Die 3 überwindbaren Risse

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Die 3 überwindbaren Risse

Aschermittwoch | Predigt zu Matthäus 9:14-17, verfasst von Manfred Mielke |

 

Liebe Gemeinde,

jeder Aschermittwoch hat einen weitreichenden Sinn, auch wenn er nur einen Kalendertag andauert. Er bietet so etwas wie eine erste Trainingseinheit an für sinnvolle Wochen. Denn heute beginnt die Fastenzeit. Über 40 Tage erstreckt sie sich – bis hin zum Karfreitag; Jesu Weg zum Kreuz ist also der Hintergrund. Vorher wurde Jesus von seinen Gegnern angegangen, warum er nicht streng fastet. Und wenn er schon tafelt, dann doch auffällig mit den Falschen. Der Evangelist Matthäus berichtet dazu:

Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten wir und die Pharisäer so viel und deine Jünger fasten nicht? Jesus antwortete ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten. Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid ab und der Riss wird ärger. Man füllt auch nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche und der Wein wird verschüttet und die Schläuche verderben. Sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche, so bleiben beide miteinander erhalten. (Matthäus 9, 14-17)

 

Liebe Gemeinde,

zuerst also das zusammengefügte Bild vom Fasten und einer Hochzeitfeier, dann das vom Löcherflicken und vom Umgang mit frischem Wein. Mit dem letzten beginne ich, mit dem Jesus das Können eines Winzers anspricht. Er muss bei der jährlichen Weinernte die Lederschläuche in Bezug auf ihre Dichtigkeit prüfen. Jungen Wein erntet er jedes Jahr, die Schläuche aus Ziegenleder sollen aber viele Jahre halten. In kleine passen eher 50 Liter hinein, in große auch das Dreifache. Nach Jahrzehnten werden sie rissig, sie müssen früh genug ersetzt werden, sonst sprengt der frische Wein die rissig gewordenen Ledersäcke. Dann wäre der Beaujolais primeur perdue. Diese Winzer-Weisheit kommt in jedem Generationenkonflikt vor, deswegen schließt Jesus sein Bild versöhnlich ab und sagt: „Füllst Du neuen Wein in neue Schläuche, so bleiben beide miteinander erhalten.“ Und ich füge hinzu: Dann ist genug Vorrat da, auf dass alle Generationen miteinander anstoßen.

Jesu zweites Bildwort lautet: „Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder vom Kleid ab und der Riss wird ärger.“ Dieser Vorgang war und ist Alltagswissen: Ein Aufnäher soll ein Loch verdecken. Ist dieser Aufnäher haltbarer als der Unterstoff und schrumpft womöglich unter heißem Wasser, reißt er ein noch größeres Loch. Es ist nicht klug, ein Loch mit einem Loch stopfen zu wollen. In diesem Bildwort Jesu markiere ich die Warnung: „Sonst wir der Riss noch ärger“.

 

Liebe Gemeinde,

was war geschehen? Kurz nachdem er einen Zöllner in seinen Jüngerkreis berufen hat feiert Jesus mit seinen Jüngern ein großes Essen. Weitere Zöllner, Geldverleiher, Prostituierte und Tagelöhner feiern mit. Drum herum stehen mißmutige Pharisäer und Schriftgelehrte. Zu ihnen hinzu kommen Jünger des Täufers Johannes, die sich meist gut standen mit Jesu Jünger. Diese 3 Gruppen sind betroffen davon, dass ihr demonstratives Fasten sie als Heuchler erscheinen lässt. Deswegen ihr Vorwurf: „Warum fasten wir und die Pharisäer so oft und deine Jünger fasten gar nicht? Jesus antwortete ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste Leid tragen, solange der Bräutigam mit ihnen feiert?“

Mit ihrem Vorwurf riskieren sie, dass Jesus ihnen eine Bußpredigt hält im Sinne eines Prophetenverses, den sie alle gut kennen: „Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll!“ (Jesaja 58,4) Doch zu ihrem Erstaunen sagt Jesus etwas über sich: „Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten.“

In der Sache sagt Jesus, dass Fasten seine Zeit hat und Feiern ebenso seine Zeit hat. Aber er bringt – im Bild als Bräutigam – sich selbst als alles bestimmenden Faktor ins Spiel. Seine Gegenwart schenkt eine tiefere Gotteserfahrung, als jemals ein Nahrungsverzicht bewirken kann. Und nach seiner Himmelfahrt – wenn das Brautpaar aufsteht und die Feier verlässt – ist Fasten zwar machbar, hätte aber einen anderen Sinn und würde die mit ihm erlebte Gemeinschaft nicht ersetzen. So wie es das Abendmahl kann.

Für uns heute als seine Kirche hat Jesus das Fasten nicht klar geregelt. Eher schon das Reduzieren und Verzichten, aber auch die ohne den Mehrwert, damit Gott beeindrucken zu können. Sein Meditieren in der Wüste, sein 40Tage andauerndes Innehalten, sind da ein klareres Vorbild für uns. Dadurch erwuchs ihm die Leidenschaft, mit Ausgestoßenen Gastfreundschaft zu teilen. Er kehrte zurück mit der Kraft, aufrecht seinen Leidensweg zu gehen. Fasten gelingt auch uns weniger als taktische Leistung, besser aber innerhalb eines Vertrauensverhältnisses.

 

Ein Wort aus seiner Tischrede will ich markieren und bedenken. Es ist das Wort „weggenommen“. Ich ersetze es gedanklich durch ein „entrissen“. Dann sehe ich 3 Risse:

Der Bräutigam wird seiner Feier entrissen,

der falsche Flicken reißt ein größeres Loch,

der Jungwein zerreißt poröse Lederschläuche.

Diese 3 Risse sehen und verstehen wir in Jesu Rede. Sie ähneln stark unserem aktuellen Empfinden. Unserm Zerrissensein, unserem unüberhörbaren Schweigen. Wir spüren den Riss zwischen den Religionen, das Zerwürfnis zur Natur, die Entfesselung des Egoismus. Damit bekommt dieser Tag und die Zeit, die er eröffnet, einen aktuellen Sinn. Das Evangelium macht uns sensibel für Risse und deutet Möglichkeiten an, sie zu überwinden.

 

Wir haben bereits mit dem Innehalten begonnen. Es erfolgt oft privat, wir erleben es neuerdings auch in großem Rahmen. Dazu ein Beispiel: Am letzten Wochenende trugen alle Profi-Fußballer Trauerflor. Warum? Am vorigen Mittwoch, heute vor einer Woche, erschoss ein rassistisch motivierter Serienmörder 9 Besucher in 2 Shisha-Bars in Hanau. (Anschließend seine Mutter, dann sich selbst.) Deswegen wurden vor jedem Spiel-Anpfiff in allen Stadien Schweigeminuten eingehalten als Zeichen der Bestürzung und des Zusammenhalts. Aus eigenen Besuchen habe ich die Lautstärken in Stadien gut im Ohr, diesmal war das kollektive Schweigen unüberhörbar.

Und noch etwas Besonderes geschah: Die Minute wurde nicht abgestoppt durch einen Lautsprecher-Befehl, sondern ein erster Stadiongast rief in die imposante Stille hinein: „Nazis raus!“ Sein mutiger Zwischenruf schwoll sehr schnell an zu einem vierzig-, ja sechzigtausendfachen Sprechchor. Das knapp einminütige Innehalten war also ein akustisches Fasten, dass schnell ausbrach in eine zutiefst menschliche Empörung. (Hoffenheim gegen Gladbach, 22.2.2020, Sportschau)

Nicht alle Rassisten verließen sofort die Stadien, und so wird es auch bei den vielen Karnevalssitzungen und Umzügen gewesen sein, die mit Gedenkminuten begannen. Aber das Innehalten kann uns zu intensiven Ausdrucksformen verhelfen. Amen.

 

Vorschläge für Lieder:

EG 241 Wach auf, du Geist der ersten Zeugen (siehe V.5)

EG 302 Du meine Seele, singe (siehe V.5)

EG 355 Mir ist Erbarmung widerfahren (siehe V. 5)

Wortlaute 27 Er ist das Brot, er ist der Wein

Wortlaute 85 Da wohnt ein Sehnen

101 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein

 

Liturgische Bausteine:

 

 

Hinführendes Gebet zum Karneval aus einem Familiengottesdienst:
Herr, du unser Gott, du siehst uns an auch wenn wir uns verkleiden, du schaust in unser Herz.

Manchmal spüren wir, dass viel mehr in uns steckt, als wir im Alltag denken. Aber wie schnell vergessen wir das wieder und machen im alten Trott weiter. Manchmal spüren wir

ganz deutlich unsere Sehnsucht nach einem Leben, so wie wir es nicht kennen. Aber wie schnell geraten wir wieder in dieses elende Funktionieren hinein. Manchmal spüren wir das Leben und deine Freiheit prickeln wie Brause in der Nase und dann haben wir wieder die Nase voll, wollen nur noch unsere Ruhe haben. Unser Leben hat viele Grenzen und sehr schnell stoßen wir daran. Alle unsere Grenzen und Hoffnungen bringen wir vor dich, durch Jesus, unseren Bruder. Der das Zeichen deiner Liebe zu uns ist, jetzt und alle Zeit. Amen

 

Fürbitte im Radiogottesdienst des Hessischen Rundfunks am 20.2.2020

Gott, du liebst das Leben. Wir stehen stumm. Es ist schrecklich. Mitten im Leben sterben Menschen. Werden herausgerissen. Brutal getötet. An einem ganz normalen Mittwochabend. Wie schrecklich muss das sein für ihre Angehörigen! Für ihre Familien, Freundinnen und Freunde, für die Menschen, die sie geliebt haben. Wir beten für sie. Gott, sei bei ihnen! Lass sie deine Nähe spüren. Gib ihnen viele Zeichen, dass andere ihr Leid mittragen. Wir denken an die Verletzten und die, die sich jetzt um sie kümmern. Wir beten für die, die in großer Sorge um sie sind. Gott, hilf ihnen! Wir sind erschüttert über den mörderischen Hass gegen Menschen. Gott, hilf uns, damit wir gemeinsam die Achtung vor jedem Menschen hochhalten. Stärke unsere Kraft der Liebe und des Mitgefühls. Amen.

 

 

 

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

 

 

 

Pfarrer i.R. Manfred Mielke
Alpen, Deutschland
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de
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