschen Volkes identifizierte.

Natürlich wäre unser Gottesverhältnis weniger kompliziert, wenn wir all das mit der Versöhnung Christi und dem Heiligen Geist überspringen würden. Aber dann wäre es nicht mehr Christentum. Aber nicht nur das. Wir würden auch das Leben in der Welt zerstören.

Denn da ist die Gefahr, die immer droht, wenn man es zulässt, dass eine soziale Gemeinschaft – hierunter eine nationale Gemeinschaft, sei sie dänisch oder deutsch – sich verabsolutiert und sich selbst erhöht, so dass alles außerhalb der Gemeinschaft verteufelt wird. Deshalb ist es notwendig – mitten in den unser Leben bestätigenden und fördernden sozialen Gemeinschaften – die Nüchternheit zu bewahren und ein persönliches Existenzverständnis, das nicht vergisst, in den tieferen Grund des Daseins zu blicken. Und hier gibt das Evangelium – wie auch die stets größere Gemeinschaft im Heiligen Geist, die kein hasserfülltes, vereinfachendes Denken nach dem Schema: Die und wir – die Versöhnung und die Hoffnung von Gott – das zum weiteren guten Unterricht! Einen frohen Sonntag und frohe Pfingsten! Amen.

 

Dompropst Jens Torkild Bak

DK-6760 Ribe

Email: jtb(at)km.dk

[1] Dänisches Gesangbuch Nr. 750, Übersetzung im Deutsch-dänischen Kirchengesangbuch.

[2] Lied Nr. 754 im dänischen Gesangbuch, V. 2.

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